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Veröffentlicht am 20.08.2021

Schräg, überdreht, chaotisch, turbulent und sehr witzig

Hilfe, ich habe meiner superschlauen Schwester das Gehirn geklaut!
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Keith ist elf Jahre alt und Erfinder mit Leib und Seele. In seinem „Protokollbuch für Extrem Wichtige Experimente & Erfindungen“ notiert er den Stand aktueller Experimente, wie z.B. dem, ob Zehennägel ...

Keith ist elf Jahre alt und Erfinder mit Leib und Seele. In seinem „Protokollbuch für Extrem Wichtige Experimente & Erfindungen“ notiert er den Stand aktueller Experimente, wie z.B. dem, ob Zehennägel weiterwachsen, wenn sie nicht mehr an Zehen dran sind. Der Junge träumt davon, die Erfindermesse in Paris zu besuchen. Doch erstens hat er kein Geld und zweitens würden seine Eltern das nie erlauben. Die kümmern sich nämlich nur um seine hochbegabte Schwester Min, die einen Wettbewerb nach dem anderen gewinnt. Wenn Keith nur so intelligent wäre wie Min, käme er sicher leichter an Preisgeld und könnte die Fahrt nach Paris selbst bezahlen. Also beschließt Keith kurzerhand, genau wie Min ebenfalls ein Genie zu werden.

Autorin Jo Simmons schreibt kindgemäß, gut verständlich, flüssig und humorvoll in der dritten Person.
Nathan Reeds originelle, lustige Schwarz-Weiß-Illustrationen passen prima zur Geschichte. Sie haben eine ganz eigenen comicartigen Stil. Wenn man genau hinsieht, erkennt man viele witzige Details in den Bildern.
Die Text ist normal groß gedruckt, einige Wörter im Fließtext werden durch größere Schriftgröße oder Fettdruck hervorgehoben. Die Kapitel haben eine recht übersichtliche Länge. Mädchen und Jungen ab neun Jahren werden den Text ohne Mühe selbstständig erfassen können, jüngere Kinder lassen sich das Buch sicher gerne vorlesen.

Jo Simmons hat wie gewohnt sehr unterhaltsame Figuren erfunden. Keith ist einfallsreich, spontan, ziemlich naiv, manchmal ganz schön derb, aber liebenswert-sympathisch. Dass er von seinen Eltern nicht so beachtet wird, wie er sollte, ist bedauerlich, aber Keith weiß sich zu helfen. Er macht einfach „keithmäßig“ sein Ding und geht die Probleme cool und lässig an. Sein Opa Keith Senior, der mindestens genauso unkonventionell ist wie sein Enkel und mit seinem Papagei in einem Lastkahn lebt, unterstützt und stärkt Keith. Und die hochbegabte Schwester Min, die stets so perfekt und diszipliniert wirkt, kann auch durchaus anders und überrascht mit einer unvorhersehbaren Wandlung. Erstaunlicherweise gibt es Sachen, die Min noch von Keith lernen kann.
Dass Keith schon aus Jos Simmons Buch „Hilfe, meine Eltern haben meinen Geburtstag gestrichen“ bekannt ist, gefällt mir. In diesem Buch spielte er allerdings nur eine Nebenrolle. Die Bücher der Autorin sind durch ihre Figuren verbunden, hängen somit zusammen, sind aber doch unabhängig voneinander zu lesen.

Was Keith alles tut, um an Geld zu kommen, ist großes Slapstick-Komödien-Kino. Turbulent, chaotisch, schräg, völlig überdreht und absurd, aber dabei extrem komisch. Manchmal, gerade am Ende, für mich ein bisschen zuviel des Guten, aber so ist Keith halt. Keith verbiegt sich nicht, übertreibt es oft, kann echt nerven und gerade deshalb kommt er so gut an. Keith zeigt, dass man kein Superhirn sein muss, um Sympathien zu gewinnen. Genialität hat viele Gesichter. Wer keithmäßig locker und gelassen bleibt, hat jedenfalls mehr Spaß im Leben als eine verbissene Intelligenzbestie, für die nur Erfolg zählt. Für alle Jungen und Mädchen, die es witzig, einfallsreich, verrückt und nicht langweilig mögen, garantiert ein großer Lesespaß.

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Veröffentlicht am 18.08.2021

Eine große Liebe in unruhigen Zeiten - Zeitgeschichte spannend und mitreißend erzählt

Die Heimkehr der Störche (Die Gutsherrin-Saga 2)
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Nach ihrer dramatischen Flucht aus Ostpreußen lebt Dora Twardy 1952 nun mit ihrer Familie auf einem Hof in der Lüneburger Heide. Doch wohl fühlt sie sich dort nicht. Mit der Bäuerin und Besitzerin des ...

Nach ihrer dramatischen Flucht aus Ostpreußen lebt Dora Twardy 1952 nun mit ihrer Familie auf einem Hof in der Lüneburger Heide. Doch wohl fühlt sie sich dort nicht. Mit der Bäuerin und Besitzerin des Hofes Frau Stübeck gerät sie regelmäßig in Konflikt. Dora bewirbt sich an verschiedenen Hochschulen für ein Studium der Tiermedizin. Lediglich die Ost-Berliner Humboldt-Universität lädt sie zum Vorstellungsgespräch ein. Dora entscheidet sich, mit Pflegetochter Clara nach Berlin zu ziehen. Dort erfährt die junge Frau, dass ihre große Liebe, der Fotograf Curt von Thorau, im Staatsgefängnis inhaftiert ist. Sie setzt alles daran, ihn besuchen zu dürfen. Doch der Preis dafür ist enorm hoch. Währenddessen wächst in der DDR die Unzufriedenheit im Volk. Es kommt zum Arbeiteraufstand, der auch für Dora gravierende Folgen hat.

Autorin Theresia Graw schreibt flüssig und klar. Ihr angenehmer und unkomplizierter Schreibstil ermöglichte es mir sofort, direkt in die Geschichte „einzutauchen“. Das ansprechende, melancholische Cover erinnert stark an das Titelbild des ersten Romans „So weit die Störche ziehen“. Erneut ist die Rückansicht einer Frau zu sehen, die diesmal gemeinsam mit einem Kind auf eine weite Landschaft blickt. Auf Anhieb ist zu erkennen, dass die beiden Romane zusammengehören.

Dora Twardy ist eine beeindruckende, starke Frau. Sie glaubt an Gerechtigkeit, gibt nicht auf, kämpft für das, was ihr wichtig ist. Vor allem anfangs wirkt sie ein wenig naiv, so ist sie fest davon überzeugt, dass sie in Ost-Berlin unbeschadet leben kann und dass die „Menschen in der DDR gleich und gerecht behandelt werden“.
Mit besonderem Ehrgeiz und viel Disziplin geht Dora ihr Studium an: „Es war keine Option, hier alles aufzugeben und reumütig nach Wielenstadt zurückzukehren, wenn sie ihren Traum erreichen und Tierärztin werden wollte. Sie musste weiter die Zähne zusammenbeißen und alle Widrigkeiten, die ihr in den Weg gelegt wurden, hinnehmen. Nur so konnte sie ihr Studium beenden. Und nur so hatte sie vielleicht noch eine Chance, Curt wiederzusehen.“
Zu Beginn begreift Dora noch nicht, wie stark die Menschen in der DDR vom Staat beeinflusst und kontrolliert werden. Sie als Tochter eines ostpreußischen Großgrundbesitzers steht durch ihre Herkunft erst recht unter besonders strenger Beobachtung.
Für ihre großen Liebe Curt ist Dora bereit alles zu tun. Was die enge Beziehung, die tiefe Verbindung der beiden ausmacht, wird in diesem Roman nicht direkt deutlich, die außergewöhnliche, starke Beziehung der beiden stand im Vorgängerband mehr im Fokus.
Gerade in der DDR muss sich Dora gegen staatstreue Genossen zur Wehr setzen, die ihr das Leben schwer machen. Aber sie trifft auch immer wieder auf Menschen, die ihre Qualitäten sofort erkennen, auf die sie sich verlassen kann und die sie unterstützen. Da auch die historischen Ereignisse eine wichtige Hauptrolle im Buch einnehmen, sind die Charaktere zwangsläufig nicht durchgehend vielschichtig gezeichnet. Manche Figuren sind nämlich nicht hauptsächlich durch ihre Persönlichkeit definiert, sondern durch das, was ihnen passiert oder durch ihre Aufgabe im „System“.

Was Dora 1952 bis 1954 in der DDR, an der Universität, während der Arbeiteraufstände und nach der Fußball-WM erlebt, das ist ohne Frage dramatisch, spannend, packend, oft regelrecht aufwühlend. Vor allem das Schicksal von Doras Bruder Erich, der stellvertretend für so viele Bürger der DDR steht, ging mir sehr nahe. Autorin Theresia Graw macht Zeitgeschichte unmittelbar begreiflich, emotional erfahrbar, für mich wirklich lebendig. Sie zeigt anschaulich am Beispiel ihrer Protagonisten, wie sich die Unzufriedenheit in der Bevölkerung angesichts der Mangelwirtschaft immer mehr steigerte, warum es zum Arbeiteraufstand kommen musste und was die Ereignisse für die Menschen konkret bedeuteten.
Auch wenn das Ende vielleicht ein bisschen dick aufgetragen sein mag, passt es dennoch zum Buch. Denn zu einem bewegten Leben wie Doras gehört eben ein außergewöhnliches Finale und kein 08/15 Ende. „Die Heimkehr der Störche“ ist ein gelungener Schmöker, ein großes Lesevergnügen, das ich allen Fans des Genres nur ans Herz legen kann. Es empfiehlt sich allerdings, zunächst den mindestens genauso lesenswerten Vorgänger zu lesen, um alle Aspekte der Handlung komplett nachvollziehen zu können.

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Veröffentlicht am 18.08.2021

Neuanfang mit Hindernissen im Alten Land

Der Himmel ist hier weiter als anderswo
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„Sie wandte sich ab. Der Garten, der sich sanft zum Fluss senkte. Die knorrigen Apfelbäume. Der Pavillon am Wasser, ein Schmuckstück. Die überhängende Weide am Ufer. In ihren Augen war es ein Paradies.“

Als ...

„Sie wandte sich ab. Der Garten, der sich sanft zum Fluss senkte. Die knorrigen Apfelbäume. Der Pavillon am Wasser, ein Schmuckstück. Die überhängende Weide am Ufer. In ihren Augen war es ein Paradies.“

Als Jan, der Mann der Geigerin Felicitas, Fee, ganz unerwartet stirbt, steht diese plötzlich mit vier Kindern alleine da. Dann wird ihr auch noch die Wohnung in Hannover wegen Eigenbedarfs gekündigt und schließlich verliert sie ihren Job als Musiklehrerin, weil sie seit Jans Tod nicht mehr in der Lage ist, ihre Geige zu spielen. Fee beschließt, neu anzufangen und kauft sich vom Erlös der Lebensversicherung ihres Mannes einen Gasthof im Alten Land. Doch leider ist das Anwesen in schlechterem Zustand als angenommen und nicht alle Familienmitglieder leben sich gleichermaßen schnell in der neuen Umgebung ein.

Autorin Valerie Pauling schreibt verständlich, meist in klaren, einfachen, mitunter allerdings etwas „abgehakten“ Sätzen. Mir gelang es rasch, einen Bezug zur Geschichte zu entwickeln und mich in das Geschehen hineinzuversetzen.

Fee steckt tief in der Krise. Sie muss sich um vier Kinder im Alter von fünf bis sechzehn Jahren kümmern und hat außer ihrer besten Freundin Viola, die in Afrika lebt und arbeitet, keine engen Vertrauten. Seit ihr Mann starb, während sie auf einem Konzert Geige spielte, kann sie ihr früher so geliebtes Instrument nicht mehr anfassen. Sie ist in ihrer Trauer gefangen, scheint wie gelähmt. Zunächst blieb ich ihr gegenüber etwas distanziert, konnte sie wegen ihrer Verschlossenheit schwer einschätzen. Doch im Laufe der Geschichte litt ich immer mehr mit ihr, hoffte für sie, dass ihre lange Pechsträhne ein Ende findet. Fees vier Kinder sind völlig unterschiedliche Charaktere. Golo, der Jüngste, ist offen, schließt schnell Freundschaften, seine Schwester Martha wirkt ein bisschen „nerdig“, interessiert sich mehr für Tiere als für Menschen. Rieke, die Zweitälteste, ist sehr umtriebig, aktiv, engagiert und steckt voller Ideen. Rasmus, der Älteste, hat überhaupt keine Ahnung davon, was er wirklich möchte und was nicht. Die Figuren erfüllen einige Klischees, wirken eher stereotyp als tiefgründig, sind aber durchaus nachvollziehbar gezeichnet.

„Der Himmel ist hier weiter als anderswo“ ist für mich ein Eskapismus-Roman. Einige Parallelen finden sich zu den Romanen von Jenny Colgan, die für das Genre steht wie kaum eine andere Autorin. Auch bei Colgan verlassen Städterinnen ihre Heimatstadt nach einem Schicksalsschlag, um auf dem Land ihr Leben komplett umzukrempeln. Fee wagt ebenfalls den Neuanfang, ist aber anfangs innerlich noch nicht richtig bereit dazu. Im Laufe der Handlung hat sie mit zahllosen Widrigkeiten zu kämpfen, da kommt einiges zusammen. Stark erinnert der Plot auch an Jojo Moyes Roman „Der Klang des Herzens“. Bei Moyes entscheidet sich eine frisch verwitwete Geigerin, die ihr Instrument nicht mehr spielen kann, mit ihrer Familie für den Umzug in ein baufälliges Haus auf dem Land. Moyes Roman hat mich emotional aber etwas mehr mitgerissen und berührt, macht insgesamt ein „bisschen mehr her“. Auch wenn Paulings Geschichte an einigen Stellen mehr Tiefe vertragen hätte - ich hätte mir beispielsweise intensivere und substanziellere Gespräche zwischen Fee und ihren Kindern gewünscht- hat mich der Roman insgesamt unterhalten und ich habe ihn über weite Strecken gerne gelesen. Am Ende fügt sich nach all den Verwirrungen und Komplikationen alles recht schnell. Die Vorstellung, dass Landleben wie Medizin heilend auf die Seele wirken kann und dass es durchaus die Möglichkeit gibt, auch mitten im Leben neu anzufangen, hat mir gefallen und gutgetan. Unterm Strich ein leichter, solider, kurzweiliger Eskapismus-Roman über einen Neuanfang mit einigen Hindernissen und Herausforderungen, der vom Landleben träumen lässt.

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Veröffentlicht am 14.08.2021

Wie konnten drei Leuchtturmwärter spurlos verschwinden? Atmosphärisches und intensives Leseerlebnis

Die Leuchtturmwärter
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„Auf einen Landmenschen wirkt das Meer ziemlich beständig, aber Jory weiß, dass es das nicht ist: Es ist launisch und unberechenbar, und wenn man nicht aufpasst, erwischt es einen.“

1972 verschwinden ...

„Auf einen Landmenschen wirkt das Meer ziemlich beständig, aber Jory weiß, dass es das nicht ist: Es ist launisch und unberechenbar, und wenn man nicht aufpasst, erwischt es einen.“

1972 verschwinden drei Leuchtturmwärter vom Maiden Rock-Leuchtturm vor der Küste Cornwalls spurlos. Sie lassen ihre drei Frauen Helen, Jennifer und Michelle zurück. Zwei Jahrzehnte später möchte der Autor Dan Sharp herausfinden, was mit den Männer wirklich geschah. Er spricht mit den Frauen, die alle ihre persönlichen, gut gehüteten Geheimnisse haben. Ob die Wahrheit endlich ans Licht kommt?

Emma Stonex schreibt klar, verständlich und stilistisch „schön“. Viele der treffenden, bemerkenswerten Sätze musste ich immer wieder lesen, so beeindruckt haben sie mich. Die Autorin setzt bewusst, gekonnt und abwechslungsreich ganz verschiedene sprachliche Stilmittel ein. Wenn Helen beispielsweise Dan Sharp ein Interview gibt, gibt Stonex nur das wieder, was Helen denkt, was in ihr vorgeht, was sie sagt. Was Dan Sharp zum Gespräch beiträgt, wird nicht erwähnt. Ein Dialog wird also einseitig betrachtet zum Monolog. Stonex kreiert dadurch eine besondere Atmosphäre. Die ganz eigene Stimmung, die Einsamkeit auf dem Leuchtturm, fängt sie präzise und treffend ein. Stonex erzählt nicht chronologisch. Die Erlebnisse und Gedanken der Frauen 1992 werden genauso ausführlich geschildert wie die Rückblenden aus der Zeit vor dem Verschwinden der Leuchtturmwärter. Nach und nach erhalten die Leser Bruchstücke einer Geschichte, die sich immer klarer zusammenfügt.

Wer waren die verschwundenen Männer Arthur, Bill und Vincent wirklich?
Die Leser erleben die Männer selbst in Szenen vor ihrem Verschwinden und schließen aus den Erzählungen der Frauen, was diese Männer umtreibt und bewegt.
Bill beispielsweise hat ein schwieriges Verhältnis zum Meer: „Ich kann das Meer nicht leiden, und das Meer kann mich nicht leiden.
Arthur scheint mit dem Meer und dem Leuchtturm auf unsichtbare Weise verbunden zu sein. Den Tag, an dem Leuchttürme keine Wärter mehr braucht wird, fürchtet er: „Bald und ich denke nicht gerne darüber nach, wie bald, wird eine Maschine meine Arbeit erledigen. Diese Maschine wird den Turm nicht so brauchen wie ich, sie wird ihn nicht. Mit der Technik kann das Licht eingeschaltet und die Nebelkanone abgefeuert werde, aber Technik kann sich nicht um die Leuchttürme kümmern, und das brauchen sie, jemand muss sich um ihre Substanz kümmern, um ihre Seele.“
Vince hat eine schwere Kindheit, ist in verschiedenen Pflegefamilien aufgewachsen, er gerät dabei auf die schiefe Bahn und landet im Gefängnis. Durch die Arbeit als Leuchtturmwärter versucht er seiner Vergangenheit zu entfliehen. Doch das ist nahezu unmöglich, wie seine Freundin Michelle erklärt: „Vinny wusste, dass seine Vergangenheit ihn zu Fall bringen würde. Er dachte, egal, was er tat und wie schnell er es tat, die Vergangenheit würde schon da sein und auf ihn warten.“
Mindestens genauso wichtig für die Geschichte sind die Frauen, die zurückbleiben. Helen, Arthurs Frau, fasst es Dan Sharp gegenüber so zusammen: „Die Wahrheit ist, dass Frauen wichtiger füreinander sind. Wichtiger als die Männer, und das werden sie nicht hören wollen, weil es in diesem Buch genau wie in Ihren anderen Büchern um Männer geht oder?“
Helen möchte ihren Verlust gemeinsam mit Jenny, Bills Frau, verarbeiten: „Ich glaube, dass Menschen so etwas miteinander teilen müssen. Wenn so etwas Schlimmes passiert, kann man es nicht allein durchstehen.“ Aber Jenny distanziert sich trotz des gemeinsamen Leids von Helen. Mit Michelle scheint Helen sich besser zu verstehen.
Nach und nach wird offensichtlicher, welche Päckchen die Frauen zu tragen haben, welche erschütternden Geheimnisse sie zu verarbeiten haben und warum sich die Frauen verhalten, wie sie sich verhalten. Die Autorin zeigt anschaulich, wie unterschiedlich Menschen auf das vermeintlich selbe Ereignis, auf den großen Verlust reagieren. Gleichzeitig wird klar, dass jede der klar und überzeugend ausgearbeiteten, tiefgründigen Figuren ihre eigene Wahrheit hat und die ganze Lektüre über musste ich rätseln, wie nun alles tatsächlich zusammenhängt.

Wahrheit und Wirklichkeit haben mehrere Seiten. Emma Stonex arbeitet den Fall der verschwunden Leuchtturmwärter detailliert aus verschiedenen Perspektiven auf, streift dabei unterschiedliches Genres. Am Ende entwirrt sie - zumindest weitgehend- ein komplexes Geflecht und stellt sechs sehr interessante Figuren und ihre Situation eingehend dar. Imponiert hat mir die Atmosphäre des Romans. Beim Lesen wird fast spürbar deutlich, vor welche Herausforderungen einen das Leben auf dem Leuchtturm stellt, wie dabei manchmal die Grenzen zwischen Realität und Einbildung verschwimmen und welche Auswirkungen dieses Leben auf Beziehungen haben kann. Auch wenn das Ende für manchen Geschmack möglicherweise nicht ganz zur Stimmung und Aussage des Romans passen mag, hat mich der vielschichtige, intensive, dramatische und spannende Roman über Verlust gefesselt und nachhaltig beeindruckt. Ich würde gerne mehr von der Autorin lesen.

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Veröffentlicht am 13.08.2021

Wenn Lamas ermitteln - ein etwas anderes spannendes, turbulentes und witziges Detektivabenteuer

Die Lama-Gang. Mit Herz & Spucke 1: Ein Fall für alle Felle
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Wenn Lamas ermitteln - ein etwas anderes spannendes, turbulentes und witziges Detektivabenteuer

Auf Gut Erlenbach ist allerhand los! Die Lamas Petersilie und Einstein bekommen Verstärkung, Neuzugang ...

Wenn Lamas ermitteln - ein etwas anderes spannendes, turbulentes und witziges Detektivabenteuer

Auf Gut Erlenbach ist allerhand los! Die Lamas Petersilie und Einstein bekommen Verstärkung, Neuzugang Vokuhila zieht zu ihnen in den Stall. Doch viel Zeit, sich in Ruhe aneinander zu gewöhnen, haben die Tiere nicht, denn im Gutshaus wird eingebrochen. Danach fehlen ein Kelch und ein Bild aus dem Inventar des Guts. Die Lamas möchten zu gerne wissen, wer für den Diebstahl verantwortlich ist. Sie gründen die Lama-Gang und legen sich gewaltig ins Zeug, um den Einbrecher zu überführen. Aber die Vierbeiner sind nicht die einzigen, die auf Verbrecherjagd gehen.

Heike Eva Schmidt erzählt in flüssiger und für Kinder gut verständlicher Sprache, ihre Geschichte ist voller lebendiger, unterhaltsamer Dialoge. Auch die Lamas kommen dabei erfreulicherweise sehr häufig selbst zu Wort.
Niko Renger hat zur Handlung passende Bilder gezeichnet. Seine Lamas sehen einfach zu drollig aus, die Bilder wirken dynamisch und ausdrucksstark. Für den Geschmack meiner Kinder hätte es ruhig noch ein paar mehr der individuellen, lustigen Illustrationen geben können. Auf jeder Seite finden sich unten neben der Seitenzahl winzige Lamas, über jeder Kapitelüberschrift „hängt“ das Porträt eines der mitwirkenden Lamas. Die Seiten des Buchs sind insgesamt ansprechend gestaltet.
Das Buch eignet sich für Selberleser ab acht Jahren und zum Vorlesen für Kinder ab fünf Jahren.

Lamas als Detektive? Das ist eine wirklich originelle Idee. Und mindestens so originell sind die Charaktere. Diese umtriebigen Lamas, die erstaunlicherweise ziemlich gut für die Tätigkeit als Detektive geeignet sind, muss man einfach sofort ins Herz schließen. Und da die Lamas die Menschen verstehen, die Menschen die Lamas aber nicht, sind sie ihnen in vielerlei Hinsicht überlegen. Lama Einstein hat den Durchblick und Sinn für Ironie. Unglücklicherweise haben seine beiden Mitbewohner aber wenig Sinn für seinen trockenen Humor, was wiederholt für lustige Szenen sorgt. Petersilie nimmt sich selbst recht wichtig, hat aber das Herz durchaus auf dem rechten Fleck. Vokuhila mit seiner etwas tapsigen, naiven und unbedarften Art kam bei meinen Mitlesern und mir am besten an. Auch wenn er oft in Fettnäpfchen tritt, findet er erstaunlich viel Wissenswertes heraus und wird gleichzeitig oft unterschätzt. Ihm kann man einfach nicht böse sein.

Werden die Lamas den Fall aufklären?
Es geht bei den Ermittlungen spannend, rasant, einfalls- und actionreich und vor allen Dingen wunderbar komisch zu. Herrlich, wie sich Vokuhila voller Eifer häufig in die Bredouille bringt und wie Vokuhila und Petersilie viele Aussprüche Einsteins oft zu wörtlich nehmen. Immer wieder amüsant auch, dass die Lamas die Menschen ohne Probleme verstehen, die Zweibeiner aber wiederum vieles, was die Vierbeiner sagen, total missverstehen. Menschen stehen manchmal ganz schön auf dem Schlauch.
Das Ende überrascht ohne Frage, diese Auflösung hatten wir im Detail so nicht erwartet. Meinen Kinder (fünf, sieben und zehn Jahre alt) und mir hat die erste Mission der Lama-Gang rundum gefallen. Wir hoffen noch auf viele weitere Felle äh Fälle der felligen Truppe.

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