Poetisch, drückend: Portrait der Odile Ozanne
Das andere Tal„Das andere Tal“ folgt in der Erzählung dem Leben von Odile, zu Beginn des Romans 16 Jahre alt. Das Besondere: Gleichzeitig existieren in den Tälern nach Ost und West jeweils 20 Jahre zeitversetzt Odile ...
„Das andere Tal“ folgt in der Erzählung dem Leben von Odile, zu Beginn des Romans 16 Jahre alt. Das Besondere: Gleichzeitig existieren in den Tälern nach Ost und West jeweils 20 Jahre zeitversetzt Odile und die anderen Bewohner. So kommt es, dass Odile Besucher erkennt und aufgrund der Regelungen zur Genehmigung solcher Zeitreisen absehen kann, dass einer ihrer Mitschüler wohl sterben wird. Damit muss Odile umgehen.
Dieses Buch hat mich schnell in seinen Bann gezogen, es ist wie ein düsteres Loch, das mich verschluckt hat. Die Zeitreisemöglichkeit, die erstmal wie süße Freiheit klingt, wird stark reglementiert, die (räumliche) Existenz und Anwesenheit von Zukunft und Vergangenheit wird zwar auch zum reizvollen Gedankenspiel, hauptsächlich aber zur drückenden Last. So sind die Themen des Romans Fragen zu Freiheit, Vorherbestimmung und dem Umgang mit einer Gegenwart die doch nicht so ganz gegenwärtig sein will. Hin und wieder tauschen sich auch die Charaktere über die philosophischen Fragen aus, viel mit Explizitem oder gar mit festen Antworten dient das Buch aber nicht.
Odile ist eine Hauptperson, die mich stark mitgezogen hat, so wie sie sich mitziehen ließ. Bei mir kam selten der Frust mit ihr hoch, ich fand es eher tröstlich ihre fortlaufende Existenz mitzuerleben. Wer sich nach Action sehnt wird das womöglich ganz anders sehen. Die wenigen wirklich wichtigen Charaktere sind alle interessant, viele Entwicklungen bleiben angedeutet, trotzdem findet sich eine überzeugende Tiefe.
Dieses Buch besticht mit einer durchweg poetische Sprache, bei der immer wieder ganze Sätze oder Satzteile hängen bleiben und nachhallen. Sie trägt die Stimmung und macht das größtenteils langsame Tempo der Handlung gewinnbringend. Trotz seiner diesbezüglichen Anlagen bleibt mir dieses Buch nicht als Logikrätzel, sondern als Biografie, als Portrait von Odile, in Erinnerung.