Profilbild von Janine2610

Janine2610

Lesejury Profi
offline

Janine2610 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Janine2610 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Schreiben als Überlebensnotwendigkeit

Tagebuch
0

Das Tagebuch der Anne Frank zählt zur Weltliteratur und wird als eines der eindringlichsten Dokumente über die Judenverfolgung während des 2. Weltkrieges beschrieben. Alleine durch diese Beschreibung wollte ...

Das Tagebuch der Anne Frank zählt zur Weltliteratur und wird als eines der eindringlichsten Dokumente über die Judenverfolgung während des 2. Weltkrieges beschrieben. Alleine durch diese Beschreibung wollte ich zu dem Buch greifen und mir selbst ein Bild von den Gedanken eines jungen jüdischen Mädchens über ihr Leben im Amsterdamer Hinterhaus-Versteck machen. Gelesen habe ich das Buch schlussendlich mit zwei Bloggerinnen in einer gemeinsamen Leserunde, denn dass es zu der Thematik viel zu besprechen gibt, davon war auszugehen ...

~ Es ist für jemanden wie mich ein eigenartiges Gefühl, Tagebuch zu schreiben. Nicht nur, dass ich noch nie geschrieben habe, sondern ich denke auch, dass sich später keiner, weder ich noch ein anderer, für die Herzensergüsse eines dreizehnjährigen Schulmädchens interessieren wird. ~
(S. 18)

Als ich dieses Zitat gelesen habe, habe ich mir gedacht: Anne, wenn du damals nur gewusst hättest, dass dein Tagebuch eines Tages millionenfach verkauft und gelesen wird ...
Das Schicksal der Anne Frank dürfte vielen wahrscheinlich schon bekannt sein: Sie starb im Frühjahr 1945 im KZ Bergen-Belsen, nachdem das Versteck, in dem sie und die anderen sieben Untergetauchten lebten, im Jahr davor von einem Lagerarbeiter an die Nazis verraten wurde. Diese Tatsache, die mir während dem Lesen natürlich ständig bewusst war, macht es schwer zu lesen, dass sich Anne Gedanken über die Zeit nach dem Krieg macht, Hoffnung hat und versucht, das beste aus der Situation im Hinterhaus zu machen. Wenn man weiß, dass sie nicht überleben wird, hinterlässt das einen trüben und traurigen Beigeschmack ...

~ Der Krieg stört sich nicht an unseren Streitereien, an unserer Sehnsucht nach Freiheit und Luft, und darum müssen wir versuchen, das Beste aus unserem Aufenthalt hier zu machen. ~
(S. 169)

Jedoch muss man sagen, dass derartige Gedanken nicht vorherrschend sind. Anne schreibt zwar hin und wieder in ihr Tagebuch, dass sie alle Angst haben und besorgt sind wegen dem, was draußen vor sich geht, aber die grundsätzlichen Themen sind eher die alltäglichen Probleme eines 13 bis 15-jährigen Mädchens mit ihrer Mutter, ihrer Schwester Margot oder den anderen im Hinterhaus lebenden Menschen. Anne verwendet auch viel Raum, um den ewig ähnlichen Tagesablauf zu beschreiben, über ihre Helfer zu sprechen, oder dass sie oft still sein mussten, wenig abwechslungsreiches Essen zur Verfügung hatten und dergleichen. Das habe ich so nicht ganz erwartet und fand ich manchmal etwas trocken zu lesen. Generell hätte es mich mehr interessiert, wenn Anne mehr über die derzeitige politische Lage, die derzeitige Kriegssituation bzw. das, was das in ihr ausgelöst hat, geschrieben hätte.

~ Aber das Lachen haben wir fast verlernt. Manchmal habe ich Angst, dass ich vor lauter Ernst ein starres Gesicht und Falten um den Mund bekommen werde. ~
(S. 137)

Anne ist ein charakterstarkes, lebensmutiges Mädchen mit ausgedehnter Energie. Sie kann ihren Willen durchsetzen und ist unbeeinflussbar, weswegen sie im Hinterhaus auch immer wieder angeeckt hat. Und da genau das das war, was sie am meisten beschäftigt hat, wurde es auch lang und breit thematisiert.
In meiner Taschenbuchausgabe kam durch die vielen Fotos, die immer wieder zwischendrin abgebildet waren, aber glücklicherweise etwas Abwechslung zustande. Und dann gab es von Zeit zu Zeit auch mal Situationen, in denen es für Anne und ihre Familie brenzlig wurde, weil sie beispielsweise unvorsichtig im Hinblick auf die Lautstärke waren - also, es war auch Spannung und Aufregung beim Lesen vorhanden, keine Frage!

~ Dieses Gerede höre ich den ganzen Tag. Invasion vorne, Invasion hinten. Dispute über Hungern, Sterben, Bomben, Feuerspritzen, Schlafsäcke, Judenausweise, Giftgase und so weiter. Alles nicht erheiternd. ~
(S. 179)

Es ist am Ende des Buches erschreckend, dass die Tagebucheinträge so plötzlich aufhören, ohne Vorwarnung. Man weiß zwar, dass die acht Hinterhäusler nun gefasst wurden, aber es lässt einen doch irgendwie fassungslos zurück, weil es von Anne ja nun keine Einträge mehr gibt und von ihr nicht mehr erfährt, wie es ihr weiterhin ergangen ist, was sie persönlich noch alles bis zu ihrem Tod durchstehen musste ... Ich war aber trotzdem sehr dankbar für das Nachwort in dieser Ausgabe, das zwei Seiten umfasst und die Schicksale von den acht Untergetauchten thematisiert - die wirklich alles andere als rosig sind! Besonders lesenswert empfand ich im Anschluss darauf dann noch Mirjam Presslers Text über Anne Franks Leben und die Geschichte der Familie von Anne Frank, der insgesamt etwa 24 Seiten lang war. Ein äußerst interessanter Abschluss, wie ich finde!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Schicksalsschläge, Familiengeheimnisse und ein kleines Mädchen, das für Überraschungen sorgt

Das Mädchen auf den Klippen
2

»Das Mädchen auf den Klippen« ist ein Roman, in dem die irische Protagonistin Grania Ryan dem einen oder anderen familiären Geheimnis auf die Schliche kommt, das von ihrer Mutter jahrelang unter Verschluss ...

»Das Mädchen auf den Klippen« ist ein Roman, in dem die irische Protagonistin Grania Ryan dem einen oder anderen familiären Geheimnis auf die Schliche kommt, das von ihrer Mutter jahrelang unter Verschluss gehalten wurde.
Eigentlich strotzt die Geschichte nur so vor Ungereimtheiten und auftauchenden Fragen. Angefangen hat die Problematik schon bei Granias Urgroßmutter Mary und erstreckte sich bis in die Generation von Granias Mutter, in der die eigentliche Katastrophe geschehen ist.
Granias Abhängen mit Aurora bringt ihre Mutter also dazu, ihr von ihrer unangenehmen Vergangenheit zu erzählen, die immer noch eine Menge Wut und Traurigkeit hochkommen lässt.

~ »Manchmal kann das Leben der Erwachsenen ziemlich kompliziert sein.« ~
(S. 401)

Dass die Mutter Grania all das nie erzählt hat, fand ich zwar nicht so schlimm, da es Grania nicht wirklich betrifft, aber was wäre denn schon falsch daran gewesen, offen über die Geschehnisse der Vergangenheit zu sprechen? Die diesbezügliche Sturheit der Mutter hat Grania für sich im Laufe ihres Lebens wohl auch angenommen. Granias dummer, lächerlicher, zerstörerischer Stolz und ihre Unsicherheit sind der Grund, weswegen sie sogar einige Zeit blind für die Liebe war und beinahe den Mann ihres Lebens für immer verloren hätte ...

~ Heutzutage sagen viele Frauen, sie brauchen nicht unbedingt einen Mann, aber sind wir nicht auf der Welt, um einen Partner zu finden? Jagen wir nicht den größten Teil unseres Lebens der Liebe hinterher? ~
(S. 422)

Hätte es da nicht Aurora gegeben ... dieses ungewöhnliche Mädchen verblüffte mich beim Lesen immer wieder mit ihrer intelligenten und starken Wesensart und hat Dinge getan und gesagt, für die man sie nur lieben und bewundern konnte.
Ich war also ein großer Fan von der kleinen Aurora, diesem Engel auf zwei Beinen! Grania mochte ich eigentlich auch ganz gerne, ihre andauernde Sturheit und Abwehr, wenn es darum ging, dass Matt mit ihr reden will, hat mir die Sympathie zu ihr aber manchmal etwas zunichte gemacht.

~ Ich habe einen großen Teil meiner Kindheit in Gesellschaft Erwachsener verbracht und wundere mich immer noch darüber, dass sie so oft nicht sagen, was sie meinen. Dass keine Kommunikation stattfindet, selbst wenn es um Liebe geht. Dass Stolz, Wut und Unsicherheit das Glück unmöglich machen. ~
(S. 421)

Lucinda Riley hat auch diesen Roman wieder sehr fesselnd und fragenaufwerfend geschrieben. Es ist spannend, all die Familiengeheimnisse und Begebenheiten der Vergangenheit nach und nach, sowohl von Auroras Familie, als auch von den Ryans, zu erfahren. Auch der eine oder andere tragische Tod oder Schicksalsschlag in der Geschichte hat mich als Leserin tief bewegt. Alles in allem also ein Buch, das exzellente Unterhaltung und Spannung bietet und zu fesseln weiß. Ich empfehle es gerne weiter!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Bei Krebs gibt es keine ›sicheren Angelegenheiten‹.

Beim Leben meiner Schwester
0

Einige von euch werden den Film »Beim Leben meiner Schwester« (mit Cameron Diaz verfilmt) vermutlich schon kennen. Dies ist die Buchvorlage dazu, und auch ich habe die Verfilmung bereits gesehen. Weil ...

Einige von euch werden den Film »Beim Leben meiner Schwester« (mit Cameron Diaz verfilmt) vermutlich schon kennen. Dies ist die Buchvorlage dazu, und auch ich habe die Verfilmung bereits gesehen. Weil ich aber gesagt bekommen habe, dass die Handlung im Buch ganz anders sein soll, wollte ich mir selbst ein Bild vom Geschriebenen machen.
Was ich nun dazu sagen kann: Die Haupthandlung des Buches stimmt mit der im Film völlig überein, die Nebenhandlungen im Buch wurden im Film allerdings einfach weggelassen - man hat sich darin wirklich nur auf das Wesentliche konzentriert. Aber das Ende, und das ist eigentlich das wichtigste an der ganzen Geschichte, denn darauf läuft eben alles hinaus ... Das Ende ist im Buch komplett anders als im Film, und das hat mich echt überrascht und mit offenem Mund zurückgelassen ...

~ Wenn du eine Schwester hast und die stirbt, sagst du dann nicht mehr, dass du eine hast? Oder bist und bleibst du eine Schwester, auch wenn der andere Teil der Gleichung verschwunden ist? ~
(S. 165)

Die Thematik des Buches ist ziemlich bedrückend, aber auch brisant: Ein wenig erfährt man davon ja schon aus dem Klappentext, aber ich versuche es noch einmal kurz in meinen eigenen Worten zusammenzufassen: es geht um Anna, ein 13-jähriges Mädchen, das sich entweder für sich und somit für den Tod ihrer Schwester Kate, oder aber gegen sich selbst und damit automatisch für das Weiterleben ihrer Schwester entscheiden muss.

Ich kann in dem Fall den Wunsch der Eltern, dass Anna weiterhin für Kate lebensrettende Flüssigkeiten spenden soll, sehr gut verstehen, schließlich geht es für Kate um Leben und Tod, aber auch Annas Seite verstehe ich mehr als gut. Für die jüngere Schwester ist ein Leben, in dem sie ständig für ihre Schwester zur Verfügung stehen und als Ersatzteillager herhalten muss, auch kein leichtes Los. Ich wüsste nicht wirklich, wie ich mich an Annas Stelle entscheiden würde, das ist schon echt hart und ich bin sehr froh darüber, dass ich nicht in so einer Situation stecke.

~ Dieses Mädchen verliert entweder seine Schwester, denke ich, oder es verliert sich selbst. ~
(S. 134)

Ich "musste" das alles also nur lesen und durfte die Gedanken und Handlungen der Protagonisten gebannt mitverfolgen, und musste nicht selbst in so einer prekären Lage Entscheidungen treffen.
Die Kernfrage in diesem Buch lautet hier: Was ist moralisch richtig und was falsch? Es steht unter anderem eine Gerichtsanhörung im Mittelpunkt, in der darüber entschieden werden soll, ob die 13-jährige Anna ab nun selbst über ihren Körper in medizinischen Belangen entscheiden darf.

Ich konnte Annas Entscheidung, dieses Gerichtsverfahren anzustrengen, gut verstehen, denn die Autorin lässt auch immer wieder Gespräche und Szenen in dem Buch auftauchen, in denen Anna sich in Gegenwart ihrer Eltern wie Luft gefühlt hat, ... aber ich habe trotzdem nie daran gezweifelt, dass Anna von ihren Eltern genauso sehr geliebt wird, wie die todkranke Kate. Ich denke, das hat die Autorin schon bewusst so anklingen lassen, damit man nicht auf den wahren Grund kommt, weswegen Anna all das geplant hat ...

~ Denn anders als der Rest der freien Welt bin ich kein Zufallsprodukt. Und wenn eure Eltern euch aus einem bestimmten Grund bekommen haben, dann ist zu hoffen, dass es den Grund noch gibt. Denn sobald er sich erledigt hat, seid ihr es auch. ~
(S. 12)

Wie gesagt: Es ist keine leichte Thematik, es geht um eine seltene Form der Leukämie, es geht ums Sterben, ums Überleben, um Rettung und um Selbstbestimmtheit. - Es geht vor allem darum, was all das in einer Familie anrichten kann.

Es wird kapitelweise abwechselnd aus der Sicht eines anderen Fitzgerald-Familienmitglieds und zusätzlich aus der Sicht von Annas Anwalt Campbell und der Verfahrenspflegerin Julia erzählt. Zwischendrin gab es auch manchmal Zeitsprünge in die Vergangenheit. - Ich fand diesen dauernden Charaktere-Sichtwechsel und die Zeitsprünge erst noch schwierig bzw. störend beim Lesen, habe mich aber glücklicherweise schnell daran gewöhnt und dann keine Probleme mehr gehabt.

~ In meiner Familie ist es eine traurige Gewohnheit, dass wir nicht das sagen, was wir sagen sollten, und das, was wir sagen, nicht so meinen. ~
(S. 108)

Abschließend möchte ich noch sagen, dass mich das Buch, gerade zum Ende hin, ziemlich mitgenommen hat, denn da passiert etwas, womit ich so gar nicht mehr gerechnet habe und die Anhörung, die Anna die ganze Zeit unbedingt wollte, im Grunde überflüssig gemacht hat. Aber mehr möchte ich an dieser Stelle nicht mehr verraten ... Es ist auf jeden Fall eine Geschichte, die zum Nachdenken über das eigene Dasein anregt und die wegen seiner Dramatik und den Gewissenskonflikten darin auf jeden Fall noch lange in meinem Kopf bleiben wird!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Heilung durch Vergebung

Ho'oponopono
0

Ho’oponopono - ein auf den ersten Blick unaussprechlicher hawaiianischer Titel, der auf Deutsch soviel bedeutet wie »Richtig richtig machen«.
Der erste Satz des Buches sagt es auch schon: Es geht hierin ...

Ho’oponopono - ein auf den ersten Blick unaussprechlicher hawaiianischer Titel, der auf Deutsch soviel bedeutet wie »Richtig richtig machen«.
Der erste Satz des Buches sagt es auch schon: Es geht hierin vorrangig um Vergebung und all die positiven seelischen und körperlichen Resultate, die damit einhergehen, wenn man die Übung(en) wirklich ernst nimmt und dauerhaft anwendet.

Der Inhalt des Buches ist nach dem Motto »Heile dich selbst und heile die Welt« aufgebaut. Es wird davon ausgegangen, dass zu verzeihen - sich selbst, aber auch allen anderen Menschen - sich auf sich selbst heilsam auswirkt. Vergebung muss aber auf jeden Fall Hand in Hand mit bedingungsloser Liebe für sich selbst, für alle anderen Lebewesen, sowie für alles, was man sonst auf irgendeine Art und Weise wahrnehmen kann, einhergehen. Dabei soll es völlig egal sein, ob das, was man liebt, negativer Natur ist. Denn: Hass kann niemals mit Hass vertrieben werden. Nur Liebe vermag das. Und auf diesem Weg soll sich auch langsam Krankheit und das Negative in seiner Welt langsam zum Guten umkehren.

~ Vergebung befreit. Sie befreit uns von einer Last, die wir weder tragen können noch tragen wollen. [...] Vergebung heilt und macht das Leben leichter. ~
(S. 26)

Das Buchformat von Ho’oponopono ist nicht nur kleiner als das von "herkömmlichen" Büchern, es hat auch nur 95 Seiten und theoretisch wäre man mit dem Buch schnell fertig, es aber in einem Rutsch durchzulesen, finde ich nicht sehr sinnvoll, denn es ist so voll von wertvollem Wissen, das man kapitelweise erst mal auf sich wirken lassen und gegebenenfalls auch damit arbeiten sollte, ansonsten, so denke ich, hat man den Inhalt bald wieder vergessen, und dann hätte man sich die Lektüre auch gleich ganz sparen können ...

~ Es ist nicht möglich, andere Menschen zu ändern, aber jeder kann bei sich beginnen und auf diese Weise als Vorbild für andere wirken. ~
(S. 55)

Für mich persönlich war/ist die Ho’oponopono-Übung oder das Mantra bzw. die Affirmation (wie auch immer man es nennen mag) ganz besonders wertvoll: »Es tut mir leid. Bitte verzeihe mir. Ich liebe dich. Danke.« - Diese Affirmation sollte/kann man sich ständig in Gedanken (oder gerne auch ausgesprochen) vor sich hin sagen. Auch, wenn es sich erst total falsch oder eigenartig anfühlt, sich selbst oder anderen Menschen (gedanklich) zu sagen, dass man sie liebt und ihnen verzeiht (für alles, was sie gefühlsmäßig in dir auslösen), irgendwann soll das Unterbewusstsein diese Sätze angenommen haben und dann ... merkt man (vorausgesetzt man ist ein aufmerksames menschliches Wesen), wie das eigene Leben schöner und erfüllter wird, weil man mit der Zeit eben immer positivere Dinge anzieht.

Veröffentlicht am 15.09.2016

»Niemand schweigt besser als ein missbrauchtes Kind.«

Splitterfasernackt
0

Lilly Lindner erzählt in ihrer Autobiografie »Splitterfasernackt« über einen sehr negativ prägenden Teil in ihrem Leben, der mich als Leser alles andere als kalt gelassen hat. Der Autorin sind Gewalt und ...

Lilly Lindner erzählt in ihrer Autobiografie »Splitterfasernackt« über einen sehr negativ prägenden Teil in ihrem Leben, der mich als Leser alles andere als kalt gelassen hat. Der Autorin sind Gewalt und sexueller Missbrauch schon im Kleinkindalter über mehrere Jahre hinweg angetan worden und später im Alter von 17 gab es dann erneut ein fürchterlich einschneidendes Erlebnis, das Lilly völlig aus der Bahn geworfen und seither ihr weiteres Dasein bestimmt hat.

~ Einmal in diesem Leben möchte ich morgens aufwachen und verstehen, warum ein Mann eine Frau vergewaltigt. Ich möchte begreifen, warum Männer kleine Kinder ficken. ~
(S. 242)

Man will es gar nicht glauben, dass das, was Lilly widerfahren ist, tatsächlich passiert ist. Zu grausam und unfair erscheint es einem. Man fragt sich: Wieso geschehen einem solche Dinge? - Das kann doch nicht einfach Pech oder Zufall sein!? Und vor allem - und das habe ich erst gar nicht verstanden: Warum entschließt sich Lilly in Anbetracht der Geschehnisse dann dazu, als Prostituierte zu arbeiten? - Aber darauf gibt die Autorin uns in ihrem Buch eine Antwort, die ich, so irre sie auch klingt, doch sehr einleuchtend finde und verstehen kann.

Wer Lilly Lindner bereits kennt, weiß, dass sie eine Begabung für die Aneinanderreihung von Worten hat, die man so noch nie erlebt hat. Aber nicht nur das Geschriebene fasziniert und ist einzigartig, nein, ich finde, dass die Autorin genauso fesselnd spricht, wie sie schreibt.
Für Lilly Lindner war das Schreiben und der Umgang mit Worten die einzig richtige Entscheidung in so einer schwierigen Lebenssituation, in der sogar die Eltern versagt haben. Mit dem Schreiben will sie der Stille in ihrem Kopf entkommen, die da und einfach nicht aushaltbar ist, seitdem sie diese schrecklichen Erfahrungen machen musste.
Mutig, sehr mutig fand ich dann vor allem, dass sie ihr Buch zu einem Verlag getragen und veröffentlicht hat. Denn, wer weiß schon, wie vielen von uns Derartiges vielleicht auch passiert ist und darüber jahrelang eisern geschwiegen hat? Möglicherweise macht diese Autobiografie Betroffenen Mut, mit der Wahrheit herauszurücken?

~ Es ist merkwürdig zu sterben, ohne danach tot zu sein. Man fühlt sich leer und verloren, man weiß nicht so richtig, wohin man gehört. ~
(S. 25)

Autobiografien habe ich bisher noch nicht viele gelesen, aber von den wenigen, die ich bereits gelesen habe, ist Lilly Lindners »Splitterfasernackt« eine, die wegen all der Schicksalsschläge und anschließender Selbstgeißelung so emotional zu lesen ist und durch die unglaublich faszinierenden Wortkonstellationen in meinen Augen deswegen wirklich ein Lesehighlight war.