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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.10.2018

Man muss wissen, was man bekommt!

Die Schwestern von Mitford Manor – Unter Verdacht
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Bevor wir die Rezension beginnen, erst ein kurzer Test. Investiert die Zeit, sie schützt euch vor einem Fehlkauf:

Magst du Geschichten die i noblen Herrenhäusern spielen mit Lords und Ladies und der ...

Bevor wir die Rezension beginnen, erst ein kurzer Test. Investiert die Zeit, sie schützt euch vor einem Fehlkauf:

Magst du Geschichten die i noblen Herrenhäusern spielen mit Lords und Ladies und der Dienerschaft?

Ja (1 Punkt)
Nein (0 Punkte)

Wenn eine Krimigeschichte sich eher um die Personen als um den Fall dreht, kannst du damit leben?

Ja (2 Punkte)
Nein (0 Punkte)

Ist es in Ordnung für dich, wenn sich die Charaktere an die Konventionen und Sitten ihrer Zeit halten, auch wenn diese im Jahre 2018 albern, umständlich oder sogar diskriminierend erscheinen?

Ja (2 Punkte)
Nein (0 Punkte)

Lässt du Charakteren anstrengendes, kapriziöses Verhalten durchgehen, weil ihre adlige Herkunft diese rechtfertigt?

Ja (1 Punkt)
Nein (0 Punkte)

Wer mindestens 4 Punkte erreicht hat: Herzlichen Glückwunsch, ihr könnt es versuchen. Der Rest: kauft es euch nicht, ihr wärt nur genervt von einem Krimi der mehr Familiengeschichte als echter Krimi ist.

Es dreht sich zwar anfangs in Jessica Fellowes Roman um eine Körperverletzung mit Todesfolge an einer ehemaligen Militärkrankenschwester, doch entpuppt sich das ganze schnell als Aufhänger und Sideplot für eine oppulente Familiengeschichte a la Downton Abbey mit jeder Menge Dramatik, Anstand und Sitten,Tränen, Skandälchen und Skandalen und natürlich Lords, Ladies und einer Heerschar an Bediensteten in einem vornehmen Haus.

Wer Downton Abbey liebt, kann hier nicht Nein sagen. Wer einfach einen Krimi aus den Wilden Zwanzigern möchte, der greift besser zu Babylon Berlin.

Veröffentlicht am 07.10.2018

Faust - die leichtere Lektüre

Der Spielmann (Faustus-Serie 1)
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Ich kannte Oliver Pötzsch bereits vorher von seinen Henkerstochter- Romanen, einer Mittelalter- Krimi Reihe in der der Schongauer Henker Jakob Kuisl und seine Familie den Dreh- und Angelpunkt ...

Ich kannte Oliver Pötzsch bereits vorher von seinen Henkerstochter- Romanen, einer Mittelalter- Krimi Reihe in der der Schongauer Henker Jakob Kuisl und seine Familie den Dreh- und Angelpunkt der Handlung darstellen.

In seiner neuen Reihe erzählt der Autor die Geschichte des Jhann Georg Faustus, jedem eigentlich hinlänglich bekannt durch unzählige Unterrichtsstunden in Deutsch über Goethes Werk. Je nach Deutschlehrer/in erinert man sich mit Freude, emotionslos oder mit Grauen daran zurück, an Fausts wundersames Leben, die Grethchenfrage und den Kern von Pudeln. Bei mir was es Letzteres, langweilie, graue Ödnis im Klassenzimmer, das Werk bis in den letzten Buchstaben von Frau S. mit Valiumstimme analysiert, die Lider wurden schwerer und schwerer...

Ich hatte gehofft, mit Oliver Pötzschs Roman mein Trauma überwinden zu können: es ist gelungen, zumindest teilweise! Pötzsch erzählt die Geschichte lebensnah, mit viel künstlerischer Freiheit, voller Wendungen und unerwarteter Rettungen aus der Not und leider doch nicht ganz packend. An manchen stellen ufert die Geschichte einfach sehr aus, er ergeht sich in Nebenschauplätzen und die Motivation des Charakters Tonio de Moravia Faustus auszuwählen und seinen ganzen Plan habe ich bis jetzt nicht wirklich begriffen, da ist ir eindeutig zu viel unklar, obwohl es einen zweiten Band geben wird.

An Tobias Kluckerts sprecherischer Leistung bei diesem Hörbuch ist fast nichts auszusetzen, ich hätte mir nur an den wirklich spannenden Stellen ein bisschen mehr Druck in der Stimme gewünscht.

Oliver Pötzsch- Fans sollten bei diesem Buch erst einmal die Leseprobe konsultieren und keinen Henkerstochter- Roman erwarten. Und auch wer, im Gegensatz zu mir, in der Schule nicht literisch mit Goethe gefoltert wurde, sondern Begeisterung für den Faust mitbekommen hat, der sollte hier beherzt zugreifen.

Veröffentlicht am 24.09.2018

Nicht jedermanns Liebling

Walter muss weg
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Dieser Krimi ist nur etwas für Liebhaber. Für Liebhaber einer genau bemessenen, doppelbödigen Sprache. Der Schreibstil von Thomas Raab ist daher natürlich Geschmackssache.

Ich empfehle deshalb ...

Dieser Krimi ist nur etwas für Liebhaber. Für Liebhaber einer genau bemessenen, doppelbödigen Sprache. Der Schreibstil von Thomas Raab ist daher natürlich Geschmackssache.

Ich empfehle deshalb vor dem Kauf reinzulesen bzw. sich die Leseprobe anzuschauen. Ich bin mir ja nicht sicher ob Herr Raab von natur aus so gut schreibt oder dies mit einiger Unterstützung aus dem Lektorat gelungen ist, fast jeden Satz so zu temperieren, dass sich sprachlich eine maximale Schlagkraft mit stets präsentem schwarzem Humor entfaltet. Deshalb empfinde ich es als Affront, dass der KiWi Verlag uns zwar den Titelbilddesigner und den Autorenfotograf verrät, nicht jedoch das Lektorat!

Ein Beispiel gefällig für diese ungewöhnlich kauzige Sprache? "Ruckzuck schwingen die Fenster auf, stecken die Glaubenthaler ihre Köpfe heraus, als wäre Weltspartag und die längst geschlossene Postsparkasse wieder geöffnet. Mittlerweile kann sich ja sogar die Zweigstelle drüben in Sankt Ursula ihre Spargeschenke sparen, denn selbst in der Sockenlade zuhause findet die alte Huber bessere Zinsen."

Da wird denn vor lauter Grinsen über die Macken und Schrullen der Dorfbewohner die eigentliche Geschichte zur Nebensache. Wer sich das fragt: die alte Huberin trägt nach Jahrzehnten zuneigungsloser Ehe ihren Mann zu Grabe. Er ging zum Herrgott direkt nachdem er kam. Das Kommen allerdings erledigte er zuvor in einem sehr irdischen Dienstleistungsbetrieb. Dummerweise fällt der Sarg bei der Beerdigung mit etwas zuviel Schwung in die Grube, der Deckel geht auf und drin liegt - nun ja- nicht Walter, der Mann der Huberin. Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf.

Ein wenig mehr Fokussierung auf die Handlung hätte das Lesen weniger anstrengend und flüssiger gemacht. Aber alles in allem ein lesenswerter, wenn auch sehr ungewöhnlicher Provinzkrimi.

Veröffentlicht am 24.09.2018

Schönes Zeitzeugnis

Die Charité: Hoffnung und Schicksal
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Die junge Elisabeth, aus armen Verhältnissen stammend, sieht bei ihrer Schwester, dass ein Leben in der Ehe in der damaligen Zeit nicht immer ein Zuckerschlecken ist und beschließt selbstständig ...

Die junge Elisabeth, aus armen Verhältnissen stammend, sieht bei ihrer Schwester, dass ein Leben in der Ehe in der damaligen Zeit nicht immer ein Zuckerschlecken ist und beschließt selbstständig zu leben. Selbstständig, das heißt unvorstellbar lange Tage als Krankenwärterin in der Charité zubringen.

Martha Vogelsang ist die geachtete Berliner Stadthebamme, sie hilft den Kindern von arm und reich auf die Welt zu kommen. Doch allzu oft ist sie machtlos und Mütter und Kinder sterben unter ihren Händen.

Ludovica ist Gräfin, doch gefangen in einer Ehe mit einem Mann der ihr zuwider ist und sie schlecht behandelt. Doch zum Glück, nach langer Zeit, erwartet sie endlich ihr erstes Kind und kann so die Erbfolge sichern.

Um diese interessanten weiblichen Figuren baut Ulrike Schweikert ihren Roman über die Charité auf. Sie spart dabei nicht mit den Härten der damaligen Zeit. Es fließt Blut, operiert wird ohne Narkose (die war damals noch nicht erfunden) aber mit kräftigen Männern, die den Patienten festhalten, der Wundbrand und das Kindbettfieber grassieren auf den Stationen, Syphiliskranke werden mit Quecksilber sowohl vergiftet als auch kuriert, es herrscht unbeschreiblicher Gestank und die Menschen kommen nur allzu oft nicht mehr lebend aus der Charité.

Man ahnt es schon: was in diesem Hörbuch nicht im Vordergrund steht sind romantische Tändeleien, diese kommen zwar vor, begleiten und ergänzen diesen Roman aber eher, als dass sie Selbstzweck sind. Man lauscht Beate Rysopps angenehmen Vortrag wenn sie von Professor Dieffenbachs bahnbrechenden Operationen erzählt, aber auch von der Verzweiflung, wenn sich hoffnungsvolle Patienten in Todgeweihte verwandeln.

Dieses Hörbuch ist ein wirklich gut gemachtes Stück Erzählkunst, ich habe jeder der fast 9 Stunden genossen. Fans von Ulrike Schweikert können bedenkenlos zugreifen, Fans von medizinsichen Romanen und historischen Geschichten die nicht immer "klassisches Mittelalter" sein müssen, sei ebenfalls geraten sich in die Charité zu begeben.


Veröffentlicht am 11.08.2018

Ein Sachbuch- Must Read

Der Horror der frühen Medizin
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Man mag es sich gar nicht vorstellen, doch noch im vorletzten Jahrhundert war es die Realität: zum Mittel einer Operation griff man immer nur als allerletzte Möglichkeit, wenn der Patient ohnehin ...

Man mag es sich gar nicht vorstellen, doch noch im vorletzten Jahrhundert war es die Realität: zum Mittel einer Operation griff man immer nur als allerletzte Möglichkeit, wenn der Patient ohnehin schon todgeweiht schien und wenn man zu Werke schritt, dann ohne Narkose, die gab es nämlich noch nicht.

Doch dann kam der Durchbruch, die gute alte Äthernarkose, so zwar heute auch nicht mehr angewandt, aber endlich trauten sich die Chirurgen wirklich zu operieren, in dieser Zeit fühlte sich der junge Joseph Lister berufen diesem Berufsstand anzugehören und seine Arbeit und seine Forschungen sollten die Welt verändern und unzähligen Menschen das Leben retten.

Lindsey Fitzharris erzählt die Lebengeschichte Listers packend und wie in einem Roman. Anschaulich schildert sie die Zustände zu dieser Zeit in Operationssälen, Anatomietheatern und Hospitälern. Diese kann man als Mensch unserer modernen Medizn fast gar nicht fassen, bei Fitzharris´Bericht wie der Chirurg Liston (ListON,nicht ListER) bei einer einzigen Operation gleich 3 Männer ins Grab brachte, bleibt einem der Mund offen stehen. Sie berichtet von Listers Zweifeln an der Medizin und den damals gängigen Lehrmodellen der Krankheitsverbreitung, seinen vehementen Widersachern wie den Anhängern der Miasmen- Theorie und seinem Streben nach der Erlangung von immer mehr und immer neuen Erkenntnissen.

Dieses Buch über den ersten Verfechter der Asepsis (sprich der Verringerung krankheitsverursachender Mikroorganismen in der Nähe des Patinten) ist wirlich ein Must read für jeden Fan medizinischer Sachbücher und für alle, die sich für Berichte von großen Denkern und Forschern begeistern können. Es ist auch alles so beschrieben, dass man selbst nicht medizinisch vorgebildet sein muss, um dem Buch folgen zu können.

Für mich bis jetzt das beste Sachbuch 2018.