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Julia_Matos

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.09.2018

Rasant, brutal, mit viel flachem Humor, übertrieben und vorhersehbar

Die Rächer
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Nach Band 1 bis 8 der Jack-Daniels-Reihe sowie „Alle wollen Tequila“ und „Die Brandmörder“ hatte ich für zwei Romane ausgesetzt, weil Brutalitäten, Unglaubwürdiges und Skurrilitäten für meinen Geschmack ...

Nach Band 1 bis 8 der Jack-Daniels-Reihe sowie „Alle wollen Tequila“ und „Die Brandmörder“ hatte ich für zwei Romane ausgesetzt, weil Brutalitäten, Unglaubwürdiges und Skurrilitäten für meinen Geschmack zu viel Raum gewonnen hatten. Nach langer Abstinenz war ich dann aber doch neugierig geworden, wie es mit Jack, Phin, ihrer Tochter, Harry und Herb weitergeht.
Ich bin gut reingekommen, fühlte mich durch die Lücke nicht beeinträchtigt, da Angaben zu den Geschehnissen seit der Geburt von Jacks Tochter eingeflochten sind.
Warum man in der deutschen Übersetzung zwanghaft irgendwelche beliebig austauschbaren Titel erfindet, habe ich noch nie verstanden, aber das möchte ich nicht lange ausführen.
J.A. Konrath versteht sich als Meister, seine Leser im schnellen Wechsel zwischen „Gruseln und Entsetzen“ und „Vor Lachen auf dem Boden kringeln“ hin- und herzuscheuchen, wobei die kapitelweisen Perspektivwechsel im unvermeidlichen Showdown besonders rasant ausfallen. Das hatte ich erwartet. Das habe ich bekommen.
Einige innere Kämpfe rund um Jack, Tequila und Herb weisen streckenweise eine gewisse Tiefe auf, sodass Mitfühlfaktor aufgebaut wird. Ansonsten aber flach erzählt. Zugegeben, bei einigen Schilderungen rund um Harry, z. B. zum Thema Feminismus und neue wildgewordene Haustiere, habe ich mich tatsächlich amüsiert, auch wenn das zu meinem Unbehagen viel mit Lächerlichem, Klischees und Schadenfreude zu tun hatte. Gefühlt war zu Beginn der Reihe seitens Hauptfigur Jack mehr feinsinniger oder zynischer Humor dabei, was mehr Klasse hatte und mir damit besser gefallen hat.
Die ausführlich dargelegten Brutalitäten durch menschenlebenverachtende Psychopathen und was Schwerverletzte noch leisten, war mir - wie schon in Band 8 - zu viel.
Am Ende bleibt bei mir das Gefühl, kurzweilig unterhalten, aber nicht bereichert worden zu sein.
Auf der einen Seite lebt die Serie davon, dass einem die Figuren ans Herz wachsen und etwas bedeuten. Auf der anderen Seite fehlt mittlerweile Innovatives. Das Innenleben der Bösen und der Aufbau der Geschichte gestalten sich immer ähnlich. Alle vermeintlichen Wendungen und Überraschungen hatte ich lange vorausgesehen, weil sich das Strickmuster wiederholt.
In Summe habe ich die Lektüre nicht bereut, weil mich die vom Autor erdachte Entwicklung der Charaktere interessierte und auch immer so viel passiert, dass mir nie langweilig wurde. Dennoch werde ich die unzähligen noch zu erwartenden Fortsetzungen zugunsten anspruchsvollerer Romane links liegen lassen.

Veröffentlicht am 27.08.2018

Unmittelbare-Zukunft-Thriller, interessant, aber nicht mitreißend

Das KALA-Experiment
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Karl Olsberg hat eine interessante Geschichte erdacht. In Bezug auf Spannung und Gefühle hat sie mich leider über weite Strecken nicht erreichen können. Für einen Science-Thriller wissenschaftlich zu verschwommen.

Der ...

Karl Olsberg hat eine interessante Geschichte erdacht. In Bezug auf Spannung und Gefühle hat sie mich leider über weite Strecken nicht erreichen können. Für einen Science-Thriller wissenschaftlich zu verschwommen.

Der Roman besteht aus 66 kurzen in der Vergangenheitsform geschriebenen Kapiteln, wobei die Erzählperspektive kapitelweise wechselt. Zu Beginn eines jeden Kapitels wird der Countdown zum Schlüsselereignis angezeigt.

Es treten einige Figuren nur einmal kurz auf, in diesen Kapiteln werden die Auswirkungen des rätselhaften Phänomens beleuchtet. Anfangs neugierig machend. Allerspätestens ab der Hälfte des Buches hatte ich die Zusammenhänge allerdings begriffen, sodass weitere solcher Sequenzen weder inhaltlich noch emotional einen nennenswerten Mehrwert bei mir erzielten. Vielmehr wurde das Tempo rausgenommen und die Spannungskurve abgeflacht.
Zwei dieser offenen Handlungsfäden, die mir zudem besonders gefallen haben, werden am Ende nochmal aufgegriffen, dafür Daumen hoch.

Wiederkehrend sind drei Figuren und deren unmittelbares Umfeld:
Nina Bornholm aus Deutschland, Anfang 30, ledig, Videobloggerin, die sich für investigativen Journalismus begeistert.
John Sparrow aus den USA (New Mexico), Ende 30, geschieden, als einschüchternder Söldner agierend, um die Betreuung seiner immunkranken Tochter zu finanzieren.
Victor Kessler aus den USA (New Mexico), in Glaubenskrise befindlicher Priester.

Objektiv betrachtet interessant skizzierte Charaktere. Und doch wollte es mir partout nicht gelingen, zu sympathisieren, mich hineinzuversetzen, vollends mitzufiebern. Vielleicht ging mir die Wandlung in der Persönlichkeit einfach zu schnell oder die Perspektivwechsel waren zu zahlreich.
Die Neugierde hat mich durch das ganze Buch getragen, sodass ich nie in Versuchung kam, abzubrechen.
Liebesgeschichten finde ich fast immer bereichernd, doch hier wirkt alles zu gewollt, die Nebenfigur inkonsequent und unglaubwürdig.
Stark sind einige philosophische und gefühlvolle Passagen, z. B. die Analogie zu einem Buch.

Positives Herausstellungsmerkmal: Olsberg setzt ein politisches Statement. Der Thriller ist in unserer Welt in ganz naher Zukunft verortet, und es werden mögliche Konsequenzen heutiger Entscheidungen verarbeitet, z. B. Zensur in sozialen Medien. Diese Ausblicke bringen Gesellschaftskritik zum Ausdruck und erzielen sowohl Denkanstöße als auch großen Unterhaltungswert.
Dass Karl Olsberg eine starke Abneigung gegen Trump und seine Politik hegt, ist unverkennbar, auch wenn der Name nie fällt. Beispiele: „Der US-Präsident twittert irgendeinen Unsinn, während der Rest der Welt sich fragt, wann es seinen Beratern endlich gelingen wird, ihm den Account zu sperren.“

Der Erkenntnisgewinn ist vorhanden, aber gering. In einigen Sätzen werden Belange der hohen Mathematik und Physik anschaulich umschrieben. Hier habe ich einige Sätze markiert, von denen ich hoffe, dass sie sich beim Nachschlagen im Gehirn verfestigen.
Als Laie empfand ich es als schwer einschätzbar, wie ernstzunehmend einige wissenschaftlich anmutende Erläuterungen sind. Die Trennlinie zwischen Realität, Fiktion und dem in naher Zukunft Möglichen ist unscharf. Ein Nachwort, in dem Olsberg z. B. auf seine Motivation zu diesem Thriller eingeht, hätte Aufklärungsarbeit leisten können.

Ein Thriller, der ein bisschen unterhält, ein bisschen bildet, ein bisschen zum Nachdenken anregt, aber für mich kein Highlight ist. Weil durch die eingängige und kurzweilige Schreibweise ein großer Adressatenkreis angesprochen wird, mit dem Potenzial, aufzurütteln, vergebe ich knappe vier Sterne. Dies war nach Mirror mein zweiter Olsberg-Roman und ich bin offen für weitere seiner Werke.

Veröffentlicht am 06.08.2018

Top recherchiert und leidenschaftlich erzählt, informativ, megaspannend und berührend

Was wir zu hoffen wagten
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Rezension ohne schlimme Spoiler
Meine Meinung zur Gesamtwirkung:
Ich habe viel dazugelernt und fühle mich gleichzeitig bestens unterhalten. Die Lebensumstände in den 1910er-Jahren habe ich mit Interesse ...

Rezension ohne schlimme Spoiler
Meine Meinung zur Gesamtwirkung:
Ich habe viel dazugelernt und fühle mich gleichzeitig bestens unterhalten. Die Lebensumstände in den 1910er-Jahren habe ich mit Interesse und Faszination aufgenommen. Die Schilderungen zum 1. Weltkrieg in der zweiten Buchhälfte sind eindringlich und erschütternd, ohne Schwarz-Weiß-Zeichnung und ohne effektheischend zu sein.
Ein sehr berührendes Werk. Die Botschaften machen Mut und hallen nach.
Dadurch, dass die fiktiven Elemente gut gemacht sind, auch für „Geschichtsmuffel“ empfehlenswert.

Meine Meinung zur Wissensvermittlung:
Der Lerneffekt ist in der Breite überschaubar, weil die Charakterzeichnung einen hohen Stellenwert einnimmt und die Handlung auf den Wahrnehmungshorizont der Hauptfiguren beschränkt ist.
Zeitlich: Frühjahr 1912 bis Frühjahr 1919.
Räumlich: Schwerpunkt Berlin, Abstecher zur Ostsee, belgische Stadt Ypern (Flandern) sowie die Schützengräben nahe dieser Stadt.
Gesellschaftlich: Im Mittelpunkt stehen die Geschwister Felice (21), Willi (18), Ille (16), die jüdische Schauspielerin Recha (21) sowie ein Filmemacher (38); alle der gehobenen Mittelklasse zuzuordnen. Angaben zu anderen Gesellschaftsschichten nehmen wenig textlichen Raum ein, wirken aber dennoch intensiv, z. B. das sogenannte Trockenwohnen.
Was mich vollends überzeugt ist die Tiefe der Ausarbeitung. Es ist spürbar, dass sich die Autorin jahrelang intensiv mit Lebensumständen (z. B. Rollen und Rechte der Frauen im beruflichen und familiären Kontext, Übernehmen des väterlichen Berufs, Ansehen von Krieg und Soldatentum, Zensur der Medien), Sprache und Historie in den 1910er-Jahren, besonders in ihrer Wahlheimat Berlin, beschäftigt hat und dies mit Leidenschaft verarbeitet.
Auch der technische Fortschritt, z. B. der Zeppelin, wird beleuchtet.
Sehr gut: Alle Begriffe, die heutzutage nicht mehr geläufig sind, werden in einem Glossar am Ende erläutert.
Obendrein geht Michaela Saalfeld in einem Nachwort u. a. darauf ein, dass einige ihrer fiktiven Figuren realen Persönlichkeiten nachempfunden sind.
Ich nehme an, dass sich viel Historie und Eindrücke zur Gesellschaft dauerhaft im Gedächtnis verankern. Ich habe außerdem Lust bekommen, mich weitergehend hiermit zu befassen.
Viele Textstellen, die entweder zum Nachdenken und Sinnieren anregen oder sich für eine weitere Recherche eignen, habe ich markiert.

Meine Meinung zu Unterhaltungsaspekten:
Diese spielen eine große Rolle. Die Wissensvermittlung wird stimmig eingebettet, hierdurch stellt sich der Lerneffekt nebenher ein, nimmt mit dem Lesefortschritt zu.
Haupt- und Nebenfiguren sind toll ausgearbeitet.
Kapitelweise wechselnd schlüpft man in die Perspektive von fünf Figuren. Diese sind charakterlich, in ihrem Intellekt und in ihren Weltanschauungen und Zielen sehr unterschiedlich. Sie bieten Potenzial zum Polarisieren, sodass sich jeder Leser seine eigene Meinung bilden und Lieblingsfiguren identifizieren kann. Keine Figur stellt ein Idealbild dar, jede hat eine sie/ihn prägende Vergangenheit, Stärken und Schwächen, Sorgen, Motive und Hoffnungen. Es ist faszinierend, sie bei ihrer teils weitreichenden privaten und beruflichen Entwicklung zu begleiten. Stimmungen konnte ich gut einfangen. Gedanken- und Gefühlswelt wirken stimmig und echt. Jede der fünf Perspektiven war sehr spannend, sodass ich kräftig mitgefiebert, mich mitgefreut und mitgelitten habe, so mancher Figur auch gern mal die Meinung gegeigt hätte.
Die Nebenfiguren, allen voran Oma Hertha und Quintus Quirin, bereichern die Handlung ungemein, machen Laune, überzeugen in den Details und sind absolute Originale.
Es gibt auch Antagonisten, an denen „man sich reiben kann“.
Umgebungsbeschreibungen vermitteln brauchbare Eindrücke, sind weder zu lang noch zu kurz.
Einige Szenen strahlen subtile Erotik aus.
Längen in der Handlung habe ich für mich nicht wahrgenommen.
Allerlei Auffälligkeiten animieren zum Rätseln und Spekulieren, was mir großen Spaß gemacht hat.

Das Ende greift alle offenen Handlungsfäden und Fragen auf, kommt ohne Logiklöcher aus und bildet einen gelungenen Abschluss.
Die Autorin schreibt derzeit an einer Fortsetzung, die optional ist. Ich freue mich darüber. Auf diese Weise lasse ich mir deutsche Geschichte liebend gern vermitteln!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Authentizität
  • Figuren
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 03.08.2018

Nachhaltige Eindrücke und gute Unterhaltung

Die Stimmlosen
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Mein erstes Werk von Melanie Metzenthin.
„Die Stimmlosen“ ist spürbar so aufgebaut, dass Vorkenntnisse nicht unbedingt nötig sind. In diesem Fall gilt es, konzentriert zu lesen, um die nebenher vermittelten ...

Mein erstes Werk von Melanie Metzenthin.
„Die Stimmlosen“ ist spürbar so aufgebaut, dass Vorkenntnisse nicht unbedingt nötig sind. In diesem Fall gilt es, konzentriert zu lesen, um die nebenher vermittelten freundschaftlichen, beruflichen und familiären Verbindungen zwischen den Figuren und prägende Erlebnisse aus dem Vorgängerband als Grundlage für alle weiteren Entwicklungen zu verarbeiten.
Ich tat mich anfangs schwer damit, gleichzeitig diesen Input aufzunehmen, mir Umgebung und Figuren vorzustellen und eine emotionale Ebene zu ihnen aufzubauen. Diese Anstrengung trübte für mich persönlich ein bisschen den Lesegenuss, gelang aber mit Lesefortschritt immer besser. Dennoch die Anregung an Verlag und Autorin, über einen Abschnitt zum Nachschlagen, z. B. mit Stammbäumen, nachzudenken.
Im Nachhinein hätte ich lieber „Die Lautlosen“ vorher gelesen. Umgekehrt gelesen, mindern die Spoiler das Spannungspotenzial erheblich.

Dieses Werk beleuchtet das Leben in Hamburg in den Jahren unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg.
Im Mittelpunkt stehen die praktizierenden Ärzte Richard, Paula (verheiratet, eine Tochter, ein gehörloser Sohn) und Fritz (verwitwet, ein Sohn, eine verstorbene Tochter) und der befreundete britische Offizier Arthur (getrennt lebend, kinderlos, ursprünglich auch Arzt), alle um die 40 bis 45 Jahre alt, sowie deren Familienangehörige.
Gezeichnet wird eine stimmige düstere, bedrückende Stimmung, von Entbehrungen geprägt: Kaum Wohnraum, leere Geschäfte, große Kälte im Winter, ständiger Hunger, bis hin zu Toten auf den Straßen. Die Anhänger des Nationalsozialismus verschleiern, lügen, lassen ihre Beziehungen spielen, sind weiterhin mächtig.
Demgegenüber stehen die Hauptfiguren für Offenheit, Hilfsbereitschaft, Gleichberechtigung, Optimismus, Zukunftsplanungen und einen pragmatischen/kreativen Umgang mit teils fragwürdigen Rechtsvorschriften, um das Überleben ihrer kleinen Gemeinschaft zu sichern.
Erzählt werden viele kleine Episoden aus ihrem Leben, die alle für sich spannend sind, aber zumeist auch nach einigen Seiten wieder vorbei, sodass die Spannungskurve stark schwankt.

Diesen prägenden Ausschnitt deutscher Geschichte finde ich sehr interessant, zumal ich erst Jahrzehnte später geboren bin und keine Großeltern zur Hand habe, die mir hiervon erzählt hätten.
Und dennoch fühlte ich mich nicht so richtig gefesselt von der Geschichte und es reicht nur für vier Sterne. Schwer zu analysieren, warum. Oft wechseln die Innenansichten alle paar Zeilen, vielleicht erschwerte mir dies, mich emotional involviert zu fühlen. Von den Hauptfiguren gefallen mir die mit Makeln behafteten Fritz und Arthur am besten. Ihre Gedanken und Gefühle haben mich am meisten berührt. Um Identifikationspotenzial zu stiften, ist Richard vielleicht schlichtweg zu perfekt, so blöd das auch klingen mag.
Von der jüngeren Generation rund um Richards Sohn Georg, Bruno und Horst, die Humor und Echtheit ausgestrahlt haben, hätte ich gern noch mehr erlebt.

Es ist ein Lerneffekt eingetreten: Bleibende Eindrücke zum Alltag, zur Gesellschaft, zur Rechtslage bzw. der gerichtlichen Aufarbeitung, zur Medizin. Auch die Beziehungen zwischen Hamburgern („Verlierern“) und alliierten Besatzungsmitgliedern („Siegern“) sind interessant und vielfältig gezeichnet. Dass z. B. auch die Engländer wenig zum Essen hatten, welche Auflagen es für Eheschließungen gab, war mir nicht bewusst.

Das Ende hinterlässt ein gutes Gefühl. Aufbruchsstimmung. Die Wirkung jedes Einzelnen. Nicht alles ist gut, aber vieles auf dem richtigen Weg.
Ein Nachwort rundet das Werk gelungen ab.

Veröffentlicht am 30.07.2018

Coole neue Figuren in actionreicher Fortsetzung

Pheromon 2: Sie sehen dich
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Die wichtigsten Erkenntnisse aus Band 1 knapp zusammengefasst (Spoiler zum Vorgängerband):
Die nach außen hin wohltätige Organisation Human Future Project initiiert im Jahr 2118 seit etwa 100 Jahren ein ...

Die wichtigsten Erkenntnisse aus Band 1 knapp zusammengefasst (Spoiler zum Vorgängerband):
Die nach außen hin wohltätige Organisation Human Future Project initiiert im Jahr 2118 seit etwa 100 Jahren ein Humanforming, d. h. eine gentechnische Veränderung oder einen Virenbefall der Menschen, damit sie als Wirtskörper für Aliens, deren Invasion kurz bevor steht, dienen können. Babys werden gentechnisch verändert, um mithilfe von Spezialfähigkeiten (Jakes besserer Geruchssinn stand Pate für den Buchtitel) die wenigen noch nicht infizierten Individuen erkennen zu können. Fünf dieser Neugeborenen, darunter Hauptfigur Jake, werden von der jungen Erwachsenen Lee verstreut herübergerettet in die USA des Jahres 2001. Sie sind prädestiniert zur Alienjagd (daher „Hunter“), allerdings ohne das Wissen zu ihrem eigenen Schicksal und dem Schicksal der Welt aufgewachsen.

Im Folgenden meine Meinung zu Band 2:

Eingebettet in den Text, enthält Band 2 diverse Erinnerungsstützen. Es empfiehlt sich trotzdem, den Vorgänger gelesen zu haben, weil einige nicht näher erläuterte Bezüge, z. B. zu Amys Bruder und Serena, ansonsten Verständnisprobleme verursachen und den Lesegenuss beeinträchtigen können.

Der Auftakt bietet Nervenkitzel und Action, aber auch Herzerwärmendes. Da die Autoren nicht zimperlich sind, wenn es ums Sterbenlassen wichtiger Figuren geht, gilt es dann zunächst, neue Charaktere kennenzulernen und sich an neuen Orten und Situationen zurechtzufinden und hineinzufühlen, bis es dann dramatisch, spannend und rätselreich weitergeht.

Die Autoren bleiben ihren jeweiligen Genres und Ecksteinen in der Figurenzeichnung, die sich bewährt haben, treu. Zusammen ergibt das eine ganz besondere Mischung, die ich so noch nicht gelesen habe.

Jugendroman-Autor Rainer Wekwerth hat sich den Erzählperspektiven der 17-jährigen Hunter im New York des Jahres 2018 verschrieben.
Die Hunter sind ganz unterschiedlich in ihrer Familiengeschichte, im Selbstbild, in der Fremdwahrnehmung und im Verhalten. Ihre Spezialfähigkeiten lernt man im Laufe des 2. Bandes kennen.
Es dürfte spannend werden, wie sich die Ausprägungen im Ernstfall äußern und ergänzen.
Jake ist spürbar erwachsener und verantwortungsbewusster geworden, eine gelungen dargestellte Entwicklung. Seine Hunter-Eigenschaften hätten für meinen Geschmack mehr in Erscheinung treten können. Die Liebesgeschichte finde ich gut, verleiht mehr emotionale Tiefe.
Der Buchtitel spielt auf einen Hunter an, den ich tatsächlich besonders faszinierend finde und von dem ich hoffe, dass er im Abschlussband noch mehr zur Geltung kommt.

Nachdem Science-Fiction-Autor Thariot seine Figuren in die ewigen Jagdgründe eingehen ließ, übernimmt er im Jahr 2118 diesmal die Sichtweise der 24-jährigen Anwältin Giovanella. Diese wirkt sympathisch auf mich. Ihr taffes Auftreten weckt angenehme Erinnerungen an Hauptfigur Tara aus der lesenswerten Solarian-Saga. Wenn es um gewohntes Terrain geht, gibt sie sich souverän, ansonsten wirkt sie ein bisschen verpeilt. Ihre Erlebnisse und Gedanken und einige zynische Sprüche brachten mich des Öfteren zum Lachen (z. B. Katze).
Hinzu kommen Innenansichten des jungen erfolgshungrigen FBI-Agenten Frank.

In Nebenrollen brillieren die undurchsichtigen Charaktere Carl und Renier. Ich finde es toll, durch solche Figuren zum Rätseln, z. B. über zugedachte Rollen, Motivlagen und Wissensstände, motiviert zu werden.

Der Turnus von Kapitel- und damit Perspektivwechseln etwa alle 5 bis 9 Minuten verleiht Tempo. Um in die jeweilige Gefühls- und Gedankenwelt einzutauchen, bevorzuge ich etwas längere Abschnitte, was aber reine Geschmackssache ist. Gut gemacht: Die Abschlüsse der Kapitel bilden häufig Cliffhanger und bestehen aus kurzen prägnanten Eindrücken zur gefahrenumwobenen Situation, die nachhallen. Hierdurch bleibt die Spannungskurve oben, und die Geschichte ist viel anregender als wenn jeder Handlungsstrang für sich allein stehen würde. Die Wechselwirkungen zwischen den beiden Welten gestalten sich interessant und regen zum Spekulieren an.

Gierig aufgesogen habe ich Beschreibungen zur Umgebung und zur Atmosphäre. Düster und verzweifelt auf der einen Seite, mit futuristischem Verkehr, abenteuerlicher Architektur und ganz unterschiedlichen Stimmungen auf der anderen Seite, jeweils stimmig umgesetzt. Da ich solche Beschreibungen mag und von Science-Fiction-Literatur verwöhnt bin, hätte es gern noch mehr sein dürfen, aber zum Anfachen des Kopfkinos hat es allemal gereicht.

Nicht durch die Handlung als solche, sondern unterschwellig nimmt man wahr, dass es sich um einen Jugendroman handelt. Dies äußert sich darin, dass sich die Autoren einer leicht verständlichen Sprache bedienen, auf Nebenschauplätze verzichten, einige Erfolge dem glücklichen Zufall geschuldet sind und Fährten etwas offensichtlicher ausfallen als gewohnt (Namen, Embleme, …).
Ich persönlich mag es, intellektuell noch stärker gefordert zu werden, auch mal in die Irre geführt zu werden. Außerdem hatte ich erwartet, zum Ende von Band 2 in der Handlung weiter vorangekommen zu sein. Beispielsweise was die Alien-Attacke angeht. Deshalb reicht es nicht ganz für fünf Sterne.
Trotzdem: Ich wurde viel überrascht, habe mitgerätselt, bin emotional mitgegangen und habe noch keine Ahnung, wie es weitergehen wird.

Als Thariot-Kennerin fand ich es charmant, auf Querverweise zu stoßen: das in all seinen Romanen präsente Motiv Freiheit, seine Wahlheimat Malta, der Name einer Segeljacht in Anspielung auf eine tolle andere Saga aus seiner Feder, …

Das Taschenbuch mit farblich und haptisch abgesetztem Insekt und blauem Buchschnitt ist ein absolutes Schmuckstück.

Das Ende ist für Ungeduldige ganz bitter. Alles ist in Stellung gebracht. Mir schwant allmählich, warum die Trilogie passenderweise in den USA verortet wurde. Jetzt wäre man so weit, das Finale mit dem Abfackeln des großen Feuerwerks anzustarten. Doch es heißt Warten. Ich freue mich auf einen hoffentlich sehr langen Abschlussband voraussichtlich Mitte Januar 2019. Gern auch früher.