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Veröffentlicht am 19.03.2024

Schwarzer Humor

Zorn – Schwarze Tage
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Der Herbst letzten Jahres verstrich ohne den erhofften „Zorn“, entgegen meiner schlechten Gewohnheit habe ich die Nachbemerkungen des Autors zum Glück erst nach Beendigung des nunmehr 13. Thrillers um ...

Der Herbst letzten Jahres verstrich ohne den erhofften „Zorn“, entgegen meiner schlechten Gewohnheit habe ich die Nachbemerkungen des Autors zum Glück erst nach Beendigung des nunmehr 13. Thrillers um die „siamesischen“ Kommissare Zorn und Schröder aus Halle gelesen. Ich hätte mich wahrscheinlich furchtbar geärgert, denn die Spannung wäre definitiv dahin gewesen. Zumindest weiß ich nun im Nachhinein aber, was die Verlangsamung von Nummer dreizehn bewirkt hat. Und ich weiß, dass auch Lektoren nicht alle Schwächen eines Buches tilgen können, wenn der Autor jeden Punkt und jedes Komma liebt, und die Sätze dazwischen natürlich auch. Dann passiert nämlich das, was mich an diesem Buch erheblich gestört hat. Es wird manchmal langweilig. Die Rückblicke in die jordanische Wüste und die Clan- und Familiengeschichte des Medizinstudenten Tarek, der gleich zu Beginn des Thrillers die geliebte Frieda Brock, ihres Zeichens Lebensgefährtin von Kommissar Zorn, Freundin von Kommissar Schröder und gleichzeitig Staatsanwältin, unsanft ins Jenseits befördert, ist mehr als langatmig. Erst gegen Ende werden die Rückblicke kürzer und knackiger und beleben den Fortgang der haarsträubenden Story.
Das Personal im Thriller kennt ja jeder, der schon Zorn-Thriller gelesen hat, heuer hinzu kommt der Delikatessenladen des Herrn Henlein inklusive Hinweise auf den außer der Reihe erschienenen Krimi. Lustig. Also insgesamt nicht viel Neues im Buch, keiner der Charaktere hat sich in eine unerlaubte Richtung entwickelt, alles wird g
Nein, ich habe das Weiterschreiben und den Punkt nicht vergessen, was „g“ wird, zeigt sich dann am Ende. Insgesamt wieder einige unterhaltsame Lesestunden, aber leider keine fünf Sterne. Den fünften Stern hat die islamische Berieselung verhindert.
Wahrscheinlich sollte nun die Dreizehn auch das Ende der Zorn-Reihe werden, wenn da nicht doch noch eine Superidee in Stefan Ludwigs Kopf Einzug hält. Ich schau dann mal zum Herbst hin auf die Neuankündigungen des Verlages.
Fazit: Ich wünsche gute Unterhaltung. Zorn und Schröder sind ja ein eingespieltes Team, die werden Sie schon mit ihren Wortspielen erfreuen.

ZornSchwarzeTage

NetGalleyDE

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Veröffentlicht am 13.03.2024

„Der Schein trügt, …

Das Schweigen des Wassers
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… aber ganz besonders trügt der erste Anschein.“ Ja. ich beginne meine Rezension mit einem Zitat, einem Satz, den die Hauptperson dieses Kriminalromans seinen Zuhörern ans Herz legt. Kommissar Arno Groth ...

… aber ganz besonders trügt der erste Anschein.“ Ja. ich beginne meine Rezension mit einem Zitat, einem Satz, den die Hauptperson dieses Kriminalromans seinen Zuhörern ans Herz legt. Kommissar Arno Groth ermittelt nämlich nicht nur in Kriminalfällen, er schult auch seine Polizeikollegen, die dem „Wessi“ Anfang der 1990er Jahre im neu entstandenen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ebenso skeptisch gegenüberstehen, wie die Kollegen des Kommissariats in Wechtershagen. Dorthin, in die imaginäre Stadt im Osten, hat es den Hamburger nämlich verschlagen, und ganz zufällig ist das auch noch seine Heimatstadt, die er vor Jahren gen Westen verlassen hat. Kurz nach der Wende ist nichts mehr wie es war in Wechtershagen und auch wie es einmal sein soll, ist es noch nicht. Diese Stadt ist ebenso sehr im Umbruch, wie die ganze ehemalige DDR. Ressentiments sind überall, sind normal und doch aus heutiger Sicht auch recht böse.
Ich habe dieses Buch ganz zufällig empfohlen bekommen; dass ich es mit solcher Freude und Geschwindigkeit verschlingen würde, war mir beim ersten Anschauen von Klappentext und Leseprobe aber noch nicht klar. Das Cover hätte mich übrigens nicht zum Kaufen animiert, auch wenn es Bezug auf den Titel nimmt, ist es mir zu rot und zu blau. Der sehr feinfühlige und feinsinnige Text des Romans hätte ein anderes Outfit verdient. Im Gegensatz zu dieser Kritik bin ich aber mit der Genreangabe Kriminalroman sehr im Einklang. Neue und alte Kriminalfälle, deren Aufklärungsversuche und der Blick in die Kriminalistenwelt vor und nach der Wende sind geschickt verknüpft mit der Geschichte der in diese Fälle verwickelten Personen.
Zweite Hauptperson ist nämlich die Schwester von Jutta Timm, die elf Jahre zuvor Mordopfer wurde. Ein Mord, der nicht aufgeklärt wurde und der Regine Schadow, geborene Timm, nicht aus dem Kopf geht. Als jüngere Schwester war sie immer die „Schwester der Ermordeten“, ihre eigene Entwicklung holprig und nicht immer befriedigend. Obwohl sie sich in Berlin einen guten Stand als Kellnerin erarbeitet hat im noblen Hotel Kempinski, war sie plötzlich nach Wechtershagen zurückgekommen und arbeitet nun in einem Strandrestaurant am See. Dort hat sie Kontakt zu einem Bootsverleiher, der des Mordes an ihrer Schwester verdächtig war, aber freigesprochen wurde. Sie ist auf der Suche nach der Wahrheit, dieses Verlangen teilt sie mir Kommissar Arno Groth. Was sich in diesem eindringlichen Roman wie entwickelt, beschreibe ich nicht, es ist vielleicht nicht gerade ein spannender Thriller, aber mir hat die interessante Beschreibung der Befindlichkeiten, Örtlichkeiten und Protagonisten sehr gefallen. Nicht nur Krimi sondern auch Roman, für mich ein Lesestoff vom Feinsten.
Was mich sehr erstaunt hat, war die authentische Schreibweise der Autorin Susanne Tägder, die ja die DDR nur vom Hörensagen kennt. In Heidelberg 1968 geboren, aber Kind von ehemaligen DDR-Bürgern, die aus Neubrandenburg, dem literarischen Vorbild für Wechtershagen, stammten. Manch Leser mag der Meinung sein, Neubrandenburg ist ein etwas größeres Dorf, aber tatsächlich hatte die Stadt zur Wende 90.000 Einwohner, heute sind es nur noch max. 64.000. Das entspricht dem lakonischen Ostspruch „Mit Schwund ist zu rechnen.“ Eigentlich schade, dass im Buch der Ort umbenannt wurde, denn jeder, der Neubrandenburg kennt, erkennt es auf Anhieb. Aber vielleicht sollten die Menschen, die sich in den Protagonisten im Buch befinden, nicht wiedererkannt werden. Wobei ich glaube, dass das heute nicht mehr die große Rolle spielt, die Hintergrundgeschichten sind längst veröffentlicht und bekannt bzw. in den Archiven nachzulesen, wie es auch die Autorin gemacht hat.
Jetzt lebt die Autorin in der Schweiz und in Kalifornien. Wenn man das erfährt, staunt man über das Wissen um die Feinheiten der DDR-Geschichte, die sie dezent in ihren Krimi einbaut. Rückblicke auf die Staatssicherheit und ihre Methoden, aber auch der Blick auf die Personen, die sich im neuen Deutschland versuchen, mit reiner Wester wieder in die vordersten Reihen zu begeben.
Die Charakteristiken der Protagonisten lesen sich wie echte Lebensgeschichten, als Beispiel nenne ich Groths Kollegen Gerstacker, den es „kalt erwischt“ in jenen Tagen nach der Wende. Aber auch Menschen wie Regines Oma oder der Vater vom Bootsverleiher, oder Ludi, der alte treue Freund von Regine, oder die Lehrerin, zu der Groth eine vorsichtige Beziehung aufbaut. Alles liest sich lebensecht, auch wenn bisweilen die Logik ein wenig holpert.
Nur einmal wunderte mich die Wortwahl, ich bin aus Ostberlin, aber das Wort Schieber für einen Aufbewahrungsort von Dokumenten zu verwenden, das würde mir nicht in den Sinn kommen. Vielleicht ist ein Schuber gemeint oder ein Schubkasten?
Das Ende des Romans birgt etwas, was wir dringend brauchen, damals wie heute: Hoffnung.
Fazit: ich empfehle diesen Nachwende-Kriminalroman, vermute aber, dass Lesern, die keine „DDR-Erfahrung“ haben, manche Details und Finessen dieses wunderbaren Buches entgehen könnten.

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Veröffentlicht am 10.03.2024

Wo gehöre ich hin?

Das Jahr ohne Sommer
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Vor zweieinhalb Jahren las ich „Wellenflug“, Constanze Neumanns Roman über ihre Vorfahrenfamilie, ein hinreißendes Buch, das ich verschlungen habe, das so einen wunderbaren Sog entwickelte, dass ich das ...

Vor zweieinhalb Jahren las ich „Wellenflug“, Constanze Neumanns Roman über ihre Vorfahrenfamilie, ein hinreißendes Buch, das ich verschlungen habe, das so einen wunderbaren Sog entwickelte, dass ich das bis heute nicht vergessen habe. Schon vor einem Jahr hatte die Autorin mit einem Journalisten der Berliner Morgenpost über ihr neues Buchprojekt gesprochen, das ihre eigene Geschichte erzählen würde. Als ich jetzt Vorankündigungen über „Das Jahr ohne Sommer“ von ihr las, war mir klar, dieses Buch möchte ich unbedingt lesen. Ich gebe zu, es hat mich bei weitem nicht so gefesselt, wie das erstgenannte, aber es hat mir gefallen und viele verblasste Erinnerungen an die DDR, an die Zeit des Kalten Krieges und an meine eigene Kindheit und Jugend wieder hervorgeholt.
Die Autorin berichtet über ihre Kindheit im ostdeutschen Leipzig, die missglückte Flucht der Eltern in den Westen, ihre Stationen in einem DDR-Kinderheim und bei ihrer geliebten Großmutter, bis sie endlich aus zu den bereits freigekauften Eltern, die eineinhalb Jahre im Gefängnis ausharren mussten, in den Westen ausreisen darf. Was ihr bevorsteht, ist ein schwieriger Eingewöhnungsprozess, die Eltern tun sich schwer und auch für das Kind Constanze ist Aachen am äußersten westlichen Rand der BRD eine Terra incognita. Nicht nur die Sprache und die Wesensart der Rheinländer ist vollkommen anders, als die Familie es bisher kannte, auch die Ansichten sind gewöhnungsbedürftig, um es vorsichtig auszudrücken. Der Vater ist ganz offensichtlich der Meinung, die seine wäre die einzig richtige. Die Mutter ist nach der Haft in Hohenstein gesundheitlich angeschlagen und wird ihr Geigenspiel das ganze Leben lang nie wieder so virtuos beherrschen, wie vor der Flucht. Ihre Krankheiten und Depressionen prägen einen Großteil von Constanzes Erinnerungen. Der andere Teil wird überlagert vom dominanten Vater, der sich die rigorose Erziehung seiner Tochter zur Aufgabe gemacht hat. Wer ihm widerspricht, hat schon verloren. Constanze zieht sich so weit sie es kann, zurück, lebt in ihrer eigenen Welt und stellt fest, dass Literatur und Geschichte wohl die einzigen Schulfächer sind, denen sie von Herzen zugeneigt ist. Hier finde ich meine „Schwester im Geiste“ wieder. Diesen Interessen kommen jedenfalls die Bücherpakete der Großmutter aus Leipzig jahrelang sehr entgegen.
Constanze beginnt trotzdem, sich in die Kreise der Schulkameraden einzufinden, sich mit der gerade angesagten Musik, mit Schminke und Kleidung in diese Kreise einzupassen. Anpassen wird sie sich wohl nie.
Von Zeit zu Zeit kann Constanze ihre Großmutter in Leipzig besuchen, aber immer weniger erinnert sie sich an die dort verbrachte frühe Kindheit. Nur durch die endlosen Gespräche zu Hause, die die Eltern mit Bekannten führen, wird sie immer wieder an alte Straßennamen oder Geschäfte erinnert. Wichtig ist ihr das bald nicht mehr. Gern erinnert sie sich aber an die Reisen in den „Ostblock“, um dort mit den Eltern die Großmutter zum Beispiel in der CSSR zu treffen. Immer ein aufregendes und spannendes, aber auch schönes Erlebnis. Auch richtiger Urlaub ist bald möglich, der Vater wird Beamter und endlich reicht auch dafür das Geld, besonders schön war es wohl in Spanien, auch wenn Constanze nicht einen einzigen Orangenbaum zu sehen bekam.
Welche Überraschungen und Veränderungen das Leben und die politische Entwicklung dann noch bereithalten, ist aus heutiger Sicht nicht schwer zu erahnen. Constanze Neumann beschreibt auch das mit bleibenden Bildern.
Mir hat es sehr gefallen, wie die Autorin die Zerrissenheit beschreibt, die in ihr von Kindheit an das Leben bestimmt. Dieses Nie-ganz-Dazugehören, die Fremdheit in der ersten Heimat Leipzig, die Fremdheit in Aachen, und dann insbesondere die Ablehnung als die Mauer gefallen ist. Der stille, manchmal auch ausgesprochene Vorwurf an ihre Eltern, wie sie es dem Kind haben zumuten können, so in Gefahr zu geraten. „Da hätten sie die paar Jahre auch noch warten können, jetzt kann jeder gehen, wohin er will.“ Solche Sätze sind wie Schläge ins Gesicht.
Mein Lieblingszitat fast am Ende des Buches, zeitlich nach der Wende, ist dann auch dieses: „Es war nun so, wie es hatte sein sollen, wie wir es uns immer gewünscht hatten, und doch war alles ganz anders und fremd und verwirrend, und so würde es lange bleiben.“
Constanze Neumann hat einen sehr angenehmen, unprätentiösen Stil, ich habe dieses Buch innerhalb weniger Tage ausgelesen, noch steckt es mir in der Seele und im Herzen. Besonders der Epilog hat meinen Atem stocken lassen.
Das gedruckte Buch hat einen schönen Schutzumschlag, das helle Blau des Himmels findet sich auf dem Einband wieder, würde ich es auf dem Verkaufstisch sehen, würde ich sicher sofort zugreifen. Aber ich habe auch eine Kritik anzumerken: Nachhaltige Buchproduktion ist sicher sehr wichtig, aber sie kann auch ins Gegenteil umschlagen. Der Druck auf einem sehr saugfähigen und leicht farbigen „Umwelt“-Papier ist nämlich nur dann gut lesbar, wenn ein hundertprozentig schwarzer Druck erfolgt. Mit den so gepriesenen umweltfreundlichen und nicht mineralölhaltigen Farben ist es leider nicht erreichbar, dass die Schrift tatsächlich gut lesbar und schwarz erscheint. Das vorliegende Buch mit dem wirklich wunderschönen Umschlag und auch dem farblich gut passenden Einband wirkt durch den schwachen, grauen Druck in seiner Gesamtheit nicht mehr so hochwertig, wie es sein sollte. Das Buch wird wegen der oben erwähnten Nachhaltigkeit nicht mehr in Folie geschweißt, bei mir kam es leider mit einem beschädigten Schutzumschlag an. Ich finde das sehr schade.
Fazit: Wer sich für eine Kindheit und Jugend zwischen zwei Welten und die daraus entstehenden Konflikte interessiert, ist bei diesem Buch genau richtig.

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Veröffentlicht am 04.03.2024

Schicksalsfrage Flucht – spannend und bewegend

Marseille 1940
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Wer sich für Geschichte und Literatur und auch Kunst gleichermaßen interessiert, liest bei Uwe Wittstock wie in einem Kompendium dicht gedrängt und doch auch wie in einem spannenden Roman über die schicksalhaften ...

Wer sich für Geschichte und Literatur und auch Kunst gleichermaßen interessiert, liest bei Uwe Wittstock wie in einem Kompendium dicht gedrängt und doch auch wie in einem spannenden Roman über die schicksalhaften Ereignisse am Beginn des 2. Weltkriegs in Frankreich. Dieses Land, oft der Sehnsuchtsort von Künstlern und Intellektuellen, wurde nach 1933 Zufluchtsort für Emigranten vor allem aus Deutschland, Österreich, später auch aus der Tschechei. Einige verließen die Heimat freiwillig, weil sie frühzeitig ahnten, was nach Hitlers Machtübernahme geschehen würde, viele flohen in letzter Minute, um Verhaftungen zu entgehen. Unter ihnen überdurchschnittlich viele Juden, aber auch Kommunisten, Sozialisten, Dichter und Denker.
In Amerika formiert sich die Hilfe nur schleppend, ein höchster Aufwand und teilweise unüberwindliche bürokratische Hürden stellen sich Asylsuchenden in den Weg. Einer, der das Schicksal der Verfolgten und Gefährdeten in Frankreich nicht länger passiv mitansehen, sondern aktiv zu ihrer Rettung beitragen will, ist der junge Amerikaner Varian Fry. Das neu gegründete Emergency Rescue Committee (ERC) wird ihn für vier Wochen nach Marseille senden, damit er die auf einer Liste zusammengefassten und am meisten gefährdeten Schriftsteller rettet. Als Fry Anfang August 1940 in Marseille ankommt, ahnt noch niemand, welche Entwicklung sich anbahnt.
Fry muss nun einerseits Mitarbeiter und Helfer für sein Vorhaben finden, andererseits aber den Kontakt zu den zu Rettenden finden. Bekannte Namen wie Lion Feuchtwanger, Franz Werfel, Walter Mehring und Heinrich Mann und deren Ehefrauen finden sich auf Frys Liste, doch binnen weniger Wochen werden es immer mehr, die dringend Hilfe benötigen.
Aus Frys Kurzreise wird am Ende ein ganzes Jahr geworden sein und der Leser erfährt unheimlich viele Details über die einzelnen Menschen, über die ständig wechselnde politische Lage im unbesetzten Frankreich, das am Ende die Judenverfolgung und -vernichtung mit größter Vehemenz für die Nazis in die Tat umsetzt. Dass die US-amerikanische Regierung unterdessen eher auf Abstand geht, wenn es um Einreisevisa geht, kommt erschwerend hinzu. Kein leichtes und noch dazu gefährliches Unterfangen, auf das sich Fry da eingelassen hat. Es sind trotzdem einige Hundert, die durch Frys Aktivitäten und man muss sagen, seine Dickköpfigkeit und seinen Gerechtigkeitssinn, vor den Henkern gerettet werden.
Dass nicht jede Fluchtgeschichte zu einem glücklichen Ende führte, ist umso tragischer, wenn man die Details liest, gerade die Suizide von Ernst Weiß und Walter Benjamin sind da schreckliche Beispiele.
Mich hat dieses Buch sehr bewegt, auch wenn mir einige Schicksale schon vorher bekannt waren. Diese Rettungsgeschichten so komprimiert noch einmal zu lesen, und das in einem eher romanhaften Stil, hat mich von diesem Buch vollkommen überzeugt. Spannend bis zur letzten Seite, womit ich auch die Kurzbiografien und den gesamten, sehr informativen Anhang meine.
Dass dieses Buch außerdem dazu anregt, sich (noch einmal) der Literatur und den Biografien der Protagonisten zu nähern, ist ein guter Nebeneffekt. Auch Wittstocks Vorgängerbuch Februar 33: Der Winter der Literatur steht nun auf meiner Wunschliste weit oben.
Varian Fry ergeht es nach seiner Rückkehr ähnlich wie anderen Diplomaten, die sich für die Rettung von Juden und anderen Naziverfolgten eingesetzt haben. Ich denke da an den Portugiesen Aristides de Sousa Mendes und den Japaner Chiune „Sempo“ Sugihara, aber auch an Oskar Schindler. Erst spät wurde ihnen die Ehre, Gerechte der Völker genannt zu werden, gewährt. Gut das Uwe Wittstock hier auch ein Erinnerungsbuch an Fry und seine Helfer veröffentlicht hat.
Warum von Zeit zu Zeit plötzlich vollkommen überflüssige Doppelnennungen wie Amerikanerinnen und Amerikanern oder Autoren und Autorinnen den Lesefluss hemmen, erschließt sich mir nicht. Und es fiel mir auf, dass Anna Seghers einen falschen Geburtsnamen erhielt. Auf ihrer Geburtsurkunde steht Netti, nicht Annette. Aber das sind auch schon alle Kritikpunkte, die mir aufgefallen sind.
Fazit: unbedingt lesen!

Marseille1940

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Veröffentlicht am 03.03.2024

Weltgeschichte to go

Kurztrip Weltgeschichte
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Sebastian Steffen rast mit Raketengeschwindigkeit durch die Weltgeschichte, kurzweilig und interessant zusammengefasste Episoden. Beginnend beim Urknall fliegt der Leser durch die Jahrtausende, später ...

Sebastian Steffen rast mit Raketengeschwindigkeit durch die Weltgeschichte, kurzweilig und interessant zusammengefasste Episoden. Beginnend beim Urknall fliegt der Leser durch die Jahrtausende, später Jahrhunderte. Dass in einem so schmalen Band nicht alles berücksichtigt und ausgewalzt werden kann, muss jedem klar sein, der das Buch zur Hand nimmt. Der ironisch distanzierte Schreibstil brachte mich teilweise zum Schmunzeln, die den Kapiteln vorangestellten Sprüche von Berühmten und Anonymen auch. Manchmal fand ich die Sprüche aber zu gewaltig für den folgenden Text.

Eine Frage stellte ich mir beim Lesen, warum werden die römischen Zahlen bei den Herrschernamen ohne Punkt geschrieben? Beispiel: Ludwig der XIV — ausgesprochen wird es doch „der Vierzehnte“. Da macht jeder eigentlich nach der XIV einen Punkt.

Fazit: Ein unterhaltsames Buch zur Weltgeschichte. Wer mehr wissen will, muss woanders weiterlesen.

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