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Veröffentlicht am 05.09.2018

Im Land der Glasmänner und Feen

Tintenwelt 2. Tintenblut
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Tintenblut ist so viel anders als Tintenherz und doch haben mich die gleichen Charaktere verzaubert. Die Handlung spielt sich diesmal in der Tintenwelt ab; der zweite Band stellt somit einen schönen Kontrast ...

Tintenblut ist so viel anders als Tintenherz und doch haben mich die gleichen Charaktere verzaubert. Die Handlung spielt sich diesmal in der Tintenwelt ab; der zweite Band stellt somit einen schönen Kontrast zur bisherigen Handlung dar und man bekommt die Chance, das von Fenoglio verfasste und zugleich begehrte Buch „Tintenherz“ besser kennenzulernen. Obwohl ich an manchen Stellen ein wenig Heimweh verspürte, habe ich mich trotzdem mit Meggie, Staubfinger und Co. in die fremde Welt begeben und ein Abenteuer nach dem anderen erlebt. Und was soll ich sagen? Der Zauber der Tintenwelt hat auch mich erwischt und ich möchte nie wieder zurück.

Nachdem die Bösewichte aus „Tintenherz“ besiegt wurden, könnten Familie Folchart und Loredan wieder zu ihrem Alltag zurückkehren. Doch die wundersamen Geschichten über Feen, Nixen, Glasmänner und Prinzen, die Meggie von ihrer Mutter erfährt, lassen sie nicht los. Für die mittlerweile Dreizehnjährige ist klar: sie möchte all dies gern mit eigenen Augen sehen. Als dann auch noch Staubfinger und Basta in die fremde Welt verschwinden, lässt sie sich von Farid überreden, ihnen zu folgen – schließlich muss Staubfinger gewarnt werden. Auf eigene Faust und recht naiv begeben sich die Jugendlichen auf große Reise; Fenoglio, der in der Tintenwelt gefangen ist, könnte sie doch jederzeit zurück schreiben. Dann folgen Mo und Resa ihrer Tochter aus Sorge und alles geht fürchterlich schief …

Tintenblut ist mit seinen 736 Seiten ein ganz schöner Wälzer und die Geschichte geht genauso rasant weiter, wie sie im ersten Band endete. Auch hier folgt eine Nebenhandlung auf die andere und man kann, wenn man die Geschichte versucht zu rekapitulieren, schon einmal durcheinander kommen. Doch dies war ich schon von Tintenherz gewohnt und hat mich daher weniger gestört.
Tintenblut ist diesmal auf zwei Ebenen aufgebaut: die Haupthandlung spielt sich in der Tintenwelt ab, die Nebenhandlung, in der Elinor, Darius und Orpheus eine Rolle spielen, findet in der Realität statt. Da ich Elinor im ersten Band sehr lieb gewonnen habe, fand ich es sehr schade, dass sie in Tintenblut eine eher unbedeutsame Rolle spielt. Ich hätte mir mehr Einblicke in die reale Welt und auch ein paar mehr Hintergrundinformationen zu Orpheus gewünscht – vor allem, weil er zum Ende des Romans noch eine wichtige Aufgabe bekommt.

Alles in allem hat mich Tintenblut jedoch noch mehr in den Bann der Tintenwelt gezogen. Genau wie Meggie war ich anfangs sehr neugierig und aufgeregt – ich wollte unbedingt wissen, wie es in Ombra und auf der Festung des Speckfürsten und des Natternkopfes wirklich zugeht – und das Buch konnte meinen Wissensdurst nur halbwegs stillen. In der Tintenwelt lauert hinter jedem Baum und unter jedem Stein ein neues Geheimnis und ich bin davon überzeugt, dass Staubfingers Geschichte noch nicht zu Ende ist. Begierig stürze ich mich nun also auf Tintentod, denn ich habe noch so viele Fragen, die beantwortet werden müssen.

Veröffentlicht am 19.08.2018

Wo ist Margo?

Margos Spuren
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Margo wäre wohl eines der Mädchen gewesen, das ich zum einen verehrt, zum anderen aber auch ziemlich verabscheut hätte. Sie ist eine der coolen; sie ist genauso wie ich schon immer sein wollte: hübsch, ...

Margo wäre wohl eines der Mädchen gewesen, das ich zum einen verehrt, zum anderen aber auch ziemlich verabscheut hätte. Sie ist eine der coolen; sie ist genauso wie ich schon immer sein wollte: hübsch, beliebt und geheimnisvoll. Deswegen würde ich sie anhimmeln – ich will genauso gut aussehen, genauso viele Freunde haben – aber ich wüsste auch, dass ich niemals so sein könnte wie sie, denn Margo ist eben Margo. Und das würde ziemlich an mir nagen.

Quentin ist ihr allerdings sofort verfallen. Schon seit die beiden Kinder waren, ist er unsterblich in Margo verliebt. Doch als sie einen Toten ganz in der Nähe ihrer Häuser finden, zeigen sich ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten – Margo ist von dem Mann, der sich das Leben genommen hat, fasziniert; Quentin will so schnell wie möglich zu seinen Eltern (in Sicherheit) und die Polizei rufen – und noch am selben Abend trennen sich die Wege der beiden. Jahrelang sind sie nichts mehr als Nachbarn. Q bewundert Margo in der Schule von weitem; sprechen tun sie nie ein Wort miteinander. Bis Margo eines Nachts vor seinem Fenster auftaucht und ihn auf ein Abenteuer mitnimmt.
Margos Freund hat sie mit ihrer besten Freundin betrogen und niemand hat ihr etwas davon erzählt. Also hat sie sich einen Racheplan überlegt: Sie will allen „Beteiligten“ einen Denkzettel verpassen, sich von schlechten Beziehungen lösen und lange Freundschaften beenden. Quentin spielt dabei ihren Komplizen und die beiden harmonieren so gut miteinander, dass man beinahe vergisst, wie viel Zeit ihnen doch eigentlich verloren gegangen ist.

Nach dieser Nacht schwebt Q im siebten Himmel. Endlich hat er sich seiner großen Liebe wieder angenähert und es scheint, als hätten die beiden eine Zukunft. Doch Margo taucht am nächsten Tag nicht in der Schule auf und auch eine Woche später bleibt sie verschwunden. Quentin ist davon überzeugt, dass ihr nichts schlimmes zugestoßen ist; sie hatte einfach nur keine Lust mehr auf ihr langweiliges Leben und hat sich deswegen ein neues gesucht. Doch wo ist Margo? Nun, das wird Q bald herausfinden, denn sie hat ihm Rätsel hinterlassen, die nicht so leicht zu knacken sind. Und ehe er sich versieht, befindet sich Quentin auf einer Reise durch halb Amerika – doch folgt er der richtigen Spur?

Von John Green kannte ich bisher nur Das Schicksal ist ein mieser Verräter und ich war begeistert, als ich einen weiteren Roman von ihm in meinen Händen hielt. Ich persönlich bin der Meinung, dass Margos Spuren nicht an die Geschichte von Hazel und Gus herankommt, aber vielleicht muss sie das auch gar nicht. Margo und Quentin sind ganz anders und trotzdem ähneln sie den Hauptcharakteren aus Das Schicksal ist ein mieser Verräter: sie sind Freunde, entfernte Liebhaber und können doch nicht ewig zusammen bleiben. Sich mit Q auf ein Abenteuer einzulassen, hat mir unglaublich viel Spaß bereitet und das Buch ließ sich sehr schnell lesen. Quentin stellte einen wahnsinnig guten Geschichtenerzähler dar; selbst seinen wirren Gedanken konnte ich noch mit Freude und Spannung folgen. Jedem, der auf ein bisschen Spannung, Liebe, Abenteuer und Rätsel steht, kann ich dieses Buch wärmstens empfehlen. John Green hat mit Quentin einen tollpatischigen, humorvollen und sehr liebenswürdigen Charakter geschaffen, dem man schon zu Beginn der Geschichte verfallen wird.

Veröffentlicht am 02.04.2018

Große überwältigende Geschichte

Kleine große Schritte
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Nachdem ich ein Seminar über Rassismus in den USA an der Uni belegt habe, konnte ich nicht einfach an diesem Buch vorbeigehen – ich musste es kaufen. Von Jodi Picoult kannte ich bisher nur Beim Leben meiner ...

Nachdem ich ein Seminar über Rassismus in den USA an der Uni belegt habe, konnte ich nicht einfach an diesem Buch vorbeigehen – ich musste es kaufen. Von Jodi Picoult kannte ich bisher nur Beim Leben meiner Schwester, ein Roman, der mich wegen seiner Realitätsnähe zum Staunen und gleichzeitig Weinen brachte. Kleine große Schritte hat mich ähnlich fasziniert. Rassismus ist nach wie vor ein sehr umstrittenes Thema, welches sich die Autorin in ihrem neuesten Roman mit sehr viel Feingefühl, Recherche und Humor nähert.

Ruth Jefferson ist Hebamme und Säuglingskrankenschwester. Auf ihrer Station im Mercy-West Haven Hospital ist sie die einzige schwarze Angestellte. Sie macht ihre Arbeit gut; seit über zwanzig Jahren ist sie bereits im Dienst, gehört zu den besten ihres Fachs, und doch konnte sie es einem Patientenpaar nicht recht machen. Nachdem der kleine Davis Bauer geboren wurde, ist es Ruths Aufgabe, die Nachuntersuchungen anzustellen. Doch noch bevor sie dies zu Ende bringen kann, wird sie ihrer Aufgabe entledigt – Davis‘ Eltern, Turk und Brit, sind Rechtsextremisten und verbieten jeglichem afroamerikanischen Personal, ihren Sohn anzufassen.

Nachdem Davis beschnitten wurde – was ein Routineeingriff bei Babys darstellt – ist Ruth die einzige, die ein Auge auf ihn werfen soll. Sie weiß, dass ihr die Behandlung des Babys untersagt wurde, doch da ihre anderen beiden Kolleginnen zu einem Notkaiserschnitt gerufen werden, bleibt ihr keine andere Wahl. Da auch die Stationsschwester davon ausgeht, dass sie in weniger als zwanzig Minuten zurück sein wird und sich Davis nur von einer Routine-OP erholt, lässt sie Ruth ruhigen Gewissens mit dem Baby allein. Als es dann allerdings zu Atembeschwerden bei dem kleinen Patienten kommt, steht die Protagonistin vor der wahrscheinlich größten moralischen Wahl ihres Lebens: Soll sie die Anweisung ihrer Chefin, die beinhaltete, dass ihr der Kontakt zu Davis untersagt wurde, ignorieren, um ihm das Leben zu retten? Oder sollte sie abwarten, bis ihr jemand anderes zu Hilfe kommt und somit sicherstellen, dass sie ihren Job nicht verliert?
Egal, wie sie sich entschieden hat: Davis Bauer stirbt und Ruth steht wegen Mordes vor Gericht. Gemeinsam mit ihrer Anwältin Kennedy McQuarrie kämpft sie nun um einen Freispruch und vor allem um Gerechtigkeit.

Kleine große Schritte hat mich in vielerlei Hinsicht beeindruckt. Das Buch ist in drei verschiedene Sichtweisen eingeteilt: Ruths, Kennedys und Turks. Ich fand es unglaublich interessant zu lesen, wie Jodi Picoult jedem Charakter seine eigenen Wesenszüge verpasst hat und wie gut es ihr gelungen ist, die unterschiedlichen Ansichten zu präsentieren. Turk unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von Ruth und Kennedy: er ist gewalttätig, schroff und in seiner Ausdrucksform hauptsächlich wütend. Ruth dagegen ist eine liebevolle Mutter, die sich hier und da mal gegen ihren 17-jährigen Sohn durchsetzen muss und Kennedy lockert das Buch durch ihren Optimismus und durch eingeschobene humorvolle Passagen wieder auf. Ich bin fasziniert davon, wie gut es Jodi Picoult gelang, drei so grundverschiedene Charaktere realitätsnah darzustellen.

Des Weiteren bin ich von der Recherche, die die Autorin für dieses Buch begangen hat, wahnsinnig beeindruckt. Nicht nur Ruths Rechtslage hat sie wirklichkeitsgetreu aufs Papier gebracht, auch durch ihre Bezüge zu anderen Gerichtsfällen, wie zum Beispiel dem von James Batson, oder ihr Wissen und die Einbeziehung der MCADD Krankheit machen Kleine große Schritte zu einem wirklichen Meisterwerk. Wie es bereits in der Washington Post stand, bin auch ich der Meinung, dass dieser Roman das wichtigste Buch ist, das Jodi Picoult jemals hätte schreiben können. In erster Linie geht es um Rassismus, aber auch um Vorurteile, Nächstenliebe, Gerechtigkeit und viele weitere soziale Themen, denen in unserer heutigen Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit zugeteilt werden sollte. Und genau aus diesem Grund ist es auch ein Buch, das jeder in seinem Bücherregal stehen haben sollte.

Veröffentlicht am 02.04.2018

Ein krönender Abschluss

Mein Herz in zwei Welten
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Die Geschichte von Lou und Will hat mich in Ein ganzes halbes Jahr total überwältigt. Jojo Moyes hat sich mit der Liebe zwischen den beiden etwas Neues ausgedacht; es war nicht dieses übliche 0-8-15 Mädchen-und-Junge-verlieben-sich-ineinander-Gedöns. ...

Die Geschichte von Lou und Will hat mich in Ein ganzes halbes Jahr total überwältigt. Jojo Moyes hat sich mit der Liebe zwischen den beiden etwas Neues ausgedacht; es war nicht dieses übliche 0-8-15 Mädchen-und-Junge-verlieben-sich-ineinander-Gedöns. Beide Charaktere waren voller Energie, Lebenslust und verleihten der doch recht traurigen Wendung einen Hauch Frische. Ein ganz neues Leben hatte mich dann allerdings etwas enttäuscht. Die Fortsetzung wurde Louisas Leben nicht gerecht und auch die Verbindung zu Will kam mir eher wie ein Zwang vor, als dass es die Geschichte vorangetrieben hat. In Mein Herz in zwei Welten konnte Jojo Moyes aber wieder durch eine lustige und zugleich emotionale Schreibweise überzeugen, die mich nicht nur zum Lautloslachen sondern auch zum Weinen gebracht hat.

Nach einem recht turbulenten Jahr, in dem sie von Dächern gefallen und in Schießerein verwickelt war, macht sich Louisa auf zu ihrem nächsten Abenteuer: Sie fliegt nach New York City. Dort beginnt sie ihre Stelle als Assistentin der Millionärsgattin Agnes Gopnik und scheint sich in ihrem neuen Job wohlzufühlen. Schnell findet sie einen Draht zu ihrer neuen Chefin und auch ihren Platz in der gehobenen Gesellschaft. Louisa lernt neue Leute kennen, trägt Kleider, die sie sich allein niemals leisten könnte und versucht, so gut es geht, ihrem neuen Job gerecht zu werden.

Doch die Entfernung nach England und vor allem die tausende Kilometer, die zwischen ihr und Sam liegen, stellt ihre noch frische Beziehung auf eine harte Probe. Es kommt zu nachvollziehbaren Eifersuchtsszenen, Vertrauensbrüchen und immer wieder aufkommenden Streitereien. Noch dazu verliert sie nach nur ein paar Monaten ihren Job bei den Gopniks, da eine beträchtliche Summe an Geld fehlt und Louisa die Einzige ist, die über alle Kreditkarten verfügt. Ohne Einkommen und ein sicheres Dach über den Kopf, landet sie auf der Straße und muss sich eine der wichtigsten Fragen, die sich durch das Buch ziehen, stellen:

Wer ist Louisa Clark wirklich?

Mein Herz in zwei Welten ist ein wunderbarer Abschluss und wohl auch das wichtigste Buch, das alle Lou-und-Will-Fans gelesen haben sollten. Die Protagonistin lernt in ihrem neuen Leben in New York die unterschiedlichsten Leute kennen, die sie zum einen daran erinnern, wer sie wirklich sein will, zum anderen aber auch dazu überreden eine neue Louisa Clark zu sein. Sie geht auf Parties, muss sich einem Dresscode fügen und hier und da mal ein paar Lügen über ihre berufliche Zukunft bestätigen. Doch welches Leben besser zu ihr passt – das ruhige Dasein in einem kleinen englischen Städtchen oder der Trubel von New York – muss sie erst noch herausfinden.

Wie in Ein ganz neues Leben, hat Jojo Moyes Will Traynor in die Geschichte mit eingebunden. Nachdem es mir im zweiten Teil eher wie ein gezwungenes Aufleben von Lous erster Liebe vorkam, hat die Autorin die Beziehung zu Will diesmal etwas in den Hintergrund gestellt. Er ist noch immer anwesend, gibt Louisa hier und da mal ein paar Denkanstöße, doch er dominiert nicht mehr die Handlung – und das ist auch gut so.

Während ich das Buch innerhalb weniger Tage verschlungen habe, musste ich feststellen, dass Louisa in New York erstmals wieder richtig sie selbst sein konnte. Das quirlige, tollpatschige und liebenswürdige Mädchen, das wir aus Ein ganzes halbes Jahr kennen, kehrt zurück und zieht seine Leser zum letzten Mal noch einmal richtig in seinen Bann. Wer ein Fan der Lou-Reihe ist, sollte sich dieses Buch auf keinen Fall entgehen lassen!

Veröffentlicht am 09.03.2018

Ein Thriller aus der Realität

Ohne Gnade
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Ohne Gnade ist das erste Buch, das ich zur Seite legen musste, um die geschriebenen Ereignisse zu verdauen. Obwohl man in jeder Zeile das Mitgefühl und Engagement von Bryan Stevenson deutlich spürt, sind ...

Ohne Gnade ist das erste Buch, das ich zur Seite legen musste, um die geschriebenen Ereignisse zu verdauen. Obwohl man in jeder Zeile das Mitgefühl und Engagement von Bryan Stevenson deutlich spürt, sind die Szenen, die er schildert, leider brutale Realität. Immer wieder musste ich mich daran erinnern, dass ich gerade keinen Thriller, sondern ein Sachbuch über die amerikanische Polizeigewalt und Justizwillkür, in den Händen hielt.

In den USA ist es keine Seltenheit, dass Teenager von gerade einmal dreizehn Jahren lebenslänglich ins Gefängnis müssen oder sogar zum Tode verurteilt werden. Vor allem, wenn sie eine dunklere Hautfarbe haben, stellen sie für die Beamten und Richter ein gefundenes Fressen dar. Aus diesem Grund setzte sich Bryan Stevenson kurz nach seinem Studium dafür ein, Kinder und die, die zu Unrecht hinter Gittern sitzen, vor der Todesstrafe zu retten.
Was ich besonders gut fand, ist, dass es einen „Hauptfall“ gibt, der sich durch das Buch zieht: Walter McMillian bekam wegen Mord die Todesstrafe, behauptet jedoch, unschuldig zu sein. Nun ist es Bryans Aufgabe, für Gerechtigkeit zu sorgen und Walter vor dem elektrischen Stuhl zu bewahren. In den vielen Jahren, die er für seinen Klienten kämpft, lernt er immer mehr Insassen kennen, die trotz ihrer Unschuld verhaftet wurden und er sieht es als seine Pflicht, für Gnade und Erlösung zu sorgen.

In seinem Buch schildert er die unterschiedlichsten Fälle – sie reichen von afro-amerkanischen Jugendlichen, deren einziges Motiv war, dass sie das Opfer vor der Tatzeit als letztes sahen, bis hin zu geistigbehinderten Erwachsenen, die eher medizinische Hilfe benötigen und nicht in ein Gefängnis gehören. Es fällt mir schwer, etwas vom Inhalt preiszugeben, da die einzelnen Fälle selbst so komplex und spannend sind, dass ich ungern etwas vorweg nehmen möchte. Doch ich kann mit Gewissheit sagen, dass Stevenson bei seiner Erzählung kein Detail auslässt. Von Anfang bis Ende werden die Geschichten der Insassen beschrieben. Manche können dem endgültigen Schicksal entkommen, andere müssen unter ihrer Verurteilung leiden. Während man jede Geschichte genau erfährt, lernt man auch sehr viel über jeden einzelnen vermeintlichen Kriminellen: man weint, man ist schockiert, man muss an einigen Stellen schwer schlucken, aber Ohne Gnade wäre kein so außergewöhnliches Buch, wenn der Autor nur distanziert von den Fällen erzählt hätte.

An Bryan Stevensons Erzählung sollte sich jeder einmal herangetraut haben. Es ist zwar zwischendurch ziemlich starker Tobak, aber gleichzeitig auch eine umfangreiche Darstellung der amerikanischen Rechtslage. Mit seiner „Equal Justice Intitiative“ hat der Autor und Anwalt vielen Menschen das Leben gerettet.

Zum Verständnis: Equal Justice Initiative

- Abschaffung der Todesstrafe
- Verbesserung der Zustände in Gefängnissen
- Freilassung von Insassen, die unschuldig sind
- Rassismus im Strafrecht entgegenwirken
- Unterstützung von Armen, die sich keinen Anwalt leisten können
- Verbot der Inhaftierung von Kindern und Erwachsenen in gleichen Gefängnissen

Obwohl es einem bei Themen wie Exekution und Verurteilung schwer fällt, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen, finde ich es wichtig zu wissen, dass es gewisse Superhelden in den Gerichtssälen gibt, die alles dafür tun, um sich für ihre Klienten einzusetzen. Bryan Stevenson konnte zwar nicht alle seine Schützlinge vor dem Tod bewahren, aber mit seiner Initiative wird er in Zukunft dafür sorgen, dass sich die Rechtslage in den USA bessert – und zwar in Hinsicht auf die Verurteilung und den Umgang von Häftlingen.