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Veröffentlicht am 11.03.2019

Zwischen Wahrheit und Lüge

Das Echo der Wahrheit
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Hypnosen sind das Spezialgebiet von Dr. James Cobb. Er ist ein Profi darin, das Unterbewusstsein eines Menschen zu betreten und verloren geglaubte Erinnerungen wieder ans Tageslicht zu bringen. Als er ...

Hypnosen sind das Spezialgebiet von Dr. James Cobb. Er ist ein Profi darin, das Unterbewusstsein eines Menschen zu betreten und verloren geglaubte Erinnerungen wieder ans Tageslicht zu bringen. Als er sich jedoch dem Fall von Joshua Fleischer annimmt, ahnt er nicht, dass sich ein Lügennetz aus Illusionen und Fantasie vor ihm ausbreiten wird und sowohl er als auch der Leser müssen schnell erkennen, dass nichts so ist, wie es scheint.

1976 hatte Joshua Fleischer einen Abend mit seinem besten Freund Abraham und seiner Freundin Simone in einem Hotel in Paris verbracht. Da Abraham ebenfalls in die junge Französin verliebt war und die Beziehung zwischen Joshua und Simone scheinbar zerstören wollte, kam es zwischen beiden Männern zum Streit. Als Joshua am nächsten Morgen aufwachte, war Abraham verschwunden und Simone tot. Er hatte keinerlei Erinnerungen daran, was nach der Auseinandersetzung mit seinem Freund passiert war. Voller Angst und Panik verließ er das Hotel, packte seine Sachen und kehrte nach Amerika zurück. Jahrelang versuchte er, den Abend von 1976 zu vergessen, doch als er nun mit Mitte sechzig selbst auf dem Sterbebett liegt, will er endlich Licht ins Dunkel bringen: Hat er Simone vielleicht ermordet? Der einzige, der ihm nun noch helfen kann, ist Dr. James Cobb.

Zwei Hypnose-Sitzungen verbringen die Männer miteinander, dann erliegt Joshua seiner schweren Krankheit. James lässt die Geschichte um Simone und Abraham aber nicht los. Auf eigene Faust versucht er, das Geheimnis zu lüften. Er trifft sich mit mehreren Menschen aus Joshuas Vergangenheit, befragt sie zu den Geschehnissen in Paris und muss feststellen, dass der Millionär nicht der war, für den er sich ausgab. Doch auch die Erinnerungen von Fleischers Bekannten scheinen nur bruchstückhaft vorhanden zu sein und James fällt es zunehmend schwerer, Wahrheit und Lüge auseinanderzuhalten.

Erzählt wird die Geschichte aus Sicht von James Cobb. Als Leser erhält man dadurch einen direkten Einblick in seine Gedanken – anders als bei einem auktorialen (allwissenden) Erzähler, wird jeder Hinweis nur nach und nach aufgedeckt. Gemeinsam mit James begibt man sich auf die Spurensuche, man vertraut seiner Vorgehensweise und seinem Gespür für Menschen und ihre Geschichten, doch als James bemerkt, dass er sich in einem Lügennetz befindet und sich mit jeder weiteren Spur immer mehr darin verwickelt, beginnt man auch als Leser, an James Talent zu zweifeln. Kann man ihm trauen? Erzählt James die Wahrheit oder weist auch sein Bewusstsein Lücken auf? Ich habe gemerkt, wie ich beim Fortschreiten der Geschichte immer vorsichtiger wurde. Ich habe jeden Hinweis hinterfragt, habe versucht, mich selbst auf die Suche nach der Wahrheit zu machen, nur um festzustellen, dass auch ich es allein nicht durchschauen kann.
Das Echo der Wahrheit spielt mit dem Bewusstsein und Unterbewusstsein seiner Charaktere, bringt Normalität und Wahnsinn auf eine Ebene und spielt sie gegeneinander aus. Es ist regelrecht eine „Mindfuck“-Geschichte, die auch die Gedanken des Lesers erreicht und ihm zeigt, dass nicht alles stimmt, was auf dem Papier steht. Eine ganz große Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 27.02.2019

Witzig, ehrlich, sarkastisch und so viel mehr

Alles, was ich weiß über die Liebe
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Dolly ist in ihren Zwanzigern und versucht, ihren Platz in der Welt zu finden. Gemeinsam mit ihren besten Freundinnen kämpft sie sich durch den Alltag – sie bewältigt das College, zieht aus ihrem Elternhaus ...

Dolly ist in ihren Zwanzigern und versucht, ihren Platz in der Welt zu finden. Gemeinsam mit ihren besten Freundinnen kämpft sie sich durch den Alltag – sie bewältigt das College, zieht aus ihrem Elternhaus aus, sucht die große Liebe und arbeitet sich mühselig in der Journalistenwelt nach oben – und muss sich immer wieder die Frage stellen, was wirklich wichtig ist im Leben. Warum findet Farly ihren Traummann, während Dollys Abenteuer nicht länger als ein paar Monate halten? Wieso ziehen ihre Freunde nach und nach aus dem gemeinsamen Haus aus, während sich Dolly verloren fühlt? Partys, Dates, Freunde, Jobs und das Leben sind auf dem Cover ihres Buches zwar durchgestrichen, doch um genau das soll es gehen: Dolly muss herausfinden, wer sie ist, was sie will und was ihr wirklich am Herzen liegt.

Schon zu Beginn der Memoiren war ich von Dollys Art total angetan. Sie ist direkt, witzig, sarkastisch und vor allem ehrlich. Sie scheut sich nicht davor, ein Blatt vor den Mund zu nehmen und schildert Erfahrungen stets aus ihrer Sicht. Dies kann an einigen Stellen egoistisch – teilweise sogar feministisch – rüberkommen, zum Beispiel wenn sie darüber spricht, welche Anforderungen an das Aussehen einer Frau gestellt werden (Make-Up, Kleid, Strumpfhose, High Heels) und dabei aber völlig außen vor lässt, dass auch Männer mit solchen Erwartungen an sich selbst zu kämpfen haben – doch großartig gestört hat mich dies nicht. Ich habe mich in vielen ihrer Erkenntnisse wiedergefunden, fühlte mich von ihr verstanden und konnte somit auch ihre Denkweise nachvollziehen.

Doch das eine große Thema, das sich von Beginn bis Ende durch das Buch zieht, ist natürlich – wie es der Titel schon verrät – die Liebe. Was bedeutet „Liebe“ eigentlich? Wo kann man sie finden? Und braucht man sie überhaupt zum Leben? Dies sind einige der Fragen, die sich Dolly in ihren Zwanzigern immer wieder stellen muss. Egal ob auf Partys, bei Tinder oder auf der Arbeit, Dolly versucht überall ihren Prince Charming zu finden, diese eine Person, der sie nahe sein kann, mit der sie über alles reden und ihre Gedanken anvertrauen kann. Doch vor allem zu Beginn ihrer Memoiren scheint sich die Autorin verzweifelt in die Männerwelt zu stürzen: Sie geht regelmäßig auf Partys, betrinkt sich, nimmt einen Kerl mit nach Hause, nur um ein paar Wochen später das ganze Szenario mit einem anderen Auserwählten zu wiederholen. Ihre Rauschzustände und nächtlichen Eskapaden laufen immer wieder aus dem Ruder, ihre Freunde wirken besorgt, der Leser nach einigen hundert Seiten genervt, doch Dolly nimmt sich dies nicht zu Herzen. Wenn Farly, AJ und India die große Liebe finden können, dann möchte Dolly das auch – und dabei bedenkt sie überhaupt nicht, dass vor allem eine Art der Liebe viel wichtiger und intensiver sein kann als die eines Mannes.

Ich habe Alles, was ich weiß über die Liebe gern gelesen. Ich habe laut gelacht, das Bedürfnis verspürt, Dolly einmal kräftig durchzuschütteln, habe mich in vielen, angesprochenen Punkten wiedererkannt und das Buch am Schluss zufrieden aus der Hand gelegt. Dolly schreibt nicht nur über ihr Leben und ihre Erfahrungen, sie teilt auch Rezepte mit ihren Lesern, fügt ein paar witzige SMS und E-Mails ein, sodass ihr Buch stets abwechslungsreich gestaltet ist. Anfangs war ich mir nicht sicher, ob ein Partygirl wie Dolly es schaffen kann, mir hilfreiche Tipps und Lektionen mit auf den Weg zu geben, doch dies werde ich noch einmal stark überdenken müssen…

Veröffentlicht am 24.02.2019

Zu viel Drama, zu wenig Realität

Mirror, Mirror
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Ich wollte dieses Buch wirklich mögen. Fast regelmäßig wurde es mir von Bekannten empfohlen, so dass ich es selbst kaum noch erwarten konnte, mit Mirror, Mirror anzufangen. Doch leider wurden wir keine ...

Ich wollte dieses Buch wirklich mögen. Fast regelmäßig wurde es mir von Bekannten empfohlen, so dass ich es selbst kaum noch erwarten konnte, mit Mirror, Mirror anzufangen. Doch leider wurden wir keine Freunde. Schon zu Beginn des Buches musste ich immer wieder den Kopf schütteln, legte es zur Seite und nahm es mit erneut geschöpfter Hoffnung wieder auf, aber es half nichts – ich musste einsehen, dass Mirror, Mirror einfach nicht mein Roman war und doch las ich ihn bis zum Ende…

Red, Leo, Rose und Naomi sind beste Freunde seit sie ihre Band „Mirror, Mirror“ vor etwa einem Jahr gegründet hatten. Gemeinsam können sie die ganzen Probleme, die zu Hause auf sie warten, vergessen: Reds Mutter ist Alkoholikerin und der Vater nie da, Rose‘ Vater ist mit einer deutlich jüngeren Frau zusammen und Leos Bruder sitzt wegen einer Messerstecherei im Gefängnis. Sie sind unzertrennlich, verbringen jede freie Minute zusammen, doch eines Tages verschwindet Naomi spurlos. Anfangs macht sich keiner so wirklich Sorgen – es ist einfach typisch Naomi. Mal verschwindet sie für ein paar Tage und taucht dann unangekündigt wieder auf. Doch dieses Mal ist alles anders. Nach acht Wochen findet man sie bewusstlos und mit Hämatomen übersät in der Themse.
Was ist geschehen? Die Polizei vermutet, dass ein Selbstmordversuch dahinter stecken könnte, doch Naomis Freunde wissen, dass das nicht möglich ist: Sie hatte Angst vor dem Wasser. Niemals hätte sie sich von einer Brücke gestürzt. Es liegt nun also an Red, Leo und Rose herauszufinden, was mit Naomi passiert ist. Wer hat ihr das angetan? Und könnte schon bald jemand anderes zum Opfer werden?

Obwohl ich den allgemeinen Handlungsverlauf gar nicht so schlecht fand und sich das Buch zum Ende hin auch wirklich spannend entwickelt, wurde doch vieles durch den Schreibstil kaputt gemacht. Insgesamt war es mir einfach zu vulgär: Die vier Teenager benutzen am laufenden Band Kraftausdrücke wie „Alter“, „Fuck“, „Scheiße“ und Begriffe, die ich hier nicht nennen möchte. Nach den ersten drei Kapiteln hatte ich da eigentlich schon genug. Ich kenne einige Jugendliche, habe aber noch nie jemanden getroffen, der so viel flucht und schimpft.
Des Weiteren fand ich die Charakterisierungen der vier Hauptpersonen zu extrem. Red rasiert sich die Haare ab und rebelliert somit gegen seine Mutter, Naomi verkleidet sich regelmäßig als Manga-Charakter, um ihr wahres Ich zu verstecken, Rose sticht vor allem durch ihr lautes Mundwerk und ihre Vorliebe zum Alkohol heraus und Leo ist durchweg aggressiv. Mir fehlte zwischendurch ein Mauerblümchen, das die Extremsituation etwas ausgleicht. Die Teenager, ihre Sprache und ihr Aussehen waren sehr stereotypisch veranlagt – Cara Delevingne scheint sich hier nur auf die alltäglichen Probleme der Jugendlichen konzentriert zu haben, ständig ging es nur darum, was an ihrem Leben schlecht ist und davon war ich irgendwann einfach nur noch genervt.

Die Story an sich fand ich aber – wie ich bereits erwähnte – gar nicht schlecht. Die vier Freunde werden zu kleinen Detektiven, sammeln Hinweise und auch als Leser durchlebt man noch einmal die letzten Monate vor Naomis Verschwinden. Man rätselt etwas mit, ist zwischendurch empört und empfindet zum Schluss sogar Genugtuung. Das große Finale könnte zwar aus einem Hollywood-Film stammen (die Autorin konnte ihre Herkunft nicht ganz vertuschen), aber insgesamt bin ich mit der Geschichte, wie sie sich entwickelt und letztendlich aufgeklärt wird, sehr zufrieden gewesen. Vielleicht würde ich anders über Mirror, Mirror denken, wenn mir das Buch nicht mit großem Lob in die Hände gelegt worden wäre, aber mein Tipp ist, sich nicht zu viel davon zu erhoffen.

Veröffentlicht am 18.02.2019

Eine abenteuerliche Reise

Niani
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Auf einem uns fremden Planeten lebten einst vier Stämme zusammen: die Belai, die Meandi, die Isnari und die Olumdu. Wie bei so vielen anderen Völkern auch, mussten die Männer das Überleben aller sichern ...

Auf einem uns fremden Planeten lebten einst vier Stämme zusammen: die Belai, die Meandi, die Isnari und die Olumdu. Wie bei so vielen anderen Völkern auch, mussten die Männer das Überleben aller sichern und verfügten somit auch über die Entscheidungsgewalt. Doch ihre Vorliebe zum Krieg trieb die Stämme letztendlich auseinander: die Belai zogen in den Norden und nannten sich die Uhala, die Meandi gingen in den Süden, die Isnari in den Osten und die Olumdu in den Westen. Da jedoch alle paar Jahrhunderte ein Sonnensturm auf ihrem Planeten wütet, hat nur der Stamm der Uhala überlebt, denn diese reisten zu einem kleinen Mond, der nicht von der Sonne sondern von dem Stern La’aka erhellt wird. Doch auch auf Unatsu, so der Name des Mondes, scheint das Leben der Uhala in Gefahr zu sein, denn der Winter wird so bitterkalt, dass sie in den Untergrund flüchten müssen und auch das Licht von La’aka löscht regelmäßig alles Leben auf der Oberfläche aus. Schon bald trauen sich die Uhala nicht mehr aus ihren Höhlen, weswegen sich auch ihr Erscheinungsbild ändert: Ihre einst dunkle Haut- und Haarfarbe verblasste, ihre Haare wurden silbern, ihre Haut schneeweiß.

Ihre Lebensgewohnheiten erlebten ebenfalls einen Wandel. Da die Macht der Männer vier Stämme auseinander trieb, ernennen die Uhala eine Frau zur Anführerin – die Große Mutter. Als diese nun in einer Vision sieht, wie La’akas Licht selbst das Leben in den Höhlen auslöscht, beauftragt sie eine kleine Gruppe von Kriegern, Heilern und einer neuen Großen Mutter, in den Osten zu ziehen, um die Erhaltung des Stamms zu sichern. Mehrere Monate lang müssen sich die Uhala durch dichte Schneewehen kämpfen, sie werden von Garnas – den gefährlichsten Lebewesen – angegriffen und müssen in der Kälte einige Verluste in Kauf nehmen. Doch vor allem für Niani ist dies keine einfache Reise. Als Sohn der ehemaligen Großen Mutter Anehi und Gefährte der neuen Anführerin Eleani hat er eine der wichtigsten Aufgaben: Er muss Eleani mit seinem Leben beschützen und das klingt leichter als es tatsächlich ist, denn er hasst seine Gefährtin und die erniedrigende Art und Weise wie sie die Männer behandelt.

Normalerweise brauche ich immer ein paar Kapitel, um mich in einen Fantasyroman einzufinden, doch bei Niani – Der Schneekrieger war ich von Anfang an tief in die Geschichte gezogen worden. Langsam wird einem die neue Umgebung mit ihren Sitten und Bräuchen erklärt, es fühlte sich beinahe so an, als würde mich Niani an die Hand nehmen und mir sein Volk geduldig vorstellen. Die Spannung lässt dann aber auch nicht lange auf sich warten, die kleine Gruppe von Kriegern zieht los und wird immer wieder neuen Gefahren ausgesetzt. Hier hätte ich es schön gefunden, wenn die Herausforderungen etwas variiert hätten: Mehr als einmal müssen die Uhala gegen einen Garna kämpfen oder in einem schlimmen Schneesturm Schutz suchen. Es kam mir manchmal so vor, als würden sich einige Situationen wiederholen und das nahm dem Buch ein wenig die Spannung.
Doch vor allem Niani, sein bester Freund Mirlan und Eleani hatten es mir wirklich angetan. I.G. Nikolov hat es geschafft, die Charaktere so greifbar darzustellen, dass man sich als Teil der Uhala fühlt. Ich habe mit ihnen gekämpft, gelitten, mich mit ihnen gefreut und geärgert und am Ende sogar ein klein wenig Trennungsschmerz empfunden. Niani – Der Schneekrieger ist zwar kein actiongeladener Fantasyroman, der einen zittern und bangen lässt, dafür enthält er unvorhersehbare Wendungen und fiktionale Freunde, an die ich mich gern zurückerinnere und die ich vielleicht sogar ein zweites Mal besuchen werde.

Veröffentlicht am 10.02.2019

Wenn Jack the Ripper auf Sherlock Holmes trifft...

Abtrünniges Blut
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Ich habe bisher noch nicht viele Thriller gelesen, denn die wenigen, die ich kenne, haben mich einfach nicht gefesselt. Als ich dann aber von Abtrünniges Blut von Jakob Bedford hörte, musste ich dem Buch ...

Ich habe bisher noch nicht viele Thriller gelesen, denn die wenigen, die ich kenne, haben mich einfach nicht gefesselt. Als ich dann aber von Abtrünniges Blut von Jakob Bedford hörte, musste ich dem Buch eine Chance geben. Es wurde mit dem Slogan „Wenn Jack the Ripper auf Jane Austen trifft“ angepriesen und wer mich kennt, weiß, dass ich ein großer Austen-Fan bin und mir diesen Roman somit nicht entgehen lassen konnte. Ich gab dem Genre „Thriller“ also eine zweite Chance, begab mich in das 18. Jahrhundert – dreißig Jahre bevor Jane Austen überhaupt geboren wurde – und ließ mich überraschen…

Schon im ersten Kapitel erfährt man von einem Serienmörder, der in London sein Unwesen treibt. Vor allem Prostituierte und ihre Freier hat er auf dem Gewissen und lässt diese meist übel zugerichtet auf den Straßen zurück. Nun könnte man meinen, dass sich die Stadt deswegen in Aufruhr befindet, doch das stimmt nicht ganz. Natürlich sind die Bewohner Londons leicht beunruhigt, doch die Regierung sieht noch keinen Grund darin, sich der Sache anzunehmen, schließlich gibt es wichtigere Probleme: Der neue Friedensrichter Henry Fielding befürchtet, dass Anhänger der Jakobiter den König stürzen könnten, um wieder an die Macht zu kommen. Zu diesem Zweck beauftragt er John Shinfield, mögliche Verbündete der Jakobiter ausfindig zu machen und nähere Informationen zu sammeln. An dieser Stelle musste ich ein paar Geschichtsstunden aus der Schule nachholen, da mir die Jakobiter und Hannoveraner zwar nicht völlig fremd waren, ich den Zusammenhang ihrer Machtkämpfe allerdings nicht mehr auf dem Schirm hatte. Von 1603 bis 1714 regierte das Haus Stuart über England. Schon im Jahr 1688 wurde Jakob II., der zum Katholizismus konvertierte, gestürzt und in diesem Kampf gelang seinem Erben Charles die Flucht nach Frankreich. 1714 wurde die Stuart-Herrschaft dann vom Haus Hannover abgelöst, doch Jakobs Nachfahre baute sich in Frankreich eine Gefolgschaft auf und plante, die Herrschaft als rechtmäßiger Thronfolger wieder an sich zu reißen.

Während John sich also einen Weg durch die Häuser vermeintlicher Jakobiter bahnt, wird er schon bald selbst zur Zielscheibe. Er findet heraus, dass mehr als nur eine Person sein Leben auf dem Gewissen hat und als dann noch die Leiche eines wohlhabenden Mannes am Ufer der Themse auftaucht, wendet sich das Blatt komplett. Der Serienmörder scheint sich in die reichen Herrenhäuser Londons geschlichen zu haben und versetzt die Bewohner in Todesangst. Gemeinsam mit seinem Freund Paul de l’Estagnol lässt John allerdings nicht locker. Wer möchte ihn gern tot sehen und was hat all dies mit den Jakobitern zu tun?

In Abtrünniges Blut fand ich es besonders aufregend, dass sich einige Kapitel nur um den Serienmörder drehen – man verfolgt ihn bei seinen Handlungen, ist Zeuge einiger Gespräche, die er mit seinen Komplizen führt – doch man erfährt nie, um wen es sich handelt. Zwischen den Zeilen bekommt man als Leser hier und da kleine Informationen an den Kopf geworfen, mit denen man schon bald selbst versucht herauszufinden, wer der Mörder sein könnte. Immer wieder habe ich die unterschiedlichsten Charaktere verdächtigt, war mir sicher, den Täter entlarvt zu haben, und musste stets feststellen, dass ich mich auf der falschen Fährte befand.
Des Weiteren gefiel mir die Darstellung der einzelnen Charaktere ungemein. Von einem bunten Kanarienvogel, der vor Lebensfreude trotzt über einen gesellschaftlich zurückgezogenen Sohn des Earls bis hin zu verschrobenen und eingebildeten Engländern ist hier alles vertreten. „Wenn Jack the Ripper auf Jane Austen trifft“ oder vielleicht eher „Wenn Jack the Ripper auf Sherlock Holmes trifft“, denn nicht nur die Hauptpersonen müssen Spuren verfolgen und Geheimnisse aufdecken, auch als Leser rätselt man fieberhaft mit. Abtrünniges Blut hat mich schockiert, frustriert, gefesselt, an der Nase herumgeführt und letztendlich völlig aus der Bahn geworfen. Genau das erwarte ich von einem Thriller.