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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Unterhaltsam, aber nicht clever genug

Holmes und ich – Die Morde von Sherringford
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"Okay", sagte ich und stand auf. "Was hast du gestern Abend aus dieser Limousine mitgehen lassen? Der Gegenstand, den du mir nicht zeigen wolltest?"
Sie sah mich schweigend an.
Ich winkte frustriert ab. ...

"Okay", sagte ich und stand auf. "Was hast du gestern Abend aus dieser Limousine mitgehen lassen? Der Gegenstand, den du mir nicht zeigen wolltest?"
Sie sah mich schweigend an.
Ich winkte frustriert ab. "Na schön. Dann gehe ich jetzt eben auf mein Zimmer rüber und fange schon mal an, für den Knast zu packen."
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INHALT:
James Watson, genannt Jamie, erhält ein Stipendium am Sherringford-Internat - und ist alles andere als begeistert, sein geliebtes England für diese elitäre Privatschule in Amerika verlassen zu müssen. Ein Gutes hat dieser Wechsel allerdings: Auch Charlotte Holmes besucht das Internat, von der Jamie schon seit Kindertagen träumt, schließlich sind sie beide Nachfahren der berühmten Ermittler Holmes und Watson. Anfangs gestaltet sich ein Kennenlernen zwischen ihnen schwierig - doch als ein Mord geschieht und der Verdacht auf sie fällt, müssen sie zwangsläufig zusammenarbeiten...

MEINE MEINUNG:
Neuerzählungen der Sherlock Holmes-Geschichten liegen seit einigen Jahren im Trend, und dieser scheint nicht abzureißen: Die Serie der BBC, die Filme von Guy Ritchie, Romane um einen jugendlichen Sherlock oder um ihn und Moriarty - sie alle erfreuen sich großer Beliebtheit. Auch Brittany Cavallaro setzt im ersten Band ihrer "Holmes & Ich"-Reihe auf das altbewährte Prinzip: Watson und Holmes treffen sich, freunden sich (auf ungewöhnliche Weise) an und klären gemeinsam Morde auf. Ein interessanter Kniff ist hier, dass es um die Nachfahren der berühmten Detektive geht - die es hier wirklich gegeben hat - und dass Holmes weiblich ist. Ansonsten sind die Parallelen aber doch sehr deutlich.

Protagonist Jamie erzählt die ganze Geschichte aus seiner Perspektive, wodurch sehr schnell eine Identifikation mit ihm gelingt. Er ist durch seine Bodenständigkeit sehr sympathisch, wird allerdings auch von seiner Unsicherheit geplagt. Nervig ist an ihm nur, dass er im Grunde nie etwas selbst in die Hand nimmt - er sagt sogar selbst von sich, dass sein Motto "Er tat es nicht" ist - und daher selbst auch eher selten etwas zur Auflösung beiträgt. Charlotte Holmes hat zwar mit ihrer unnahbaren, genialen Art definitiv etwas Besonderes, sie wirkt teilweise aber auch stark vom Original abgekupfert - sie spricht und reagiert genauso und entwickelt damit kaum eine eigenständige Persönlichkeit. So verhält sich das auch mit einigen Nebenfiguren: Allen voran Charlottes Bruder Milo, der im Grunde Mycroft ist, oder alle Moriartys, die genau wie früher in zwielichtige Geschäfte verstrickt sind.

Brittany Cavallaro kennt sich eindeutig in den Geschichten von Arthur Conan Doyle aus und bringt die bekannten Fälle daher auch sehr gekonnt in der Handlung unter. Die damit verbundenen Mordfälle sind auch durchaus interessant und die Geschehnisse spannend - wenn auch relativ vorhersehbar. Insbesondere Täter und Motiv hatte ich doch sehr schnell raus. Die Liebesgeschichte, die man von Anfang an vermutet hat, ist zwar nicht wirklich notwendig, aber die Chemie stimmt und weil sie sich so im Hintergrund hält, ist die Romanze durchaus zu verkraften. Letztendlich kann man gespannt sein, was die Autorin aus Band 2 macht - vielleicht entwickelt sich in diesem ja ein wenig mehr Eigenständigkeit.

FAZIT:
"Die Morde von Sherringford" ist der erste Band einer Reihe um Sherlock Holmes und John Watsons Nachfahren - durchaus interessant und meistens auch ziemlich fesselnd. Das Ganze ist aber schon sehr stark an die Originale angelehnt und dafür dann leider nicht clever genug. Insgesamt jedoch definitiv nett für zwischendurch. Gute 3 Punkte!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Altklug und charmant

Eine Therapie für Aristoteles
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Sie glauben vielleicht, es wäre ganz einfach, sich daran zu erinnern, warum man einen Roman schreibt, aber das ist es nicht. Diane sagt, es sei so ähnlich, wie sich daran zu erinnern, warum man seinen ...

Sie glauben vielleicht, es wäre ganz einfach, sich daran zu erinnern, warum man einen Roman schreibt, aber das ist es nicht. Diane sagt, es sei so ähnlich, wie sich daran zu erinnern, warum man seinen Partner geheiratet hat.
Zettel 1: Ich schreibe diesen Roman, um eine lästige und teure Therapie zu vermeiden.
Zettel 2: Ich schreibe diesen Roman, damit Diane in Rente gehen, Max ins Ferienlager fahren und ich chillen kann.
Zettel 3: Ich schreibe diesen Roman für den Fall, dass es mit Diane und Penn nicht klappt - vielleicht fällt sie einem anderen Mann auf.
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INHALT:
Die zwölfjährige Aristoteles, genannt Aris, hat es nicht einfach: Ihr Vater ist tot, ihre Mutter völlig überfordert mit der Erziehung von ihr und ihrem hyperaktiven jüngeren Bruder Max und Freund Billy meldet sich nach seinem Umzug nicht mehr - Aris fühlt sich ziemlich allein und bräuchte dringend eine Therapie. Da diese aber teuer ist, beschließt sie stattdessen, mithilfe eines Ratgebers in 30 Tagen ein Buch zu schreiben. Denn sollte sie einen Bestseller landen, wären alle Probleme auf einen Schlag gelöst...

MEINE MEINUNG:
Romane mit einem Kind als Erzähler scheinen seit einigen Jahren immer mehr im Trend zu liegen - sind sie in ihrer altklugen Art doch charmant und der naive Blick auf die Geschehnisse herrlich unverstellt. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit Melanie Sumners "Eine Therapie für Aristoteles", in dem die Hauptfigur durch ein selbst geschriebenes Buch ihre Geschichte erzählt. Der Stil ist dafür sehr erwachsen und daher teilweise durchaus ein wenig überzogen, nimmt durch die intelligente und unterhaltsame Stimme des jungen Mädchens aber dennoch mit.

Aris ist selbstverständlich, wie sich das für einen solchen Roman gehört, etwas sehr Besonderes: Reif für ihr Alter und schnell erwachsen geworden, weiß sie ziemlich genau, was sie will und was sie braucht: Einen neuen Vater und Ruhe, um sich endlich entfalten zu können. Das strebt sie mit ihrem eigenen Buch an, stiftet damit aber selbst wieder Chaos, was sie sehr sympathisch macht. Doch auch die anderen Figuren sind toll angelegt: Der arbeitslose und ein wenig scheue Penn, der die PMB (Positive männliche Bezugsperson) darstellt und den Aris mit ihrer Mutter verkuppeln will; Mutter Diane mit ihrer Überforderung und ihrer Aufmüpfigkeit gegenüber den Eltern, aber auch einer liebevollen Sorge um ihre Lieben; oder auch Dianes Student Charles, unaufdringlich religiös und in der Gefahr, zu Unrecht ins Gefängnis zu müssen. Am unterhaltsamsten sind aber wahrscheinlich die Großeltern mit ihrer skurrilen, komplett unterschiedlichen Art, die immer wieder für Lacher sorgen.

Keine Frage, das Werk lebt von dem Situationswitz und Aris' übertrieben klugen Aussagen und Gedankengängen. Dafür ist das Ganze aber ansonsten auch ziemlich ruhig. Das Familienleben ist chaotisch, aber ansonsten passiert nicht viel, was leider für die ein oder andere Länge sorgt. Und immer wieder eingeschobene Aufsätze oder Kurzgeschichten, die andere Figuren geschrieben haben, erscheinen manchmal wenig zielführend und wirken eher wie Lückenfüller. Zum Glück wird das aber durch teilweise sehr berührende Gespräche, einige Lebensweisheiten und wunderbar absurde Situationen oft wieder wett gemacht. Nur das Ende wirkt dann gehetzt: Wenig, für meinen Geschmack zu wenig, wird aufgelöst, sodass man als Leser ziemlich in der Luft hängen gelassen wird. Natürlich spielt das Leben nicht immer, wie man sich das wünscht, aber trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass der Schluss hier irgendwie noch mehr hätte sein können.

FAZIT:
"Eine Therapie für Aristoteles" besitzt durch die altkluge Erzählstimme einen eigenen Charme und überzeugt mit den vielen besondere Figuren, die man gern begleitet. Es geschieht allerdings auch nicht viel und teilweise übertreibt Melanie Sumner es ein wenig mit der Gewitztheit der doch sehr jungen Protagonistin. Insgesamt gibt es von mir dafür 3,5 Punkte, abgerundet auf 3.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Spannend, düster, intensiv

Meine Seele so kalt
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Patrick nickt, und ich sehe die Last, die auf ihm ruht. Er setzt sich auf die Fersen. "Bei Tagesanbruch fahren wir wieder raus", erklärt er mit lebloser Stimme, "aber niemand tut mehr so, als hätten wir ...

Patrick nickt, und ich sehe die Last, die auf ihm ruht. Er setzt sich auf die Fersen. "Bei Tagesanbruch fahren wir wieder raus", erklärt er mit lebloser Stimme, "aber niemand tut mehr so, als hätten wir noch eine Chance." Dann schließt er die Augen, legt den Kopf in meinen Schoß und weint offen um den Vater und seinen Sohn, die trotz aller Warnschilder so zuversichtlich aufs Meer hinausgefahren sind.
Ich streichele Patricks Haar und lasse meinen eigenen Tränen freien Lauf. Ich weine um einen Jungen allein im Meer. Ich weine um seine Mutter. Ich weine um die Träume, die mich des Nachts heimsuchen. Ich weine um Jacob, um meinen kleinen Jungen.
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INHALT:
An einem verregneten, dunklen Novemberabend gehen der fünfjährige Jacob und seine Mutter wie jeden Tag nach Hause, als ihr Glück jäh zerstört wird. Der Junge läuft aufgeregt vor, ein Auto kommt angerast, erfasst und tötet ihn - und der Fahrer flieht vom Tatort. Die Polizei sucht fieberhaft nach dem Täter, kommt jedoch nicht weiter. Jenna Gray bricht indes alle Brücken hinter sich ab und zieht in ein verschlafenes Dorf an der Küste, um ihren Schmerz zu vergessen. Doch sie scheint verfolgt zu werden und mit aller Macht drängt ihre tief vergrabene Vergangenheit an die Oberfläche...

MEINE MEINUNG:
Clare Mackintosh hat selbst lange Zeit bei der Polizei gearbeitet, ehe sie ihr Debüt "Meine Seele so kalt" schrieb - und das merkt man dem Roman auch an. Hier wurde nicht nur gut recherchiert, sondern eigene Erfahrungen sind eindeutig mit eingeflossen, was das Ganze so realistisch wirken lässt. Erzählt wird die Geschichte im ersten Teil aus der Ich-Perspektive von Jenna und der personalen Sicht des Detektivs Ray, im zweiten Teil kommt noch eine weitere Stimme hinzu. Durch die detailreichen, teils sehr düsteren Beschreibungen kommt schnell eine beklemmende Atmosphäre auf, die perfekt den tragischen Hintergrund unterstreicht.

Jenna ist eine Person, mit der schnell die Identifikation gelingt - ihr Schmerz, ihre Trauer und ihre Angst sind gut nachzuvollziehen, jedenfalls sobald man einige ihrer Motive und Gründe näher kennen lernt. Auch Ray ist eine Figur, die man gern begleitet, weil er so menschlich ist und durchaus auch Fehler begeht. Ian Petersen ist dann dagegen einer der hassenswertesten Charaktere, die ich je erlebt habe - und auch, wenn seine Darstellung zum Schluss ein wenig übertrieben wirkt, ist man bis dahin doch fasziniert von seiner Art. Auch Nebenfiguren wie die Auszubildende Kate, die Campingplatz-Besitzerin Bethan oder der Tierarzt Patrick können mit ihrer Individualität überzeugen, sodass es bald schwierig wird, sich von ihnen und ihren Geschichten zu lösen.

Indem der Thriller in (anfänglich) zwei Sichten aufgeteilt wurde, verfolgt man an zwei unterschiedlichen Orten die Geschehnisse und erlebt so auf der einen Seite, wie der Fahrer des Unfallautos ermittelt wird und auf der anderen, wie Jenna mit dem Ganzen umgeht. Eigentlich glaubt man dadurch, einiges zu wissen und der Lösung auf der Spur zu sein - aber weit gefehlt. Etwa nach der Hälfte des Buches kommt es zu einem Plot Twist, den so wohl keiner erwartet hätte. Hier zeigt sich Clare Mackintoshs Können, der es gelingt, einen über so lange Zeit auf eine völlig falsche Fährte zu schicken. Aber trotz dieser großen Enthüllung nimmt die Spannung danach nicht ab - im Gegenteil, sie wird eher noch einmal gesteigert.

Denn das ist beileibe nicht das einzige Geheimnis, das den Ermittlern zu schaffen macht. Gemeinsam mit ihnen kann der Leser nun hervorragend miträtseln ob der verschiedenen Beweggründe und der Dinge, die verschwiegen werden. Nicht alles ist so einfach wie es aussieht, und gerade das macht den Kniff aus. Das einzige Element der Geschichte, das mir nicht sonderlich gefiel, war der Nebenstrang um die Familie des Detektivs, der für meine Verhältnisse nicht gut genug aufgelöst wird. Ansonsten aber überzeugt die Auflösung - wenn sie auch an einer Stelle ein wenig zu konstruiert ist - und das Ende wird noch einmal richtig fesselnd und nervenaufreibend. Genauso stelle ich mir den packenden Schluss eines Psychothrillers vor.

FAZIT:
"Meine Seele so kalt" ist ein Thriller, der anfangs einigermaßen gewöhnlich die Ermittlungsarbeit zu einem Todesfall und den Umgang mit der Trauer beschreibt - um dann mit einer gewaltigen Wendung so ziemlich alles umzuwerfen. Clare Mackintoshs Debüt bleibt durchgängig spannend und kann immer wieder überraschen - da trüben die wenigen Kritikpunkte kaum das Bild. Knappe 4,5 Punkte!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Viel verschenktes Potenzial

Skin - Das Lied der Kendra
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Ein dunkles Gewicht senkte sich auf mich herab, und ich sackte am Tisch in mich zusammen. Anscheinend war ich mit Wissen begabt, besaß aber nicht genug Verstand und Intuition, um es gut zu nutzen.
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INHALT:
Britannien ...

Ein dunkles Gewicht senkte sich auf mich herab, und ich sackte am Tisch in mich zusammen. Anscheinend war ich mit Wissen begabt, besaß aber nicht genug Verstand und Intuition, um es gut zu nutzen.
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INHALT:
Britannien im Jahre 43 n. Chr.: Die junge Ailia ist als Säugling auf der Türschwelle der Stammesküche gefunden und seitdem von der Kochmutter großgezogen worden. Dadurch kann sie ein behütetes Leben führen - doch das Unwissen über ihre Herkunft nagt an ihr. Denn in Caer Cad, wo sie lebt, erhält man von der Mutter ein Tier-Totem, eine Haut, und da Ailia diese nicht kennt, werden ihr Wissen und Anerkennung verwehrt. Aber dann trifft sie eines Tages am Fluss den faszinierenden Taliesin und erkennt durch die Treffen mit ihm, dass besondere Fähigkeiten in ihr schlummern. Und dass sie eventuell die einzige Rettung für ihren Stamm ist, jetzt, wo die Armee der Römer näher rückt - bereit, all ihre Landsleute auszulöschen...

MEINE MEINUNG:
Das erste Jahrhundert unserer Zeitrechnung, eine düstere, wenig zivilisierte und völlig andere Zeit. Faszinierend, von einem so alten Britannien zu lesen, den Sitten und Bräuchen der Menschen. Zwar entstammen diese natürlich einem Fantasy-Roman rund um Stämme, die den "Müttern" (ergo Göttern) huldigen, doch die Lebensweise und insbesondere die Bedrohung durch die Römer ist historisch akkurat und damit sehr spannend. Leider macht der ziemlich dröge Stil, der keine Atmosphäre oder Nähe schafft, vieles zunichte und lässt es selten zu, dass man von den Geschehnissen wirklich gefesselt ist.

Hinzu kommt eine furchtbare Protagonistin. Ailia ist nicht perfekt und prinzipiell ist das positiv - denn wer will schon lesen, wie jemand alles richtig macht? Doch Ailia ist leider der Egoismus in Person: Sie hat trotz ihrer Hautlosigkeit so viele Privilegien und will doch immer noch mehr, sie vernachlässigt kranke oder im Sterben liegende Personen, um bei ihrem Liebsten zu sein und hält sich äußerst selten an wichtige Anweisungen. Ihre Selbstzweifel sind zwar teilweise verständlich, nerven aber irgendwann, und das Schlimmste: Sie lernt nicht aus ihren Fehlern, was sie unerträglich macht. Ihr Love-Interest Taliesin verhält sich oft ebenso egoistisch wie sie, bleibt ansonsten aber vollkommen blass und austauschbar, ohne besondere Eigenschaften. Die Nebenfiguren sind da überzeugender: Die gutmütige, schützende Kochmutter, die weise Stammesführerin Fraid oder der Gereiste Llywd, sie alle wecken einzeln mehr Gefühle in einem als die Protagonisten zusammen.

Die Geschichte selbst hätte so gut sein können: Die Bedrohung durch die Römer und Ailia als die einzige Rettung, obwohl sie keine Haut und damit auch keine Identität hat. Ihr Weg zu den Müttern, ihre Berufung, ihr Wissenserwerb - so viele tolle Ideen, die so schlecht umgesetzt werden. Das Ganze beginnt schon mit der sofortigen Liebe zwischen Ailia und Taliesin, die nicht nachvollziehen ist, für Ailia aber der gesamte Lebensinhalt. Sie vergisst bei ihm grundsätzlich alles um sich herum und er ist ihr einziger wirklicher Antrieb. Denn Frauen können ja nicht ohne Mann. Ansonsten passiert auf den ersten 200 Seiten sehr, sehr wenig: Immer wieder Diskussionen über das Verhalten den Römern gegenüber, Ailias Hin- und Hergerissenheit zwischen ihrer Liebe zu Taliesin und ihrem Verlangen nach dem schönen Ruther (ein Dreieck, wer hätte das gedacht) und ihre vielen, vielen Missgeschicke. Inhaltlich ist das Ganze also äußerst mau.

Für einen solchen Roman hat die Protagonistin auch relativ viel Sex - prinzipiell ja nicht schlimm, aber nach einer recht verstörenden solchen Szene mit einem Fisch, war es zumindest für mich mit der Glaubwürdigkeit vorbei. Weder als Ailia ihre Bestimmung findet, noch als etwaige Bedrohungen immer näher rücken, konnte ich dem Ganzen noch etwas abgewinnen. Einzig dezent fesselnd ist der schwelende Hass zwischen Ailia und einer anderen Frau, die ein Geheimnis über das Mädchen kennt und es nicht preisgeben will, weil - natürlich, Ailia sie schlecht behandelt hat. Erst zum Ende hin entfaltet das Buch dann endlich sein Potenzial und überrascht mit brutaler, unnachgiebiger Gewalt als Konsequenz der vorherigen Geschehnisse. Ob das reicht, um den Folgeband lesen zu wollen, muss jeder für sich selbst entscheiden.

FAZIT:
"Skin: Das Lied der Kendra" hätte so genial sein können: Eine tolle Idee und ein großartiges Setting sprachen sehr dafür. Aber die Umsetzung ist langweilig und die Protagonistin so egoistisch wie die Liebesgeschichte öde. Ilka Tampke hat hier leider keine gute Arbeit geleistet. Von mir gibt es dafür ganz knappe 2 Punkte.