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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.09.2017

Realistisch, gefühlvoll, fesselnd

Die gute Tochter
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Sie packte eine Handvoll Erde, dann noch eine, und machte immer weiter, bis sie ihren Bauchmuskeln eine letzte Anstrengung abverlangen und sich hochstemmen konnte.
Der plötzliche Schwall frischer Luft ...

Sie packte eine Handvoll Erde, dann noch eine, und machte immer weiter, bis sie ihren Bauchmuskeln eine letzte Anstrengung abverlangen und sich hochstemmen konnte.
Der plötzliche Schwall frischer Luft brachte Sam zum Würgen. Sie spuckte Blut und Erde aus. Ihr Haar war verfilzt. Sie betastete ihren Kopf. Ihr kleiner Finger glitt in ein winziges Loch. Der Knochen fühlte sich glatt an innerhalb der kreisrunden Öffnung. Dort war die Kugel eingedrungen. Sie hatten ihr in den Kopf geschossen.
Sie hatten ihr in den Kopf geschossen.
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INHALT:
28 Jahre ist es her, dass zwei Männer in der Küche von Familie Quinn standen, Mutter Gamma töteten und den Töchtern unaussprechliche Dinge antaten. Die ältere Schwester, Sam, flehte die junge Charlotte an zu fliehen - und das tat sie. Seitdem plagen sie Schuldgefühle, und wirklich aufgehört wegzulaufen hat sie nie. All die Schrecken ihrer Vergangenheit kommen wieder hoch, als sie zufällig die Erste am Schauplatz eines Amoklaufs ist. Täter und Waffe sind schnell identifiziert, aber es ist alles nicht so einfach, wie es den Anschein hat. Und so macht sich Charlie auf die Suche nach der Wahrheit, was es auch kostet.

MEINE MEINUNG:
Karin Slaughter ist sicherlich eine der bekanntesten Thriller-Autorinnen und doch ist ihr neuester Roman erst der zweite, den ich von ihr lese. In diesem Genre mag ich lieber Einzelbände - und genau solch einer ist "Die gute Tochter". Die Geschichte lebt vom atmosphärischen, ungeschönten und dialoglastigen Schreibstil, der nie langweilt, sondern im Gegenteil so sehr fesselt, dass es schwierig ist, sich von den Seiten zu lösen. Unterteilt ist das Buch in drei Teile, die perfekt aufeinander aufbauen, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass die vorangestellten Prologe des ersten und zweiten Teils besser getauscht worden wären - das hätte mehr Sinn ergeben.

Charlie ist eine ziemlich unperfekte Protagonistin, die gerade dadurch Identifikationspotenzial bietet: Impulsiv und mutig bahnt sich sich als Anwältin einen Weg durch eine von Männern dominierte Welt und fällt dabei nicht nur einmal auf die Nase. Sie ist so lebendig und glaubwürdig in ihren Ängsten und Zweifeln, dass man sie schnell ins Herz schließt. Zu ihrer Schwester Sam hatte sie immer ein eher schwieriges Verhältnis, weil diese ungleich rauer ist, mehr der Mutter ähnelt und doch genauso ein Kämpferherz in sich trägt wie auch Charlie - Reibungen vorprogrammiert. Großartig fand ich die gute Seele der Familie, Lenore, deren spannendste und überraschendste Eigenschaft erst spät enthüllt wird und die ich hier nicht bereits offenbaren will. Und weil auch die Nebencharaktere so lebendig gezeichnet sind, kommt es einem bald so vor, als würde man sie alle persönlich kennen.

Obwohl es eigentlich - vergleichsweise - überraschend wenig um die Tätersuche und auch um das Gerichtsverfahren geht, kommt nie Langeweile auf. Die Autorin hat ein fast schon unheimliches Gespür für realistische, oft schmerzhaft in die Tiefe gehende Dialoge und für menschliche Schicksale, die einem die Kehle zuschnüren. Es gelingt ihr fabelhaft, die Ängste über das Grauen der Vergangenheit mit dem Amoklauf in einer Grundschule zu verbinden, ohne dass dies konstruiert wirkt. Zwar konnte ich mir die Wahrheit hinter den Morden relativ früh denken und auch das Motiv war nicht schwer zu erraten - das ist der Spannung aber kaum abträglich. Der Showdown ist eventuell ein bisschen zu dramatisch, aber das hält sich noch in Grenzen - und mit dem letzten Kapitel wird dem Leser ein sehr guter und runder Abschluss geboten, der nach all dem Schrecken endlich Hoffnung verspricht.

FAZIT:
"Die gute Tochter" ist Karin Slaughters neuester Thriller und zugleich ein Einzelband, was ich sehr begrüße. Ihre Figuren sind so gut charakterisiert, dass es begeistert, und die Geschichte packt sowohl in den emotionalen als auch den brutalen Momenten. Ein Lesevergnügen, das keine Abstriche in Sachen Tiefe und Glaubwürdigkeit macht. 4,5 Punkte.

Veröffentlicht am 29.08.2017

Viel zu gehetzt und oberflächlich

Amrita
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Auf ein Nicken meines Vaters trat ich vor, griff nach dem Riegel auf dem Deckel und öffnete ihn.
In der Kiste bewegte sich etwas. Erschrocken wich ich zurück. Sikander konnte kaum mehr an sich halten, ...

Auf ein Nicken meines Vaters trat ich vor, griff nach dem Riegel auf dem Deckel und öffnete ihn.
In der Kiste bewegte sich etwas. Erschrocken wich ich zurück. Sikander konnte kaum mehr an sich halten, so viel Spaß bereitete ihm das Ganze.
Vorsichtig trat ich wieder näher. Die Kreatur in der Kiste wand sich. Haut, Haare, Fingernägel, ein Mund - es war ein Mensch! Erst als sie zu mir heraufblinzelte, bemerkte ich, dass es ein Mädchen war. Ein Mädchen in meinem Alter.
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INHALT:
Die 16-jährige Amrita ist die Prinzessin des Königreiches Shalingar und führt ein ruhiges, sorgenfreies Leben - bis eines Tages der Kaiser von Makadon, ein unbarmherziger Eroberer namens Sikander, mit seiner Delegation anreist. Amrita ist ihm versprochen, doch schnell ist ihr klar, dass sie diesen grausamen Mann niemals heiraten kann. Schreckliche Dinge geschehen und sie sieht nur einen Ausweg: Flucht. Gemeinsam mit der Seherin Thala macht sie sich auf die Suche nach der Bibliothek des Seins, um ihr Schicksal zu verändern. Dabei begegnet sie nicht nur einigen Gefahren - sie findet auch sich selbst.


MEINE MEINUNG:
Orientalisch angehauchte High Fantasy, eine selbstbestimmte Protagonistin und die Suche nach einer geheimnisvollen Bibliothek, mit deren Hilfe man Leben umschreiben kann - was kann es Besseres geben? "Amrita" sollte all das und noch mehr vereinen und tatsächlich hat Aditi Khorana einen dazu passenden sehr bildlichen, teilweise metaphorischen und vor allem atmosphärischen Schreibstil. Nur sind 320 Seiten für einen solchen Roman einfach viel zu wenig, sodass so gut wie gar keine Tiefe aufkommt.

Amrita ist leider auch keine besonders starke Protagonistin. Sie weint und jammert viel und sie versteht die einfachsten Dinge nicht - zum Beispiel, als sie bemerkt, dass ihr Dolch ein Schlüssel ist, obwohl ihr zuvor explizit gesagt wurde, dass der Dolch ein Schlüssel ist. Die Seherin Thala ist da schon deutlich interessanter: Abhängig von der Droge Chamak und gebrochen durch die jahrelange Gefangenschaft in Makadon ist sie verständlicherweise wütend - aber nichtsdestotrotz kümmert sie sich immer um Amrita, was diese immerhin zum Ende hin auch erwidert. Sikander ist ein sehr klischeehafter Bösewicht: Eher schmächtig und hässlich versucht er seine Komplexe durch Macht wett zu machen. Zum Ende hin erhält er ein paar mehr Facetten, aber kaum neue Tiefe. Ganz schwach charakterisiert sind allerdings insbesondere die beiden Jungen des Liebes-Dreiecks. Die Romantik spielt keine so große Rolle wie befürchtet, aber dafür, dass sich Amrita zu beiden hingezogen fühlt, dem einen sogar die Liebe erklärt, sind beide ausnehmend blass und zeichnen sich insbesondere durch schwülstige Aussagen aus.

Obwohl sich mit dem Setting und den Ideen so viele Möglichkeiten bieten, hetzt die Autorin durch die Seiten, als hätte sie schnell fertig werden wollen. Es bleibt kaum Zeit dafür, dass Amrita nach der Flucht aus dem Palast ihrer "großen Liebe" nachtrauert, bevor sie auch schon dem nächsten jungen Mann begegnet, ihre wahre Identität nimmt sie relativ problemlos an und jede potenziell gefährliche Situation wird mit ein bisschen Dialog abgehandelt. So kommt überhaupt keine Spannung auf, denn man muss sich um die Figuren ja keine Sorgen machen - sie schaffen sowieso alles mit Leichtigkeit. Erst auf den letzten knapp 100 Seiten wird es interessanter, weil sich die Geschichte ab diesem Punkt anders entwickelt als zu Beginn erwartet. Überraschungen bleiben dennoch aus, bis zum Schluss ist fast alles vorherzusehen. Da hätte viel mehr herausgeholt werden können.

FAZIT:
"Amrita" vereint viele tolle Ideen und besitzt ein wunderschönes, farbenfrohes Setting. Aditi Khorana hetzt allerdings so stark durch ihre Geschichte, dass kaum Zeit für die Figuren und so etwas wie Tiefe bleibt. Die Protagonistin hat mich genervt und die Liebesgeschichte ist unglaubwürdig, sodass nur wenig Positives überbleibt. Dafür gibt es von mir nur ganz knappe 2,5 Punkte.

Veröffentlicht am 18.08.2017

Wirft viele moralische Fragen auf

Heartware
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Die Nacht neigte sich dem Ende zu. Sie kauerten auf dem Bett, und Wills Schluchzen ging in einen tiefen Schlafatem über. Eli aber blieb wach. Bis zu dem Augenblick hatte er das Gefühl gehabt, Will gleite ...

Die Nacht neigte sich dem Ende zu. Sie kauerten auf dem Bett, und Wills Schluchzen ging in einen tiefen Schlafatem über. Eli aber blieb wach. Bis zu dem Augenblick hatte er das Gefühl gehabt, Will gleite ihm davon. Auf eine unbegreifliche Weise war sie ihm fern gewesen. Jetzt schien sie wieder da zu sein, so unmittelbar wie ihr träumender Körper. Das, was sich nun fern anfühlte, war er selbst.
Der nächste Tag war ihr letzter bei Senora Pudin. Sie mieteten ein Auto, kauften eine Leiter, Drähte und Schraubenzieher, eine Tragetasche und Isoliermaterial. Bevor sie losfuhren, versteckten sie zwei Löffel zwischen Bettgestell und Matratze.
"Damit unsere Liebe an einem Ort zurückleibt", sagte sie.
Wie oft er später daran denken musste. Wie sehr sich ihre Aussage mit der Zeit verfinsterte, leuchtendem Silber gleich, das altert.
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INHALT:
Vor Jahren wurde Adam Eli von seiner großen Liebe Willenya Curuvija verraten. Er ist für sie ins Gefängnis gegangen und versucht nun, seine Vergangenheit und auch sie zu vergessen, aber es will ihm nicht recht gelingen. Dann erhält er eines Tages eine Mail, die ihn aus der Bahn wirft, denn sie dreht sich um Will. Er soll sie suchen, weil sie etwas so Wichtiges gestohlen hat, dass sie damit die gesamte Welt verändern könnte. Doch sie wird auch von anderen gesucht, die daruch zwangsläufig auch auf seine Spur kommen. Und bald befindet sich Eli auf der Flucht, nur in Begleitung der undurchschaubaren und eventuell gegen ihn arbeitenden Detektivin Mariel...

MEINE MEINUNG:
An Jenny-Mai Nuyens ganz frühe Fantasy-Werke denke ich gern zurück - auch wenn mich viele ihrer späteren Romane nicht mehr genauso mitreißen konnten. Mit "Heartware" wagt sie sich nun erstmals in das Genre der Thriller vor, was mir bei anderen Autoren oft gar nicht gefällt, hier aber wunderbar funktioniert. Die Themen rund um künstliche Intelligenzen, die Machenschaften der Wirtschaftsmächte und die Überwachung der Menschheit sind brandaktuell und werden erschreckend realistisch dargestellt, sodass sich schnell ein fulminanter Sog ergibt. Erzählt wird die Geschichte aus den Perspektiven von Adam Eli, seiner unfreiwilligen Begleiterin Mariel Marigny und Y, die viele andere Sichten unter sich vereint, was durchaus Sinn ergibt.

Keine der Figuren des Romans ist so richtig glücklich. Das beginnt schon mit Adam Eli, der nach all den Jahren noch immer seiner Jugendliebe Will nachtrauert und keinen Frieden mit sich, mit ihr und mit ihrer verlorenen Beziehung geschlossen hat. Er ist sehr intelligent und findet für fast alles eine Lösung, aber weil er sich so sehr in seine Sehnsucht verrennt, denkt er oftmals nicht klar - was ihn nicht unbedingt unsympathisch macht, ihn jedoch manchmal ein bisschen zu sehr leiden lässt. Will selbst taucht größtenteils in Rückblicken auf und ist ganz klar ein gebrochenes, zerbrechliches Mädchen, das viele Ecken und Kanten hat, die sie nicht unbedingt zu einem guten Menschen machen. Das ist aber auch nicht notwendig, denn gerade durch ihre Undurchschaubarkeit gewinnt sie an Intensität. Nebenfiguren wie die manipulative und kokette Marigny oder auch die düsteren, skrupellosen Agenten Beckblum, Nakamoto und Dussardier tragen dazu bei, ein Gewirr aus Fragen und verschiedenen Handlungsfäden aufzuwerfen, die kunstvoll verwoben werden.

Nuyen gelingt es, wichtige, spannende Fragen aufzuwerfen, ohne die Antworten darauf dem Leser vorwegzunehmen: Wie weit sollte man für die Liebe gehen? Was ist man bereit, auf dem Weg zum eigenen Ziel zu opfern? Und darf man über das Schicksal der Welt entscheiden? Technische Details über Aktienmärkte, Computer und Wirtschaft sind so gut und verständlich in die Handlung eingebaut, dass einem nichts entgeht - und trotzdem fügen sich die einzelnen Elemente erst zum Ende hin zu einem großen Ganzen zusammen. Zwischenzeitlich gibt es durchaus ein paar Längen, besonders im Mittelteil, der sich bei vielen Dialogen und nur wenig Handlungsfortschritt etwas zieht. Das jedoch machen die rasanten letzten 100 Seiten wieder wett. Die Charaktere und ihre Ambitionen sind kaum zu durchschauen, weshalb auch der Ausgang des Buches lange offen bleibt. Am Schluss wird nicht alles geklärt und nicht jeder findet seinen Seelenfrieden, was realistisch ist - aber die Hoffnung, dass es vielleicht, eines Tages, doch gut werden könnte, bleibt.

FAZIT:
"Heartware" ist ein größtenteils rasanter Thriller, der aber auch dramatische Züge besitzt und insbesondere von den intensiven, sehr ambivalenten Charakteren lebt. Zwischenzeitlich haben sich ein paar Längen eingeschlichen und das ein oder andere Mal wurde mir der Leidensdruck der Figuren zu groß, gefesselt war ich aber fast durchgehend. 4 Punkte.

Veröffentlicht am 02.08.2017

Erschüttert und macht wütend

The Hate U Give
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"Nein, nein, nein" ist alles, was ich sagen kann. So als wäre ich erst ein Jahr alt und könnte noch kein anderes Wort. Ich weiß nicht, wie ich neben ihm auf dem Boden lande. Meine Mom hat mal gesagt, ...

"Nein, nein, nein" ist alles, was ich sagen kann. So als wäre ich erst ein Jahr alt und könnte noch kein anderes Wort. Ich weiß nicht, wie ich neben ihm auf dem Boden lande. Meine Mom hat mal gesagt, wenn jemand angeschossen wird, dann versuch, die Blutung zu stoppen, aber da ist so viel Blut. Zu viel Blut.
"Nein, nein, nein."
Khalil rührt sich nicht. Sagt kein Wort. Er sieht mich nicht einmal an. Sein Körper verkrampft sich und dann ist er tot. Ich hoffe, er sieht Gott.
Jemand anders schreit.
Ich blinzle gegen meine Tränen an. Der Polizeibeamte Hundertfünfzehn schreit mich an und zielt mit derselben Waffe auf mich, mit der er gerade meinen Freund getötet hat.
Ich hebe die Hände.
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INHALT:
Die 16-jährige Starr lebt in Garden Heights, einem als Ghetto verschrienen Schwarzen-Viertel, aber sie geht auf eine Privatschule, die fast nur von Weißen besucht wird. Sie lebt in zwei Welten und weiß nicht, wie sie sie in Einklang bringen soll. Als sie eines Abends mit ihrem besten Freund Khalil auf dem Rückweg von einer Party von einem Polizist angehalten wird, eskaliert die Situation - und Khalil wird erschossen. Auf den Schock und die Trauer folgen bald Verunsicherung und Wut. Denn einerseits will sie darüber reden, den Menschen deutlich machen, wie falsch das war - und andererseits will sie ihre Identität schützen und vor ihren Mitschülern nicht wie ein Ghetto-Mädchen da stehen. Bald muss sie sich entscheiden, was ihr wichtiger ist und wovor sie mehr Angst hat...

MEINE MEINUNG:
Dass die USA in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg an Polizeigewalt erlebt haben, ist kein Geheimnis. 2016 wurden in Amerika in nur neun Monaten 706 Personen durch Cops getötet. Statistiken zufolge waren davon etwa ein Viertel Afroamerikaner - bei nur 13% Anteil an der Bevölkerung. Der Kontinent hat ein Rassismus- und ein Waffenproblem. Kein Wunder also, dass es die "Black Lives Matter"-Bewegung gibt, dass die Stimmen immer lauter werden. Gerade deswegen ist "The Hate U Give" ein so wichtiges, brisantes Buch mit einer Frage, die uns alle angeht: Ist für den Staat das Leben eines weißen Polizisten wichtiger als das eines Afroamerikaners?

Protagonistin in Angie Thomas' Roman ist Starr, eine junge Schwarze, die zwar aus Garden Heights stammt, aber ein vergleichsweise privilegiertes Leben führt. Ein Großteil ihres Freundeskreises besteht aus Weißen, auch ihr Freund ist hellhäutig. Damit ist sie hin- und hergerissen - einerseits fühlt sie sich den Leuten ihrer Hautfarbe und ihres Wohnorts zugehörig, andererseits will sie an ihrer Schule und vor ihren Freunden nicht als das Ghetto-Mädchen dastehen. Sie hat das Gefühl, nicht sie selbst sein zu können, was sehr gut nachvollziehbar ist. Ihren Freund Khalil lernt man nur kurz kennen, aber es wird schnell deutlich, was er für einen Einfluss auf ihr Leben hatte und wie nahe sich die beiden standen. Und auch die anderen Figuren sind toll ausgearbeitet: Starrs liebevolle, manchmal etwas zu beschützerische Familie; ihre zickige und aufbrausende Freundin Kenya, die sich auch nur nach Normalität sehnt; oder eben ihr zärtlicher, verständnisvoller Freund Chris, der sich wunderbar vom in Jugendbüchern vorherrschenden Bad Boy-Stereotyp abhebt.

Es ist nicht richtig, was in diesem Buch passiert, und das Traurige dabei ist, dass genau die Realität widerspiegelt. Menschen werden auf offener Straße erschossen, immer wieder sind es unbewaffnete Afroamerikaner, und obwohl die Bevölkerung aufbegehrt, wird der betreffende Polizist nicht verurteilt. Starr versucht, das zu verhindern, traut sich aber lange nicht, wirklich über das Erlebte zu sprechen. Ihre Zweifel und ihre Angst sind besonders im Anbetracht der Gefahr durch Gangs in ihrem Viertel sehr gut verständlich, dass sie sich aber auch ihrer Familie und den wichtigsten Menschen in ihrem Leben nicht öffnet, erschien mir nicht immer glaubwürdig. Trotzdem habe ich bei ihrem Zwiespalt immer mitgefühlt, ich war genauso wütend und hoffnungslos wie sie, konnte aber auch ab und zu das Glück der kleinen Dinge empfinden. Nur die teils meiner Meinung nach etwas holprige Übersetzung hat mich manchmal stutzen lassen - zum Beispiel wird mal "No, Sir" gesagt, mal "Nein, Sir" und statt "Freund" wird immer vom "Boyfriend" gesprochen. Das ändert aber nichts daran, dass das Buch mit seiner Botschaft fesselt und berührt - und hoffentlich, hoffentlich etwas in den Köpfen der Leser bewegt.

FAZIT:
"The Hate U Give" ist ein ebenso wichtiges wie gutes Buch. Zwar hat mir die Übersetzung an einigen Stellen nicht gefallen, der Inhalt jedoch konnte mich mitreißen und berühren - und nicht selten war ich einfach wütend über die Zustände. Damit ist das Ziel wohl erreicht worden. Sehr gute 4,5 Punkte.

Veröffentlicht am 18.07.2017

Düster und mysteriös

Dunkles Omen – Ein Cainsville-Thriller
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Die Namen werden Ihnen wahrscheinlich nichts sagen.

Na klar. Niemand, der im Mittleren Westen lebte, hatte je von Pamela und Todd Larsen gehört.

Eheleute. Serienmörder.

Ich war die Tochter zweier Soziopathen.

Voller ...

Die Namen werden Ihnen wahrscheinlich nichts sagen.

Na klar. Niemand, der im Mittleren Westen lebte, hatte je von Pamela und Todd Larsen gehört.

Eheleute. Serienmörder.

Ich war die Tochter zweier Soziopathen.

Voller Entsetzen starrte ich meinen Laptop an. Ja, ich wusste zwar, wer die Larsens waren, aber viel mehr auch nicht. Das sollte ich ändern.

Aber wozu?

Sie waren Mörder. Verurteilte Serienmörder. Wollte ich mich wirklich mit Details ihrer Taten herumquälen? Oder hoffte ich vielleicht, dass es gar nicht so schlimm war, wie ich gehört hatte?

Oh, sie haben nur sechs Leute umgebracht, nicht acht, wie ich gedacht hatte. Na, das ist ja dann gar nicht so schlimm.
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INHALT:
Olivia Taylor-Jones führt ein Leben, wie es besser nicht sein könnte: Sie ist schön, sie ist reich, sie ist beliebt und auf dem besten Wege, Ehefrau eines zukünftigen Senators zu werden. Bis sie eines Tages erfährt, dass sie adoptiert wurde - und ihre wahren Eltern das Serienkiller-Ehepaar Pamela und Todd Larsen ist. Zurückgewiesen von ihrer bisherigen Familie und zu stolz, deren Geld zu nehmen, sucht sie verzweifelt einen Job und landet dabei im kleinen Örtchen Cainsville. Cainsville, das viele Geheimnisse hütet, ebenso wie Gefahren. Und das irgendetwas mit der Geschichte ihrer Eltern zu tun zu haben scheint...

MEINE MEINUNG:
Kelley Armstrong ist vor allem für ihre Urban Fantasy Romane bekannt, von denen viele auch bei uns erschienen sind. Mit den Büchern rund um das Örtchen Cainsville wagt sie sich nun seit 2013 an die Mystery-Thriller heran, die vor allem den Thrill bieten, aber mit geheimnisvollen Vorkommnissen auch immer wieder auf Übernatürliches hindeuten. Erzählt werden alle vier im Original bisher erschienen Teile aus der Ich-Perspektive der Protagonistin Olivia, was aber immer wieder durch kurze und oft sehr mysteriöse personale Kapitel anderer Figuren unterbrochen wird. Diese schaffen nicht nur eine ganz eigene Atmosphäre, sie geben oft auch schon Hinweise und Erklärungen, ohne jedoch zu viel vorweg zu nehmen.

Olivia ist entgegen des ersten Eindrucks, den man von dem reichen Mädchen aus gutem Hause hat, eine ziemlich toughe Protagonistin mit eigenem Willen und einem ziemlichen Dickkopf, wodurch sie einem schnell sympathisch wird. Der Anwalt Gabriel, der ihr nicht wirklich uneigennützig hilft, mehr über sich und ihre Familie herauszufinden, ist besonders zu Beginn ein ziemlicher Mistkerl, der aber nie verheimlicht, was er ist: Egoistisch und materialistisch. Dass auch er Gefühle hat, kann er jedoch nicht verheimlichen. Und auch die Nebenfiguren stehen den Hauptcharakteren in nichts nach: Ob nun die griesgrämige Vermieterin Olivias, ein freundliches Ehepaar, das deutlich mehr weiß als es sagt, oder die leibliche Mutter Pamela, bei der man sich wie Olivia nicht sicher sein kann, ob sie die Wahrheit sagt - sie alle lassen die Geschichte sehr lebendig werden und bestechen durch ihre glaubhafte Darstellung.

Mit Cainsville hat Kelley Armstrong einen ebenso beschaulichen und niedlichen wie geheimnisvollen und eventuell auch gefährlichen Ort geschaffen. Die Einwohner passen aufeinander auf und helfen sich gegenseitig, aber sie verbergen auch Dinge. Man weiß nie, woran man bei ihnen ist, was wunderbar zu der sowieso schon teilweise schaurigen Stimmung beiträgt. Olivia macht sich derweil mithilfe des Anwalts Gabriel auf eine lebensgefährliche Spurensuche: Denn mit dem Versuch, ihre leiblichen Eltern von den schrecklichen Morden zu entlasten, macht sie sich viele Feinde. Nicht nur die Presse ist hinter ihr her, auch fällt ihr auf dem Weg zur Wahrheit immer mal wieder eine Leiche vor die Füße. Und nicht nur das - die Omen, die sie sieht und die sie erst für Humbug hält, bewahrheiten sich immer öfter und machen nicht nur ihr Angst, sondern auch dem Leser. Zum Schluss wird das Ganze etwas zu abstrus, ist dafür aber auch sehr aufregend und hält sich gerade noch im Rahmen. Auf die Antworten, die uns in Band 2 erwarten, bin ich jedenfalls schon gespannt.

FAZIT:
"Dunkles Omen" ist der atmosphärische und schaurige erste Band der "Cainsville"-Reihe rund um den Versuch, vier Jahrzehnte zurückliegende Doppelmorde aufzuklären. Der Schreibstil ist fesselnd, die Geschichte originell und geheimnisvoll. Band 2, "Zeit der Schatten" erscheint im September auf Deutsch und verspricht neue Fragen und neue gruselige Ereignisse. Gute 4 Punkte!