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Veröffentlicht am 15.09.2016

Sinnfreier Weltentwurf

Die rote Königin (Die Farben des Blutes 1)
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Ich zähle die letzten Sekunden im Stillen herunter, mein Herz schlägt den Takt. Cal erspäht mich in der Menge, schenkt mir das Lächeln, das ich liebe, und setzt sich in Bewegung, um zu mir zu kommen. Aber ...

Ich zähle die letzten Sekunden im Stillen herunter, mein Herz schlägt den Takt. Cal erspäht mich in der Menge, schenkt mir das Lächeln, das ich liebe, und setzt sich in Bewegung, um zu mir zu kommen. Aber er wird mich nie erreichen, nicht bevor die Tat ausgeführt ist. Die Zeit scheint stehen zu bleiben, bis ich nur noch die schockierende Intensität spüre, die meine Fähigkeit in geschlossenen Räumen entwickelt. Wie beim Training, wie in meinen Stunden bei Julian lerne ich, sie zu kontrollieren.
Schließlich fallen vier Schüsse; sie lösen sich, begleitet von vier Stichflammen, aus den Pistolenläufen ganz oben im Saal.
Dann ertönen gellende Schreie.
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INHALT:
In Mares Adern fließt rotes Blut - was sie zu einer Dienerin der Mächtigen macht, gemeinsam mit ihren Leidensgenossen, den anderen "Roten". Denn in den Adern der höher gestellten "Silbernen" fließt silbernes Blut, das ihnen übernatürliche Fähigkeiten und damit die Herrschaft über die einfachen Bürger verleiht. Doch als Mare ihre neue Arbeit im Schloss ebenjener Unterdrücker antritt, geschieht etwas Unvorhergesehenes - und sie setzt Kräfte frei, die sogar den Silbernen Angst machen. Damit scheint eine Revolution möglich, aber es bringt Mare auch in tödliche Gefahr...

MEINE MEINUNG:
Victoria Aveyards Auftakt ihrer geplanten Trilogie rund um "Die Farben des Blutes" [so im Deutschen, im Original einfach "Red Queen"] bedient sich einem altbekannten Konzept: Eine dystopische Zukunft; eine Zwei-Klassen-Gesellschaft mit Gut und Böse; eine Protagonistin aus dem unterdrückten Volk, die zum Gesicht der Rebellion wird und eine Liebesgeschichte mit mindestens zwei möglichen Kandidaten - wobei, wenn einer ausfällt, praktischerweise sofort ein neuer zur Hand ist. "Die rote Königin" wirkt wie auf Erfolg ausgelegt, was auch wunderbar funktioniert, denn das Buch ist sowohl im Original als auch in der Übersetzung eingeschlagen wie eine Bombe. Aber erklären soll mir das mal einer...

Mare ist eine überwiegend unerträgliche Hauptfigur. Sie bemitleidet sich während ihres Lebens als Rote und sie bemitleidet sich während ihres Lebens als Silberne. Ansonsten ist sie sehr passiv, weil sie sich selten traut, wirklich für ihre Sache einzustehen - dennoch wird sie von fast ausnahmslos jedem Mann vergöttert. Erst zum Ende hin beginnt sie, eigenständig zu denken, muss aber dennoch dauernd gerettet werden. Cal ist Love-Interest Nummer 1 und der übliche schöne Mann, der eigentlich nicht zugänglich ist - hier, weil er der ausnahmslos als Zicke beschriebenen Evangelina versprochen ist. Cal ist überraschend glaubwürdig, weil er sich nicht komplett für Mare aufgibt, und konnte daher tatsächlich meine Sympathien erlangen. Auch Maven, Love-Interest Nummer 2, ist ein ganz nett aufgebauter männlicher Charakter, wirkt aber an vielen Stellen zu perfekt, und das Geheimnis, das er hat, ist ziemlich weit hergeholt. Die sonstigen Figuren bleiben ausnehmend blass und besonders die Frauen sind entweder verschlagen oder böse, jemand ähnlich Guten wie Mare gibt es außer ihrer Schwester nicht.

Abgesehen von den ziemlich mauen Charakteren scheint die Autorin aber auch kein rechtes Händchen für ihren Weltentwurf gehabt zu haben - oder die bahnbrechenden Erklärungen kommen noch in den folgenden Bänden. Hier jedenfalls wird mit keinem Wort erwähnt, wie es dazu kommen konnte, dass es zwei Arten von Menschen gibt, die sich durch ihr Blut unterscheiden, und dass die Silbernen magische Fähigkeiten besitzen. Denn anscheinend ist der Roman nicht wie vermutet High Fantasy, sondern Dystopie - es gibt schließlich Technik, Elektrizität und sogar Motorräder. Wo also bleiben die Hintergründe, die all diese Elemente miteinander verbinden würden? Möglicherweise ist dieses Problem darin begründet, dass sich so stark auf das ewige Geplänkel im Schloss und die verschiedenen Intermezzi mit den vielen Kerlen konzentriert wird, anstatt die übrigen Themen voranzutreiben.

Zugute halten muss man dem Buch, dass es absolut flüssig geschrieben ist, sodass sich die 500 Seiten weg lesen lassen wie nichts und die Beschreibungen sind dabei überwiegend bildlich und detailreich, wodurch man sich vieles gut vorstellen kann. Auch wird es zum Ende hin sehr spannend, weil sehr glaubwürdig nicht alles glatt läuft, was dem Ganzen etwas Authentizität verleiht. Allerdings hat mir der große Plot Twist, der von vielen so begeistert aufgenommen wurde, gar nicht gefallen. Er ist nicht nur vorhersehbar, sondern irgendwie auch ein billiges Mittel, um eine bestimmte Person aus dem Weg zu schaffen. Letztendlich bleibt abzuwarten, ob alle noch offenen Stränge in den Folgebänden bis zur Auflösung verfolgt werden. Das werde ich aber wohl eher nicht mehr miterleben.

FAZIT:
Victoria Aveyard hat mit "Die rote Königin" eine nicht erklärte Mischung aus High Fantasy und Dystopie geschaffen, die so vom Weltentwurf bisher reichlich wenig Sinn ergibt. Die Figuren wirken oft eindimensional und insbesondere die Protagonistin tötet einem den letzten Nerv, während die typische Dreiecksgeschichte ihr Übriges dazu tut. Wohl eher etwas für Neulinge in diesen Genres. 2 Punkte.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Gut und Böse und alles was dazwischen liegt

HALF BAD – Das Dunkle in mir
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Sie hält den Rahmen mit dem Foto hoch und lässt ihn dann schräg nach unten sausen, mit der Rahmenkante quer über meinen Wangenknochen.
"Fass dieses Bild nie wieder an."
Ich rühre mich nicht.
"Hörst du ...

Sie hält den Rahmen mit dem Foto hoch und lässt ihn dann schräg nach unten sausen, mit der Rahmenkante quer über meinen Wangenknochen.
"Fass dieses Bild nie wieder an."
Ich rühre mich nicht.
"Hörst du mich?"
Da ist Blut an der Ecke des Rahmens.
"Deinetwegen ist sie tot."
Ich weiche zur Wand zurück.
Jessica schreit mich an: "Deinetwegen hat sie sich umgebracht!"
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INHALT:
Nathan lebt in einer Welt, in der die Menschen - genannt Fain - mit den überwiegend unerkannt bleibenden Hexen zusammenleben. Hexen werden unterteilt in schwarze und weiße, und während letztere sich selbst als gut ansehen und die Regierungsmacht inne haben, gelten die schwarzen als mörderisch und böse. Es ist nicht verwunderlich, dass Nathan hier einen schweren Stand hat, denn er ist halb schwarz und halb weiß, der Einzige seiner Art. Immerzu ist er auf der Flucht vor den Schergen der weißen Hexen, gleichzeitig weiß er jedoch auch nicht, ob er denn zu den schwarzen gehört...

MEINE MEINUNG:
Sally Greens "Half Bad" ist der Auftakt einer Reihe um Hexen, der sich erst einmal gar nicht so originell anhört - der Kampf zwischen Gut und Böse ist schließlich ein altbewährtes Prinzip. Tatsächlich ist hier jedoch das Interessante, dass es keine so einfache Schwarz- und Weißzeichnung gibt wie sie hier propagiert wird. Stattdessen können sich weder Nathan noch der Leser je sicher sein, wer eigentlich auf der richtigen Seite steht und wer nicht. Der Schreibstil ist dabei sehr jugendlich gehalten, die Sätze sind oftmals kurz und prägnant. Dies ist anfangs sehr gewöhnungsbedürftig, weil es so abgehackt wirkt, passt aber gut zum Protagonisten.

Nathan ist nämlich ein eher ruheloser Charakter, der selten still sitzen und ebenso selten seine Wut in Zaum halten kann - die Wut über die Ungerechtigkeit der Behandlung ihm gegenüber, die Wut über dieses Leben, das er führen muss. Er ist eine spannend ausgearbeitete Figur, die dennoch immer authentisch bleibt. Denn obwohl er stark und mutig ist, zeigt er doch ebenso Schwäche, wenn es ganz normal ist, zusammenzubrechen. Aber auch die anderen Charaktere überzeugen durch ihre Vielfältigkeit - sein Halbbruder Arran, liebevoll und gutmütig; sein späterer Vormund Celia, die sich ganz anders entpuppt als gedacht; oder auch seine große Liebe Annalise, die ihm zeigt, was Freundschaft bedeutet.

Die Geschichte selbst ist düster, brutal und erschreckend. Nathan führt von Anfang an sein sehr schweres Leben, das geprägt ist von Verboten und Vorschriften. Schon als Kind quält ihn seine Halbschwester Jessica, und später sorgen die weißen Hexen dafür, dass sein Leben wenig lebenswert bleibt. Hinzu kommt, dass er nicht weiß, woran er bei seinem Vater ist, den er noch nie getroffen hat, und ob dieser tatsächlich die Grausamkeit und Skrupellosigkeit besitzt, die ihm nachgesagt wird. Es gibt zwar auch lichte Momente für Nathan und auch eine kleine Liebesgeschichte spielt eine Rolle, nie wird das jedoch besonders aufgebauscht, was den Roman stark von den gängigen Romantasy-Klischees abhebt. So bleibt das Ganze trotz der phantastischen Grundstory sehr, sehr realistisch.

Sally Green versteht es dabei wunderbar, einen als Leser in Atem zu halten und immer wieder neue Überraschungen zu präsentieren. Zugegeben, viele habe ich persönlich vorher schon erahnt, das muss aber nicht für jeden Leser gelten. Die Spannung jedenfalls ist immerzu da und lässt kaum jemals nach, da Nathan nach einer kurzen Verschnaufpause sehr schnell wieder in große Schwierigkeiten gerät. Die Welt, in der er sich bewegt, ist interessant und schlüssig aufgebaut, auch wenn es mir persönlich ein wenig gegen den Strich ging, wie abfällig die Menschen von allen Charakteren beschrieben werden - aber vielleicht ändert sich das ja noch. Das Ende ist sehr offen und lässt viele Geheimnisse ungelöst, weswegen die nachfolgenden Bände eigentlich Pflicht sind. Ich jedenfalls fiebere Teil 2 nun definitiv entgegen.

FAZIT:
"Das Dunkle in mir" ist der erste Band der "Half Bad"-Trilogie von Sally Green, die sich mit Gut und Böse auseinandersetzt und allem, was dazwischen liegt. Der Roman beeindruckt insbesondere durch die wunderbare Charakter-Zeichnung und die interessante und fesselnde Geschichte. Von mir gibt es gute 4 Punkte und eine Empfehlung!

Veröffentlicht am 15.09.2016

Unverständliche Liebesgeschichte, schlecht und langweilig geschrieben

Dark Heroine - Dinner mit einem Vampir
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Ohne Vorwarnung beugte er sich hinunter, legte seinen Arm hinter meine Kniekehlen und brachte mich zu Fall. Ich landete in seinen Armen und kurz darauf strich kalte Luft über mein Gesicht. Wir flohen aus ...

Ohne Vorwarnung beugte er sich hinunter, legte seinen Arm hinter meine Kniekehlen und brachte mich zu Fall. Ich landete in seinen Armen und kurz darauf strich kalte Luft über mein Gesicht. Wir flohen aus Varnley - wohin, wusste ich nicht. Ich schloss die Augen und kämpfte gegen die aufwallenden Tränen an. Erst dann dachte ich daran zu schreien. Und genau das tat ich. Ein langer, furchtbarer, markerschüttender Schrei hallte durch die Nacht.
Doch es hatte keinen Sinn. Niemand hatte mich gehört und niemand würde kommen.
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INHALT:
Nach einem Abend mit einer Freundin befindet sich Violet allein am Trafalgar Square, als sie plötzlich den Mord an etwa 30 Männern sieht. Voller Angst will sie fliehen - aber die Täter entdecken sie und verschleppen sie kurzerhand zu ihrem Wohnsitz. Und dort erfährt sie, was sie sind: Vampire! Violet fürchtet sich vor ihnen, doch nach einiger Zeit kann sie gleichzeitig nicht leugnen, dass sie sich vom schönen Kaspar angezogen fühlt. Aber andere Wesen trachten ihr noch immer nach dem Leben...

MEINE MEINUNG:

SCHREIBSTIL
Es ist nicht schwierig zu bemerken, dass die Autorin beim Verfassen des Romans erst junge 16 Jahre alt war - denn ihre Art zu schreiben ist noch sehr weit davon entfernt, perfekt zu sein. Das erwarte ich in dem Alter auch gar nicht, aber bei einem gedruckten Buch sollte doch eine gewisse Qualität vorhanden sein. Die Beschreibungen der Umgebungen sind auch in der Tat recht gut und ansprechend gelungen, der Rest jedoch überzeugt gar nicht. Die Dialoge wirken plump und sehr unausgereift, die Jahrhunderte alten Vampire unterhalten sich wie Jugendliche, die gerade einer Reality-Soap entflohen sind. Die Gedanken der Protagonistin, die aus der Ich-Perspektive erzählt, sind naiv und sollen wohl schlagfertig wirken, verfehlen dieses Ziel jedoch weitestgehend. Und oft macht Abigail Gibbs auch den Fehler, von einem Strang zum nächsten zu springen, ohne einen guten Übergang erkennen zu lassen, was einen als Leser aus dem Fluss bringt.

CHARAKTERE
Eigentlich ist Violet die ersten 200 Seiten über eine einigermaßen angenehme Protagonistin, die zwar zwischenzeitlich extrem zickig und unfreundlich sein kann, ansonsten aber Mut beweist. Sobald sie jedoch Kaspar etwas näher kommt, verwandelt sie sich in ein naives und die Augen verschließendes Dummchen, das über all seine Fehler hinweg sieht. Davon hat er übrigens reichlich. Er ist arrogant, ungehobelt, grausam und brutal - Eigenschaften, die mich persönlich bei Männern eher weniger anziehen. Hier sind seine Drohungen Frauen gegenüber und seine Bereitschaft zu töten natürlich in Ordnung, denn schließlich sieht er ja gut aus. Und das reicht. Die sonstigen Figuren bleiben sehr blass und entwickeln sich kaum weiter, außerdem tauchen einige zu Anfang genannte Personen nie wieder auf, weswegen das Ganze sehr unausgegoren wirkt. Der einzige Charakter, den ich ansatzweise leiden konnte, Fabian, wird von der Heldin derart schlecht behandelt, dass es zum Haare raufen ist. Charakterzeichnung: Mangelhaft.

STORY
Nur leider wird das Ganze bei der Geschichte nicht besser. Die Autorin musste die Hauptfigur irgendwie zum Wohnsitz der Vampire bekommen - und lässt diese das Mädchen dafür entführen, was keinerlei Sinn ergibt. Entweder hätten sie sie töten können, als es noch nicht zu spät war, oder sie mit ein paar fiesen Drohungen und/oder Schweigegeld nach Hause schicken. Das alles wäre jedenfalls einfacher gewesen, als sie bei sich festzuhalten und zu einem Vampir machen zu wollen...Abgesehen davon, dass sie Violet sogar eines Tages mit nach London nehmen, um mit ihr einen Ausflug zu machen - und sie tatsächlich nicht vor ihnen flieht, weil sie ihren Exfreund trifft, der ja schrecklicher ist als alle mordenden Vampire zusammen. Das soll einer verstehen! Den größten Teil der Geschichte nimmt natürlich auch die Liebesgeschichte ein, sodass bis Seite 350 so gut wie überhaupt nicht die Rede ist von der im Klappentext erwähnten Prophezeiung. Alles plätschert vor sich hin, nichts Nennenswertes passiert, außer dass Violet fast ermordet wird und danach alle Bedenken wegen Kaspar fallen lässt, weil er sie ja gerettet hat.

UMSETZUNG
Diese Bedenken betrafen vorher zum Beispiel den Aspekt, dass er ihr mehrmals droht, sie zu vergewaltigen, zu schlagen oder zu töten. Ebenso ermordet er vor ihr unschuldige Frauen oder reißt einen anderen Menschen blutig auseinander. Das alles wird beschönigt, mit seiner Natur erklärt - es mag ja endlich mal wieder etwas anderes sein, dass die Vampire hier grausamer sind, aber eine Beziehung, in der gedroht wird, ist für mich dennoch keine gesunde. Und da auf die "Romantik" eben so viel Wert gelegt wird, war ich beim Lesen eigentlich permanent sauer. Abgesehen davon wird das Ganze ansonsten nicht einmal wieder wirklich spannend; Violet trifft neue Personen, Freund und Feind, und lernt schließlich auch ein überaus albernes Geheimnis kennen, bei der sich die Autorin gedacht zu haben scheint, kurz vor Ende noch eben den Grund einzustreuen, weshalb es überhaupt noch mindestens ein weiteres Buch geben wird. Unnötig, unglaubwürdig - wie der komplette Rest eben.

FAZIT:
"Dark Heroine: Dinner mit einem Vampir" ist auf einer Schreibplattform von einer sehr jungen Frau geschrieben worden, was man dem Roman auch eindeutig anmerkt. Die Figuren sind schlecht ausgearbeitet, die Story ist langweilig und abstrus und die Liebesgeschichte zeichnet nur das Bild einer äußerst grausamen und von Drohungen geprägten Beziehung. Ich muss hier jedenfalls nicht weiterlesen! 1 Punkt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Liebesgeschichte nimmt zu viel Platz ein

Das Juwel - Die Gabe
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Der Anflug eines Lächelns umspielt ihre Lippen. Sie zieht die blaue Flüssigkeit aus der Ampulle in der Spritze auf und dreht meinen Arm, um eine Vene in meiner Ellenbeuge zu finden. Als die Nadel meine ...

Der Anflug eines Lächelns umspielt ihre Lippen. Sie zieht die blaue Flüssigkeit aus der Ampulle in der Spritze auf und dreht meinen Arm, um eine Vene in meiner Ellenbeuge zu finden. Als die Nadel meine Haut durchbohrt, zucke ich zusammen - Spritzen gehörten zu unserem Leben in Southgate, aber ich habe mich nie daran gewöhnt. "Du bist ein kluges Mädchen. Vielleicht klug genug, um hier zu überleben."
Ihre Worte lassen nichts Gutes ahnen, aber als die blaue Flüssigkeit durch meine Adern fließt, werden meine Beine schwer, und die Augenlider fallen mir zu. Bevor ich die Frau fragen kann, was sie damit meint, werde ich wieder von Dunkelheit verschluckt und falle in einen Schlaf.
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INHALT:
Die junge Violet ist etwas Besonderes - geboren im Sumpf, dem ärmsten Viertel der Ewigen Stadt, ist sie gemeinsam mit einigen anderen Mädchen dazu auserkoren worden, ein neues Leben zu führen. Denn sie besitzt besondere Fähigkeiten und kann einer adligen Dame daher einen Dienst erweisen: Ihr Kind zu gebären. Mädchen wie sie werden seit Jahrzehnten von den im Reichtum lebenden Menschen als Leihmütter genutzt - und Violet hasst diese Aussicht, doch sie kann sich nicht wehren. Bis sie sich verliebt und immer stärker den Wunsch in sich verspürt, für ihr eigenes Leben zu kämpfen...

MEINE MEINUNG:
Amy Ewings erster Band der "Juwel"-Reihe fasziniert mit der grausamen und originellen Idee, die neuen Schwung in das Genre der Dystopien/Fantasy bringt. Mädchen, die dazu gezwungen werden, Kinder anderer Leute auszutragen und dabei gehalten werden wie Haustiere: Eine schreckliche Vorstellung. Erzählt wird die Geschichte aus der Ich-Perspektive eines sogenannten "Surrogats" (wie die jungen Frauen genannt werden), wodurch man die Ängste und Gedanken hautnah miterlebt.

Leider ist eine Identifikation mit der Protagonistin aber denkbar schwierig: Sie ist selbstverständlich wunderschön, klug und ganz besonders. Von den letzten beiden Eigenschaften merkt man bis auf ihre atemberaubenden Fähigkeiten allerdings eher wenig - hauptsächlich jammert sie, obwohl sie alles bekommt, lästert über andere Frauen, die genauso aufgetakelt sind wie sie, und trifft dumme Entscheidungen. Zu ihr passt daher sehr gut der Love-Interest Ash, ebenfalls nicht besonders intelligent, dafür aber sehr gut aussehend - und unangemessen aufbrausend in den seltsamsten Momenten. Dagegen ist die Gräfin, bei der sie unterkommt, sehr viel spannender: Undurchsichtig, manchmal grausam und manchmal gut, ist sie ein Charakter, der einen immer wieder überrascht. Eine weitere gut gestaltete Figur ist die stumme Annabelle, die mit ihrer lebenslustigen Art die Sympathien sammelt, und der wilde Garnet, der allerdings viel zu selten auftaucht.

Die Idee selbst ist gut, wenn man davon absieht, dass die Protagonistin wie immer an einem Ort gefangen ist, von dem sie so schnell nicht weg kommt. Ihre permanenten Ängste vor der Schwangerschaft und den Behandlungen durch den Adel sind greifbar und recht gut dargestellt. Bis zu etwa Seite 220 ist es hauptsächlich eine Geschichte um das Überleben, voller verständlicher Sorgen, mit ein bisschen langweiligem Hofgeplänkel und einigen Intrigen. Dann jedoch scheint der Autorin schlagartig eingefallen zu sein, dass ja noch gar keine Romantik vorkam - und innerhalb von 30 Seiten ist die Protagonistin unsterblich verliebt, völlig fasziniert und zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Sie nimmt jede Gefahr in Kauf und läuft sogar nachts zu ihrem Geliebten, weil sie ihn unbedingt haben muss - Kitsch ist für diesen Herzschmerz gar kein Ausdruck und Antilopen können nicht schneller laufen als sich diese Romanze entwickelt hat.

Ab diesem Zeitpunkt geht es also nur noch bergab. Die Hauptfigur kommt auf famose Ideen, die ihr größtenteils Ärger einbringen - und das, obwohl sie es deutlich besser hat als viele ihrer Genossinnen. Außerdem wäre es schön gewesen, tatsächlich noch etwas mehr über die Hintergründe dieser Welt zu erfahren (ist diese nun dystopisch oder doch phantastisch?) sowie über die der Kinderzeugung, die so gut wie gar nicht erklärt wird. Dafür überzeugt das Ende, nicht nur durch eine Entscheidung von Violet, sondern auch durch den kleinen Cliffhanger, den ich mir persönlich schon länger erhofft hatte. Aufgelöst wird dieser wohl in Band 2, der im Original noch dieses Jahr erscheinen soll.

FAZIT:
Amy Ewing verarbeitet in "Die Gabe" eine interessante Idee und schafft es, einen in der ersten Hälfte des Buches durchaus gut zu unterhalten. Dann jedoch beginnt die Liebesgeschichte, die nicht nur extrem kitschig ist, sondern auch viel zu viel Raum einnimmt. Darunter leidet die gesamte Geschichte, die von da an größtenteils bergab geht. Verschenktes Potenzial! Von mir gibt es dafür 2 Punkte.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Wird dem Hype gerecht

Angelfall - Fürchtet euch nicht
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Plötzlich werden sämtliche Gedanken an den Kampf von einem Schuss zerrissen.
Er kommt von irgendwo jenseits der Menge, doch er ist nah genug, um sämtliche Anwesenden in jäher Lautlosigkeit erstarren zu ...

Plötzlich werden sämtliche Gedanken an den Kampf von einem Schuss zerrissen.
Er kommt von irgendwo jenseits der Menge, doch er ist nah genug, um sämtliche Anwesenden in jäher Lautlosigkeit erstarren zu lassen.
Zwei weitere schnell aufeinander folgende Schüsse.
Dann hallt ein Schrei durch die Wälder. Ein sehr menschlicher, entsetzter Schrei.
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INHALT:
Vor wenigen Wochen hat die Apokalypse begonnen - ausgelöst durch Engel, die die Menschen jagen und die Städte zerstören. Inmitten des Chaos' muss sich Penryn um ihre Schwester Paige und ihre Mutter kümmern und sie vor Hunger und Gefahr bewahren. Doch dann geraten die drei mitten in einen Kampf zwischen mehreren der Krieger - und diese entführen Paige! Nun muss sich Penryn gemeinsam mit Raffe, einem Engel, dem die Flügel genommen wurden, auf die Suche begeben. Doch sie weiß nie so recht, ob sie ihm wirklich trauen kann...

MEINE MEINUNG:
Susan Ees selbtverlegtes Debüt "Angelfall" sorgte in Amerika für Furore - und wurde prompt zu einem absoluten Bestseller. Kann ein so gehyptes Buch den Erwartungen überhaupt stand halten? Nun, man sieht an diesem Werk - es ist durchaus möglich! Erzählt wird die Geschichte dabei im Präsens aus der Ich-Perspektive von Penryn selbst, was dem Leser einen sehr genauen Einblick in ihre Gedanken und Gefühle gibt. Der Schreibstil ist bildlich und detailreich, vermittelt einem auf schonungslose Weise die Brutalität der Apokalypse, und ist so unheimlich authentisch und atmosphärisch.

Penryn ist eine Protagonistin, in die ich mich von Anfang an hineinversetzen konnte. Durch die schrecklichen Dinge, die sie erleben musste, ist sie abgehärtet, aber auch eine glaubwürdige und völlig verständliche Verletzlichkeit schimmert immer wieder durch. Sie lebt immerzu in Sorge um ihre Familie und ist so absolut menschlich. Raffe ist als Engel in Mission natürlich sehr distanziert und eher wenig begeistert von dem Gedanken, Penryn helfen zu müssen. Zwischenzeitlich darf man jedoch hinter seine harte Fassade schauen und trifft dort auf einen jungen Mann, der sich gar nicht so sicher ist, was er nun eigentlich für eine Aufgabe hat. Die übrigen Charaktere sind aufgrund ihres wenigen Auftretens nicht ganz so großartig ausgearbeitet, überzeugen aber dennoch durch ihre Originalität - insbesondere natürlich Penryns paranoide und regelrecht gruselige Mutter.

Die Geschichte allerdings ist das, was es so richtig in sich hat. "Angelfall" handelt, wie es schon der Titel sagt, von Engeln - aber diese sind keine gutmütigen Wesen von großem Heldentum, sondern sie folgen Befehlen und rotten die Menschheit aus. Das geht mitunter ziemlich brutal zu, dadurch wird aber auch eine erschreckende und gleichzeitig faszinierende Realität geschaffen. Besonders schön ist es, dass in diesem Roman die Liebe einmal nicht im Vordergrund steht, sondern allenfalls noch eine kleine Prise mehr Adrenalin durch die Adern des Lesers jagt. Stattdessen geht es vor allem um die Suche nach Penryns Schwester - und die ist nicht nur nervenaufreibend, sondern auch spannend, mitreißend und grausam.

Denn nicht nur müssen die beiden ungleichen Gefährten mit allerlei Gefahren fertig werden, sie geraten auch noch in einen Zwiespalt zwischen Gut und Böse - denn sie können keinem vertrauen, nicht den übrigen Menschen, nicht dem jeweils anderen und auch nicht sich selbst. So kommt es zwischen den beiden zu einigen Wortgefechten und einem verst, die die Stimmung auflockern, sowie verständlichem Misstrauen, das sich nur langsam auflöst. Ansonsten ist der gesamte Roman sehr düster, bedrückend, einigermaßen blutig und so actiongeladen, dass man ihn einfach nicht mehr zur Seite legen mag. So muss das! Da ist es natürlich frustrierend, auf die deutsche Übersetzung des 2. Bandes warten zu müssen - aber das hält man nach diesem grandiosen Ende wohl auch noch aus.

FAZIT:
Susan Ees "Angelfall" ist einer der ganz wenigen Romane, der seinem Hype wirklich gerecht wird. Wer sich also davor fürchtet, seine Erwartungen hinterher enttäuscht zu sehen, braucht sich meiner Meinung nach wirklich keine Sorgen machen, denn das Buch ist unfassbar packend, brutal, grandios geschrieben und an einigen Stellen dezent, aber wunderbar gefühlvoll. Ich bin restlos begeistert und spreche eine totale Empfehlung aus. 5 Punkte!