Sinnfreier Weltentwurf
Die rote Königin (Die Farben des Blutes 1)Ich zähle die letzten Sekunden im Stillen herunter, mein Herz schlägt den Takt. Cal erspäht mich in der Menge, schenkt mir das Lächeln, das ich liebe, und setzt sich in Bewegung, um zu mir zu kommen. Aber ...
Ich zähle die letzten Sekunden im Stillen herunter, mein Herz schlägt den Takt. Cal erspäht mich in der Menge, schenkt mir das Lächeln, das ich liebe, und setzt sich in Bewegung, um zu mir zu kommen. Aber er wird mich nie erreichen, nicht bevor die Tat ausgeführt ist. Die Zeit scheint stehen zu bleiben, bis ich nur noch die schockierende Intensität spüre, die meine Fähigkeit in geschlossenen Räumen entwickelt. Wie beim Training, wie in meinen Stunden bei Julian lerne ich, sie zu kontrollieren.
Schließlich fallen vier Schüsse; sie lösen sich, begleitet von vier Stichflammen, aus den Pistolenläufen ganz oben im Saal.
Dann ertönen gellende Schreie.
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INHALT:
In Mares Adern fließt rotes Blut - was sie zu einer Dienerin der Mächtigen macht, gemeinsam mit ihren Leidensgenossen, den anderen "Roten". Denn in den Adern der höher gestellten "Silbernen" fließt silbernes Blut, das ihnen übernatürliche Fähigkeiten und damit die Herrschaft über die einfachen Bürger verleiht. Doch als Mare ihre neue Arbeit im Schloss ebenjener Unterdrücker antritt, geschieht etwas Unvorhergesehenes - und sie setzt Kräfte frei, die sogar den Silbernen Angst machen. Damit scheint eine Revolution möglich, aber es bringt Mare auch in tödliche Gefahr...
MEINE MEINUNG:
Victoria Aveyards Auftakt ihrer geplanten Trilogie rund um "Die Farben des Blutes" [so im Deutschen, im Original einfach "Red Queen"] bedient sich einem altbekannten Konzept: Eine dystopische Zukunft; eine Zwei-Klassen-Gesellschaft mit Gut und Böse; eine Protagonistin aus dem unterdrückten Volk, die zum Gesicht der Rebellion wird und eine Liebesgeschichte mit mindestens zwei möglichen Kandidaten - wobei, wenn einer ausfällt, praktischerweise sofort ein neuer zur Hand ist. "Die rote Königin" wirkt wie auf Erfolg ausgelegt, was auch wunderbar funktioniert, denn das Buch ist sowohl im Original als auch in der Übersetzung eingeschlagen wie eine Bombe. Aber erklären soll mir das mal einer...
Mare ist eine überwiegend unerträgliche Hauptfigur. Sie bemitleidet sich während ihres Lebens als Rote und sie bemitleidet sich während ihres Lebens als Silberne. Ansonsten ist sie sehr passiv, weil sie sich selten traut, wirklich für ihre Sache einzustehen - dennoch wird sie von fast ausnahmslos jedem Mann vergöttert. Erst zum Ende hin beginnt sie, eigenständig zu denken, muss aber dennoch dauernd gerettet werden. Cal ist Love-Interest Nummer 1 und der übliche schöne Mann, der eigentlich nicht zugänglich ist - hier, weil er der ausnahmslos als Zicke beschriebenen Evangelina versprochen ist. Cal ist überraschend glaubwürdig, weil er sich nicht komplett für Mare aufgibt, und konnte daher tatsächlich meine Sympathien erlangen. Auch Maven, Love-Interest Nummer 2, ist ein ganz nett aufgebauter männlicher Charakter, wirkt aber an vielen Stellen zu perfekt, und das Geheimnis, das er hat, ist ziemlich weit hergeholt. Die sonstigen Figuren bleiben ausnehmend blass und besonders die Frauen sind entweder verschlagen oder böse, jemand ähnlich Guten wie Mare gibt es außer ihrer Schwester nicht.
Abgesehen von den ziemlich mauen Charakteren scheint die Autorin aber auch kein rechtes Händchen für ihren Weltentwurf gehabt zu haben - oder die bahnbrechenden Erklärungen kommen noch in den folgenden Bänden. Hier jedenfalls wird mit keinem Wort erwähnt, wie es dazu kommen konnte, dass es zwei Arten von Menschen gibt, die sich durch ihr Blut unterscheiden, und dass die Silbernen magische Fähigkeiten besitzen. Denn anscheinend ist der Roman nicht wie vermutet High Fantasy, sondern Dystopie - es gibt schließlich Technik, Elektrizität und sogar Motorräder. Wo also bleiben die Hintergründe, die all diese Elemente miteinander verbinden würden? Möglicherweise ist dieses Problem darin begründet, dass sich so stark auf das ewige Geplänkel im Schloss und die verschiedenen Intermezzi mit den vielen Kerlen konzentriert wird, anstatt die übrigen Themen voranzutreiben.
Zugute halten muss man dem Buch, dass es absolut flüssig geschrieben ist, sodass sich die 500 Seiten weg lesen lassen wie nichts und die Beschreibungen sind dabei überwiegend bildlich und detailreich, wodurch man sich vieles gut vorstellen kann. Auch wird es zum Ende hin sehr spannend, weil sehr glaubwürdig nicht alles glatt läuft, was dem Ganzen etwas Authentizität verleiht. Allerdings hat mir der große Plot Twist, der von vielen so begeistert aufgenommen wurde, gar nicht gefallen. Er ist nicht nur vorhersehbar, sondern irgendwie auch ein billiges Mittel, um eine bestimmte Person aus dem Weg zu schaffen. Letztendlich bleibt abzuwarten, ob alle noch offenen Stränge in den Folgebänden bis zur Auflösung verfolgt werden. Das werde ich aber wohl eher nicht mehr miterleben.
FAZIT:
Victoria Aveyard hat mit "Die rote Königin" eine nicht erklärte Mischung aus High Fantasy und Dystopie geschaffen, die so vom Weltentwurf bisher reichlich wenig Sinn ergibt. Die Figuren wirken oft eindimensional und insbesondere die Protagonistin tötet einem den letzten Nerv, während die typische Dreiecksgeschichte ihr Übriges dazu tut. Wohl eher etwas für Neulinge in diesen Genres. 2 Punkte.