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Veröffentlicht am 03.06.2018

Fesselnd und gut durchdacht - halt ein echter "Kornbichler"!

Der letzte Gast
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Wenn ein neuer „Kornbichler“ erscheint, weiß ich schon, dass ich jederzeit zugreifen kann, denn die Romane und Krimis der Autorin haben mich bisher noch nie enttäuscht.
Auch mit ihrem neuen Krimi „Der ...

Wenn ein neuer „Kornbichler“ erscheint, weiß ich schon, dass ich jederzeit zugreifen kann, denn die Romane und Krimis der Autorin haben mich bisher noch nie enttäuscht.
Auch mit ihrem neuen Krimi „Der letzte Gast“ hat sie wieder meine volle Aufmerksamkeit eingefangen und mich gefesselt.
Die Protagonistin Mia war mir sofort sympathisch. Sie ist ehrlich, geradlinig, und nach allem, was ich über sie gelesen habe, schätze ich sie als einen spontanen Menschen ein. Für sie ist der Fall eigentlich sehr schnell klar, so viele Details sprechen für den Täter. Entsprechende Hinweise gibt sie auch der Polizei. Damit bringt sie die komplette Familie des Verdächtigen gegen sich auf. Sie kennt alle Beteiligten bereits seit ihrer Kindheit, lernt aber nun an einigen von ihnen ganz andere Seiten kennen. Alle Charaktere samt ihrer Reaktionen auf den Mord werden von Sabine Kornbichler sehr ausführlich und differenziert dargestellt.
Mia lässt die Geschichte keine Ruhe, denn der gewaltsame Tod von Berna geht ihr sehr nahe. Sie meint, die Motive für den Mord zu kennen, aber dann kommen ihr Zweifel, und sie stellt auf eigene Faust Nachforschungen an. Hat sie sich in ihrem ersten Eindruck getäuscht – oder doch nicht?
Die Geschichte, die aus Mias Sicht erzählt wird und die anfangs so eindeutig aussieht, entwickelt sich mit der Zeit zu einem verschlungenen und weit verzweigten Labyrinth. Bis zuletzt kann man sich seiner Sache nicht sicher sein, immer wieder sät die Autorin berechtigte Zweifel.
Mit Mia hat die Story eine Protagonistin, die keine Ermittlerin ist, sondern eine Zeugin, mit emotionalen Bindungen, sowohl zum Mordopfer als auch zu einigen Verdächtigen. Ich muss gestehen, dass ich nicht alle von Mias Entscheidungen nachvollziehen konnte, so fand ich beispielsweise eine gewisse Einladung durch die Mutter des Mordverdächtigen ziemlich suspekt. Ich habe versucht, Mias Beweggründe nachzuvollziehen, konnte mir aber keinen Reim darauf machen, wieso Mia hier zugesagt hat, denn es war für mich vorauszusehen, dass die Sache eskaliert. Vielleicht wollte die Autorin hier aber nur klar machen, dass eine Provatperson wie Mia eben oft ganz anders reagiert als ein Profi-Ermittler.
Das ist aber nur ein klitzekleiner Punkt, der mich irritiert hat. Ansonsten empfand ich den Krimi durchgehend als fesselnd und sehr interessant. Ich mag den Schreibstil der Autorin sehr, und gut gefällt mir, dass sich die Handlung in München abspielt, so dass ich mir einige der Schauplätze besonders gut vorstellen konnte. So habe ich Mia im Geiste gerne bei ihren Spaziergängen mit den Hunden oder mit ihrer lebensklugen Nachbarin Grete begleitet.
Von mir gibt es für diesen Krimi eine absolute Leseempfehlung, nicht nur für Kornbichler-Fans!

Veröffentlicht am 29.05.2018

Revolution im Herzen

Revolution im Herzen
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2018 ist ein Karl-Marx-Jahr, denn der Geburtstag des großen Philosophen und Denkers jährt sich heuer zum zweihundertsten Mal, ein guter Zeitpunkt und Grund, sich etwas näher mit seinem Leben und Wirken ...

2018 ist ein Karl-Marx-Jahr, denn der Geburtstag des großen Philosophen und Denkers jährt sich heuer zum zweihundertsten Mal, ein guter Zeitpunkt und Grund, sich etwas näher mit seinem Leben und Wirken auseinander zu setzen. Karl Marx war mir bisher nur durch seine kommunistischen Schriften bekannt, denn er war einer der ersten, die sich Gedanken um die gesellschaftliche Entwicklung und das Schicksal der Arbeiter während der fortschreitenden Industrialisierung machte. Über Karl Marx, den Privatmann, Ehemann und Vater wusste ich bisher so gut wie nichts.
Die Schwestern Claudia und Nadja Beinert haben ihm nun auf sehr besondere Weise einen Roman gewidmet, in dem man viel über ihn erfährt, obwohl er nicht die Hauptperson ist. Hier wird die Geschichte aus der Sicht der Helena Demuth erzählt. Lenchen, wie sie von den meisten liebevoll genannt wurde, stammte aus einer armen Tagelöhnerfamilie und kam als Dienstmädchen nach Trier, in das Elternhaus von Karl Marx' späterer Ehefrau Jenny. Von dort wechselte sie später in den Marxschen Haushalt und war nicht nur Dienstmädchen und Kinderfrau, sondern zugleich auch eine enge Vertraute, sowohl von Jenny als auch von Karl Marx.
Lenchen Demuth ist die Ich-Erzählerin dieses inhaltsträchtigen und lebendigen Romans, der den Leser in eine Zeit versetzt, als vieles im Umbruch war. Da sich die Autorinnen sehr stark an der Realität orientiert haben, hat man ein sehr deutliches Bild vor Augen, wie die Familie Marx damals lebte. Wenn Änderungen an den Tatsachen aus dramaturgischen Gründen vorgenommen werden mussten, so taten die Autorinnen dies sehr behutsam. Bei den lebhaften und farbigen Beschreibungen der verschiedenen Charaktere, die im Roman vorkommen, hat man fast den Eindruck, diese persönlich kennenzulernen
Lenchen, das einfache Dienstmädchen, das sicher im Haushalt alle Hände voll zu tun hatte, war daneben wissbegierig und lernbereit und nahm großen Anteil am Weltgeschehen, an Kultur und Politik. Sie soll sogar Schach gegen Karl Marx gespielt haben, und nicht nur das Ehepaar Marx, sondern auch Freunde der Familie, schätzten sie als Gesprächspartnerin, Ratgeberin und Kritikerin.
Auch erfahren wir hier ein offenes Geheimnis, denn Lenchen war auch Karls Geliebte, und die beiden hatten einen gemeinsamen Sohn. Wie das alles in die Familiengeschichte passte und was genau damals vorgefallen ist, welche Gefühle im Spiel waren, das werden wir nie erfahren, denn dieses Wissen haben die Protagonisten mit ins Grab genommen. Die Geschichte, wie sie die Schwestern Beinert sehr einfühlsam um die historischen Tatsachen konstruiert haben, klingt jedenfalls von Anfang bis Ende glaubwürdig und nachvollziehbar.
Der Schreibstil dieses interessanten Romans ist angenehm flüssig und bildhaft, manchmal wehmütig oder traurig, dann wieder humorvoll und optimistisch, immer im Rhythmus des wahren Lebens. In Lenchens Erzählung fließen viele philosophische Gedanken mit ein, und man erfährt sehr viel über die damalige Ära und ihre Zeitgenossen. Die Autorinnen machen es dem Leser leicht, intensiv in die Geschichte einzutauchen, so brillant beschreiben sie die Atmosphäre der damaligen Zeit. Man kommt beim Lesen dieses Romans kaum umhin, sich näher mit den beteiligten Personen zu befassen, zumindest erging es mir so. Neben dem Roman habe ich mich in alle Berichte vertieft, in denen es um die Familie Marx ging. Das Betrachten alter Bilder hat mir die einzelnen Personen noch näher gebracht. Am Ende des Romans angekommen habe ich das Buch sehr zufrieden zugeklappt, denn ich habe nicht nur spannende Lesestunden erlebt, sondern auch sehr viel Neues über die Geschichte des 19. Jahrhunderts erfahren. Ein leises Bedauern mischte sich schon unter die Zufriedenheit, denn Lenchen war mir im Verlauf der Geschichte richtig ans Herz gewachsen, und es fiel mir schwer, Abschied von ihr und der Familie Marx zu nehmen. Die vermittelten Eindrücke und Gefühle sind nachhaltig, und ich weiß sicher, dass ich dieses Buch noch öfter zur Hand nehmen werde.

Veröffentlicht am 26.05.2018

Wahre Freundschaft und Liebe kennen keine Hautfarbe

Summ, wenn du das Lied nicht kennst
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Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht von zwei sehr unterschiedlichen Protagonistinnen erzählt. Da ist einmal die neunjährige Robin Conrad, ein weißes Mädchen, dass in den Siebzigerjahren in behüteten ...

Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht von zwei sehr unterschiedlichen Protagonistinnen erzählt. Da ist einmal die neunjährige Robin Conrad, ein weißes Mädchen, dass in den Siebzigerjahren in behüteten Verhältnissen aufwächst, bis eines Tages ihre Eltern nicht nach Hause kommen, weil sie von Schwarzen getötet wurden. Für Robin ändert sich das ganze Leben, denn sie muss zu ihrer Tante Edith, einer Stewardess, die mit Kindern so gar nichts am Hut hat.
Robin fühlt sich allein und verlassen, denn sie hat nicht nur ihre Eltern verloren, sondern auch ihr vertrautes Zuhause und ihr geliebtes Kindermädchen. Von Edith fühlt sie sich nicht angenommen, denn für ihre Tante stellt sich die Frage, wie sie die Zukunft mit ihrer Nichte und ihrem Beruf unter einen Hut bringen soll.
Hier kommt Beauty Mbali ins Spiel. Die zweite Ich-Erzählerin ist eine verwitwete Xhosa-Frau und Lehrerin aus der Transkei. Auf der Suche nach ihrer Tochter, die in den Wirren des Aufstands von Soweto verschollen ist, kommt sie nach Johannesburg. Da sie als Schwarze eine Anstellung und einen Ausweis benötigt, um sich in Johannesburg aufhalten zu dürfen, trifft sie ein Arrangement mit Edith, so dass diese weiterhin ihrem Beruf nachgehen kann und Beauty sich in der Zwischenzeit um Robin kümmert.
Nach den ersten Annäherungsproblemen entsteht eine innige Freundschaft zwischen Robin und Beauty. Für das neunjährige Mädchen tun sich, durch das abwechselnde Zusammenleben mit Edith und Beauty, völlig neue Sichtweisen auf. Sie lernt, dass man Menschen weder nach ihrer Hautfarbe noch nach ihrer Gesinnung beurteilen kann. Nicht nur sie hat ihre Eltern verloren, nicht nur Schwarze ermorden Weiße, sondern auch umgekehrt werden zahlreiche Verbrechen begangen. So muss Robin erfahren, dass weiße Sanitäter nicht bereit sind, zu helfen, als Beauty schwer erkrankt.
Die Handlungsstränge aus Robins und Beautys Sicht sind sehr unterschiedlich. Man lernt die beiden Erzählerinnen sehr intensiv kennen, wobei mich Beauty mit ihren Ausführungen stärker berühren konnte. Robin hat in ihrem jungen Leben schon Schlimmes durchgemacht und schwere Verluste erlitten. Das macht sich zum Teil auch in ihrem Verhalten bemerkbar. Einerseits ist sie verunsichert, andererseits aber auch recht forsch, und so manches, was sie im Lauf der Handlung anstellt, hat leise Zweifel in mir geweckt, denn sie begibt sich in Situationen, die für ein kleines Mädchen doch sehr ungewöhnlich sind. Ihr Verhalten schwankt manchmal zwischen Unvernunft und Altklugheit und bringt ihr so manche tiefschürfende Erkenntnis, was ich ihr, in Anbetracht ihres Alters, nicht immer hundertprozentig abnehmen konnte. Am Ende der Geschichte gab es für mich auch noch ein paar ungeklärte Punkte, aber eine Anmerkung der Autorin lässt mich hoffen, dass Beautys und Robins Geschichte vielleicht eine Fortsetzung haben wird.
Insgesamt hat mich dieser Debütroman stark beeindruckt. Er bietet Einblicke in eine Zeit, als in Südafrika noch die Apartheid vorherrschte. Im Roman kommt die Kluft in der Bevölkerung sehr deutlich zum Ausdruck, nicht nur zwischen Schwarz und Weiß, sondern auch zu allen Andersdenkenden.
Bianca Marais ist selbst in Südafrika aufgewachsen. Sie wurde im Jahr des Soweto-Aufstands geboren und widmet diesen Roman ihrem schwarzen Kindermädchen Eunice, die ihr etwas sehr Wichtiges beibrachte, nämlich, dass Liebe farbenblind ist.

Nicht unerwähnt möchte ich die wunderschöne Ausstattung dieses Buches lassen. Die Ausgaben, die der Wunderraum-Verlag veröffentlicht, sind etwas Besonderes und jeder Band für sich ein kleiner Schatz. Alle Bücher sind mit einem hochwertigen Leinenrücken, einem hübsch bedruckten Lesebändchen und wunderschön farblich abgestimmtem Vorsatzpapier ausgestattet und wirken dadurch sehr edel. Da der Verlag auch besondere Geschichten veröffentlicht, die abseits vom Mainstream, aber gerade darum sehr lesenswert sind, werde ich mich künftig sicher öfter bei den Wunderraum-Neuerscheinungen umsehen.

Veröffentlicht am 22.05.2018

Grundsätzlich ein schöner Cozy-Krimi, aber leider wird man von der Flut an genealogischen Fakten schier erschlagen.

Mordsg'schicht
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Das Dörfchen Zwirnbach, in dem dieser Krimi spielt, ist ein fiktiver Ort, ebenso wie all seine Bewohner. Juliana Kallberger lebt hier mit ihrem Mann. Ihr Hobby, ihre große Leidenschaft, ist die Genealogie. ...

Das Dörfchen Zwirnbach, in dem dieser Krimi spielt, ist ein fiktiver Ort, ebenso wie all seine Bewohner. Juliana Kallberger lebt hier mit ihrem Mann. Ihr Hobby, ihre große Leidenschaft, ist die Genealogie. Juliana erstellt einen weit verzweigten Familienstammbaum und führt einen Blog, auf dem sie über ihre neuesten Ergebnisse berichtet und sich mit anderen Ahnenforschern austauscht.
Zufällig stößt sie auf einen seltsamen Todesfall. Der als Selbstmord dargestellte Tod des Joseph Mayerhofer im Jahr 1902 macht Juliana stutzig. Es gibt zu viele Ungereimtheiten, und je mehr die Protagonistin darüber erfährt, umso stärker beschäftigt sie der Gedanke, es könnte damals auch Mord gewesen sein.
Juliana stürzt sich eifrig in die Nachforschungen, muss aber schon bald erfahren, dass ihre Recherchen wohl irgend jemandem in die Quere kommen..
Das vorliegende Buch, bei dem es sich um einen klassischen Cozy-Krimi handelt, scheint der Auftakt einer neuen Reihe zu sein. Zu dem fiktiven Örtchen Zwirnbach gibt es sogar eine eigene Website, auf der man nicht nur den ausführlichen Stammbaum der von den damaligen Todesfällen betroffenen Familie Mayerhofer findet, sondern daneben auch mehr über die Autorin und ihr Debüt erfährt. Außerdem kann man dort Wissenswertes über die Ahnenforschung nachlesen und findet zudem Julianas Blogeinträge vor, was sich als sehr hilfreich erweist, denn ich muss gestehen, dass ich beim Lesen des Buches die vielen Namen der Mayerhofer-Ahnen ständig durcheinandergebracht habe. Grundsätzlich finde ich das Thema interessant, und die Autorin, die im übrigen das Hobby Genealogie mit ihrer Protagonistin teilt, hat es sehr intensiv aufbereitet, für mein Empfinden jedoch fast zu gründlich. Es geht im Roman sehr viel um das Finden interessanter Daten, um Tipps, wie man an so eine Sache herangeht und um das Erstellen und Ergänzen von Stammbäumen. Man merkt, dass die Autorin ihr Hobby mit Leidenschaft ausübt und pflegt. Ich als Laie auf diesem Gebiet habe mich von der immensen Wissensflut jedoch förmlich erschlagen gefühlt. Die Zwirndorf-Seite habe ich leider erst im Nachhinein entdeckt und konnte dort noch ein wenig nachschlagen, wer denn nun genau mit wem verwandt ist. Die Klärung des Falls im Buch kann man jedoch auch nachvollziehen, wenn man nicht alle Verwandtschaftlichen Verzweigungen genau im Kopf behalten hat.
Vom Schreibstil her ist der Krimi gut und kurzweilig, lässt man die bereits erwähnten sehr gründlichen Ausführungen außer Acht, die ich leider etwas ermüdend fand. Juliana und ihr Mann sind sympathische Zeitgenossen und auch kulinarischen Genüssen nicht abgeneigt. So lernt man nebenbei auch einige österreichische Schmankerl kennen, denn bei der Protagonistin und ihrer Familie wird gut und gerne gegessen.
Ich war schnell durch, denn der Krimi hat nur 232 Seiten. Insgesamt fand ich es interessant und amüsant, mal eine völlig andere „Ermittlerin“ kennenzulernen und die Handlung zu verfolgen, die zugegebenermaßen etwas aus dem Rahmen fällt. Ich denke, die Reihe ist auf jeden Fall entwicklungsfähig, denn hier ist noch reichlich Potential für weitere Fälle vorhanden.

Veröffentlicht am 14.05.2018

Ein unwahrscheinlich berührender Roman, der unter die Haut geht.

Die Farbe von Milch
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Die fünfzehnjährige Mary lebt mit ihrer Familie auf einem Bauernhof. Das Leben ist karg und hart. So müssen Mary und ihre Schwestern schwer arbeiten. Für die Sorgen und Nöte ihrer Töchter haben die Eltern ...

Die fünfzehnjährige Mary lebt mit ihrer Familie auf einem Bauernhof. Das Leben ist karg und hart. So müssen Mary und ihre Schwestern schwer arbeiten. Für die Sorgen und Nöte ihrer Töchter haben die Eltern kein Verständnis. Der Vater hätte Söhne gewollt und nur Töchter bekommen. Er ist unberechenbar und gewalttätig, und die Mutter verschließt die Augen vor der Not der Mädchen. Selbst zwischen den Schwestern ist das Verhältnis meist angespannt. Lediglich bei ihrem Großvater, der durch eine Krankheit gehbehindert ist, findet Mary Verständnis. Sie ist die einzige in der Familie, die sich um den alten Mann kümmert. Das Leben ist alles andere als leicht für Mary, und doch ist sie ein optimistischer Mensch, so dass sie sogar der Arbeit noch etwas Schönes abgewinnen kann. Trotz des lieblosen Umgangstons hängt sie an ihrer Familie. Das wird spürbar, als der Vater sie eines Tages zum Pfarrhaus schickt, um die kranke Ehefrau des Dorfpfarrers zu pflegen. Einerseits geht es ihr in dieser neuen Umgebung besser. Die Frau des Pfarrers mag sie sehr und schätzt die Gesellschaft und die offene, ehrliche Art des jungen Mädchens. Und doch packt Mary immer wieder das Heimweh und die Sehnsucht nach dem Bauernhof, und nicht nur einmal schleicht sie sich davon, um ihre Familie zu besuchen. Als einige Zeit später die Pfarrersfrau stirbt, bringt dies einige Veränderungen mit sich, die Marys Leben überschatten.

„Dies ist mein Buch und ich schreibe es eigenhändig. Es ist das Jahr des Herrn achtzehnhundertundeinunddreißig und ich bin fünfzehn geworden und sitze an meinem Fenster und kann viele Dinge sehen...“ Mit diesen Worten beginnt der Roman. Man staunt darüber, wenn man bedenkt, wie Mary aufgewachsen ist. Durch die viele Arbeit auf dem Hof blieb für Schulbildung keine Zeit.
Im ersten Moment habe ich gestutzt, denn der Schreibstil ist außergewöhnlich, aber je mehr man über die Ich-Erzählerin erfährt, umso passender erscheint er, denn Mary hat zwar das Lesen und Schreiben gelernt, aber darüber hinaus keine weitere Schulbildung genossen. Dass das Formulieren von Sätzen für die Protagonistin nicht alltäglich ist und ihr auch nicht leicht fällt, hat die Autorin in ihrem Roman sehr gut zum Ausdruck gebracht, und dieses Besondere wurde auch in der deutschen Übersetzung berücksichtigt. Mary schreibt einfach und schnörkellos, zugleich aber sehr bildhaft, und ihre Geschichte ist mit vielen Metaphern geschmückt. Die geradlinige junge Frau hat eine außerordentliche Art, ihre Gedanken und Gefühle auf den Punkt zu bringen. Zwar kennt Mary alle Buchstaben und kann sie zu Worten und Sätzen fügen, aber ihrem Geschriebenen fehlt weitgehend die Interpunktion. Nur Punkte am Satzende hat sie gesetzt. Dadurch wirkt ihre Geschichte atemlos, gehetzt, was letztendlich auch Marys Lebenssituation deutlich widerspiegelt.
Worauf alles hinausläuft, zeichnet sich schon nach und nach im letzten Drittel des Romans ab und ist also in gewisser Weise vorhersehbar, und doch hat mich das Ende kalt erwischt und aufgewühlt. Ich hatte selten ein Buch in der Hand, das mir, aus mehreren Gründen, derart unter die Haut gegangen ist wie dieses. Das liegt einmal an dem unwahrscheinlich starken Charakter der Ich-Erzählerin, die selbst in schwierigen Situationen meist noch eine Spur ihres trockenen, manchmal auch bitteren Humors behält. Was die junge Frau erlebt und niederschreibt, war für die damalige Zeit nicht außergewöhnlich, aber das Grundproblem kann, losgelöst von Marys Geschichte, in jedem anderen Zeitalter, auch in unserem, ähnlich bestehen! Hier wurde ein brisantes Thema in eine frugale Geschichte verpackt, und die Art und Weise, wie das geschehen ist, macht das Buch für mich zu einem Meisterstück.