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Veröffentlicht am 02.03.2017

Atlas - frei zum Abschuss

Atlas – Frei zum Abschuss
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Dies ist bereits der zweite Band um den BKA-Zielfahnder Andreas Atlas. Den ersten Teil habe ich nicht gelesen, hatte aber keinerlei Probleme, mich in die Handlung hinein zu finden. Trotzdem kann dieses ...

Dies ist bereits der zweite Band um den BKA-Zielfahnder Andreas Atlas. Den ersten Teil habe ich nicht gelesen, hatte aber keinerlei Probleme, mich in die Handlung hinein zu finden. Trotzdem kann dieses Buch nicht für sich allein stehen, worauf ich am Ende der Rezension noch eingehen werde.
Atlas ist ein sympathischer Charakter, wirkt aber, bedingt durch seine Vergangenheit, etwas verloren in seiner alten Heimatstadt. Aber er hat auch Freunde wiedergefunden und lebt mit Grete, einer Lehrerin und ihrem autistischen Sohn zusammen auf einem alten Gutshof. Er hätte nie gedacht, dass er sich in der Gegend seiner Kindheit jemals wieder so wohl fühlen könnte. Eigentlich möchte er nur das Leben mit seiner Grete und mit Lars genießen und in Ruhe gelassen werden. Aber da gibt es noch das Problem mit den Millionen, die er bei seiner Flucht aus Mexiko zur Seite geschafft hatte. Sie waren seine Sicherheit, um irgendwo ein neues Leben anfangen zu können. Der autistische Lars, der sehr an Andreas hängt, hat jedoch den Koffer mit dem Geld versteckt, und Atlas weiß nicht, wohin.
Nun ist ihm auch noch das Drogenkartell auf den Fersen und bedroht nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das der Menschen, die ihm nahe stehen. Eigentlich will er Grete nicht verlassen, aber um ihrer Sicherheit willen sieht er sich dazu gezwungen, denn das Drogenkartell hat einen Mann auf ihn angesetzt, der ihm bedrohlich nahe kommt und bei seinem Job über Leichen geht.

Martin Calsows Schreibstil ist sehr einnehmend und fesselnd. Dabei bringt er ab und zu auch eine Portion trockenen Humor in die an sich ernste Handlung ein. Man hat sehr intensives Kopfkino, wenn der Autor diverse Situationen so lebendig beschreibt, und bei manchen Szenen bleibt einem glatt vor Spannung die Spucke weg. Atlas, der nach außen hin gerne sein Pokerface aufsetzt und auf den ersten Blick knallhart wirkt, was er in der Vergangenheit, in einer Welt der Drogenkriminalität durchaus sein musste, hat jedoch auch eine sensible Seite und trägt jede Menge Ängste mit sich herum. Das nimmt man ihm auch jederzeit ab, und besonders sein gutes Verhältnis zu Lars, dem autistischen Sohn seiner Partnerin, wie er auf ihn eingeht und sich für ihn einsetzt, hat ihn mir sehr sympathisch gemacht. Auch die weiteren Charaktere in seinem Umfeld haben etwas Liebenswertes.
Dieser Krimi ist gut und kurzweilig geschrieben und bringt jede Menge Spannung mit. Auch wenn man so manches über die Gegend um den Teutoburger Wald erfährt und stellenweise die Atmosphäre direkt spüren kann, würde ich ihn nicht unbedingt als typischen Heimatkrimi sehen.

Die Geschichte hat einerseits ein gutes Ende, aber im Epilog geschieht etwas, das mich auf eine Fortsetzung hoffen lässt, denn ich empfand das als starken Cliffhanger, der geradezu nach einem weiteren Band schreit.

Veröffentlicht am 12.02.2017

Die Flügel der Freiheit

Die Flügel der Freiheit
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Die Geschichte behandelt die Ereignisse im Zeitraum zwischen 1522 und 1525, von dem Zeitpunkt an, als Luther sein Exil auf der Wartburg verließ, weil ihm zu Ohren kam, dass radikale Kräfte der Reformation ...

Die Geschichte behandelt die Ereignisse im Zeitraum zwischen 1522 und 1525, von dem Zeitpunkt an, als Luther sein Exil auf der Wartburg verließ, weil ihm zu Ohren kam, dass radikale Kräfte der Reformation in Wittenberg überhand nahmen und dem dramatischen Höhepunkt des Deutschen Bauernkriegs, der Schlacht bei Frankenhausen, die für die Aufständischen so tragisch endete.
Im Großen und Ganzen geht es im Roman um das Verhältnis zwischen Martin Luther und seinem früheren Mitstreiter Thomas Müntzer. Aus den ehemaligen Brüdern im Geiste sind mittlerweile erbitterte Gegner geworden.
Man erfährt ausführlich über die Beweggründe, die zu dem tiefen Zwist führten. Besonders Thomas Müntzers Rolle bei den dramatischen Entwicklungen wird deutlich aufgezeigt. Man erfährt, was Müntzer antreibt. Im Gegensatz zu Luther wählt er den radikalen Weg, die offene Konfrontation, fernab von jeglicher Diplomatie, und man vernimmt, wie ihm sein verbissener Fanatismus letztendlich zum Verhängnis wurde. Liest man ein wenig in Geschichtsbüchern über die damalige Zeit nach, dann wird einem bewusst, wie detailliert Tilman Röhrig auch für diesen Roman wieder recherchiert hat. Dies war nicht meine erste Begegnung mit den Werken des Autors. Was seine Bücher gemein haben, ist der bildhafte, außergewöhnliche und sehr markante Schreibstil, den ich bereits in seinem Roman „Die Könige von Köln“ schätzte und den ich auch hier wieder sehr genossen habe.

Um die historisch belegten Fakten, die diesen Roman ausmachen, rankt sich auch noch eine fiktive Geschichte um ein junges Paar. Barthel, ein Formenschneidergeselle bei Lucas Cranach, ist verliebt in die hübsche Imkerin Dorothea Gerlach. Bei ihrem Vater hält er um die Hand seiner Geliebten an, doch der Spenglermeister Konrad Gerlach gerät immer mehr in Thomas Müntzers Bann und tut alles, um dem radikalen Geistlichen zu gefallen, und so lässt er sich schnell überzeugen, Dorlein anderweitig zu verheiraten. Durch Konrad Gerlachs Vereinbarung mit Müntzer stürzen die verbohrten Männer gleich mehrere junge Menschen ins Unglück.

„Die Flügel der Freiheit“ ist ein ausdrucksstarker Roman, der einem die Geschichte der Reformation in sehr lebendiger Weise nahe bringt und auch die Hintergründe beleuchtet. Die eingeflochtene Liebesgeschichte zwischen Barthel und Dorlein bringt neue Aspekte in die Handlung und lockert diese auf.

Ein ausführliches Personenverzeichnis und eine Aufstellung der erwähnten Handlungsorte runden das Buch sehr gelungen ab. Nicht unerwähnt lassen möchte ich die wunderschöne Einbandgestaltung und hochwertige Ausstattung, mit Lesebändchen und einer übersichtlichen Karte von Thüringen auf den inneren Buchdeckeln, die ich gerne zwischendurch zu Rate gezogen habe. Alles in allem ist dies ein großartiger Roman, der mich von der ersten bis zur letzten Seite fesseln konnte und noch lange in meinem Gedächtnis nachhallt. Gerade heuer, im fünfhundertsten Jubiläumsjahr der Reformation, ist dieser Roman besonders passend.

Veröffentlicht am 26.01.2017

Großartiger dritter Teil der Fleury-Saga

Das Gold des Meeres
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„Das Gold des Meeres“ ist der dritte Teil der Fleury-Saga. Diesmal lernt man auch bereits die dritte Generation der Fleurys kennen. Die Handlung beginnt im Jahr 1256, hier wird im Prolog die Vorgeschichte ...

„Das Gold des Meeres“ ist der dritte Teil der Fleury-Saga. Diesmal lernt man auch bereits die dritte Generation der Fleurys kennen. Die Handlung beginnt im Jahr 1256, hier wird im Prolog die Vorgeschichte erzählt. Drei Jahre später steht das erfolgreiche Handelshaus Fleury vor dem Ruin. Vom Großvater Michel Fleury gegründet und zu wahrem Wohlstand gebracht, ist die Firma nun am Ende. Balian Fleury musste nach dem gewaltsamen Tod seines Bruders die Geschäfte alleine weiterführen, aber im Gegensatz zu seinem verstorbenen Bruder hat er die kaufmännischen Fähigkeiten seines Großvaters nicht geerbt.
Um nicht im Schuldturm zu landen, sieht Balian nur eine Möglichkeit, um das Handelshaus und die Familienehre zu retten. Zusammen mit seiner Schwester Blanche schließt er sich einer Gruppe von Kaufleuten an, die eine riskante Reise auf sich nehmen, um ihr Glück auf Gotland zu machen. Die langwierige Reise birgt viele Gefahren, und als die Gruppe in Varennes Saint Jacques aufbricht, haben die Kaufleute keine Ahnung, was unterwegs auf sie wartet. Ihre abenteuerliche Handelsfahrt führt sie von Lothringen aus quer durch das heilige römische Reich, bis weit in den Nordosten. Bereits unterwegs geraten sie nicht nur einmal in Situationen, wo sie gerade noch mit den nackten Leben davon kommen. Ihre Pläne und ihr Vorhaben, in Gotland Handel zu betreiben, ist so manchem ein Dorn im Auge, und so sehen sie sich mit mächtigen Gegnern konfrontiert, gegen die sie kaum gewinnen können. Unterwegs erhält Balian, der als Kaufmann keine Anerkennung erfahren hat, nun immer wieder die Gelegenheit, seine wahren Fähigkeiten gewinnbringend einzusetzen. Aber bei allen Bemühungen, das Handelshaus Fleury zu retten, gibt es noch etwas, das Balian antreibt, denn im Hinterkopf hat er den Wunsch, den Tod seines Bruders zu rächen.

Äußerlich passt sich auch dieser dritte Band perfekt den Vorgängern an. Das Cover ist ganz im Stil mittelalterlicher Buchmalerein gestaltet, indem die Initiale des Titels den Rahmen für eine Miniatur bildet. Diese Gestaltung passt wunderbar zur Saga um das Handelshaus Fleury, denn sowohl Balians Vater als auch seine Schwester üben den Beruf des Buchmalers aus.
Schon vorab und auch während des Lesens ist es interessant, immer einmal einen Blick auf die inneren Buchdeckel zu werfen. Diese können aufgeklappt werden, und vorne im Buch findet man den Stammbaum der Fleurys. Der hintere innere Buchdeckel zeigt eine Karte, auf der man die Reise der Händler aus Varennes Saint Jacques mitverfolgen kann. Hier sieht man die Ausdehnung des Heiligen Römischen Reiches, und man erkennt, wie groß der Machtkreis des Deutschen Ordens war, der im Roman auch eine große Rolle spielt. Dass einige der Gefährten sogar bis nach Nowgorod kommen, hätten sie sich vorher nicht träumen lassen. Sowohl bei der Reisegesellschaft als auch unterwegs begegnet man Charakteren ganz unterschiedlicher Art. Daniel Wolfs Protagonisten sind klar gezeichnet und vielschichtig dargestellt, und manch einer ist für eine Überraschung gut, sei es im Negativen oder im Positiven.
Was die Handlung insgesamt betrifft, unterscheidet sich dieser dritte Band gravierend von seinen Vorgängern, denn diese spielten weitgehend direkt in Varennes Saint Jacques oder der näheren Umgebung der Stadt. Diesmal hat die Heimatstadt der Fleurys eher eine untergeordnete Rolle, denn ein Großteil der Handlung dreht sich um die beschwerliche und äußerst gefährliche Reise der Geschwister Balian und Blanche und ihrer Handelsgefährten. Unterwegs müssen sie sich mit Wegelagerern und Raubrittern herumschlagen und werden für Angelegenheiten zur Rechenschaft gezogen, mit denen sie eigentlich gar nichts zu tun haben. Dies alles ist sehr authentisch und lebendig erzählt. Obwohl Varennes Saint Jacques und die Familie Fleury sowie die meisten Charaktere fiktiv sind, so lässt der Autor doch sehr viel wahre Geschichte in die Handlung einfließen. Besonders die Situation von Reisenden der damaligen Zeit ist sehr realistisch dargestellt. Durch die verschiedenen Handlungsorte ist der Roman überaus kurzweilig und mitreißend, denn man stürzt sich quasi von einem Abenteuer ins nächste. Der Schreibstil ist leicht verständlich, dabei aber der damaligen Zeit gut angepasst. Ich bin immer wieder fasziniert, mit welcher Leichtigkeit Daniel Wolf die überaus komplexe Handlung seiner Romane in Worte fasst. Wie bereits die Vorgänger, so habe ich auch diesen Band verschlungen. Die Bücher der Fleury-Saga sind nicht gerade dünn, aber sie haben die Eigenschaft, dass man sich regelrecht daran fest liest und erst hinterher staunend und mit Bedauern merkt, dass die Geschichte schon wieder zu Ende ist. Aber zu meiner großen Freude steht bereits fest, und der Autor hat es auch schon verraten: die Fleury-Saga geht weiter! Ich freue mich jetzt schon auf den vierten Band, der noch umfangreicher werden soll als die bisherigen Bücher und daher noch mehr Abenteuer und damit sicher auch jede Menge Lesespaß bieten wird.

Veröffentlicht am 16.01.2017

Ein abenteuerlicher Roman mit Sogwirkung und einer hinreißenden Heldin

Der Korsar und das Mädchen
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Die Geschichte spielt 1814, zur Zeit des zweiten Unabhängigkeitskriegs zwischen England und USA.
Catherine und Emily, die Töchter des Plantagenbesitzers Frederick Hansen, sind sehr unterschiedlich in ihrer ...

Die Geschichte spielt 1814, zur Zeit des zweiten Unabhängigkeitskriegs zwischen England und USA.
Catherine und Emily, die Töchter des Plantagenbesitzers Frederick Hansen, sind sehr unterschiedlich in ihrer Wesensart. Während Emily eine gesittete und zurückhaltende junge Dame ist, hat Catherine eine Erziehung genossen, wie sie normalerweise nur Söhne erhalten. Für die damalige Zeit und für die gehobenen Kreise von South Carolina war dies äußerst ungewöhnlich, aber sogar Catherines verstorbene Mutter förderte diese außergewöhnliche Erziehung. Cat wuchs auf wie ein Junge, kann reiten und fechten, klettern und schwimmen und vieles mehr. First, ein gleichaltriger Sklave, ist ihr bester Freund und Gefährte bei all ihren waghalsigen Unternehmungen.
Nun ist Emilys Bräutigam eingetroffen, und Catherine soll ihre Schwester nach England begleiten, um dort ebenfalls einen Mann kennenzulernen, der bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten hat.
Während der Reise geraten die Schwestern zwischen die Fronten des Unabhängigkeitskrieges, denn die „Santiago de Cuba“, das Schiff von Emilys Verlobtem, wird gekapert, und sie landen auf einem Freibeuterschiff. Lieutenant Lennart Montiniere, der Commander der Silver Eagle, ist mit seiner Crew in geheimer militärischer Aktion unterwegs. Catherine gibt sich spontan als Schiffsjunge aus und nennt sich von nun an Cato. Montiniere weiß nicht recht, was er von dem rätselhaften und wilden „Jungen“ halten soll, der einerseits behände in die Wanten klettert, dessen Umgangsformen und Bildung aber auf eine gute Erziehung schließen lassen.
Es ist nur eine Frage der Zeit, wie lange Catherine ihr Geheimnis wahren kann. Dass sie tiefe Gefühle für den Commander hegt, macht die Sache nicht leichter, denn sie hat sich vorgenommen, ihr Ziel zu erreichen und in England den Sohn eines Lords zu heiraten. Sie will ihren Vater nicht enttäuschen und seinen Wünschen gerne entsprechen. Aber zuerst müssen sich alle Beteiligten auf dieser langen, gefahrvollen Reise bewähren und diverse Abenteuer durchstehen. Irgendwann hat Catherine den Eindruck, dass ihr jemand nach dem Leben trachtet. First, der inzwischen ein freier Mann ist, bleibt aus eigenem Willen an Catherines Seite. Wird er sie schützen können?
Als sie letztendlich wirklich in England ankommt, entwickeln sich die Dinge ganz anders als geplant. Auch erfährt sie nun endlich etwas über die Vergangenheit und das frühere, tragische Schicksal ihrer Mutter.

Bei ihrem neuen historischen Roman kann Elisabeth Büchle wieder mit wunderbaren Protagonisten aufwarten, die mir vom ersten Moment an sympathisch waren. Catherine, der liebenswerte Wildfang, bringt sich in brisante Situationen, als sie sich als Junge ausgibt. Sie muss einiges über sich ergehen lassen, denn in ihrer Verkleidung wird sie behandelt wie alle Schiffsjungen an Bord, und man stellt schnell fest, dass deren Leben nicht leicht ist. In dieser harten Männerwelt auf der Silver Eagle gibt es eine Rangordnung, und die Schwächeren werden von den Stärkeren oft unterdrückt und schikaniert. Aber Cato, wie sie sich nennt, erduldet alles klaglos und ist doch froh über ihre Entscheidung, denn unter Deck, bei ihrer Schwester in der Kabine, hätte sie sich völlig fehl am Platz gefühlt.
Bei Commander Lennart Montiniere spürt man von Anfang an, dass er das Herz auf dem rechten Fleck hat, es aber hinter einer strengen Fassade verbirgt. Aus Cato wird er nicht schlau. Er spürt, dass er anders ist und mag den wilden, aufgeweckten Jungen, der so manches wegsteckt und sich in rauen Situationen behauptet, der aber auch gebildet ist, lesen und schreiben kann und sich mit Montiniere so manches amüsante Wortgefecht liefert. Bald hat Cato gewisse Sonderrechte auf dem Schiff und seinen Ruf bei der Besatzung weg, die ihn als „Äffchen des Kapitäns“ bezeichnet, da sein Lieblingsplatz hoch oben in der Takelage ist.
Ein Großteil der Handlung spielt auf See, und so hat man es hauptsächlich mit Leuten der Crew zu tun, wozu auch Lennarts jüngerer Bruder Marlon gehört, der als Midshipman dabei ist. Zwischen den Brüdern gibt es Spannungen, weil die Männer so grundverschieden sind. Aber im Lauf der Zeit, mit gegenseitigem Verständnis, kommen sie sich menschlich näher und können eine gute Lösung für sich finden. Catherines Schwester Emily macht während der Reise eine gewaltige Entwicklung durch und wächst über sich hinaus, als es nach einem Sturm Verletzte gibt. Die Autorin hat ein gutes Händchen, wenn es darum geht, Menschen zu charakterisieren und ihnen ins Herz zu schauen. Sie blickt hinter die Fassaden, denn es ist nicht alles schwarz oder weiß, böse oder gut, sondern hier gibt es viele feine Zwischentöne, und so kann man in manchem „Bösewicht“ auch gute Ansätze erkennen, wenn man seine Beweggründe berücksichtigt. Der Mensch wird stark von seinem Umfeld geprägt, und gerade das Leben der Seeleute ist schwer, was sich in den Charakteren auf ganz unterschiedliche Weise widerspiegelt. Es sind zum Teil raue Gesellen, und wenn es auf See zu einem schweren Sturm oder zu einem Gefecht mit dem Feind kommt, müssen sie äußerste Willensstärke, Wagemut und körperliche Kraft beweisen, zugleich aber auch ein gewisses Gottvertrauen haben, denn letztendlich liegt ihr Schicksal in den Händen ihres Schöpfers. Was die Seefahrt und das Leben auf dem Schiff angeht, ist ein enormes Wissen nötig, um all das realistisch zu beschreiben. Zwar hat Elisabeth Büchle schon eine „Vorbildung“, wie sie im Nachwort erklärt, aber gewiss war das Schreiben dieses Romans mit einer enormen Recherchearbeit verbunden, die ich bewundere.
Alle Situationen sind so lebendig und intensiv beschrieben, dass man sich sehr gut hineinversetzen kann, und so hat dieses Buch alles, was ich mir von einem guten Roman erwarte: Jede Menge Spannung, großartige Protagonisten, starke Schilderungen, eine gute Portion Romantik, Menschlichkeit und Herzenswärme und auch ein wenig historische Wissensvermittlung.
Ich habe diesen Roman fast an einem Stück gelesen, so gefesselt war ich.
Schon das Bild auf dem Cover verspricht eine Geschichte von Freiheit und Abenteuer, und der Inhalt des Buches hat meine Erwartungen in allen Punkten absolut erfüllt.

Veröffentlicht am 12.01.2017

Die Holunderschwestern

Die Holunderschwestern
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In der Rahmenhandlung geht es um die Restauratorin Katharina Raith, die zusammen mit ihrer Partnerin und besten Freundin Isi eine gut gehende Werkstatt betreibt. In ihrer Freizeit kocht Katharina sehr ...

In der Rahmenhandlung geht es um die Restauratorin Katharina Raith, die zusammen mit ihrer Partnerin und besten Freundin Isi eine gut gehende Werkstatt betreibt. In ihrer Freizeit kocht Katharina sehr gerne, bevorzugt Gerichte aus der alten, handgeschriebenen Kladde, in der ihre Urgroßmutter Fanny ihre Rezepte und persönlichen Tipps aufgeschrieben hat. Franziska Raith, wie Fanny eigentlich hieß, hatte in jungen Jahren ihre Heimatstadt Weiden verlassen und war nach München gegangen, wo sie als Köchin arbeitete.
Eines Tages steht ein fremder junger Engländer vor Katharinas Tür. Alex Bluebird, wie er sich vorstellt, hat einige alte Fotos dabei und das Tagebuch von Fanny. Katharina ist völlig verblüfft und kann sich gar nicht vorstellen, wie das Tagebuch ihrer Urgroßmutter nach England gekommen sein soll. Neugierig beginnt sie zu lesen.

Zusammen mit Katharina tauchen wir, während sie in Fannys Tagebuch liest, in eine andere Zeit ein. Wir lernen Fanny kennen, als sie mit dem Zug nach München unterwegs ist. Während der Fahrt macht sie Bekanntschaft mit einer jüdischen Familie und freundet sich mit der Tochter Alina an. Es ist nicht leicht für die junge Frau, in München Fuß zu fassen, aber als Fanny ihren Arbeitsplatz als Weißnäherin verliert, nimmt die Familie Rosengart sie als Köchin bei sich auf. Sie verbringt eine glückliche Zeit bei Alina, die ihr zur besten Freundin wird und deren Familie. In der großen Stadt fühlt sie sich wohl, und bald kommt sie auch in Kontakt mit Münchner Künstlerkreisen und kocht für sie so manches Festessen. Eines Tages steht Fannys Zwillingsschwester Fritzi vor der Tür. Auch sie möchte in München bleiben und eine Anstellung finden. Es brechen schwierige Zeiten an, und einige tragische Ereignisse sowie Fritzis Eifersucht entfernen die Zwillingsschwestern immer mehr voneinander. Aber wie Fanny es ausdrückt: Es geht nicht mit ihr, aber auch nicht ohne sie.

Gerade die Einblicke in die Vergangenheit von Katharinas Familie, die man im Roman durch die detaillierten Schilderungen aus Fannys Tagebüchern erhält, haben mich fasziniert. Die frühere Handlung spielt im Zeitraum zwischen den beiden Weltkriegen. Es ist eine Zeit des Umbruchs, die Monarchie wird abgeschafft und vorübergehend entsteht eine Räterepublik. In dieser Zeit werden die Nationalsozialisten und ihr Einfluss immer stärker. Für die Familie Rosengart brechen schwere Zeiten an, denn Juden sind in München nicht mehr sicher.
Für mich waren die Schilderungen der damaligen Zeit besonders eindrucksvoll, weil es diverse Parallelen zwischen Fannys und meiner Familie gibt, denn auch meine Urgroßmutter war Köchin in München, und einige ihrer Rezepte von damals haben wir in der Familie bewahrt. Auch musste ich beim Lesen oft an meine Großeltern denken, die sich ebenfalls im Zeitraum der Handlung kennengelernt haben. Es sind mir daher immer wieder Details aus alten Erzählungen zu meiner eigenen Familiengeschichte eingefallen. Der Erzählstrang über die Vergangenheit hat mich absolut fasziniert, und mir ging es so wie Katharina mit Fannys Tagebüchern, ich konnte gar nicht aufhören zu lesen. Spannend fand ich auch die vielen Details zu Künstlern dieser Zeit, denn Fanny lernt nicht nur Paul Klee und seine Familie kennen, sondern viele weitere interessante Menschen, die damals in München gelebt haben. Hier wurde sehr viel Reales in die Handlung aufgenommen, und die detaillierten Beschreibungen der Schauplätze tun ein Übriges, den Leser zu fesseln.

Die Abschnitte, die in der Gegenwart spielen, sind für mein Empfinden wirklich nur ein netter Rahmen. Hier hatte ich manchmal den Eindruck, dass die Handlung mit Hilfe einiger Zufälle, die mir manchmal nicht so ganz glaubwürdig erschienen, zurechtgebogen wurde. Auch wurden hier im zwischenmenschlichen Bereich noch ein paar Dramen eingefügt, die für mein Gefühl unnötig waren, weil sie etwas konstruiert wirkten. Ich finde, die Tragödien der Vergangenheit hätten völlig ausgereicht. Leider geht aufs Ende zu alles ziemlich schnell, und einige Nebenzweige der Handlung verlaufen irgendwo im Nichts. Es klärt sich nicht alles, und zu manchen Ereignissen hätte ich gerne etwas mehr erfahren. Trotz meiner kritischen Anmerkungen hat mir der Roman aber insgesamt ausgesprochen gut gefallen, schon aus dem Grund, weil mich die Vergangenheit emotional sehr berührt hat. Auch gibt Fanny am Schluss noch einige bayerische Rezepte preis, und beim Lesen musste ich schmunzeln, denn alle hätten auch aus dem Kochbuch meiner eigenen Urgroßmutter stammen können.
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