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Veröffentlicht am 09.03.2024

Poetisches Märchen

Das Mädchen mit dem Porzellangesicht
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Die Geschichte beginnt in einem magischen London zu Zeiten von Pferdekutschen und Jack the Ripper. Mechanische Menschen sind weit verbreitet. Puppenmacher Kobayashi hat einen sonderbaren Vertrag. Nun wird ...

Die Geschichte beginnt in einem magischen London zu Zeiten von Pferdekutschen und Jack the Ripper. Mechanische Menschen sind weit verbreitet. Puppenmacher Kobayashi hat einen sonderbaren Vertrag. Nun wird seine Tochter geboren. Um sie zu schützen, baut er eine besondere Gesichtsmaske für sie. Doch nach seinem Tod muss Miyo andere Beschützer finden und schließlich selbst erwachsen werden.
Aus Porzellan lassen sich besonders ebenmäßige, glatte Oberflächen herstellen. Ein Porzellangesicht ist sprichwörtlich wunderschön. Hier lernen wir die Nachteile eines solchen Gesichtes kennen: Es ermöglicht keinerlei sichtbare Emotionen, keinerlei Bewegung. Faktisch ist es ein totes Gesicht. Das Leben kann hier keine Spuren hinterlassen, es sei denn, das Porzellan zerbricht.
Der Stil ist poetisch, Märchenmotive tauchen immer wieder auf. Die Hauptperson, die erst einmal geboren wird, ist ein kleines Mädchen, das sich zu einer mutigen und selbstbewussten jungen Frau entwickelt. Sie ist sehr sympathisch und man empfindet schnell Mitgefühl, denn sie hat einiges durchzustehen.
Immer wieder geschehen Magie und Zauberei, und sie erscheinen ganz natürlich. Die Figuren sind interessant und glaubhaft, einige hätten durchaus mehr Platz verdient und mehr Tiefe. Auch über die besondere Fähigkeit der Hauptperson hätte ich gern mehr gewusst. Besonders gefallen hat mir, dass manche Personen, die unterwegs das Geschehen verlassen haben, wieder auftauchen und man erfährt, was aus diesem oder jener noch wird. Das macht das Ganze rund. Überhaupt passt hier eins zum anderen – Personen, Magie, Setting und Zufälle. Alles was passiert, erscheint wirklich möglich und logisch innerhalb dieser Welt. Gruselig wird es auch manchmal, aber niemals allzu blutig. Eine besndere Epfehlung für die Fans der Kranich-Romane von Elizabeth Lim.
Das Buch ist in einen wunderschönen HC-Umschlag mit Lesebändchen verpackt.

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Veröffentlicht am 05.03.2024

Experimentell und schmerzhaft

Der Stich der Biene
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Dickie Barnes Autohaus macht immer schlechtere Geschäfte, während seine Frau Imelda immer mehr Geld ausgibt. Die Tochter Cassie soll in diesem Jahr die Schule abschließen, aber im Moment hat sie ganz andere ...

Dickie Barnes Autohaus macht immer schlechtere Geschäfte, während seine Frau Imelda immer mehr Geld ausgibt. Die Tochter Cassie soll in diesem Jahr die Schule abschließen, aber im Moment hat sie ganz andere Sorgen. Der jüngere Sohn PJ versucht, die Probleme der Familie auf seine Weise zu schultern. Das ist alles so lebensecht beschrieben, dass es wehtut: „Sie sind an einem Punkt angelangt, er und seine Tochter, wo sie in seiner Gesellschaft nur glücklich sein kann, wenn sie das Gefühl hat, ihn gedemütigt zu haben.“
Zunächst lernt man die beiden Kinder der Familie kennen. Und dann wird es auch schon schwierig zu lesen, denn es werden die Satzzeichen weggelassen. Die Geschichte geht weiter, ist aber plötzlich kaum noch lesbar. Nach knapp 200 Seiten hat das Lektorat offenbar Punkte, Kommata und Anführungszeichen wiedergefunden. Jetzt kommen auch mehr Rückblicke vor. Wann begann dieser fürchterliche Abstieg, welche Ursachen gab es vielleicht dafür, dass so viel schiefgehen konnte in dieser Familie?
Man kommt den Menschen sehr nahe, und jede einzelne Hauptperson der Familie ist sympathisch und gut zu verstehen. Auch der Stil ist recht gut zu lesen, wenn man auf Satzzeichen auch mal verzichten kann. Oder wenn man darin einen Sinn findet. Mir erschloss er sich nicht. Humor fand ich nicht in der Geschichte, eigentlich gab es fast nur Verzweiflung. Auch irgendwelche positiven Gedanken oder gar Ausblicke fehlten mir. Das Ganze tat einfach nur weh.

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Veröffentlicht am 27.02.2024

Jungsabenteuer in Zeiten der Sklaverei

James
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Die Romane um Tom Sawer und Huckleberry Finn sind amerikanische Klassiker. Hier erzählt der schwarze Sklave Jim die Geschichte aus seiner Sicht. Der Autor ist Professor für Literatur, seit vielen Jahren ...

Die Romane um Tom Sawer und Huckleberry Finn sind amerikanische Klassiker. Hier erzählt der schwarze Sklave Jim die Geschichte aus seiner Sicht. Der Autor ist Professor für Literatur, seit vielen Jahren erfolgreicher Schriftsteller und ebenfalls schwarz.
James ist clever. Er kann lesen und schreiben, und er kann auch denken. Doch er bemüht sich so zu wirken, wie die Weißen einen Schwarzen erwarten: dumm, einfältig, untertänig. Das macht er sehr erfolgreich, aber schließlich will seine Besitzerin ihn verkaufen – dann muss er seine Frau und seine kleine Tochter verlassen. Er flieht. Unterwegs trifft er auf Huck, der vor seinem prügelnden Vater auf der Flucht ist.
Die groben Züge der Handlung sind aus Mark Twains Romanen bekannt. Für uns in Mitteleuropa erscheint die Radikalität, mit der man Schwarzen damals ihre Menschlichkeit absprach, irrwitzig und grotesk. Auch der Rest der damaligen USA kommt nicht gut weg: James und Huck bekommen es fast nur mit Gaunern und Dummköpfen zu tun. Lynchmorde an Schwarzen sind an der Tagesordnung und werden nicht bestraft. Das ist eine ständige Bedrohung.
Der Stil ist flüssig und gut zu lesen. Ein spannendes Abenteuer, das Spaß macht! Der schwarze Protagonist ist ein sympathischer Held, der in dunklen Zeiten überleben und Mensch sein will. Er ist nicht nur belesen und klug, er besitzt auch Humor. Doch gerade als Mensch stößt er immer wieder an Grenzen. Und schließlich fängt er an, andere auf die Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen. Weil man mit ihm fühlt, ist die Geschichte grausam, absurd und insgesamt tragisch. Sehr gelungen ist die Nachdichtung jener stark vereinfachten Sprache, die von den Schwarzen erwartet wird, und die James wie eine Fremdsprache benutzt. Da hat der Übersetzer Nikolaus Stingl gute Arbeit geleistet.
Insgesamt ist dies eine wirklich starke Neuerzählung. Wer die Vorlage kennt, hat besonderes Vergnügen daran. Eine Frage bleibt am Ende offen: Warum erst jetzt?

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Veröffentlicht am 23.02.2024

Heimkehr in eine lieblose Kindheit

Krummes Holz
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Jirka kehrt nach fünf Jahren Abwesenheit zurück auf den Hof seiner Eltern. Seine Schwester Malene, die den Hof gern übernehmen würde, hatte ihn mehrmals gebeten, nach Hause zu kommen und ein paar Dinge ...

Jirka kehrt nach fünf Jahren Abwesenheit zurück auf den Hof seiner Eltern. Seine Schwester Malene, die den Hof gern übernehmen würde, hatte ihn mehrmals gebeten, nach Hause zu kommen und ein paar Dinge zu klären. Warum er jetzt kommt und was er dort tun will, ist nicht ganz klar.
Emotional und düster wird aus Sicht Jirkas geschildert, wie das Leben hier war und warum er geflohen ist. Immer wieder gleitet er in Erinnerungen ab. Oft weiß man beim Lesen nicht, in welcher Zeit man sich befindet – was durchaus passend ist, denn Jirka weiß es manchmal auch nicht.
Die Sprache ist poetisch, die Beschreibungen der Natur und der Lebensweise auf dem Land sind schön zu lesen. Manches ist etwas speziell; wer kein Bauer ist, versteht nicht alles.
Außer der Erinnerungslast und ihrer Bewältigung passiert nicht viel in diesem Buch. Der Sommer ist sehr heiß. Es gibt einige homosexuelle Männer, zu denen Jirka sich hingezogen fühlt. Eine Geschichte kommt nicht zustande.

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Veröffentlicht am 20.02.2024

Spektakuläre Ganovinnengeschichte mit zuviel Personal

Mayfair House
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London, zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Der schwerreiche Mr. de Vries ist verstorben, einzige Erbin ist seine Tochter, die jetzt die riesige Villa allein bewohnt – so allein, wie man mit Heerscharen von ...

London, zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Der schwerreiche Mr. de Vries ist verstorben, einzige Erbin ist seine Tochter, die jetzt die riesige Villa allein bewohnt – so allein, wie man mit Heerscharen von Dienern eben lebt. Sie will sich schnellstens verheiraten und plant eine gigantische Party. Doch Miss de Vries ist keineswegs die einzige Tochter des reichen Mannes, und schon gar nicht die einzige Verwandte. Und so verfolgen die Dienstboten des Hauses eigene Pläne.
Besonders gut gefallen haben mir die weiblichen Hauptpersonen. Eigentlich handeln hier nur Frauen, und sie sind selbstbewusst und mutig bis zur Kühnheit. Aber es sind einfach zu viele: Zu viele wichtige Personen, zu viele komplexe Beziehungen, die das Geschehen beeinflussen und somit zu viele scheinbar gleichwertige Handlungsstränge, denen ich schließlich kaum noch folgen konnte. Mir fehlte eine Gewichtung, ein Fokus. So kam auch keine rechte Spannung auf, und für bloße Unterhaltung ist die Geschichte zu komplex. Schade. Doch es gibt eine Menge toller Ideen, was die Selbstinszenierung der Reichen betrifft. Auch Elend und Armut werden hier gezeigt und wie sich die nicht so reichen Leute so durchschlagen. Denn diese sind die Hauptpersonen. Doch eine charakterliche Entwicklung konnte ich nicht erkennen. Dafür stand wieder das Geschehen und die Frage, ob das Geplante denn gelingt, zu sehr im Mittelpunkt.
Fazit: Dies ist weder ein Spannungsroman noch eine Charakterstudie. Man hätte mehr draus machen können, auf dreimal so vielen Seiten.

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