Brandbeschleuniger
Kleine Feuer überallLeerstellen interessieren die Autorin Celeste Ng in ihrem neuem Werk „Kleine Feuer überall“. Zurückgelassen von Personen, die verschwinden und Lücken hinterlassen, wie in diesem Fall die Außenseiterin ...
Leerstellen interessieren die Autorin Celeste Ng in ihrem neuem Werk „Kleine Feuer überall“. Zurückgelassen von Personen, die verschwinden und Lücken hinterlassen, wie in diesem Fall die Außenseiterin Izzy, die jüngste Tochter und Teil der Vorzeigefamilie Richardson im sauber gefegten Cleveland-Vorort Shaker Heights. Oder auch die Paradiesvögel und Lebenskünstler Pearl und ihre Mutter Mia, die von Mrs Richardson aus Nächstenliebe in deren kleinem Reihenhaus eingemietet wohnen.
Der Entwurf eines Familienpsychogrammes mit tiefem Blick hinter die Kulissen der blankgeputzten und auf den ersten Blick beneidenswerten und perfekten Vorort-Familie Richardson mit auf den zweiten Blick gar nicht so glatten und glücklichen Figuren besticht durch großes Einfühlungsvermögen und zeigt zerrissene Seelen, die nach Heilung suchen.
Es ist ein ausgesprochenes Vergnügen, sich von Celeste Ng vom Weg abbringen zu lassen und ihr ins Dickicht zu folgen, wobei man das Gefühl hat, als Leser selbst nur ganz knapp dem Abgrund entkommen zu sein.
Die Geschichte beginnt mit dem Ende, nämlich dem brennenden Haus der Familie Richardson, mit einer fassungslosen Mrs Richardson auf dem Rasen, die gemeinsam mit ihrer ältesten Tochter und ihrem Sohn dem Untergang ihres glanzvollen Heimes zusehen. An alle Regeln des wohlhabenden Shaker Heights hat sich Mrs Richardson ihr Leben lang gehalten, ob das Verstecken der Mülltonnen hinter dem Gebäude, den farblich passenden Anstrich des Hauses oder das Alltagsleben der Bewohner betreffend, weshalb sie und ihr Ehemann auch so gut in diese perfekte und exklusive Umgebung passen. Und dann legt ausgerechnet ihre jüngste missratene Tochter Isabel ihren schönen Lebensplan in Schutt und Asche, indem sie das Elternhaus anzündet und verschwindet - gleich zwei Lücken hinterlassend.
Der Stein kam ins Rollen mit dem Einzug der mittellosen Künstlerin Mia Warren und ihrer Tochter Pearl, an der Mrs Richardson als großmütige Vermieterin ihre Sozialkompetenz unter Beweis stellen will. Beim aufeinander Zubewegen werden die Gegensätze zwischen den beiden Familien immer deutlicher, und zum Entsetzen von Mrs Richardson, die über alles Kontrolle ausüben muss, fühlen sich ihre drei perfekten und verwöhnten Kinder zur geheimnisvollen Mia und ihrer Tochter mit ihrer unkomplizierten Lebenseinstellung hingezogen. Mrs Richardson gräbt und stößt auf Mias gut gehütetes Geheimnis und die Situation eskaliert.
Äußerst geschickt gelingt es der Autorin, die Gefühle ihrer Figuren zu transportieren, die zunächst unter einer Milchglasschicht schlummernd mit großer Kraft zutage treten. Die perfekte Familie Richardson zerbröselt unter ihren fähigen Blicken und verliert ihren arrangierten Zauberglanz, wird menschlich und wenig später abgründig. Und Mia zieht nach der Aufdeckung ihres Geheimnisses wieder als Vagabund mit ihrer Tochter weiter, wie schon so oft, mit nichts als einen mit ihren Habseligkeiten vollgestopftem Golf. Flucht wo Bleiben versprochen war.
Als Leser geht man fassungslos den Weg der Demontage beider Familien mit, hilflos und ohne Häme zeigt Celeste Ng den Abgrund schon mehrfach aus der Ferne, bevor sie ihre Charaktere allesamt hineinstürzen lässt. Bravo dafür!
In meinen Augen völlig zu recht wurde auch dieser zweite Roman der Autorin nach ihrem glanzvollen und preisgekrönten Debüt beim Erscheinen in den USA gefeiert, denn ihre Art, den Leser höchst gekonnt und wie eine Zauberin nahe an ihre Figuren heranzuführen ist außergewöhnlich fesselnd, spannend und zugleich von großer Sorgfalt und Vorsicht und Empathie für alle ihre Charaktere geprägt.