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Veröffentlicht am 07.08.2024

Ist man je zu alt, um noch dazuzulernen?

Pi mal Daumen
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Der Klappentext von „Pi mal Daumen“ verspricht das „Porträt einer selbstlosen Frau“ und die Erzählung der „späten Selbstfindung einer Großmutter“ und hätte ich nicht angesichts der Autorin zunächst blind ...

Der Klappentext von „Pi mal Daumen“ verspricht das „Porträt einer selbstlosen Frau“ und die Erzählung der „späten Selbstfindung einer Großmutter“ und hätte ich nicht angesichts der Autorin zunächst blind einen Blick in den Anfang des Romans geworfen, würde es mich krass verblüfft haben, dass hier der junge Oscar als Ich-Erzähler auftritt und wir die gemeinte Frau und Großmutter aus seinem Blickwinkel dargestellt bekommen. Die Buchbeschreibung hätte mich da eigentlich entweder einen neutralen Erzähler oder Moni als Erzählerin erwarten lassen.
Oscar ist 16, adelig, hochintelligent und hat nicht nur schon vor Langem beschlossen, Mathematik studieren zu wollen, sondern sein Studium komplett durchgeplant – Moni ist Anfang 50, prollig, hochempathisch und hat sich nun (heimlich) für das Mathematikstudium eingeschrieben, von dem sie schon seit Langem träumte: Gleich bei ihrer ersten Begegnung nimmt sie Oscar ein wenig unter ihre Fittiche, der keinen Hehl aus seiner Überzeugung macht, ihre Einschreibung würde nur kurzzeitig Bestand haben, zumal Mathematik zu den Studienfächern zählt, die prinzipiell einen enormen, und rapiden, Schwund an Studierenden haben. Oscar bleibt unsicher, ob Moni sich nicht doch einfach nur unbefugt ins Auditorium geschlichen hat, und ist völlig verärgert, dass Moni dem Studium nicht so viel Raum einräumt wie er; Moni ist es hingegen unverständlich, wie Oscars Eltern ihren „Kleinen“ so einfach allein in die große, weite Welt hinaussenden konnten, denn Oscar hat nicht nur eindeutige autistische Züge, sondern ihm ist auch anzumerken, in welch geschützter privilegierter Blase er aufgewachsen ist und wie wenig er vom „normalen“ Durchschnittsleben weiß.

Damit wartet „Pi mal Daumen“ also mit zwei Hauptfiguren auf, von denen man denkt, dass sie definitiv voneinander profitieren könnten (Moni könnte etwas mehr an sich denken anstelle sich ständig für Andere aufzuopfern; Oscar könnte hingegen sozialer werden), von denen man aber auch bezweifelt, ob sie nicht doch viel zu sehr Feuer und Eis sein werden als dass sie einen längeren Kontakt zueinander halten, von einer Freundschaft aufzubauen ganz zu schweigen, könnten.
Tatsächlich entwickelt sich die Freundschaft hier wohl auch hauptsächlich aus Monis Mutterinstinkt und Oscars Faszination für Moni, hinter deren Studium er ein Geheimnis sieht, das er unbedingt ergründen will, und die er zwar zu dumm für die Uni hält, die zu seiner Überraschung aber doch auch häufig „Geistesblitze“ hat oder über zig Ecken und Kanten denkend zu den richtigen Ergebnissen kommt. Auch Moni zweifelt an ihrer Intelligenz; in ihrer Familie wären nunmal alle dumm; wobei Oscar nach den ersten Begegnungen mit Monis Enkeln Zweifel an dieser Theorie zu entwickeln beginnt, was ihn in Folge nur weiter herausfinden lassen will, wieso man dort in der Familie so bestimmt darauf pocht, mit Zahlen einfach nix anfangen zu können.

„Pi mal Daumen“ zeigt definitiv eine persönliche Weiterentwicklung beider Figuren, wobei mich Oscars Über-Frage „Wer ist Moni überhaupt?“ immer weniger interessiert hat; da hat es mich schließlich sogar ein bisschen genervt, dass er Monis Biografie so genau enthüllen wollte – war zwar schön, dass er neben der Mathematik da eindeutig auch noch ein anderes Interesse entwickelte, aber zum Einen wirkte Moni auf mich von Anfang an nicht dumm, sondern eher da genial-raffiniert, wo Oscar eben genial-rational war, und zum Anderen blieb mir auch unklar, was er eigentlich teils sehr aufwändig herauszufinden hoffte. Da gab es diverse Szenen, in denen ich dachte, er könnte auch einfach mal fragen – kurioserweise erhält er einige Antworten letztlich tatsächlich genau so, und zwar völlig beiläufig. Klar spiegelt das auch Oscars eigene Entwicklung wider, von einem, der sich eigenbrötlerisch durch zig alte Unterlagen in Archiven wühlt, zu einem, der Betreffende auch einfach mal bzgl. seiner Fragen zu deren Lebensläufen anspricht und sozusagen „sozialgesellschaftlicher“ agiert, aber mir war das alles zum Ende hin etwas zu langgezogen. Auch der (meiner Meinung nach letztlich einfach überflüssige) Epilog hat mir völlig missfallen; mit einem Teil davon hatte ich schon frühzeitig gerechnet, aber (kein Spoiler! auch wenn’s vielleicht so klingt) Mehrdimensionalität passte zwar zum mathematischen Thema, das sich wie ein roter Faden durch den Roman zog, jedoch erschien mir eher ein Mischmasch aus verschiedenen, auch spirituellen, Ebenen kreiert worden zu sein, der einfach nur „literarisch wunderschön“ klingen sollte; generell hat mich der Schluss des Romans eh ein wenig enttäuscht. Das war eines dieser Enden, das mir so vorkam als habe der/die Verfassende irgendwann selbst gemerkt, dass sich die Handlung inzwischen reichlich zog und sie nun zu einem flotten Abschluss kommen lassen wollen, und dabei dann leider alles etwa zerhackt.

Ich habe „Pi mal Daumen“ wirklich gerne gelesen, bis fast zum Schluss, aber der Schlussteil hat es mir dann doch reichlich verhagelt; mein Bronsky-Lieblingsroman wird dies deswegen definitiv nicht werden; ich runde in meiner persönlichen Lesewertung (3,8*) da ganz knapp auf vier Sterne auf.

Veröffentlicht am 20.07.2024

Plötzlich ohne Tochter, aber mit unbändiger Trauer

Mein drittes Leben
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In „Mein drittes Leben“ berichtet die verwaiste Mutter Linda, selbst erst knapp 40 Jahre alt, von dem krassen Einschnitt, den der Unfalltod ihrer 17jährigen Tochter Sonja für ihr Leben bedeutet hat, und ...

In „Mein drittes Leben“ berichtet die verwaiste Mutter Linda, selbst erst knapp 40 Jahre alt, von dem krassen Einschnitt, den der Unfalltod ihrer 17jährigen Tochter Sonja für ihr Leben bedeutet hat, und gibt zudem Einblick in ihr eigenes Aufwachsen bis hin zum Erwachsen- und vor Allem Mutterwerden ebenso wie in die gemeinsame Zeit mit ihrer Tochter; die drei titelgebenden Leben beziehen sich also auf erstens ihre kinderlose Zeit, zweitens die Zeit, in der ihre Tochter lebte und nun drittens diesen neuen Abschnitt nach dem Tod der Tochter.

Gleich zu Beginn wird man mit der räumlichen Trennung konfrontiert, die unlängst zwischen Linda und ihrem Mann Richard, Sonjas Vater, vollzogen wurde bzw. eher ausschließlich von Linda durchgeführt wurde, die – es lässt sich nicht anders umschreiben – in und mit all ihrer Trauer aus Leipzig aufs Land geflüchtet ist, wo sie sich zwar komplett von der Außenwelt zurückzuziehen versucht, aber mit der Zeit doch auch zarte Bande neuer Bekanntschaften knüpft. So erlebt man als Lesende*r mit, wie sich Linda von der stillen, trauernden Frau ohne jegliches Zeitgefühl, für die alle Tage gleich belanglos vorübergehen, zu einer Frau entwickelt, die, aufmerksam das Geschehen um sich herum beobachtend, langsam wieder zurück in ein aktives Leben kriecht.
Linda als Hauptfigur ist hierbei von der Autorin sehr multidimensional dargestellt, wobei ich immer noch nicht weiß, ob sie mir nun sympathisch ist. Eingangs fand ich sie eher anstrengend, da sie Richard nicht nur vorzuwerfen schien, dass er mit seiner Trauer völlig anders umging, ohne dass die Beiden sich je über ihren gemeinsamen Verlust unterhalten zu haben schienen; nein, als dessen zweite Frau gab sie zwischen den Zeilen doch auch freimütig zu, dass sie ihm von Anfang an übelgenommen hatte, dass er sich absolut innig um seine Kinder aus der ersten Ehe kümmerte, während er zugleich Zweifel hatte, ob Linda und er überhaupt ein gemeinsames Kind bekommen sollte, da er doch deutlich älter als sie war und er seine Familienplanung eigentlich schon als abgeschlossen betrachtet hatte. Richard, dessen erste Frau ihm gegenüber sogar gewalttätig geworden war und die sich kaum um ihre Kinder scherte, hatte sich mit Linda dafür auf eine Frau eingelassen, die zwar unbedingt eine Familie haben wollte, der es aber auch viel wichtiger zu sein schien, selbst Kinder zu gebären, anstelle Richards Kinder zumindest als ihre Stiefkinder anzuerkennen und eine echte Bindung zu diesen aufzubauen: Insgesamt hatte ich da nach der anfänglichen Lektüre einer die ersten 57 Seiten umfassenden Leseprobe bereits den Eindruck einer von vornherein zum Scheitern verurteilten Verbindung; auch nach dem Auslesen des kompletten Buchs glaube ich nicht an ein mögliches Funktionieren des Paares Linda/Richard, das für mich im Rahmen einer Freundschaft dauerhaft funktionieren könnte, aber für mich auf romantischer Ebene schon von ihrem Kennenlernen an nie mehr als eine Art Zweckgemeinschaft hatte sein können.

In dieser Erzählung, in der sich Linda von allen, auch von ihm, distanziert hat, stellt sich Richard zügig als jemand heraus, der die Liebe und die Intimität einer Partnerschaft vermisst, und sich da bereits neu zu orientieren begonnen hat, wobei die von ihm ins Auge gefasste Dame auch ständig so beschrieben wird, dass allzu offensichtlich ist, dass Richard zu Beziehungen neigt, die ihm zumindest auf Dauer nicht guttun, so dass „Mein drittes Leben“ zwar ganz unterschwellig immer fragte, ob Linda und Richard letztlich wieder zusammenfinden könnten, mich aber immer „besser nicht“ denken ließ.

„Mein drittes Leben“ ist insgesamt ein sehr ruhiges Buch, ähnlich wie es eben auch Linda ist; der Roman gleicht einem an den Rändern ins Expressionistische aufbrechenden Stillleben; und es macht im Verlauf nicht nur Linda weiter nachdenklich, der sich Stück um Stück die sonstigen Tragödien „zerbröselnder“ Menschen um sich herum enthüllen. Nimmt sie es Anderen zu Beginn noch übel, dass deren Kinder leben und diese sich „freuen“, dass keines ihrer Kinder verunglückt ist, bemerkt sie zum Einen immer mehr Leid, das ihr hingegen erspart blieb, was Betroffene umgekehrt ihr ebenso vorhalten könnten und muss zum Anderen auch erkennen, dass grade neue Bekanntschaften weder Ahnung davon haben, dass sie ein Kind verloren hat, noch dass sie weiß, ob diese Menschen nicht doch auch schon Ähnliches bis Gleiches erlebt haben.
Das Leid-Thema ist hier ein sehr großes: steckt dahinter ein Sinn, müssen wir Leid erleben, müssen wir alle einen Umgang damit erlernen, soll persönliches Leid uns etwas lehren? Wie viel bedeutet uns das Leben noch, wenn ihm das uns Bedeutsamste genommen wird; können wir ihm je wieder Bedeutung geben, es ausfüllen, oder ist diese Lücke ein Schwarzes Loch, vor dem uns nichts bewahren kann und dessen Ränder wir nicht sichern können?

Mich hat es sehr berührt, grade dass letztlich auch die Lebenswirklichkeiten anderer Figuren gespiegelt wurden und aufgezeigt, dass doch auch alle ein Päckchen zu tragen haben; ich glaube, das vergisst man in eigene Trauer versunken sehr schnell, ebenso wie das nicht jeder dieselbe Art der Trauer durchlebt, selbst wenn man vom selben Trauerfall betroffen ist, und das wurde hier meiner Meinung nach sehr gut aufgezeigt.
„Mein drittes Leben“ habe ich als sehr eindrückliche Lektüre empfunden, aber allen, die grad selbst noch akut in einem Loch, ob größer oder auch kleiner, stecken, würde ich dann doch noch dazu raten, mit dem Lesen dieses Romans erst dann zu beginnen, wenn das Licht am Ende des Tunnels zumindest schon ganz deutlich zu erkennen ist. Es ist halt einfach keine aufheiternde, oder gar fröhliche, Lektüre, sondern letztlich immer noch die traurige Geschichte einer Mutter, deren Teenie-Tochter tödlich verunglückt ist.

Veröffentlicht am 16.01.2024

Und er liest ja doch... freiwillig!

Minecraft, Open World Band 01
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Ziemlich positiv: Ehe der Comic startet, gibt es Tipps zur „Online-Sicherheit für jüngere Fans“, in denen vor Allem darauf hingewiesen wird, weder sein Passwort (allenfalls außer den eigenen Erziehungsberechtigten) ...

Ziemlich positiv: Ehe der Comic startet, gibt es Tipps zur „Online-Sicherheit für jüngere Fans“, in denen vor Allem darauf hingewiesen wird, weder sein Passwort (allenfalls außer den eigenen Erziehungsberechtigten) noch welche Schule man besucht (oder andere Faktoren zu benennen, die einen leicht identifizierbar machen) je wem online zu verraten. „Ziemlich“ deswegen, weil sich diese Ratschläge nur kleingedruckt auf der Impressumsseite befinden und seien wir ehrlich: die wird von den Meisten doch eh überblättert. Mir sind diese Hinweise auch eher zufällig ins Auge gestochen, und das auch erst, als ich das kleine Büchlein nach dem Lesen nochmals kurz aufgeschlagen und durchblättert habe.
Ich habe „In den Nether“ meinem 9jährigen, sehr zockfreudigem, aber wenig lesebegeisterten, Neffen geschenkt, der es sich an Weihnachten, nachdem seine Onlinezeit vorbei war, gleich damit auf der Couch gemütlich gemacht hatte; definitiv ist er auch direkt zum „Bilderteil“ gegangen; und später stolz verkündete, er habe schon bis Seite 33 gelesen – tatsächlich hat er den Comic auch innert drei Tagen ausgelesen gehabt, was in seinem Fall schon beeindruckend ist, zumal ihm auch nie jemand nahegelegt hat, er könne/solle doch noch ein bisschen lesen, sondern er immer von sich aus beschlossen hat, dass „ich lese noch ein wenig“. Rein deswegen werde ich diesem Comic schon fünf Sterne geben müssen, da meine „Zielperson“ derart darauf angesprungen ist.

Der Comic spielt nicht direkt im Minecraft-Universum, so wie man es von den meisten anderen Minecraft-Stories kennt, sondern erzählt von der Begegnung zweier echter Spieler im Game, wobei Hektor eher ein Profi ist, der aber lieber im Single-Player-Modus spielt, während Sarah ein absoluter Neuling ist und sehr zu trial&error neigt, oder wie Hektor es vermutlich eher nennen würde, sich einfach absolut naiv und dämlich anstellt. Eher unfreiwillig wird er zu Sarahs Erklärbär und zu ihrem Verbündeten auf einer abenteuerlichen Spielmission.
Ich fand es schön, wie hier zusammen mit Sarah eher beiläufig auch der Leserschaft, die bisher eher wenig Berührungspunkte mit Minecraft hat, die wichtigsten Grundlagen des Spiels kurz angerissen wurden, und wie sehr sich Hektor letztlich auch auf das Spiel mit Sarah einließ und es nie in Richtung „mit diesem ahnungslosen Noob gebe ich mich nicht länger ab“ driftete, obschon sie ihn zwischendrin sogar mal wortlos sitzenließ, was beide aber sehr gut selbst miteinander zu klären vermochten.
Mir als Erwachsener ist es sehr aufgefallen, wie respektvoll da miteinander umgegangen wurde und wie beide Figuren auch ihre Gefühle deutlich zu äußern vermochten; ich denke, es ist sehr wichtig, Kindern beizubringen, ihre Emotionen nicht kleinzureden; und auch, wie der Comic sich selbst an die eingangs erwähnten Online-Sicherheits-Tipps hielt. So tauschen sich Hektor und Sarah zwar natürlich über das Spiel aus, reden eben auch über Gefühle wie z.B. empfundene Einsamkeit, aber äußere Faktoren wie beispielsweise eben der Wohnort werden nie erwähnt. In diesem Comic bleiben sie sozusagen „anonyme Freunde“.

Auf 88 Comic-Seiten entspinnt sich hier natürlich keine völlig in die Tiefe gehende Handlung, aber ganz subtil könnte da doch die ein oder andere Mitteilung beim Zielpublikum ankommen und wie gesagt: meinen Neffen hat der Comic definitiv begeistert, von daher empfehle ich ihn vor Allem für jüngere Minecraft-Fans, die ihre Lesefähigkeit noch ein wenig trainieren sollten, das aber sonst eher ungern tun.

Veröffentlicht am 29.10.2023

Drei Teile, die zusammengehörten, aber nicht so recht zusammenpassten

Das Nachthaus
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Aufgrund der Kurzbeschreibung dachte ich, "Das Nachthaus" wäre ein toller Roman, um sich auf die Halloween-Zeit einzustimmen: ich erwartete nach einem ersten Blick ins Buch eine Mischung aus Fantasy, wie ...

Aufgrund der Kurzbeschreibung dachte ich, "Das Nachthaus" wäre ein toller Roman, um sich auf die Halloween-Zeit einzustimmen: ich erwartete nach einem ersten Blick ins Buch eine Mischung aus Fantasy, wie von Ransom Riggs verfasst, und solchem Grusel, wie er sich in Oliver Susamis "Vierter Stock Herbsthaus" abspielte oder schlimmer: in Adam Nevills "Apartment 16" - und so wie sich "Das Nachthaus" mit seinen jugendlichen Hauptfiguren anlies, rechnete ich damit, dass der Roman auch eine eher jüngere Leserschaft zur Zielgruppe hätte.

Tatsächlich ist "Das Nachthaus" aber in drei Teile gegliedert und während Teil 1 definitiv einem Jugendbuch entsprach, was ich locker schon einem 12jährigen und sogar einem nervenstärkeren 10jährigen Kind, welches "auch mal was richtig Gruseliges" lesen wollte, überlassen haben würde, war Teil 2 definitiv eher Horrorroman für Erwachsene. Ich habe nun häufiger Stephen-King-Vergleiche vernommen, aber der einzige von dessen Romanen, dem ich in Gänze eine ähnliche Atmosphäre wie "Das Nachthaus" (im eben zweiten Teil) zusprechen würde, ist "Desperation". Der dritte, und letzte, Teil vom "Nachthaus" stellte sich als Psychodrama heraus, wobei ich ab der Mitte des zweiten Teils schon genau mit diesem Twist rechnete: zu auffällig waren da kleinere Unstimmigkeiten und unpassende Details, die eigentlich nur noch diese eine Auflösung zuließen.
Meiner Meinung nach hätte man nach dem Jugendbuch hier einfach einen Cut machen und "Das Nachthaus" ausschließlich als solches veröffentlichen sollen; ich hatte letztlich den Eindruck als habe man zwanghaft eine komplexere, düstere Story mit jugendlichen Protagonisten (á la "Stranger Things") erzählen wollen, während man dann daran scheiterte, die Geschichte fließend sein zu lassen. Mir was "Das Nachthaus" da viel zu sehr in diese drei Teile zerhackt und ich möchte das nichtmal nur "unterteilt" nennen, denn für mich waren das einfach drei wie völlig überhastet von einem absoluten Amateur zusammengezimmerten Teile.

Den ersten Teil fand ich noch spannend; das war an sich eine tolle Gruselgeschichte für eine jüngere Zielgruppe; aber danach hat mich "Das Nachthaus" mit seinen Genre- und sogar Zielgruppenwechseln eher irritiert und der Roman wird mir zwar bestimmt im Gedächtnis bleiben, allerdings wohl nur, weil er in meinen Augen halt das Kunststück hinbekommen hat, aus drei Teilen zu bestehen, die alle so völlig anders sind, obschon es dabei um eine einzige Erzählung geht. Da hat mich "Das Nachthaus" nun leider weitaus mehr in Verwunderung als in Halloween-Laune versetzt.

Veröffentlicht am 08.10.2023

Aufregend, oder doch nur albern? Your Choice!

Hope's End
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"Eine Adaption der Geschichte rund um Lizzie Borden?", das war mein erster Gedanke angesichts des Klappentextes, und tatsächlich wird die Figur der Lenora Hope in diesem Roman auch frühzeitig von der ich-erzählenden ...

"Eine Adaption der Geschichte rund um Lizzie Borden?", das war mein erster Gedanke angesichts des Klappentextes, und tatsächlich wird die Figur der Lenora Hope in diesem Roman auch frühzeitig von der ich-erzählenden Protagonistin Kit als "die örtliche Lizzie Borden" bezeichnet;diese Assoziation ist also nicht allzu weit hergeholt.
Kit, eben noch selbst im Zentrum eines Skandals stehend, welcher zunächst zaghaft angedeutet wird und dem Leser im weiteren Verlauf des Romans in Gänze enthüllt wird, wird von ihrem Chef als Ersatz der bisherigen Pflegerin, die sich unvermittelt abgesetzt hat, nach Hope’s End geschickt, um die häusliche Betreuung Lenora Hopes sicherzustellen. Kit verspürt bezüglich dieses Engagements zwar gleich ein unbehagliches Gefühl, aber dies scheint im Nachgang des sie betreffenden Skandals ihre letzte Chance auf eine weitere Anstellung zu sein und hey, selbst wenn Lenora Hope vor (übrigens etwas mehr als) 50 Jahren ihre ganze Familie ermordet haben sollte - was soll sie einem nun, gelähmt und im Rollstuhl sitzend, schon groß antun können?
Im Hope-Anwesen trifft Kit noch auf die Verwalterin Miss Baker und den Koch Archie, die beide schon zum Zeitpunkt der Morde für die Familie tätig waren und Lenora Hope seither die Treue halten, sowie ein deutlich jüngeres Zimmermädchen sowie eine Art Gärtner-Hausmeister, die beide seit unter 5 Jahren dort angestellt sind: Kit ist Anfang 30, Lenora Hope ist rein rechnerisch 1912 geboren, der Roman spielt über 50 Jahre, nämlich Anfang der 1980er, nach der sich 1929 ereignet habenden Bluttat - und die Zeitstränge fand ich teils doch sehr seltsam, vor Allem da der aktuell immer noch aktive Polizist auch klare Erinnerungen an die Umstände des alten Falls hat. Zeitweise wirkte der Roman auf mich in diesem Sinne generell wie eine Ansammlung von alten Leuten, die von Dingen erzählten, die sich erst gestern (als sie dabei alle selbst erst 15-25 Jahre alt waren) zugetragen zu haben schienen, und von jungen Leuten, die von denselben Dingen wie von einer 100 Jahre alten Stadtlegende sprachen.
Ich glaube, für mich hätte es realer gewirkt, wäre der Hope-Mordfall etwas gewesen, das sich erst irgendwann in den Jahren kurz vor Kits Geburt ereignet hätte. Jedenfalls schien es heutzutage in der Stadt dort aber keine Menschen zwischen 40 und 60 zu geben.

Ich habe diesen Roman übrigens zwar geliebt; ich hatte zuletzt einige Schwierigkeiten, mich in Bücher einzufinden, aber diese Geschichte hat mich nun gleich eingesogen, dass ich auch nicht von ihr ablassen wollte, bis ich am Ende angekommen war, was nun für mich Grund genug ist, "Hope's End" mit 5 Sternen zu bewerten. Jedoch: Diese Geschichte hat dermaßen viele Logiklücken (nicht nur dass z.B. der erwähnte Polizist auffällig jung geblieben zu sein scheint; nein, er hat einerseits Kit noch immer auf dem Kieker und macht gar keinen Hehl aus seiner Abneigung ihr gegenüber, aber andererseits tritt er bereitwillig als wandelnder Wikipedia-Eintrag auf, wenn Kit etwas zur tragischen Geschichte der Hope-Familie wissen will) und überkandideltes Drama (natürlich droht das am Rande der Steilküste stehende Herrenhaus mitsamt des Felsens unter ihm nun gleich abzubrechen, aber solange Lenora Hope das selbst nicht will, wird natürlich nichts und niemand evakuiert, nach dem Motto "wenn das Haus runterfällt, sollten halt alle besser schnell zu fliegen lernen") und als ob das Ende des Hauptteils dann nicht schon spektakulär genug ausfiele, gibt es im Nachgang ein noch viel größeres Spektakel. Ein Showdown nach dem Showdown! Wie aufregend! Oder einfach nur albern. Wie gesagt: ICH hab’s geliebt. :)

Lenora Hope erzählt nun in diesem Roman also klammheimlich Kit mit Hilfe einer Schreibmaschine ihre gaaaaaanze Geschichte, zwar willens, den wahren Täter zu enthüllen, aber "XYZ war’s wirklich" ist natürlich zu einfach für eine gelähmte Frau, die unter Mühen nur noch vereinzelte Finger bewegen kann, und wie unaufregend! So muss man noch hoffen, dass die alte Dame überhaupt bis zum Schluss kommt, und bangen, dass sie just dann an Altersschwäche und Gebrechlichkeit sterben könnte, wenn sie erst am Tag der Morde angekommen ist.
Joah, diesen Roman kann man wohl wirklich nur aufregend oder albern finden.

Sagers zuletzt auf Deutsch erschienenes "NIGHT - Nacht der Angst" fand ich als Thriller doch überzeugender; da war alles sehr viel subtiler und feiner verwoben, aber der war halt auch nicht so aufregend wie "Hope's End: Du kannst niemandem trauen". Oder eben nicht so albern. (Aber das Lesen hat zumindest mir halt wahnsinnigen Spaß gemacht.)