Eigentlich fallen sämtliche Erzählungen, die im mehr oder minder dystopische(re)n Bereich angesiedelt sind, nicht so sehr in mein Beuteschema als Leser; im Falle von „Dry“ fand ich die Kurzbeschreibung aber sehr ansprechend, zumal ich zwar im „Wasserschloss Europas“ lebe, sich der Grundwasserspiegel nach dem Hitzesommer 2018 auch in unserer Region aber weiterhin noch nicht erholt hat, während bereits das Schreckgespenst einer potentiell folgenden Trockenperiode seine Runden zu ziehen begonnen hat. „Kein Wasser mehr“ klang nun also nach keinem völlig an den Haaren herbeigezogenem Szenario oder nach etwas, was allenfalls in ferner, ferner Zukunft einmal eintreffen könnte, sondern durchaus nach einer realen Bedrohung – und obschon die Thematik sicherlich alles andere als schön ist: Dieser Jugendroman hat mir nun ausgesprochen gut gefallen, und ich gehe durchaus auch davon aus, dass dieses Buch künftig auch als Schullektüre eingesetzt werden wird.
Die Handlung ist in Kalifornien angesiedelt, was insofern spannungsverstärkend wirkt als dass die dortige Region ohnehin auch häufig von riesigen Waldbränden geplagt ist und somit definitiv auf Wasser, und sei es auch zum Löschen der Feuersbrünste, angewiesen ist: In „Dry“ spielen Brände zunächst keine wesentlichen Rolle; dem Leser dürfte aber von Anfang an klar sein, dass diese wie ein zusätzliches Damoklesschwert über der ohnehin schon immer unerträglicher werdenden Lage schweben; zunächst konzentriert sich die Geschichte vielmehr auf die unterschiedlichen, menschlichen Verhaltensweisen, die sich im Katastrophenfall zeigen. Die Geschichte ist auch nicht einfach „von außen“ erzählt, sondern neben Alyssa berichten letztlich vor Allem noch drei weitere Jugendliche, mit denen sie und ihr kleiner Bruder Garrett sich unerwartet zu einer Art „zufälliger Zweckgemeinschaft“ zusammengefunden haben, abwechselnd von ihrer Odyssee, die sie von der größten Katastrophe weg und zum Wasser bzw. zum gesicherten Leben hinführen sollte. Dabei sind die Charaktere sehr unterschiedlich: Alyssa ist auf den ersten Blick eher das nette Mädchen von nebenan, Kelton ist der Sohn der als durchgeknallt geltenden Familie von nebenan, Jacqui ist die unberechenbare Rebellin und Henry der undurchsichtige Typ, der auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Kelton, ein Mitschüler Alyssas und zugleich eben der Nachbarssohn, entstammt dabei der typischen Prepper-Familie: Seine Familie ist theoretisch auf den Ernstfall vorbereitet, doch „Dry“ zeigt deutlich auf, dass es mit der Theorie längst nicht so weit her ist, sofern man das tatsächliche Verhalten des direkten Umfelds, in diesem Fall vor Allem jenes der Nachbarschaft, die völlig unvorbereitet von der Wassernot getroffen wurde, nicht genau kalkulieren kann. Theoretische Pläne sind eben vor Allem theoretisch – und hier zeigt sich dann auch prompt das moralische Dilemma sehr gut: Versucht man, nur sich so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen, oder schließt man sich zusammen und riskiert dabei, dass alle elendig verdursten…? Dieses Dilemma wird nur noch klarer, wenn unterwegs Gruppen angetroffen werden, die sich ebenso lediglich aus der Not heraus gebildet haben und die klar machen: Diese Fremden wären ohneeinander absolut verloren…
Selten wird noch zu einer Mitschülerin Alyssas geschwenkt, die sich im Prinzip plötzlich mit ihrer Mutter hingegen inmitten einer „verlorenen“ Menge wiedergefunden hat, in der es nur noch um das nackte Überleben des Einzelnen geht und wo man letztlich auch bereit ist, selbst für den kleinsten Schluck Wassers alles zu tun.
Die betroffene Region wird weithin abgeriegelt; es entstehen „Auffanglager“, die jedoch im Grunde genommen häufig nichts anderes als Todescamps sind; viele der Menschen, die nicht zeitig genug geflohen sind, gehen längst auf dem Zahnfleisch oder sind bereits verstorben; Seuchen breiten sich aus – und die Infrastruktur kommt nahezu zum kompletten Stillstand, weil einfach die Menschen fehlen, die sie aufrechterhalten (könnten). „Kein Wasser“ ist eben sehr viel mehr als „muss man halt mal durstig bleiben“, wobei das grad im kalifornischen Sommer noch weiter dadurch erschwert wird, dass entsprechend geschwitzt wird, was wiederum die Dehydration verstärkt. Und nach zwei, drei Tagen ohne Wasser, wenn auch die letzten Wasservorräte geplündert sind, ist der Wassermangel auch deutlich mehr als „bloß“ ein Durstgefühl.
„Dry“ zeigt da sehr drastisch auf, welch weitreichende Kreise ein im ersten Moment vielleicht simpel erscheinender Wassermangel ziehen kann; in der Geschichte wird das abgestellte Wasser zunächst häufig auch kaum ernstgenommen, sondern nur als temporäre Maßnahme gesehen, die einfach nervt und um die man sich nicht groß weiter scheren muss, weil das Wasser gleich bestimmt schon wieder fließen wird.
„Dry“ bildet das totale Chaos, den absoluten Ausnahmezustand ab – und jener ist dabei nichtmals ganz so absolut, denn immer wieder finden sich Hinweise, dass der Wassermangel kein nationales Problem ist: Aber andere US-Bundesstaaten können, obschon sie noch über ausreichend Wasser verfügen, hauptsächlich zu sehen, da auch trotz noch so intensiver Bemühungen das in den betroffenen Notstandsgebieten benötigte Wasser nicht mal „eben schnell“ und erst recht nicht in der benötigten Menge quer durch das Land transportiert werden kann. „Dry“ erzählt eine wirklich erschreckende Geschichte und man möchte sich gar nicht den Horror ausmalen, den es bedeuten würde, wäre „kein (Trink)Wasser“ plötzlich ein globales Problem - und vielleicht erkennt man auch die Arbeit der Brunnenbauer in afrikanischen Ländern noch sehr viel mehr an, in denen das Gros der Bevölkerung daran gewöhnt ist, nicht mal eben nur den Hahn aufdrehen zu müssen, um an Wasser zu gelangen.
Insgesamt ist „Dry“ ein tolles Buch, um zu verdeutlichen, was wirklich lebensnotwendig ist und dass der Mensch ebenso unberechenbar ist wie auch die Natur immer stärker sein kann als er. Das ist ein Roman, der ganz fantastisch in die Gegenwart passt – und definitiv nicht nur etwas für Jugendliche! Stellenweise musste ich selbst übrigens auch ein wenig an Kings „Todesmarsch“ denken, als die Protagonisten sich da so durch die Gegend bewegten, auch wenn die Plots beider Bücher sich ja grundlegend unterscheiden: Aber ich denke, wer „Todesmarsch“ mochte, der wird bestimmt auch Gefallen an „Dry“ finden!
[Ein Rezensionsexemplar war mir, via #NetGalleyDE, unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden.]