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Veröffentlicht am 27.10.2022

Genau, was ich gewollt habe

Ihr könnt doch noch nicht satt sein!
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Dieses Kochbuch kommt genretypisch zum Einen in gebundener Form daher und ist zum Anderen ca. doppelt so groß wie die sonstigen broschierten Erzählbände der Online-Omi. Die Aufmachung entspricht mit der ...

Dieses Kochbuch kommt genretypisch zum Einen in gebundener Form daher und ist zum Anderen ca. doppelt so groß wie die sonstigen broschierten Erzählbände der Online-Omi. Die Aufmachung entspricht mit der weiß-roten Karooptik (jene ist übrigens auch im Prägedruck gestaltet, man kann den „Stoff“ quasi fühlen) nicht nur traditionellen Geschirrtüchern, sondern eben auch jenen Notizbüchern von einst, in dem bereits Uroma ihre Rezepte handschriftlich vermerkt hatte; selbst ohne die Online-Omi zu kennen, würde mir das Motiv da „Ommas Rezepte!!!“ auf den ersten Blick entgegenschreien.
Tatsächlich konzentriert sich dieses Buch auch voll und ganz auf die Rezepte: Es gibt ein kurzes Vorwort sowie zu jedem Rezept einen knappen, zumeist heiteren Kommentar Renate Bergmanns, aber auf launige Anekdoten muss man hier ansonsten komplett verzichten. Die Rezepte erstrecken sich jeweils über eine Doppelseite, wobei auf einer Hälfte davon ein Bild des fertigen Gerichts abgebildet ist und die andere Seite jeweils das Rezept bereithält. Was mir bei den Fotos positiv aufgefallen ist: die Essen sehen alle sehr gut ausgeleuchtet und minimal kontrastreicher gefiltert aus, wirken dabei aber weder gekünstelt noch so als würde das nachgekochte Gericht bei einem daheim doch immer komplett anders aussehen.

Nicht nur die Buchgestaltung sieht von vornherein nach Omas Rezepten aus, sondern ganz erwartungsgemäß präsentiert die Online-Omi auch ebensolche. Da ist dieses Kochbuch sehr traditionell, und es gibt nun auch eine kurze Abteilung „Wenn Kirsten kommt“, in der vegetarische Rezepte aufgeführt sind (zudem gibt es noch die Sektion „Beilagen“, in der auch diverse vegetarische Gemüserezepte zu finden sind; find ich im Übrigen gut, dass jene Beilagen nicht auch mehr oder minder verlegenheitstechnisch einfach mit bei den vollwertigen vegetarischen Gerichten einsortiert wurden), aber Veganer*innen kommen hier definitiv zu kurz: Oma kocht halt viel mit Sahne und Butter, oder brät in Schmalz an.
Die enthaltenen Rezepte sind definitiv auch nicht überraschend: das Buch enthält die typische deutsche Hausmannskost (Falscher Hase, Käse-Hack-Lauch-Suppe, Königsberger Klopse, Rahmwirsing, Grießklößchen, Erbsensuppe, Möhreneintopf, Serviettenknödel…) wie Mama, Oma, Uroma sie eben gerne auf den Tisch gestellt haben. Ich koche fast jeden Tag, quer durch die Weltgeschichte, und vor Allem quer durch diverse online verfügbare Rezeptsammlungen, und dabei kommen „Rezepte von Omma“ zugegeben sehr kurz; bei der einen Oma wüsste ich außerdem gar nicht, ob noch irgendwo irgendwelche Rezeptkladden vorhanden wären, und bei der anderen Oma hatte sowas zwar mal existiert, wobei sie ihre Rezepte immer in Sütterlin aufschrieb, was ein weniger großes Problem gewesen wäre, wenn sie nicht zusätzlich, und auch laut eigener Aussage, eine absolute Sauklaue gehabt hätte. Selbst wenn deren Notizbücher plötzlich wieder auftauchen würden, könnte ich also eher rein gar nix damit anfangen.
Das Kochbuch der Online-Omi wollte ich von daher nach einem kurzen Blick ins Buch unbedingt haben, einfach um so eine gedruckte, ordentliche Sammlung typischer Oma-Rezepte zu haben, die zudem vor Allem nicht wie in vielen Onlinedatenbanken „auf einem Rezept meiner Oma basieren, aber ich habe es auf diese und jene dann noch eine ganz andere Weise aufgepimpt“, sondern ohne verändertes Klimbim eben an der Basis geblieben sind.

Ich mag dieses Kochbuch nun wirklich sehr; es ist genau so sehr Oma-Rezepte, wie ich es mir gewünscht habe. Für jemand, der aber genau derlei Hausmannskost ständig zubereitet, dürfte es ein eher uninteressantes Buch sein; meine Mama täte z.B. vermutlich nur darauf hinweisen, dass sie schon zig Landfrauen-Kochbücher besitzt und außerdem doch genau weiß, wie man Kohlrouladen zubereitet und dass sie auch ohne nachzuschlagen einen Tortenboden backen kann. Mir fehlt dieses Wissen hingegen. Naja, jetzt nicht mehr. ;)

Veröffentlicht am 25.09.2022

(Zu)Treffend

Schlangen im Garten
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Was hatte mich die poetische und doch bildgewaltige Sprache vor Schultes in ihrem Debüt „Junge mit schwarzem Hahn“ doch bereits begeistert und mich glauben lassen, sie könne mir die ödeste Geschichte der ...

Was hatte mich die poetische und doch bildgewaltige Sprache vor Schultes in ihrem Debüt „Junge mit schwarzem Hahn“ doch bereits begeistert und mich glauben lassen, sie könne mir die ödeste Geschichte der Welt präsentieren und ich würde mich ob ihres Ausdrucks dennoch von der ersten bis zur letzten Seite an jener erfreuen. Mit ihrem zweiten Buch verfestigte die Autorin nun diesen Eindruck; noch zwei Bücher mehr und ich werde einfach jedem von meiner neuen, liebsten zeitgenössischen deutschen Autorin vorschwärmen.
„Schlangen im Garten“ wirkt im Gegensatz zum Debüt nicht wie ein mystisches Märchen, sondern viel mehr wie eine kalte Dystopie, in der Emotionen nüchtern begegnet werden soll, die aber konträr zu dieser Erwartungshaltung von Impulsivität und Individualität geprägt sind: Erzählt wird von einer Familie, die kürzlich die Mutter bzw. Ehefrau verloren hat, und deren Mitglieder allesamt anders mit ihrer Trauer umgehen und sich, in den Augen Außenstehender, viel zu sehr darin verlieren, weswegen sich das „Traueramt“ einschaltet, das auf schnellere Akzeptanz drängt, und prüfen will, ob die Familie überhaupt „richtig“ trauert.

Wie ich schon sagte, fehlt „Schlangen im Garten“ zwar die durchgängige märchenhafte Mystik des Debüts der Autorin, beinhaltet aber doch ein gewisses Maß an Fantastik und auch die Bildsprache muss hier vielfach noch gedeutet und interpretiert werden. Es ist kein einfaches Buch, das nicht noch ein Mit- oder Nachdenken erfordern würde. Trotz solcher Elemente wie dem Traueramt habe ich diesen Roman nun doch auch sehr zeitgenössisch, und gar nicht als in irgendeiner Zukunftsvision oder zumindest in einer alternativen Gegenwart angesiedelt, empfunden, wozu sicherlich vor Allem beigetragen hat, dass diese Thematik der Trauer gegenwärtig ist. Es wird vermutlich keine Lesende dieses Buchs geben, die nicht bereits selbst einmal einen geliebten Mensch verloren haben; wir alle kennen wohl diese Sprüche in Richtung „So langsam muss er aber mal drüber hinwegkommen, Mama ist schon zwei Jahre tot.“ oder „Was? Sie hat jetzt einen Neuen? Schon? Ist ihr Mann nicht grad erst zwei Jahre tot?“ oder „Der hat sich auf der Geburtstagsfeier prächtig amüsiert; ich selbst hab den da einmal lachen sehen!; obwohl seine Frau vor fünf Monaten erst beerdigt worden ist.“ oder oder oder.
„Schlangen im Garten“ konzentriert sich sehr auf die Gefühlswelt der einzelnen Figuren; abseits der Trauer passiert hier nix; und ich fand es wunderbar, wie und dass die Charaktere hier so unterschiedlich gezeichnet wurden und man merkte, dass es da einfach kein richtig und kein falsch, geschweige denn diese eine bestimmende, Verhaltensweise gab.
Hier dürfte es immer die eine Person geben, mit deren Verhalten man sich identifizieren kann, und die Anderen eignen sich, die eigene Meinung und eventuelle Vorurteile zu reflektieren; mir hat es zumindest geholfen, bestimmte Auftretensweisen innert einer Trauerphase mal anders betrachten zu können. Bei einem akuten Todesfall im persönlichen Umfeld würde ich definitiv nicht zu diesem Roman greifen, aber zum Abschluss einer Trauerphase könnte ich es mir durchaus als tröstlich und „verstehend“ vorstellen; generell würde ich „Schlangen im Garten“ aber eher in einer nachdenklichen und eventuell sentimentalen Phasen des Lebens, die völlig losgelöst von jeglichen (erwartbaren) Todesfällen sind, zu lesen vorziehen. Es rührt doch schon sehr an.

Veröffentlicht am 09.09.2022

Endlich wieder was mit Geistern!

SCHNEE
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Das war (fast) richtig gut: Ich war, wie ich gerne zugebe, schon fast ein wenig genervt, dass es zuletzt hauptsächlich „rein“ Kriminalromane Yrsa Sigurðardóttirs gab, deren paranormal angehauchte Mysterythriller ...

Das war (fast) richtig gut: Ich war, wie ich gerne zugebe, schon fast ein wenig genervt, dass es zuletzt hauptsächlich „rein“ Kriminalromane Yrsa Sigurðardóttirs gab, deren paranormal angehauchte Mysterythriller ich immer sehr gerne mochte – entsprechend gefreut hat es mich, dass mit „Schnee“ endlich wieder einmal ein Standalone von ihr erschienen ist, das in den Gruselbereich hineinragt.

„Schnee“ zeichnet sich durch verschiedene Erzählstränge aus: letztlich fand ich es ein wenig irritierend, dass im Prolog die Figur des Kolbeinn eingeführt wird, der zusammen mit seinem Bruder das Elternhaus verkauft hat und von den Käufern u.A. einen einzelnen im Garten ausgebuddelten Kinderschuh überreicht bekommt, ehe er einen Anruf aus dem Pflegeheim der Mutter erhält, dass diese nach ihren Kindern verlangt, einschließlich ihrer Tochter, wobei sich die Söhne an keine Schwester erinnern. Hernach wird weder erwähnt, was aus dem Besuch bei der Mutter eigentlich geworden ist, und zum Buchende wird zwar eine eindeutige Verbindung zum Prolog hergestellt, aber statt Kolbeinn wird regelmäßig dessen Bruder Hjörvar thematisiert, der für die Küstenwache auf einer abgelegenen Radarstation tätig ist und dort übernatürliche Erlebnisse zu haben meint. So recht hat sich mir nicht erschlossen, wieso statt Hjörvar eingangs Kolbeinn in dieser Geschichte aktiv sein musste.
In einem weiteren Strang steht Jóhanna im Mittelpunkt, Angestellte in einer hiesigen Fabrik, freiwillige Mitarbeiterin bei der Rettungswacht und Lebensgefährtin eines Polizisten, der mit Ermittlungen im Fall einer verschwundenen Wandergruppe betraut ist, von der Jóhanna im Rahmen einer konzertierten Suchaktion die erste Leiche gefunden hat. Sie hadert seit einem Unfall, der sie leicht gehbehindert zurückgelassen hat, damit, dass ihrer Sportkarriere dadurch der Gar aus gemacht wurde – zudem widerfahren auch ihr, allerdings daheim, merkwürdige Dinge.
Während die Geschichten von Hjörvar und Jóhanna zeitlich parallel nach dem Verschwinden der Wandergruppe stattfinden, berichtet ein weiterer Erzählstrang, sich auf die Figur der Dröfn konzentrierend, davon, was eigentlich mit der Wandergruppe gewesen war. Dröfn war Teil dieser Gruppe, und auch sie wurde während des Trips mit seltsamen Erscheinungen konfrontiert.
Während Hjörvar, Jóhanna und Dröfn zunächst gemein ist, dass sie an ihrer eigenen Wahrnehmung zweifeln, wird zum Schluss noch ein verbindendes Element zwischen ihnen offenbart, das mich durchaus verblüffte; einerseits fand ich es schön, dass hier doch ein klarer Zusammenhang ersichtlich wurde, andererseits fand ich diesen Zusammenhang dann doch aber auch etwas konstruiert. Ganz zufrieden war ich mit dem Schluss da nicht, zumal mir nicht klar war, was genau nun eigentlich das Motiv bzw. das Ziel einer bestimmten Person war; sollte da überhaupt etwas erreicht werden oder war das alles nur just for fun?

Auch wenn einige gruseligen Vorkommnisse letztlich rational aufgeklärt werden, blieben in „Schnee“ doch auch recht viele Mysteryelemente bestehen; wer rein gar nichts mit Paranormalem anfangen kann, wird auch mit diesem Roman wohl nichts anfangen können bzw. die Geschichte letztlich als „ziemlichen Mumpitz“ abtun. Mich hat es allerdings gefreut, dass mit „Schnee“ nun in einem weiteren Thriller der Autorin mal wieder „richtig“ umhergespukt wurde und ich habe den Roman zwischendurch nur äußerst ungern mal aus der Hand gelegt.

Veröffentlicht am 06.09.2022

Eher die Biografie einer ganzen Familie als die eines einzelnen Mannes

Isidor
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Den Anfang von „Isidor“ fand ich noch etwas schleppend, denn nicht nur, dass man Isidor zunächst eher als Nebenfigur erlebt, nein, im nächsten Moment bekommt man eine komplette Familie vorgestellt und ...

Den Anfang von „Isidor“ fand ich noch etwas schleppend, denn nicht nur, dass man Isidor zunächst eher als Nebenfigur erlebt, nein, im nächsten Moment bekommt man eine komplette Familie vorgestellt und der erste Satz lautet zwar „Mein Urgroßonkel war ein Dandy.“, aber ohne jegliche Hintergrundinfos war es meines Erachtens da doch noch schwer nachzuvollziehen, ob die Autorin tatsächlich mit der Erzählerin identisch wäre, denn eingangs wirkte die gesamte Schilderung für mich noch sehr distanziert. Das verlor sich im weiteren Verlauf aber sehr: Persönlich hatte ich letztlich den Eindruck, dass die Autorin über „Fremde“ zu recherchieren begonnen hatte und in diesen letztlich doch ihre Familie und deren Geschichte erkannt hat, und sich diese anfängliche Kühle auch im Beginn dieser Biografie widerspiegelte.
Ich hatte zudem erwartet, dass sich das Buch sehr viel mehr um Isidor drehen würde; stattdessen kam er mir wie ein zentraler (und im Vergleich sehr schillernder) Fixpunkt vor, um den alles und jeder drumherum ermittelt wurde; ich habe „Isidor“ sehr viel mehr als „Eine jüdische Familie“ anstelle „eines jüdischen Lebens“ empfunden. Da hatte ich mir angesichts des Klappentexts, der für mich zudem gar eher nach Belletristik und weniger nach Sachbuch klingt, definitiv einen etwas anderen Inhalt vorgestellt.

Die Recherchearbeit, die Shelly Kupferberg geleistet haben muss, muss definitiv enorm gewesen sein: das Buch beleuchtet vor Allem die Zeit des Nationalsozialismus noch vor dem endgültigen Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und was ich hier besonders interessant fand, war die Schilderung der nötigen Voraussetzungen, um emigrieren zu können. Sehr viele Bücher bzgl. jener Zeit konzentrieren sich doch auf die Umstände des Holocausts bzw. erwähnen zwar mal Menschen, „die noch zeitig fliehen konnten“ bzw. „die noch vor Ausbruch des 2. Weltkriegs nach Israel, in die USA… übersiedeln konnten“, aber mir war weitgehend unbekannt, welche Unterlagen da doch auch dem nationalsozialistischen Regime noch vorgelegt und welche „Gebühren“ gezahlt werden mussten etc., und ich fand es spannend, dass die Autorin sich schließlich sogar auf die Suche nach dem (benennen wir es ganz ehrlich) geraubten Eigentum ihrer Vorfahren machte und dabei tatsächlich auf, noch bestehende, Spuren ihrer Familie stieß.
Da war „Isidor“ nun deutlich aufschlussreicher als andere Werke, in denen zwar erwähnt wird, dass und was die Nazis ihren Opfern genommen haben, in denen aber offen bleibt, was genau mit diesen Dingen passiert ist.

Das Buch ist sehr sachlich gehalten, auch wenn man dem Text meiner Meinung nach mehr und mehr eben den persönlichen Bezug der Autorin zu den beschriebenen Personen anmerkt, journalistisch-fundiert und was mich letztlich auch sehr begeistert hat, ist das Cover, was mich auf der einen Seite zwar sofort total angesprochen hatte, aber auf der anderen Seite ohne jeglichen Bezug zum Roman wirkte. Aber zum Schluss findet sich hier noch ein Interview mit der Autorin, in dem sie einen eigenen Besuch an Isidors Grab schildert, und da wird es plötzlich absolut offensichtlich, was es mit ausgerechnet diesem Reh vom Cover auf sich hat. Tatsächlich hat „Isidor“ da eines der zum Inhalt passendsten Covermotive, die ich seit Langem, wenn nicht überhaupt, gesehen habe.

Nun hatte ich zwar eine eindeutigere Fokussierung auf den titelgebenden Isidor erwartet, aber insgesamt hat mich dann doch begeistert, dass hier mehr oder weniger ein vollständiges Konstrukt aus Verwandten und Bekannten um ihn herum beleuchtet wurde, da das Ganze so sehr vielschichtiger, und in gewisser Weise auch bedrückender, wurde, da man sehr deutlich gemacht bekam, wie die Geschehnisse damals auch Familien entfremdeten und wie sehr sich selbst in derselben Blase die persönlichen Eindrücke und Befürchtungen teils voneinander unterschieden. Da ist es der Autorin sehr gut gelungen, den Personen ein eigenes Gesicht zu geben und sie nicht in einer homogenen Gruppe miteinander verschwimmen zu lassen.
Definitiv lesenswert!

Veröffentlicht am 15.07.2022

Anfangs undurchsichtig, aber...

Als das Böse kam
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Das war – toll! Im Anschluss an die Geschichte erwähnt der Autor, dass diese Geschichte eigentlich das Drehbuch einer Netflix-Filmproduktion hätte werden sollen, aber aufgrund diverser Drehstopps etc. ...

Das war – toll! Im Anschluss an die Geschichte erwähnt der Autor, dass diese Geschichte eigentlich das Drehbuch einer Netflix-Filmproduktion hätte werden sollen, aber aufgrund diverser Drehstopps etc. im Rahmen globaler Covid19-Maßnahmen doch „nur“ sein erster belletristischer Roman wurde: Ich würde mir eine Verfilmung hiervon definitiv auch noch ansehen, bin aber prinzipiell sehr damit zufrieden, diesen Plot gelesen einfach nur gelesen zu haben, da der Erzählstil mein Kopfkino wirklich hat rundlaufen lassen, ohne dass mir da vorgegebene Szenenbilder die Fantasie verpfuscht hätten.

„Als das Böse kam“ wird von Juno erzählt, die sich nicht daran erinnern kann, je woanders als von der Außenwelt isoliert auf der Insel gelebt zu haben, auf der ihre Eltern sich mit ihrem kleinen Bruder und ihr vor den „Fremdlingen“ verstecken. Einmal wöchentlich tuckert mit Onkel Ole ein „Wächter“ vom Festland heran, der allerdings auch nichts von der Existenz der Kinder erfahren soll, bei Vollmond unternimmt der Vater allein die Basiseinkäufe, und die Welt ringsum scheint sich nur in Südland und Nordland zu unterscheiden – doch irgendwann beginnt Juno zu hinterfragen, wieso die Familie so isoliert lebt, in welcher Gefahr sie sich genau befinden und warum auf dem „Risiko“-Spielbrett weder Südland noch Nordland als Länder verzeichnet sind.
Hier ist noch relativ unklar, wie zeitgenössisch dieser Thriller eigentlich ist, oder wie authentisch: Hat das ganze einen SciFi-Hintergrund, gibt es Horrorelemente, sind die Eltern einfach nur sehr konservativ oder gar völkisch eingestellt…? Mich hat „Als das Böse kam“ zuweilen, vor Allem vom Stil her, an „Bird Box“ (von mir sehr geliebt) erinnert und ich habe den Roman wirklich nicht aus der Hand legen können. Das war nun ein psychodramatischer Thriller, der mich definitiv hervorragend unterhalten hat.

Relativ bald erklärt Junos Vater, weswegen die Familie versteckt bleiben muss; angesichts dieser Erklärung dachte ich noch: „Oh, okay, das ergibt Sinn, hätte aber sicherlich auch effizienter geregelt werden können“ und während ich mich aber noch fragte, wieso die Kinder dann eigentlich auch vor den sogenannten „Wächtern“, die dem Schutz der Familie dienen sollten, geheimbleiben sollten, was im Katastrophenfall sicherlich doch kontraproduktiv gewesen wäre (vielleicht doch ein SciFi-Aspekt, bei dem es Wesen wie Körperfresser auf Kinder abgesehen hätten oder Ähnliches?), macht Juno weitere Entdeckungen, die darauf hinweisen, dass sich die Familie nicht vor dem Bösen versteckt, sondern dass das Böse auf der Insel ist und so von der „guten“ Welt abgegrenzt ist… mehr möchte ich dazu nun gar nicht sagen, denn dazu müsste ich richtig übel spoilern.
Die tatsächliche Auflösung ist allerdings sehr nah an ganz bestimmten tragischen Umständen, von denen Menschen weltweit Kenntnisse haben, und hier wird quasi ein „Was ist/wäre, wenn…“-Plot gewoben und was mich letztlich mit am Meisten erschreckt hat, war die unbestrittene Tatsache, dass sich ein solches Drama tatsächlich genauso wie in diesem Roman abspielen könnte.
Naja, vielleicht nicht ganz genauso, denn mich hat es letztlich arg irritiert, dass man es hier zu diesem zugegeben furiosen Showdown hat kommen lassen, obschon die Gegenspieler zu jenem Zeitpunkt die Insel längst hätten stürmen können; da gab es zwar einen halbherzigen Erklärungsversuch, den ich aber nicht wirklich habe glauben können. Das ist allerdings auch mein einziger Kritikpunkt.
Alles in Allem ist „Als das Böse kam“ in diesem Jahr bisher eine meiner liebsten Lektüren in Sachen Unterhaltungsliteratur. 4,7*, um bei der Endwertung ganz genau zu sein.