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Veröffentlicht am 11.04.2023

Erinnerungen an eine Kindheit in Bulgarien

Samuels Buch
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Samuel Finzi erzählt über seine Kindheit in Sofia und Plovdov, wo er zufällig 1966 geboren wurde und seine Großeltern lebten. Bulgarien war in den 70ern und 80ern stramm sozialistisch, wozu gehört, dass ...

Samuel Finzi erzählt über seine Kindheit in Sofia und Plovdov, wo er zufällig 1966 geboren wurde und seine Großeltern lebten. Bulgarien war in den 70ern und 80ern stramm sozialistisch, wozu gehört, dass man nicht einfach durch die Weltgeschichte reisen durfte, um andere Länder und Sitten kennen zu lernen. Zu groß war die Furcht, durch das Erfahren kapitalistischer, benachbarter Staaten dem eigenen Land den Rücken zu kehren oder gar ähnliche Zustände für das eigene Land zu fordern. Entsprechend streng wurde auf die schulische Prägung geachtet.
Samuel Finzi allerdings wächst in einer Künstlerfamilie auf, was wahrscheinlich schon ausreicht, gewisse Freidenker-Mentalitäten zu entwickeln. Schon früh fühlte er, dass er diesen politischen Fesseln irgendwann entkommen wird. Die Glasnost-Politik Gorbatschows öffnet auch für ihn die Grenzen in den Rest Europas.

Laut Buchbeschreibung handelt es sich um einen biografischen Roman, was ich nicht ganz nachvollziehen kann. Denn für einen Roman fehlt mir ein stringenter roter Faden. An sich aber kein Makel, nur stört mich die Einordnung des Verlags.
Statt rotem Faden gibt es muntere Sprünge durch verschiedene Altersstufen und Begebenheiten. Gerade so, als würde man am gemütlichen Kaminfeuer gegenseitig Erinnerungen austauschen. Von Banalitäten bis hin zu tiefgehenden Erlebnissen - an was man sich halt aus seiner Kindheit und Jugend so alles erinnert.
Das alles in einem Schreibstil, der tatsächlich an lockere Gespräche erinnert. So bildhaft und lebendig, teils auch etwas launig, dass einem unwillkürlich Bilder vor dem inneren Auge erscheinen. Mir gefiel das ausgesprochen gut und ich finde, dass Sancho Finzi nicht nur ein hervorragender Schauspieler ist, sondern sich auch durchaus als Autor einen Namen machen kann.

Fazit: Absolut empfehlenswerte Unterhaltung mit viel historischem Background aus Bulgarien - weniger geeignet für überzeugte Sozialisten

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Veröffentlicht am 14.08.2022

Jüdisches Schicksal in Österreich

Isidor
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Shelly Kupferberg hat das Leben ihres Urgroßonkels Isidor aufgezeichnet. Recherchiert in Akten, Dokumenten, Briefen und auch in Erinnerungen ihres Großvaters.
Isidor wuchs mit seiner Familie in Ostgalizien ...

Shelly Kupferberg hat das Leben ihres Urgroßonkels Isidor aufgezeichnet. Recherchiert in Akten, Dokumenten, Briefen und auch in Erinnerungen ihres Großvaters.
Isidor wuchs mit seiner Familie in Ostgalizien unter ärmsten Bedingungen auf. Um mehr aus diesem Leben zu machen, zog es mit Ausnahme des traditionellen orthodoxen Vaters die Familie Richtung Wien, der damaligen Kulturmetropole Nummer 1 in Europa. Und diese Entscheidung schien absolut richtig zu sein. Isidor absolviert ein Studium und nutzt die von der Inflation geprägten 20er Jahre des 19. Jahrhunderts um einen ordentlichen Reichtum anzuhäufen. Er wird zum Kommerzialrat ernannt und erfreut sich neben seinem Reichtum auch der schönen Künste, die Wien zu bieten hat und die er sich inzwischen ganz bequem erlauben kann. Er ist ein Mann von Welt mit genügend Einfluss in gehobenen Kreisen und verfügt über Stil und herrisches Auftreten. Keine Frage: Isidor hat es geschafft!
Leider hat er die Nationalsozialisten nie wirklich als ernsthafte Bedrohung aufgefasst. Was soll einem wichtigen und einflussreichen Mann wie ihm schon passieren? Doch dieser Mann hat einen riesigen Makel, den man nicht einfach mit Geld auslöschen kann - er ist Jude. Was das bedeutet, muss er am Tag nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland bitter erfahren...

Die Geschichte ihres Ahnen hat Shelly Kupferberg nach sicher sehr umfangreichen und aufwendigen Recherchen gekonnt zu Papier gebracht. Auf recht distanzierte Weise, was gewisse Passagen erträglicher macht.
Leider hatte ich manchmal das Gefühl, dass der Fokus gar nicht auf Isidor lag, sondern sehr viel um seine Mitmenschen beschrieben wurde. Ein großer Part lag z. B. auf seiner Geliebten Ilona Hajmassy, die später in Hollywood Kariere machte. Das ist zwar verständlich, aber trotzdem fand ich es etwas störend, denn eigentlich interessierten mich Isidor und sein Neffe Walter deutlich mehr.
Sehr aufschlussreich waren die Erläuterungen zum Umgang mit jüdischem Vermögen und welche Schikanen erdacht wurden, nur um die jüdischen Mitbürger zu zermürben und zerstören. Dass dies alles schon recht früh geschah, noch vor Kriegsbeginn, finde ich tatsächlich erschreckend und entlarvend. Wie schnell der ganz normale Mensch und bisherige Nachbar zum Mitläufer, Denunzianten und Sadisten werden kann ist einfach nur unfassbar für mich. Ich hoffe sehr, dass sich so etwas niemals wiederholen wird!

Fazit: Ein erschreckendes und aufklärendes Stück Zeitgeschichte

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Veröffentlicht am 03.05.2022

Vielschichtiger Roman um ein juristisches Dilemma

Die sieben Schalen des Zorns
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Markus Thiele hat sich eines Themas angenommen, das hierzulande die Gemüter ähnlich spaltet wie das Thema Abtreibung: Sterbehilfe.
Von unterschiedlichen Seiten her wird an die Thematik heran gegangen, ...

Markus Thiele hat sich eines Themas angenommen, das hierzulande die Gemüter ähnlich spaltet wie das Thema Abtreibung: Sterbehilfe.
Von unterschiedlichen Seiten her wird an die Thematik heran gegangen, die unterschiedlichen Sichtweisen durch verschiedene Protagonisten eingenommen. Dazwischen das Dilemma von Jonas, Staatsanwalt mit großen Chancen auf Beförderung. Nicht zuletzt deshalb, weil ihn mit dem Angeklagten Max seit ihrer Kindheit eine tiefe Freundschaft verbindet. Und er kannte das vermeintliche Opfer ebenso von Kindesbeinen an. Dazu kommt noch eine alte Schuld gegenüber Max, der ihn seinerzeit vor weitreichenden Folgen bewahrte.
Auf der anderen Seite ist Jonas Staatsanwalt durch und durch; immer auf der Seite des Gesetzes, auch, wenn ein Gesetz ihm nicht immer richtig erscheint. Seiner Meinung nach muss die Rechtsprechung sich an die geltenden Gesetze halten. Für eine etwaige Änderung oder Anpassung sind ausschließlich die gesetzgebenden Institutionen zuständig.

Der Roman entwickelt sich mit jedem Kapitel und lässt das Geschehene und die Hintergründe immer klarer für die Lesenden erscheinen. Nichts ist wirklich einfach. Die beiden Protagonisten Max und Jonas könnten unterschiedlicher kaum sein, was das Elternhaus und das Umfeld angeht. Trotzdem werden sie innige Freunde und verbringen ihre gesamte Jugend miteinander.
Dankenswerterweise sind die unterschiedlichen Kapitel mit Ort und Datum versehen, dass beim Lesen keine Unklarheiten aufkommen. Es gibt immer wieder Zeitsprünge, die für das bessere Verständnis des "Täters" vonnöten sind.
Die Charaktere, allen voran Max, werden mit der Geschichte immer dichter und klarer und ich konnte mich sehr gut in eigentlich alle Personen des Romans einfühlen. Es wird keine Partei ergriffen, sondern im Grunde jeder Argumentation Raum gegeben, sodass man sich während der Lektüre selbst eine Meinung bilden kann.
Sehr interessant war für mich der Einstieg des Buches, bei dem Jonas in Max Schuld gerät. Genau das bringt ihn später in die Bredouille, ob wirklich immer für ihn Recht und Gesetz an erster Stelle steht.

Der Roman ist sehr unterhaltsam geschrieben, wenngleich er mich nicht so mitgerissen hat wie sein letztes Buch. Trotz allem uneingeschränkt empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 15.08.2021

Hebamme vor 200 Jahren

Die Hebamme
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Stina, so wird Marta Christine Andersdatter Nesje genannt, wird Ende des 18. Jahrhunderts am Romsdalsfjord geboren als Tochter eines Schuhmachers. Zusammen mit ihrer Schwester wächst sie wohlbehütet, wenn ...

Stina, so wird Marta Christine Andersdatter Nesje genannt, wird Ende des 18. Jahrhunderts am Romsdalsfjord geboren als Tochter eines Schuhmachers. Zusammen mit ihrer Schwester wächst sie wohlbehütet, wenn auch in recht armen Verhältnissen in einem Häuslerhof auf. Sie ist sehr aufgeweckt und durch ein recht gruseliges Kindheitserlebnis wächst in ihr schon früh der Wunsch, Hebamme zu werden und schwangeren Frauen zu helfen.
Der Autor und Nachfahre von Stina, Edvard Hoem, hat ausführliche Recherchen betrieben, um ihr ein literarisches Denkmal zu setzen. Anfang des 19. Jahrhunderts ist es alles andere als leicht für eine junge Frau, eine solche Ausbildung zur Hebamme zu machen, die von den Mitbürgern auch anerkannt und genutzt wird. So sieht sie sich irgendwann gezwungen, einen 600 km Marsch nach Christiania (Oslo) auf sich zu nehmen, um über mehrere Monate eine anerkannte Hebammenschule zu besuchen.

Es handelt sich bei diesem Buch um einen Roman, mit vielen fiktiven Anteilen. Lediglich die Angaben aus den alten Kirchenbüchern und weiteren historischen Dokumenten liefern Fakten für den entsprechenden Rahmen der Story.
Das Leben in Zeiten teils kriegerischer Auseinandersetzungen mit Schweden war hart! Außerdem hat Norwegen ein raues Klima, was eine ertragreiche Landwirtschaft nicht immer einfach und vor allem unsicher macht. Gerade dieses entbehrungsreiche Leben ist ein großer Bestandteil der Geschichte und Hoem lässt es wortgewandt auferstehen.
Im Mittelteil des Buches hatte ich zeitweise den Eindruck, als wäre die Person des Ehemannes Hans eigentlich der Hauptdarsteller. Alles drehte sich ständig um ihn und seine Probleme, die er aus dem Fronteinsatz mitbrachte. Warum diese Person so in den Vordergrund rückte, hat sich mir nicht ganz erschlossen. Damit haderte ich ein wenig, denn Stine hätte sicher auch so genügend Spielraum geboten für eine interessante, abwechslungsreiche Geschichte, die natürlich ohne ihren Mann so nicht möglich gewesen wäre.
Überhaupt ist dieser Roman eher sachlich wie eine Chronik geschrieben. Prinzipiell fand ich jedoch gut, dass er nicht in den üblichen reißerischen Hebammen-Roman-Stil verfiel, sondern nüchtern erzählte. Aber manchmal hätte ich mir durchaus mehr Kontakt zu den Protagonisten gewünscht, die mir auf seltsame Art fremd blieben und mich kaum berührten.
Dennoch ist es so gut geschrieben, dass mir die Lektüre keine Minute lang wurde und ich gerne darin weitergelesen habe.

Fazit: Es ist nie falsch, etwas über alte Zeiten zu lesen und dabei zu lernen! Noch dazu, wenn es so gut geschrieben ist.

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Veröffentlicht am 26.04.2021

Außergewöhnlich und mit Tiefgang

Die Wahrheit der Dinge
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Frank Petersen ist mit ganzem Herzen Richter, aber in den letzten Jahren hat er begonnen, an sich selbst zu zweifeln. Einige seiner Urteile wurden vom BGH aufgehoben und er ist sich nicht sicher, ob er ...

Frank Petersen ist mit ganzem Herzen Richter, aber in den letzten Jahren hat er begonnen, an sich selbst zu zweifeln. Einige seiner Urteile wurden vom BGH aufgehoben und er ist sich nicht sicher, ob er seinen Beruf noch so ausübt, wie er es von sich selbst erwartet. Sein letztes Urteil ist so umstritten, dass sogar seine Frau sich von ihm abwendet und ihn mitsamt Sohn verlässt. Obwohl er sicher ist, dass er gemäß Gesetz und besten Gewissens vorurteilsfrei geurteilt hat. Auch dieser Fall kommt vor den Bundesgerichtshof und dessen Entscheidung steht zu erwarten. Petersen überlegt, seinen Beruf an den Nagel zu hängen.

Es fällt nicht ganz leicht, dieses Buch zu rezensieren, ohne zu viel vom Inhalt zu verraten. Die Misere begann für ihn, als 2010 kurz vor seiner Urteilsverkündung der angeklagte Täter aus dem rechten Milieu von der Mutter des Opfers im Gerichtssaal erschossen wird. Seitdem fragt er sich, ob er einen Fehler machte, ob er diese Tat hätte verhindern können. Nun, im Jahr 2015, wird die Täterin aus der Haft entlassen und alles droht Petersen erneut zu überrollen.

Dieses Buch ist von einem Thriller sicherlich weit entfernt. Es ist eher eine Analyse - sowohl der Psyche des Richters als auch des Justizsystems. Parallel erzählt das Buch in 3 Erzählsträngen unterschiedlicher Zeiten und erst im Verlauf der Geschichte erfährt der/die Lesende, wie alles aufeinander aufbaut und miteinander verbunden ist.
Interessant ist, dass die Protagonisten teils an den realen Fällen Bachmeier und Kiowa angelehnt sind. Das sollte einem vielleicht bewusst machen, dass das Geschilderte nicht nur abenteuerliche Fiktion ist, sondern jederzeit überall passieren kann.
Der Schreibstil ist überraschend gut und sehr eingängig. Die Charaktere sind wirklich gut heraus gearbeitet und ich konnte mich in jede der Personen hervorragend einfühlen. Und das ohne jede übermäßige Rührseligkeit und bei entsprechender Sachlichkeit. Die Gedankengänge und Gefühle waren schlichtweg nachvollziehbar und in meinen Augen sehr tiefgehend.

Fazit: Ein ruhiges Buch, dass ich nur jedem ans Herz legen kann, der etwas über die Problematik von Urteilsfindung und -tragweite lesen möchte.

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