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Veröffentlicht am 22.06.2017

Gott oder Teufel?

Frau Bengtsson geht zum Teufel
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Wen versteht man besser von Beiden? Diese Frage ist spätestens nach Lektüre dieses Buches nicht mehr so einfach zu beantworten. Schon das Cover verspricht einen humorvollen Roman und genau das ist er auch. ...

Wen versteht man besser von Beiden? Diese Frage ist spätestens nach Lektüre dieses Buches nicht mehr so einfach zu beantworten. Schon das Cover verspricht einen humorvollen Roman und genau das ist er auch. Gott sei Dank fernab übertriebener Lächerlichkeit, wie bei vielen Comedybüchern. Statt dessen eine gute Menge subtiler Humor, der einen eher schmunzeln lässt.
Faszinierend war für mich die Thematik an sich: Die Auseinandersetzung mit der kirchlichen Lehre, wenngleich auf sehr humorige Art und Weise. Frau Bengtsson ist an sich eine gläubige Frau, auch wenn sie keine große Frömmigkeit zur Schau trägt. Ihr geschieht das Unfassbare: Sie stirbt während eines Entspannungsbades und wird von Gott, der dies zufällig mitbekommt, wieder zum Leben erweckt indem er die vergangenen Sekunden zurück dreht und den Stöpsel aus der Wanne zieht.
Nun erwartet Frau Bengtsson irgendein Zeichen Gottes, weshalb er sie gerettet hat. Aber Fehlanzeige! Sie greift zur Bibel, die sie ihrer Meinung nach bisher sträflich vernachlässigt hatte, weil sie sich hier Aufklärung verspricht und kommt während des Studiums des Alten Testaments immer mehr ins Grübeln (ein Effekt, der sich bei mir ebenfalls einstellte - nebenbei bemerkt). Wie kann ein Gott so sein? Wie kann Gott so rachsüchtig und grausam sein? Warum tut Gott all das, was er von den Menschen verlangt, dass sie es lassen sollen? Sie versucht, von ihrer befreundeten Nachbarin Rakel - einer überfrommen Theologiestudentin - Aufklärung darüber zu erhalten. Zielsicher hat sich jedoch der Wanderer (Satan) genau eben jene Rakel als Medium auserkoren und er übernimmt ihren Körper. Natürlich unterstützt die neue Rakel die Zweifel und beeinflusst gekonnt durch entsprechende Fragestellungen und Denkanstöße die verzweifelte Auflehnung der Frau Bengtsson. Diese fordert Gott heraus, indem sie sich vornimmt, seine sämtlichen 10 Gebote zu brechen, und zwar vollkommen ohne jede spätere Reue - sonst zähle es nicht (sagt Rakel). Und Frau Bengtsson beginnt den Weg durch ihre eigenen 10 Gebote...
Ich fand es sehr spannend, die Entwicklung der Wandlung zu beobachten. Die Gedankengänge der Frau Bengtsson waren für mich überhaupt nicht abwegig. Die Schlüsse die sie daraus zog schon eher. Man beobachtet, wie sie sich immer tiefer in ihre Wut hinein steigert. Statt auf ihren Mann wütend zu sein, der sich prinzipiell überhaupt nicht für sie interessiert - außer sie landen in der Horizontalen - ihr nicht einmal zuhört, wenn sie ihm etwas für sie Wichtiges berichtet, lenkt sie ihre ganze Wut gegen Gott. Sie zweifelt an seinen Regeln und überhaupt am Glauben. Dabei merkt sie nicht, wie sehr sie im Grunde von seiner Existenz überzeugt ist. Warum sonst würde sie sich die Mühe machen, es ihm mal richtig zu zeigen? Ihr Plan ist, dass sie lieber in die Hölle möchte statt in den Himmel. Und immer, wenn einem kurze Einblicke in den göttlichen Alltag gewährt werden, die zwar allesamt recht kurz, aber dafür umso prägnanter sind, möchte man ihr durchaus beipflichten. Gott ist manchmal ein A.....
Der Satan hingegen ist zwar ein unangenehmer Geselle, aber man kann ihn schon irgendwie verstehen. Nicht sein Tun, aber warum er so geworden ist - bei DEM Gott. Schon der Weg auf die Welt der Sterblichen auf der Suche nach seinem geeigneten Medium ist im wahrsten Sinne des Wortes zum Piepen. Der gehörnte Kanarienvogel auf Titel und Rückseite sowie jeder Kapitelüberschrift kommt nicht von Ungefähr. Das war eine der Stellen, die schon in den Bereich Comedy abdrifteten. Zum Glück hat Frau Jensen jedoch immer wieder die Reißleine gezogen, um nicht ins Seichte abzugleiten.
Ganz zum Schluss musste ich doch laut auflachen und mir gleich die Hand vor den Mund halten vor Schreck, dass ich ausgerechnet bei einer solchen Stelle laut lachen musste. Dieses Buch verführt einen regelrecht, manches ein wenig anders zu sehen.
Ihr Schreibstil ist verteufelt gut zu lesen. Witzig, manchmal knackig und auf den Punkt, dann aber auch wieder mit Liebe zum Detail. Immer mit einer guten Portion untergründigem, manchmal auch vordergründigem Humor geschrieben. Dabei wahrt sie eine gewisse Distanz zu den Protagonisten und schildert alles ohne moralische Wertung. Vollkommen frei von jeglichem Mitleid für wen auch immer aus der Sicht eines stillen Beobachters.
In erster Linie ist es sicher ein unterhaltsamer, amüsanter Roman. Die Hinterfragung Gottes bzw. der Religion kommt m. E. dennoch nicht zu kurz. Ein gewagter Balanceakt, der meiner Meinung nach herrlich gelungen ist! Die Aufmachung des Buches gefällt mir sehr - vor allem die abgerundeten Ecken fand ist ausgesprochen toll und mal ganz anders. Diese Einschlag-Einbände finde ich hingegen sinnlos, da sie für eine Lesezeichen-Funktion eindeutig zu starr sind. Man verbiegt das ganze Buch dabei und sie sind nur überflüssiger Tand. Ein Lesebändchen fände ich wesentlich sinnvoller und vermutlich nicht teurer in der Produktion.
Fazit: Für Leser, die nicht zu fromm sein sollten und sich auch gerne humorvoll mit dem Glauben auseinander setzen ist das genau das richtige Buch! Man darf jedoch keine seichte Comedy wie bei Safier erwarten.

Veröffentlicht am 22.06.2017

Wildwest in Australien

Albert - Ein glorreiches Schnabeltier
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Albert - ein aus dem Zoo von Adelaide geflohenes Schnabeltier - zieht durch den Kontinent, um das alte Australien zu finden, in dem es viele glückliche Tiere in Freiheit und sicher auch etliche Schnabeltiere ...

Albert - ein aus dem Zoo von Adelaide geflohenes Schnabeltier - zieht durch den Kontinent, um das alte Australien zu finden, in dem es viele glückliche Tiere in Freiheit und sicher auch etliche Schnabeltiere geben soll. Das jedenfalls erzählten sich die Tiere im Zoo. Bereits zu Beginn seiner Reise muss Albert erkennen, dass das Leben in eigener Verantwortung und Einsamkeit kein Zuckerschlecken ist. So erlebt er im Laufe des Buches viele waghalsige und auch sehr unangenehme Abenteuer. Man könnte schon sagen, dass es eine Art Erwachsenwerden für Albert darstellt. Wobei dieser Begriff m. E. irreführend wäre, denn Albert hat bereits eine sehr hohe moralische Reife. Was für ihn neu ist, ist der Umgang mit Außenseitern, Vorurteilen, Gewalt und Vertrauen.

Es handelt sich hier um eine Fabel, in der sämtliche Rollen von Tieren eingenommen werden. Ausschließlich männlichen Tieren - warum auch immer. Es handelt sich überhaupt um eine ausgesprochen männliche Geschichte. Eine Abenteuergeschichte in bester Western-Manier - sehr spannend geschrieben und sehr zügig in seinen Abläufen und Wendungen. Es macht Spaß, dieses Buch zu lesen, wenn man sich darauf einlassen kann, dass es nichts weiter will als spannend unterhalten.

Womit ich etwas hadere, ist die Katalogisierung der Tiere. Jede Tierart bekommt eine Schublade zugewiesen und aus dieser gibt es auch keine spürbaren Ausnahmen. Hier einige Beispiele:

- Bandicoots sind Säufer, die für einen Drink alles tun würden
- Wallabys sind A....löcher
- Possums sind ganz üble Verbrecher
- Dingos sind harte Krieger und notfalls skrupellose Mörder

Albert selbst wird gleich zu Anfang ausgegrenzt, da er kein Beuteltier ist. Zum Glück findet er gleich einen Freund - Jack den Wombat - der sich seiner annimmt, was sich als Fluch und Segen herausstellt. Was Albert kennenlernen wird, ist echte Männerfreundschaft ohne Wenn und Aber, Treue ohne Zaudern, auch wenn es gefährlich oder gar leichtsinnig wird, Mut zur Verantwortung. Alles das, was echte Kerle so auszeichnet in einem wildwesten Kopf.

Ein kleines Problem hatte ich damit, dass die Tiere dort alle bekleidet und bewaffnet durch die Lande ziehen. Da der Ausgangspunkt der Story ja noch sehr realistisch war (Zoo in Adelaide, wo er von Besuchern gehänselt und mit Popcorn beworfen wurde), passte dies m. E. nicht so recht ins Bild. An dieser Stelle muss man einfach den Strich ziehen und sagen "Es ist eben ein Märchen!" und sich darauf einlassen.

Den auf dem Buchdeckel beschriebenen Humor konnte ich nicht wirklich finden. Nur an sehr wenigen Stellen stellte sich einmal ein Schmunzeln ein, wenn man sich ein Geschehen bildhaft vorstellte. Es ist wirklich eine 100 %ige Wildwestgeschichte mit Steckbrief, Kopfgeldjägern, blindwütigen Schießereien, Brandstiftungen, Besäufnissen, Glücksspiel, Raubüberfällen, Gefängnis-Ausbruch, Massenmorden, Vergiftung von Quellen, Goldrausch, Fast-Hinrichtungen und was es sonst noch alles so im Wilden Westen gibt. Der Autor ist eben kein Australier, sondern Amerikaner - und das merkt man auch!

Zu lesen ist das Buch ausgesprochen gut, wenn man sich an den tlw. brutalen Stellen in einem Tiermärchen nicht stört. Für heutige Verhältnisse ist das Buch aber durchaus auch von 11- oder 12jährigen gut zu lesen, denn die lesen bereits ganz andere Sachen, die wesentlich brutaler und auch realistischer sind. Gestört haben mich manche Kapitelüberschriften, die oft schon verrieten, was im folgenden Kapitel passieren wird. Die hätte man geschickter wählen können, ohne Wesentliches vorweg zu nehmen.

Fazit: Das Buch hat mir sehr viel Spaß gemacht und es hat mich gut unterhalten! Mehr darf man sich davon nicht versprechen. Weder zum Thema Nachhaltigkeit, noch Arterhalt oder gar Raubbau an der Natur - das erledigen in diesem Buch ohne jedes menschliches Zutun die Tiere ganz alleine. Nicht einmal Wissenswertes über die dort lebenden Tierarten darf man erwarten, da sie alle total vermenschlicht dargestellt und beschrieben werden. Mit der Realität in Australien hat das so viel zu tun wie MickeyMouse mit einer Feldmaus.

Veröffentlicht am 22.06.2017

Eine mobile Freizeitnutte

Fucking Fulda
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...so nennt sich die Protagonistin des Buches selbst. Und genau das entspricht in etwa dem Niveau dieses literarischen Ergusses (Wortwitz!)

Bei diesem Buch handelt es sich nicht wie versprochen um einen ...

...so nennt sich die Protagonistin des Buches selbst. Und genau das entspricht in etwa dem Niveau dieses literarischen Ergusses (Wortwitz!)

Bei diesem Buch handelt es sich nicht wie versprochen um einen erotischen Roman, sondern ganz einfach um einen Porno. Obwohl er von einer Frau geschrieben wurde, ist es eindeutig eher ein Buch, dass Männerherzen pochen lässt (oder etwas anderes...).

Eigentlich ist vollkommen egal, wo er spielt, wer die Akteure sind und was drumherum passiert. Es geht ausschließlich darum, die Protagonistin in möglichst vielen verschiedenen Sexualpraktiken darzustellen. Die Hauptperson ist Lokführerin (hätte aber auch Stewardess, Postbotin oder Handelsvertreterin sein können, passt aber so besser ins Klischee der vertauschten Rollen) und hält sich an unterschiedlichen Bahnhöfen unterschiedliche Liebhaber für unterschiedliche Sex-Spielchen. Natürlich wird sie von ihrem Ehemann nicht verstanden und er kann ihre Bedürfnisse nicht im Entferntesten erfüllen. Da gibt es also keinerlei Unterschied zu von Männern geschriebenen Pornos - lediglich die vertauschten Rollen.

Der Verlagstext versucht, eine emanzipierte Frau zu vermitteln. Emanzipiert ist sie in so weit, dass sie Hauptverdiener ist und ihr Mann den Hausmann schlechthin verkörpert und sich um Heim und Kinder kümmert. Offenbar gehört in diese Schublade auch eine gehörige Portion sexueller Frustration, weshalb der Hauptverdiener nahezu gezwungen wird, sich seine wohlverdiente Bestätigung und Befriedigung außerhalb des heimischen Schlafzimmers zu suchen.

Das war es dann aber auch schon mit Emanzipation, denn die Aussage "Diese Frau weiß, was sie will und wer es ihr besorgen kann " ist schlichtweg falsch! Was sie will, richtet sich lediglich nach ihrem Dienstplan und den am Übernachtungsort vorhandenen Gespielen. Was gespielt wird bestimmt der vorhandene Spielgefährte und nicht umgekehrt.

Ist der erste Gespiele noch ein Jüngelchen (sehr wahrscheinlich minderjährig), der brav das tut, was die Lady ihm sagt, so übernimmt sie an den weiteren Stationen nichts anderes als die Rolle einer Prostituierten - und wird auch tlw. dafür bezahlt. Mal mit Geld, mal mit Geschenken. Der eine will nur ihre Brüste haben, der nächste möchte von ihr gepampert und mit Schnuller ausgestattet werden, ein Tattergreis möchte ihr nur beim Putzen zusehen, wobei er unter ihren Kittel stieren kann - immer nur das, was die Herren von ihr sehen und haben möchten findet statt. Manchmal auch ganz anders als sie es sich vorgestellt hat und auch nicht gerade immer angenehm (sehr schmerzhaft, Angst zu ersticken z. B.), was sie sich selbst aber im Nachhinein trotzdem als Supersex zu verkaufen versucht. Ein Masseur z. B. der sich zunächst noch gemäß seines Berufes sehr wohltuend um sie kümmert - was durchaus einen gewissen erotischen Reiz mit sich bringt - nimmt sie letztendlich doch so, wie er will, als er sie weichgekocht hat. Nicht einmal von ihm lässt sie sich bedienen, sondern er bedient sich am Ende an ihr. Aus diesem Grund nimmt er auch die Bezahlung für seine Dienste nicht an.

Das finde ich eigentlich am erschreckendsten an diesem Buch, dass es im Grunde ein frauenfeindliches Buch ist, in dem die Frau als willfähriges Objekt dargestellt und auch noch impliziert wird, dass genau DAS die Sehnsucht der emanzipierten Frau schlechthin ist. Meiner Meinung nach hat die Autorin den Begriff Emanzipation nicht verstanden, der ja nicht bedeutet, dass man als Frau unbedingt nach Kräften alle Fehler der Männer nachahmen muss.

Obendrein sind die Schilderungen der Kopulationen derb und plump. Daran kann ich nun leider auch überhaupt nichts erotisch finden. Ich weiß nicht, was die Autorin geritten hat, aber ganz offensichtlich ist die Phantasie mit ihr durchgegangen, als sie für eine Reportage eine Lokführerin interviewte, die ehedem eine Prostituierte war. Vielleicht ein Traumberuf von ihr?

Sehr enttäuschend und fällt für mich unter die Kategorie Bücher die die Frau nicht braucht! Dient allenfalls als Onaniervorlage für Männer.

Veröffentlicht am 22.06.2017

Irre Fahrt mit Gabriel und den 4 Christofs

Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz
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Dieses Buch ist nicht ganz einfach zu lesen. Der Möbelfahrer Gabriel hat 4 Söhne mit verschiedenen Frauen in unterschiedlichen Ländern: Spanien, England, Frankreich und Deutschland. Als er vermisst gemeldet ...

Dieses Buch ist nicht ganz einfach zu lesen. Der Möbelfahrer Gabriel hat 4 Söhne mit verschiedenen Frauen in unterschiedlichen Ländern: Spanien, England, Frankreich und Deutschland. Als er vermisst gemeldet wird, erfahren diese 4 Söhne - alle mit dem Namen Christof in der jeweiligen Landessprache - voneinander und treffen sich in regelmäßigen Abständen, um sich auf die Suche nach der gemeinsamen Vergangenheit zu machen. Seine Söhne haben ihn lange Jahre nicht mehr gesehen und keiner von ihnen weiß, wie es dazu gekommen ist. Auch ihre Mütter haben keinerlei Wissen von dem, was passierte, nachdem Gabriel sie zum letzten Mal besuchte.

In ausgesprochen bild- und lebhafter Weise schildert Puntis Buch nun aus Sicht aller 4 Söhne die Geschehnisse um den Waisenknaben Gabriel, der einst als Baby auf einem Markt ausgesetzt wurde und im Waisenhaus aufwuchs. Diese Schilderungen sind durchaus nicht ohne Emotionen, jedoch trotzdem aus der Distanz vieler Jahre betrachtet. Jeder trägt bei, was ihm von seiner Mutter erzählt wurde. Dann folgen noch gemeinsame Nachforschungen bei Kollegen und Bekannten aus den Jahren seines Untertauchens.

Diese Schilderungen sind recht umfangreich und wiederholen sich stellenweise auch, weshalb es gerade im ersten Drittel des Buches schon Durchhaltevermögen erfordert. Allein die angenehme und schöne Schreibweise ließ es mir trotzdem nicht zu schwer werden. Immer mehr klärt sich das Bild. Nirgends hat man das Gefühl, dass einer seiner Söhne mit Bitterkeit oder Hass die Geschichte schildert oder verfolgt. Sicher haben alle ihre Kollateralschäden davon getragen, denn sie sind im Grunde alleine von ihrer Mutter großgezogen worden, und zwar ohne jemals einen Grund hierfür zu erfahren. Ihre Mütter wussten ja selbst nicht, was der Grund für sein plötzliches Fernbleiben war. Die Christofs scheinen fast eine Art Spiel zu spielen. Wie eine Schnitzeljagd durch die Zeit ihrer Kindheit. Zuguterletzt wird vieles klar und ihre standhafte Suche wird belohnt.

Ein sehr schönes, ungewöhnliches und bewegendes Buch, dass ich sehr gerne gelesen habe - auch wenn es etwas länger gedauert hat.

Veröffentlicht am 22.06.2017

Armut in Deutschland

Schamland
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Der Soziologe und Professor Stefan Selke beleuchtet in seinem Buch Schamland sowohl die ausgegrenzte Bürgerschaft unseres "Sozialstaates" als auch die Almosengesellschaft, die sich um sie herum zu bilden ...

Der Soziologe und Professor Stefan Selke beleuchtet in seinem Buch Schamland sowohl die ausgegrenzte Bürgerschaft unseres "Sozialstaates" als auch die Almosengesellschaft, die sich um sie herum zu bilden droht bzw. bereits gebildet hat.

Sein Hauptaugenmerk liegt hierbei auf der Tafelkultur, pünktlich zum 20jährigen Jubiläum der Tafeln in Deutschland. Dass dies eigentlich gar kein Grund zum Feiern ist, wird einem bei der Lektüre dieses Buches sehr schnell klar. Genau betrachtet ist es eher ein Grund sich zu schämen, dass solche Einrichtungen wie die Tafel überhaupt nötig sind in einem so wohlhabenden Land wie der BRD. Dass die Leute, die diese Tafeln in Anspruch nehmen, dies nicht freiwillig tun sondern aus schierer Verzweiflung, weil sie nicht mehr wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen oder weil sie wirklich kein Geld mehr für Lebensmittel übrig haben, wird ebenfalls hervorragend dargestellt.

Unmittelbar packt einen das ungute Gefühl, ganz schnell selbst in dieses Armutsloch abstürzen zu können. Bei den leider viel zu wenigen Fallstudien wird deutlich, dass eben nicht ausschließlich das oft beschriehene arbeitsscheue Gesindel oder die so gern titulierten Sozialschmarotzer in Not geraten können, sondern eben viel zu schnell auch alleinerziehende Mütter/Väter, Selbstständige, die wegen schwerer Krankheit den Betrieb schließen mussten, Normalverdiener, die sich plötzlich um ihre schwer erkrankten Familienmitglieder kümmern mussten, Frauen, die ihren selbstständigen Ehemann durch ein Unglück verloren haben etc., etc.

Hervorragend ist für mich die fachlich excellente Betrachtung mit dem Blickwinkel der Betroffenen. Keine Lobhudeleien auf die Tafel, Suppenküchen oder sonstige Almosen-Geber, sondern die Sicht von der anderen Seite der Theke:

- Stundenlanges Schlangestehen auf der Straße - natürlich für alle sichtbar, wie ein Pranger empfunden.
- Strammstehen zum Ständchenbringen beim Geburtstag einer ehrenamtlichen Tafelhelferin
- Keine Möglichkeit, Sachen, die man nicht haben möchte, abzulehnen, aus Angst, daraufhin für die weitere Inanspruchnahme der Tafel gesperrt zu werden
- Dumme (wenn auch gut gemeinte) Sprüche von den Ehrenamtlichen ohne Entgegnung einstecken zu müssen

Deutlich herausgehoben wird auch der Unterschied zwischen Sozial- und Almosenstaat. Es ist ein Unterschied, ob ich Anrecht auf eine Sozialleistung habe oder ob ich betteln muss um eine milde Gabe. Je mehr die Bürgerschaft sich zusammen findet, Armen mit mildtätigen Spenden ein wenn auch schlechtes Auskommen zu ermöglichen, desto weniger sieht sich der Staat in der Pflicht einen Mindeststandard für seine Bürger zu garantieren, wie er eigentlich gesetzlich vorgeschrieben ist.

Meines Erachtens ein sehr wichtiges Buch, das vor allem von denen gelesen werden sollte, die wie die Made im Speck leben und noch laut in sämtlichen Medien darüber stöhnen, dass sie z. B. bei oberen Besoldungsstufen 2 Jahre lang auf die jährlich fällige Gehaltserhöhung verzichten sollen. Die Einkommensschere klafft in Deutschland immer weiter auseinander und die Besserverdienenden sonnen sich darin, großzügig Almosen verteilen zu können.

Ich finde das Buch ausgesprochen interessant und ich hoffe, es wird sehr gut verkauft! Endlich einmal jemand, der die Menschen in den Vordergrund stellt, und zwar die Menschen, die sich wegen ihres Lebens schämen und die aber so gar keine Lobby haben, da mit ihnen kaum Geschäfte zu machen sind. Lediglich für Werbezwecke taugen sie und diese Aufgabe erfüllen die Reportagen über sämtliche Tafelspenden und Almosenaktionen zur genüge.

Die Fallstudien hätte ich persönlich mir durchaus umfangreicher gewünscht. Ab dem mittleren Teil wiederholen sich etliche Standpunkte immer wieder - da hätte man durchaus dichter schreiben können. Der letzte Teil des Buches, sozusagen die Quintessenz des Buches, hat mir wieder sehr gut gefallen, da hier alles noch einmal deutlich auf die Kernpunkte zusammengefasst wurde. Der Epilog war m. E. sogar ausgesprochen gut und hat mich wirklich sehr erschüttert. Dass in diesem Buch keine Lösungsansätze zu finden sind, stört mich überhaupt nicht! Das war nicht Sinn und Zweck des Buches.

Obwohl es ein Sachbuch ist, ist es wirklich gut zu lesen und kommt dankenswerter Weise mit erträglichem Fachjargon aus. Dem Autor vielen Dank für dieses aufrüttelnde Buch!