Armut in Deutschland
Der Soziologe und Professor Stefan Selke beleuchtet in seinem Buch Schamland sowohl die ausgegrenzte Bürgerschaft unseres "Sozialstaates" als auch die Almosengesellschaft, die sich um sie herum zu bilden ...
Der Soziologe und Professor Stefan Selke beleuchtet in seinem Buch Schamland sowohl die ausgegrenzte Bürgerschaft unseres "Sozialstaates" als auch die Almosengesellschaft, die sich um sie herum zu bilden droht bzw. bereits gebildet hat.
Sein Hauptaugenmerk liegt hierbei auf der Tafelkultur, pünktlich zum 20jährigen Jubiläum der Tafeln in Deutschland. Dass dies eigentlich gar kein Grund zum Feiern ist, wird einem bei der Lektüre dieses Buches sehr schnell klar. Genau betrachtet ist es eher ein Grund sich zu schämen, dass solche Einrichtungen wie die Tafel überhaupt nötig sind in einem so wohlhabenden Land wie der BRD. Dass die Leute, die diese Tafeln in Anspruch nehmen, dies nicht freiwillig tun sondern aus schierer Verzweiflung, weil sie nicht mehr wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen oder weil sie wirklich kein Geld mehr für Lebensmittel übrig haben, wird ebenfalls hervorragend dargestellt.
Unmittelbar packt einen das ungute Gefühl, ganz schnell selbst in dieses Armutsloch abstürzen zu können. Bei den leider viel zu wenigen Fallstudien wird deutlich, dass eben nicht ausschließlich das oft beschriehene arbeitsscheue Gesindel oder die so gern titulierten Sozialschmarotzer in Not geraten können, sondern eben viel zu schnell auch alleinerziehende Mütter/Väter, Selbstständige, die wegen schwerer Krankheit den Betrieb schließen mussten, Normalverdiener, die sich plötzlich um ihre schwer erkrankten Familienmitglieder kümmern mussten, Frauen, die ihren selbstständigen Ehemann durch ein Unglück verloren haben etc., etc.
Hervorragend ist für mich die fachlich excellente Betrachtung mit dem Blickwinkel der Betroffenen. Keine Lobhudeleien auf die Tafel, Suppenküchen oder sonstige Almosen-Geber, sondern die Sicht von der anderen Seite der Theke:
- Stundenlanges Schlangestehen auf der Straße - natürlich für alle sichtbar, wie ein Pranger empfunden.
- Strammstehen zum Ständchenbringen beim Geburtstag einer ehrenamtlichen Tafelhelferin
- Keine Möglichkeit, Sachen, die man nicht haben möchte, abzulehnen, aus Angst, daraufhin für die weitere Inanspruchnahme der Tafel gesperrt zu werden
- Dumme (wenn auch gut gemeinte) Sprüche von den Ehrenamtlichen ohne Entgegnung einstecken zu müssen
Deutlich herausgehoben wird auch der Unterschied zwischen Sozial- und Almosenstaat. Es ist ein Unterschied, ob ich Anrecht auf eine Sozialleistung habe oder ob ich betteln muss um eine milde Gabe. Je mehr die Bürgerschaft sich zusammen findet, Armen mit mildtätigen Spenden ein wenn auch schlechtes Auskommen zu ermöglichen, desto weniger sieht sich der Staat in der Pflicht einen Mindeststandard für seine Bürger zu garantieren, wie er eigentlich gesetzlich vorgeschrieben ist.
Meines Erachtens ein sehr wichtiges Buch, das vor allem von denen gelesen werden sollte, die wie die Made im Speck leben und noch laut in sämtlichen Medien darüber stöhnen, dass sie z. B. bei oberen Besoldungsstufen 2 Jahre lang auf die jährlich fällige Gehaltserhöhung verzichten sollen. Die Einkommensschere klafft in Deutschland immer weiter auseinander und die Besserverdienenden sonnen sich darin, großzügig Almosen verteilen zu können.
Ich finde das Buch ausgesprochen interessant und ich hoffe, es wird sehr gut verkauft! Endlich einmal jemand, der die Menschen in den Vordergrund stellt, und zwar die Menschen, die sich wegen ihres Lebens schämen und die aber so gar keine Lobby haben, da mit ihnen kaum Geschäfte zu machen sind. Lediglich für Werbezwecke taugen sie und diese Aufgabe erfüllen die Reportagen über sämtliche Tafelspenden und Almosenaktionen zur genüge.
Die Fallstudien hätte ich persönlich mir durchaus umfangreicher gewünscht. Ab dem mittleren Teil wiederholen sich etliche Standpunkte immer wieder - da hätte man durchaus dichter schreiben können. Der letzte Teil des Buches, sozusagen die Quintessenz des Buches, hat mir wieder sehr gut gefallen, da hier alles noch einmal deutlich auf die Kernpunkte zusammengefasst wurde. Der Epilog war m. E. sogar ausgesprochen gut und hat mich wirklich sehr erschüttert. Dass in diesem Buch keine Lösungsansätze zu finden sind, stört mich überhaupt nicht! Das war nicht Sinn und Zweck des Buches.
Obwohl es ein Sachbuch ist, ist es wirklich gut zu lesen und kommt dankenswerter Weise mit erträglichem Fachjargon aus. Dem Autor vielen Dank für dieses aufrüttelnde Buch!