Very Germisch
Make me German! Zweisprachiges Wendebuch Deutsch/ EnglischDie besten Storys schreibt das Leben! Dies bewahrheitet sich bei diesem Buch immer wieder. Natürlich sind die meisten Schilderungen sicher überzogen und etwas ausgeschmückt dargestellt, aber am Kern der ...
Die besten Storys schreibt das Leben! Dies bewahrheitet sich bei diesem Buch immer wieder. Natürlich sind die meisten Schilderungen sicher überzogen und etwas ausgeschmückt dargestellt, aber am Kern der Geschichten ändert das wenig und ich kann mir vorstellen, dass sich alles in etwa so zugetragen hat.
Zum Buch: Der Brite Adam Fletcher lebt seit einigen Jahren in Deutschland und hat Berlin zu seiner Wahlheimat erklärt. Selbstverständlich ist nicht alles in good old Germany für einen Briten nachvollziehbar und verständlich (was andersherum genauso zutreffen würde) und so versucht er seit geraumer Zeit heraus zu finden, was das Besondere an Deutschland ist und was ihn wohl zu einem richtigen Deutschen werden lässt.
Sein Weg führt durch deutsche Ämter und Behörden (Arbeitsamt), das Obrigkeitsdenken (Notar), Tradition (Schützenfest, Mallorca), Vereine, deutsche Fernsehprogramme etc. Selbstverständlich begegnen ihm dabei etliche Skurrilitäten, die manchem Deutschen gar nicht mehr so richtig bewusst werden, weil sie längst zur Normalität gehören. Und genau das ist so köstlich an diesem Buch!
Nun muss ich zugeben, dass das das erste Buch in dieser Richtung für mich war, was bei manchem Leser nicht der Fall ist und sich für jene sicher eine gewisse Übersättigung eingestellt hat. Ich konnte zum Glück unbelastet an die Sache heran gehen. Natürlich wird hier auch sehr viel in die Klischeekiste gegriffen, aber das ist für mich nachvollziehbar. Über das Meiste konnte ich vermutlich deshalb so herzlich lachen, weil ich genau dieses Deutschsein auch immer mit etwas Befremden betrachtet habe - aus sicherem Abstand wohlgemerkt, was Fletcher durchaus eine gehörige Portion Mut bescheinigt: Schützenbruderschaften (überhaupt traditionelle Vereinsmeierei), der typische Malle-Urlaub, deutsche Schlager, um nur einige Beispiele zu nennen. Sind diese Klischees nötig? Meiner Meinung nach sind sie unvermeidbar, wenn man ein solches Buch schreibt. Jeder kann für sich den Test machen und wahllos 3 Bekannte fragen, ob sie 5 Sachen aufschreiben können, die für sie typisch deutsch sind. Wetten, dass auch dort jeder in die Klischeekiste greift? Dabei hat er mit den Themen Mitfahrgelegenheit und NordicWalking schon Themen aufgegriffen, die sogar etwas am Rand der Klischees stehen. Aber z. B. die Servicewüste Deutschland ist doch längst in aller Munde. Er hat sie durch seine Auflistung aber wunderbar verdeutlicht.
Hier trifft britischer Humor auf deutschen Alltag und bei der Schilderung mancher Abläufe liefen mir wirklich die Tränen vor lachen. Das war tlw. Kopfkino vom Feinsten! Fletscher (so schreibt er sich gerne selbst zwischendurch, wegen der hiesigen Aussprache seines Namens) schreibt dabei so leicht und locker, dass man kaum merkt, wie man Seite um Seite verschlungen hat. Mir gefällt seine Art, frischweg von der Leber zu schreiben, als würde er vor einem sitzen und seine Storys gut gelaunt erzählen - flott und auf den Punkt. Hin und wieder wird der Fließtext durch graphisch gestaltete Auflistungen aufgelockert. Ein nettes Extra und amüsant zu lesen.
Das wirklich Besondere an diesem Buch ist, dass es quasi doppelt vorhanden ist: zur Hälfte in englisch und die andere Hälfte in deutsch geschrieben. Man braucht praktischerweise das Buch nur zu wenden. Den englischsprachigen Teil habe ich aufgrund verschütteter Englischkenntnisse einfach ignoriert. Aber ich kann mir vorstellen, dass er mindestens genauso gut zu lesen ist.
Dieses Buch ist nicht sein erstes über sein Verhältnis zu Deutschland (Denglisch for better knowers, Wie man Deutscher wird) und er hat damit seine Kunst unter Beweis gestellt, aus der Not des Fremdfühlens eine Tugend zu machen. Dabei kann man auf fast jeder Seite erkennen, wie sehr er inzwischen an seiner Wahlheimat hängt. Sie ist ihm offensichtlich längst zu einer tatsächlichen Heimat geworden, die er wirklich lieb gewonnen hat. Und das freut mich für ihn und auch für Deutschland!
Fazit: Eine angenehme, humorvolle Lektüre für zwischendurch!