Profilbild von Lesemaus-Hamburg

Lesemaus-Hamburg

Lesejury Star
offline

Lesemaus-Hamburg ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Lesemaus-Hamburg über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.06.2022

Gutes Buch

Die Entflohene
0

Die Entflohene
Violaine Huisman,
aus dem Französischen von Eva Scharenberg

TW: Vergewaltigung, Abtreibung, Suizid, Vernachlässigung von Kindern, Tabletten- und Alkoholmissbrauch.

„Maman hatte alle möglichen ...

Die Entflohene
Violaine Huisman,
aus dem Französischen von Eva Scharenberg

TW: Vergewaltigung, Abtreibung, Suizid, Vernachlässigung von Kindern, Tabletten- und Alkoholmissbrauch.

„Maman hatte alle möglichen Verhaltensstörungen, man hätte sie auch gut in Form einer Liste von Krankheitsbildern porträtieren können: Schizophrenie, Mythomanie, Kleptomanie, Alkoholismus, abwechselnd Depressionen und Hysterie. Sie konnte überdreht sein oder niedergeschlagen, essen wie ein Scheunendrescher oder fast verhungern, sie war in jeder Beziehung extrem.“ (S.49)

Violaine Huisman schreibt hier eine Hommage auf ihre wunderschöne, aber exzentrische Mutter Catherine („Maman war eine der schönsten Frauen der Welt. Das sagten alle, die sie in ihren Glanzzeiten erlebt hatten und ihre Schönheit war für sie selbst mindestens genauso fatal wie für ihre Männer und Frauen, die ihr verfielen.“ S.11), eine Frau, die einer Naturgewalt glich. Eine Ehefrau, die ihre drei Ehemänner hinterging oder selbst betrogen wurde. Eine Mutter, die ihre Kinder zwischen fanatischer Liebe und abstoßender Gleichgültigkeit behandelte: „Seht zu, wie ihr zurecht kommt!, das war der ewige Refrain ihrer Litaneien, sie sagte, wir sollen uns verpissen und nicht dauernd angeschissen kommen, wir sollten mal damit aufhören, auf die ganze Welt zu scheißen, wir sollten endlich kapieren, dass sie sich einen Scheiß für die Fragen und Sorgen verhätschelter fauler Gören interessierte. Seht zu, wie ihr zurechtkommt, ihr kotzt mich an mit euren bescheuerten Problemen! Das war aber nicht das Ende von Mamans Beschimpfungen, in der Regel fingen sie so erst an. (S.12)

Die Autorin teilt ihr Buch in drei Teile auf:
- Im ersten Teil sind Violaine und ihre ältere Schwester Teenager in Paris und sie erzählt im Rückblick, ein wenig durcheinander, jedoch absolut verständlich, wie es zu Catherines Einweisung in die Irrenanstalt kam und wie die Mädchen währenddessen herumgeschoben wurden. „Weihnachten war immer eine Qual, aber in diesem Jahr war es nur ein Martyrium, und ich konnte und kann immer noch nicht fassen, dass wir so tun mussten, als würden uns die Geschenke gefallen, weil wir Papa nicht kränken durften, ihm gefiel es, und wir durften ihn nicht verärgern, wir hatten nur ihn und waren nicht bereit, uns zu Waisen zu erklären, deshalb bemühten wir uns mitzuspielen, zu lächeln und danke zu sagen und möglichst vor Freude zu strahlen, damit Papa uns nicht in einem Wutanfall hinauswarf.“ (S.18)
- Im folgenden Teil wird ganz chronologisch das Leben Catherines von der Geburt an bis zur Einlieferung beschrieben. Mit allen Höhen und Tiefen lernen wir sie kennen und auch ein bisschen hassen.
- Im letzten Teil ist Violaine erwachsen und lebt seit zehn Jahren in den Vereinigten Staaten („ … es müsse mir gelingen, mein Leben zu leben, das, was sie mir an Leid und traumatischen Erfahrungen zugemutet habe, sei zu viel gewesen, ich müsse fortgehen, um mich woanders entfalten zu können, nicht auf den Trümmern ihres Schmerzes, nicht auf den Mienenfeldern unserer Vergangenheit, sondern in einem Land der Zukunft, in einer neuen Stadt. S. 221) und bekommt einen Anruf von ihrer Schwester, der sie zwingt noch einmal nach Paris zurückzukehren.

Huisman hat hier einen kraftvollen und imposanten Roman geschrieben. Auch wenn an Fäkalsprache nicht gespart wurde, so ist der Sprachstil fast immer auf hohem Niveau. Diverse Male habe ich zurückgeblättert, da ich dachte mich verlesen oder etwas verpasst zu haben. Ein autobiografisches Romandebüt, welches mich berührt hat..
Eine Leseempfehlung für diejenigen, die keine schwachen Nerven haben und französische Literatur lieben.
4 Sterne

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.05.2022

Die leichte Schreibweise täuscht über ein tiefgründiges Buch hinweg

Die Geschichte von Kat und Easy
0

Die Geschichte von Kat und Easy
Susann Pásztor

Susann Pásztor schreibt ihren Roman auf zwei Zeitebenen;
- 1973: Kat und Easy, Teenager, leben in einem kleinen Dorf und sind beste Freundinnen. Easy ist ...

Die Geschichte von Kat und Easy
Susann Pásztor

Susann Pásztor schreibt ihren Roman auf zwei Zeitebenen;
- 1973: Kat und Easy, Teenager, leben in einem kleinen Dorf und sind beste Freundinnen. Easy ist der Hingucker des Dorfes, während Kat immer in ihrem Schatten steht. Sie erleben den ersten Sex, experimentieren mit Drogen und Alkohol und verlieben sich in den selben Mann. Nachdem dieser zu Tode kommt, trennen sich ihre Wege.

- 46 Jahre später treffen sich die beiden Frauen auf Kreta wieder und stellen fest, dass viel Unausgesprochenes zwischen ihnen steht. Erst nach und nach kommt die ganze Wahrheit ans Licht.
„Es wimmelt nur so von Rollenklischees hier, und auch ich war eins mit meiner gekränkten Eitelkeit, nach all den Jahren immer noch nichts anderes als die Freundin vom schönsten Mädchen zu sein.“ (S.105)

Susann Pásztor hat hier ein sehr realistisches Buch geschrieben. Es geht um die erste Liebe und ihrer Verletzlichkeit, um kleine Lügen, die ein ganzes Leben verändern können.

Der leichte Schreibstil liess mich schnell ins Buch finden und auch wenn mir beide Protagonistinnen nicht übermäßig sympathisch waren, fliegt man förmlich durch die Seiten. Die Tiefe des Buches wurde mir erst am Schluss deutlich.
Von mir eine klare Leseempfehlung
4 Sterne

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.05.2022

Sehr gelungenes Buch

Mädchen, Frau, etc.
0

Mädchen, Frau ETC.
Bernadine Evaristo,
aus dem Englischen von Tanja Handels

Da war ich wohl die Letzte, die dieses Buch gelesen hat, oder?
Es lag lange auf meinem #stapelungelesenerbücher und ich ahne ...

Mädchen, Frau ETC.
Bernadine Evaristo,
aus dem Englischen von Tanja Handels

Da war ich wohl die Letzte, die dieses Buch gelesen hat, oder?
Es lag lange auf meinem #stapelungelesenerbücher und ich ahne auch warum - ich mag ja gar keine Kurzgeschichten. Zu wenig Inhalt und kaum hat es begonnen, so endet es auch schon wieder.
Vielleicht werde ich aber überrascht?!

Evaristo lässt viele, meist schwarze Frauen zu Wort kommen. Alle erzählen ihre Geschichten: Von ihren Vorfahren, deren Flucht, Umsiedlung, vom Rassismus und ihrem jetzigen Leben mit allen Höhen und Tiefen.
Das besondere an diesem Buch ist, dass die meisten Frauen sich kennen oder verwandt sind. Deshalb erzählt auch mal eine Frau in einem anderen Kapitel das Geheimnis einer vorherigen Protagonistin.
Mir gefiel das Buch sehr! Es hat überhaupt nicht diesen typischen Kurzgeschichten-Charakter. Lediglich die ersten zwei Geschichten konnten mich nicht überzeugen.
Der ungewöhnliche Schreibstil ohne Punkt und Großbuchstabe zu Beginn eines Satzes, hat mich überhaupt nicht gestört.
Ein sehr gutes bis hervorragendes Buch!
4½ Sterne und eine klare Leseempfehlung von mir.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.05.2022

Wichtiges Thema, konnte mich aber nicht packen

Der Mann im Untergrund
0

Der Mann im Untergrund
Richard Wright
aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence,
gesprochen von Patrick Abozen und Timo Weisschnur


Der schwarze Arbeiter Fred Daniels erhält am Ende der Woche ...

Der Mann im Untergrund
Richard Wright
aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence,
gesprochen von Patrick Abozen und Timo Weisschnur


Der schwarze Arbeiter Fred Daniels erhält am Ende der Woche seinen Lohn und geht zur Bushaltestelle, um nach Hause, zu seiner hochschwangeren Frau, zu fahren.
Aufgehalten wird er von drei weißen Polizisten, die ihn beschuldigen, die Nachbarn seiner Arbeitgeberin kaltblütig ermordet zu haben. Fred streitet alles ab, er sei noch nie im Hause der Nachbarn gewesen und einen Doppelmord könnte er, ein treuer Kirchgänger, schon gar nicht verüben.
Die Polizisten hören ihm nicht zu, inhaftieren ihn, foltern und manipulieren ihn so lange psychisch und physisch, bis er ein Schuldgeständnis unterschreibt.
Fred kann flüchten, hebt einen Kanaldeckel an und versteckt sich in der Kanalisation.
In diesem zweitem Teil des Buches verliert er seine Unschuld und kommt zu einer überwältigenden Einsicht, die ihn im dritten Teil des Buches zu den Polizisten zurückführt.


Der afroamerikanische Autor Richard Wright (1908-1960) war einer der einflussreichsten Schriftsteller seiner Zeit in Amerika. Der Roman wurde bereits 1941/42 geschrieben, jedoch zunächst von seinem Verleger abgelehnt. Heute erscheint dieser Roman erstmals in ungekürzter Fassung.
Leider ist "polizeiliche Gewalt“ in Amerika noch immer hochaktuell #blacklivesmatters und daher auch ein wichtiges Thema, jedoch konnte mich der Roman nicht ganz einfangen.
Begonnen hat er so eindrücklich, dass ich Fred am liebsten zur Hilfe geeilt wäre, aber für mich verlor sich die Spannung, als er in die Kanalisation floh. Die erlebten Geschichten im Untergrund wurden mir lang, trotz der sehr guten Sprecher des Hörbuchs.
Dennoch 3 Sterne für den spannenden Einstieg ins Buch, das gute Cover und das wichtige Thema, was bestimmt viele Leser finden wird.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.05.2022

Nettes Buch

Crossroads
0

„Selbst wenn man achtzig Jahre lang lebte, war die Dauer eines Lebens verschwindet gering, man schaute sich einmal um, schon waren achtzig Jahre mit all ihren Sonntagen vorüber. Das Leben hatte keine Länge; ...

„Selbst wenn man achtzig Jahre lang lebte, war die Dauer eines Lebens verschwindet gering, man schaute sich einmal um, schon waren achtzig Jahre mit all ihren Sonntagen vorüber. Das Leben hatte keine Länge; nur in der Tiefe lag die Rettung.“ (S. 779)

CROSSROADS
Jonathan Franzen,
aus dem Englischen von Bettina Abarbanell

Eine Familiengeschichte mit all ihren Problemen:
- Vater und Pastor Russ Hildebrandt hat nur ein Ziel: die gutaussehende, verwitwete Frances, Gemeindemitglied, zu beeindrucken. Mit dem Hintergedanken, mit ihr zu schlafen, sie zu ehelichen und ein neues Leben zu beginnen. Auf diesem Weg ignoriert er alles, schlägt Warnungen in den Wind, hört keinem zu und übersieht alle Befindlichkeiten seiner Mitmenschen.
- Mutter Marion, die psychisch labil ist, an Fettsucht leidet und von ihrem Mann abgelehnt wird.
- Sohn Clem, der sein Studium hinwirft und sich freiwillig für den Vietnamkrieg meldet, ohne das Einverständnis seiner Eltern einzuholen.
- Tochter Becky, super Star der Schule, verliebt sich in den coolen Gitarrenspieler und spannt ihn kurzer Hand Laura aus.
- Sohn Perry, hoch intelligent, aber drogen- und alkoholabhängig.

Die Probleme der Familie Hildebrandt konnten mich nicht immer in ihren Bann ziehen. Einige Passagen waren so spannend, dass ich das Buch nicht aus der Hand legen konnte, bei andern Familienmitgliedern wurde das Buch zum Kaugummi.
Aber wenn ich das gesamte Buch bewerten sollte, so ist es ein gutes Buch mit einem grandiosen Erzählstil.

Fazit:
800 Seiten-Bücher sind schwer, aber meine Muskeln sind gestärkt und ich weiß jetzt, was in den Köpfen von Pastoren vorgeht ;)
4 Sterne

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere