Gutes Buch
Die EntfloheneDie Entflohene
Violaine Huisman,
aus dem Französischen von Eva Scharenberg
TW: Vergewaltigung, Abtreibung, Suizid, Vernachlässigung von Kindern, Tabletten- und Alkoholmissbrauch.
„Maman hatte alle möglichen ...
Die Entflohene
Violaine Huisman,
aus dem Französischen von Eva Scharenberg
TW: Vergewaltigung, Abtreibung, Suizid, Vernachlässigung von Kindern, Tabletten- und Alkoholmissbrauch.
„Maman hatte alle möglichen Verhaltensstörungen, man hätte sie auch gut in Form einer Liste von Krankheitsbildern porträtieren können: Schizophrenie, Mythomanie, Kleptomanie, Alkoholismus, abwechselnd Depressionen und Hysterie. Sie konnte überdreht sein oder niedergeschlagen, essen wie ein Scheunendrescher oder fast verhungern, sie war in jeder Beziehung extrem.“ (S.49)
Violaine Huisman schreibt hier eine Hommage auf ihre wunderschöne, aber exzentrische Mutter Catherine („Maman war eine der schönsten Frauen der Welt. Das sagten alle, die sie in ihren Glanzzeiten erlebt hatten und ihre Schönheit war für sie selbst mindestens genauso fatal wie für ihre Männer und Frauen, die ihr verfielen.“ S.11), eine Frau, die einer Naturgewalt glich. Eine Ehefrau, die ihre drei Ehemänner hinterging oder selbst betrogen wurde. Eine Mutter, die ihre Kinder zwischen fanatischer Liebe und abstoßender Gleichgültigkeit behandelte: „Seht zu, wie ihr zurecht kommt!, das war der ewige Refrain ihrer Litaneien, sie sagte, wir sollen uns verpissen und nicht dauernd angeschissen kommen, wir sollten mal damit aufhören, auf die ganze Welt zu scheißen, wir sollten endlich kapieren, dass sie sich einen Scheiß für die Fragen und Sorgen verhätschelter fauler Gören interessierte. Seht zu, wie ihr zurechtkommt, ihr kotzt mich an mit euren bescheuerten Problemen! Das war aber nicht das Ende von Mamans Beschimpfungen, in der Regel fingen sie so erst an. (S.12)
Die Autorin teilt ihr Buch in drei Teile auf:
- Im ersten Teil sind Violaine und ihre ältere Schwester Teenager in Paris und sie erzählt im Rückblick, ein wenig durcheinander, jedoch absolut verständlich, wie es zu Catherines Einweisung in die Irrenanstalt kam und wie die Mädchen währenddessen herumgeschoben wurden. „Weihnachten war immer eine Qual, aber in diesem Jahr war es nur ein Martyrium, und ich konnte und kann immer noch nicht fassen, dass wir so tun mussten, als würden uns die Geschenke gefallen, weil wir Papa nicht kränken durften, ihm gefiel es, und wir durften ihn nicht verärgern, wir hatten nur ihn und waren nicht bereit, uns zu Waisen zu erklären, deshalb bemühten wir uns mitzuspielen, zu lächeln und danke zu sagen und möglichst vor Freude zu strahlen, damit Papa uns nicht in einem Wutanfall hinauswarf.“ (S.18)
- Im folgenden Teil wird ganz chronologisch das Leben Catherines von der Geburt an bis zur Einlieferung beschrieben. Mit allen Höhen und Tiefen lernen wir sie kennen und auch ein bisschen hassen.
- Im letzten Teil ist Violaine erwachsen und lebt seit zehn Jahren in den Vereinigten Staaten („ … es müsse mir gelingen, mein Leben zu leben, das, was sie mir an Leid und traumatischen Erfahrungen zugemutet habe, sei zu viel gewesen, ich müsse fortgehen, um mich woanders entfalten zu können, nicht auf den Trümmern ihres Schmerzes, nicht auf den Mienenfeldern unserer Vergangenheit, sondern in einem Land der Zukunft, in einer neuen Stadt. S. 221) und bekommt einen Anruf von ihrer Schwester, der sie zwingt noch einmal nach Paris zurückzukehren.
Huisman hat hier einen kraftvollen und imposanten Roman geschrieben. Auch wenn an Fäkalsprache nicht gespart wurde, so ist der Sprachstil fast immer auf hohem Niveau. Diverse Male habe ich zurückgeblättert, da ich dachte mich verlesen oder etwas verpasst zu haben. Ein autobiografisches Romandebüt, welches mich berührt hat..
Eine Leseempfehlung für diejenigen, die keine schwachen Nerven haben und französische Literatur lieben.
4 Sterne