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Veröffentlicht am 03.03.2023

Überzeugend

Die Letzte macht das Licht aus
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In Bethany Clifts Debütroman “Die Letzte macht das Licht aus” greift ein höchstansteckendes Virus um sich. Es ist das Jahr 2023 und die Welt steht kurz vor dem Abgrund. Denn 6DM, oder Six Days Maximum, ...

In Bethany Clifts Debütroman “Die Letzte macht das Licht aus” greift ein höchstansteckendes Virus um sich. Es ist das Jahr 2023 und die Welt steht kurz vor dem Abgrund. Denn 6DM, oder Six Days Maximum, hat eine Todesrate von 100%. Oder zumindest fast. Denn die Protagonistin des Romans überlebt das Virus als einzige. Nachdem sie ihrem Mann, ihren Nachbarn und Kollegen beim Sterben zusehen musste, findet sie sich in einem verlassenen London wieder.

Es war nicht das Thema der Pandemie, welches mich bei diesem Roman angesprochen hat (das wäre für mich sogar eher ein Grund dafür gewesen, ihn nicht zu lesen), sondern weil seine Inhaltsangabe mich an “Die Wand” von Marlen Haushofer erinnert hat oder auch an “Vom Ende An” von Megan Hunter. Beide Romane versetzen ihre Protagonistinnen in Extremsituationen, in denen sie lernen müssen, mit der neugewonnenen Freiheit und Unabhängigkeit umzugehen. Es ist der Bruch mit der Gesellschaft, mit vorgeschriebenen Rollenbildern und Erwartungshaltungen, der dazu führt, dass die Frauen zum ersten Mal die Möglichkeit haben, zu sich selbst zu finden.

Auch in Clifts Roman ist dies so. Ihre Protagonistin blickt zurück auf Lebensjahre, in denen sie ihre eigenen Ansprüche an das Leben und ihr eigentliches Wesen den Erwartungen von Männern untergeordnet hat. Nach außen hin wird sie zu einer “perfekte[n] Frau. Ich hatte keine Schwächen, keine Fehler”. Doch innerlich herrschen Chaos und Depressionen; Panikattacken und Selbstzweifel plagen sie.

Die Pandemie, das Alleinsein und die Freiheit sind die Voraussetzung dafür, dass die Protagonistin sich aus dem gesellschaftlichen Korsett, in das sie jahrelang gezwängt wurde und das ihr immer mehr die Luft zum Atmen genommen hat, befreien kann. Das Virus und seine Folgen bilden somit den Hintergrund für den Weg, den Clifts Protagonistin beschreiten muss, um zu lernen, wer sie sein kann und sein will.

Ein Hintergrund, der es, und das darf nicht ungesagt bleiben, in sich hat und nicht selten an Cormac McCarthys “Die Straße” erinnert. Der totale Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation dauert nur einige Tage. Dann machen sich ganze Scharen von Ratten, Wölfen, Möwen und Hunden breit. Ohne zu zögern und auf unnachgiebige und rücksichtslose Weise übernimmt die Natur den ehemaligen Lebensraum der Menschen.

Trotz dieses dunklen und voller Gefahren lauernden Backdrops gelingt es der Autorin, immer wieder kleine Momente voll Humor in die Geschichte einzubauen, die nie fehlplatziert wirken. So heißt es beispielsweise: “Als bekannt wurde, dass es gegenwärtig nur eine Teeplantage im ganzen Vereinigten Königreich gab, kam es zu Unruhe.”

“Die Letzte macht das Licht aus” ist überzeugend, vielleicht auch gerade deshalb, weil wir selbst noch mit einer Pandemie zu kämpfen haben, wodurch die im Roman beschriebenen Ereignisse wahrscheinlich und denkbar wirken. Das wäre vor zwei Jahren vielleicht noch nicht der Fall gewesen. Aber auch davon abgesehen hat der Roman etwas zu bieten, nämlich die Reise in die Unabhängigkeit der Protagonistin.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Ein gelungener Roman

Des Lebens fünfter Akt
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Bekannt ist Arthur Schnitzler bis heute als brillanter Novellist. Werke wie seine “Traumnovelle” haben schon zu Lebzeiten dafür gesorgt, dass er als Schriftsteller ein hohes Ansehen genoß und sich mit ...

Bekannt ist Arthur Schnitzler bis heute als brillanter Novellist. Werke wie seine “Traumnovelle” haben schon zu Lebzeiten dafür gesorgt, dass er als Schriftsteller ein hohes Ansehen genoß und sich mit den großen Denkern und Autoren seiner Zeit in Briefen austauschte. Volker Hage konnte für seinen Roman daher unter Anderem auf Korrespondenzen mit Hofmannsthal, Freud, Thomas Mann und Stefan Zweig zurückgreifen.

Zitate und Ausschnitte aus diesen Briefen, sowie aus den eigenen Aufzeichnungen Schnitzlers fügen sich dabei stets harmonisch und sinnvoll in das Erzählte ein und wirken nie wie Fremdkörper. Es gelingt Hage, ein einfühlsames Porträt des Schriftstellers zu zeichnen, das es dem Leser ermöglicht, sich Schnitzler nahe zu fühlen.

Als Beginn des Romans hat Hage den wohl größten Einschnitt in Schnitzlers Leben ausgewählt: Den Selbstmord der achtzehnjährigen Tochter Lili: “Lili, die Tochter, die er geliebt hatte wie keinen anderen Menschen, sie lebte nicht mehr. Es gab keine Worte dafür. Er überließ sich dem Schmerz [...]. Ihn umgab eisige Finsternis.” Der Verlust der einzigen Tochter prägt ihn grundlegend und er nimmt sein Leben fortan nur noch als eines war, “das es abzuleben galt”.
Schicksalsschläge und Verluste dieser Art begleiten den Schriftsteller jedoch nicht erst in seinen späteren Lebensjahren. Denn auch seine große Liebe Marie Reinhard starb früh. Der Tod ist nie fern in diesem fünften Akt.

“Des Lebens Fünfter Akt” ist ein gelungener Roman, der Sprache, Stil und Erzählinstanz in den Hintergrund rücken lässt, um seiner Hauptfigur vollständig die Bühne zu überlassen. Schnitzler wird sowohl als Schriftsteller als auch als Mensch der Raum gelassen, sich selbst durch sein Werk, seine Beziehungen und durch seinen Lebensweg darzustellen. Um den Mann hinter den Novellen besonders in seinen letzten Lebensjahren kennen- und verstehen zu lernen, sollte man sich diesem Roman widmen.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Ein wichtiges und lesenswertes Buch

Die Freiheit einer Frau
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Nach seinem erfolgreichen Debütroman “Das Ende von Eddy”, in dem Édouard Louis mit seiner eigenen Vergangenheit abschließt und auf den unter Anderem ein Buch über seinen Vater folgte, beschäftigt sich ...

Nach seinem erfolgreichen Debütroman “Das Ende von Eddy”, in dem Édouard Louis mit seiner eigenen Vergangenheit abschließt und auf den unter Anderem ein Buch über seinen Vater folgte, beschäftigt sich der Autor nun in “Die Freiheit einer Frau” mit dem Leben seiner Mutter.
Ausgehend von einem Foto, auf dem sie glücklich scheint und das damit in einem starken Kontrast zu den Erinnerungen Louis’ an die Mutter seiner Kindheit und Jugend steht, zeichnet das Buch all die Höhen und Tiefen, Hoffnungen und Träume, Schicksalsschläge und Enttäuschungen nach, die das Leben seiner Mutter geprägt haben.

Louis’ Mutter wächst in einem Arbeitermilieu auf. Mit achtzehn erwartet sie ihr erstes Kind, muss eine Ausbildung zur Köchin abbrechen und dabei zusehen, wie die ersten Lebensträume zu zerplatzen anfangen. Ihr Mann entpuppt sich als Trinker, der sie außerdem betrügt und schon bald scheint sich das Unglück tief in ihrem Alltag festzusetzen.

Doch sie befreit sich, lernt schließlich Louis’ Vater kennen und hofft auf einen Neuanfang. Sie beginnt zu ahnen, dass sie auch in dieser Beziehung kein Glück finden wird. Spätestens die Beschimpfung “fette Kuh”, die der Vater ihr vor dem ganzen Dorf an den Kopf wird, zeigt, wie tief Gewalt und Fremdbeherrschung ihr Leben prägen.

Ihr Denken besteht aus Konjunktiven, aus den Wenns und den Hättes. Eintönigkeit, Monotonie und Melancholie sind das bröckelige Fundament ihrer Existenz.

Louis’ Buch kann einerseits als Aufarbeitung und Analyse der eigenen Beziehung zur Mutter verstanden werden, die durchaus komplex und schwierig ist und sich durch Scham, Entfremdung und wachsende Klassenunterschieden auszeichnet. Andererseits ist es ein Denkmal und ein Porträt, dem Anerkennung zugrunde liegt und das die Geschichte einer Nichtexistenz in eine Geschichte der Transformation und der Selbstbefreiung umschreibt.

“Die Freiheit einer Frau” ist ein wichtiges und lesenswertes Buch, das ihr nicht verpassen solltet!

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Über Freundschaft, Politik und Familie

Was rot war
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Rocco weiß, dass seine Eltern sich in den 70er Jahren an einer kommunistischen Schule in Italien kennengelernt haben. Sein Vater wurde zum Funktionär, seiner Mutter blieb eine ähnliche Karriere verwehrt. ...

Rocco weiß, dass seine Eltern sich in den 70er Jahren an einer kommunistischen Schule in Italien kennengelernt haben. Sein Vater wurde zum Funktionär, seiner Mutter blieb eine ähnliche Karriere verwehrt. Doch was Rocco nicht weiß, ist, was es mit der Freundschaft zwischen seiner Mutter Cruci und Lucia auf sich hat.

Diese Freundschaft zwischen den zwei Frauen ist der Ausgangspunkt des Debütromans von Enrico Ippolito, der den Leser auf eine Reise in die späten 70er Jahre mitnimmt. Cruci kommt mit achtzehn Jahren zum ersten Mal von Palermo nach Rom, um an der Hochschule der kommunistischen Partei zu studieren. Sie ist anders als die weltgewandte Lucia, die in Rom aufgewachsen ist, politisch aktiv ist und sich selbstsicher durch ihr Leben bewegt.

Trotz der Unterschiede entsteht zwischen den beiden Mädchen eine Freundschaft, die über die Schulzeit hinausgehen wird. Denn sie sind vereint in ihrem Wunsch danach, die kommunistische Partei mit ihren “Männer in dunkelblauen Anzügen, Männer in dunkelgrauen Anzügen, Männer in hellgrauen Anzügen” zu modernisieren und sie vor allem für Frauen zugänglich zu machen. Ihre großen Vorbilder sind dabei die Frauenfiguren der Resistenza.

Das Schicksal hat jedoch getrennte Wege für sie vorgesehen und schon bald ist es nicht mehr nur die räumliche Distanz, die sich zwischen sie gräbt, sondern auch Verrat, Enttäuschungen und Unverständnis.

“Was rot war” ist ein Roman über zwei Frauen, die stets härter für ihre Ziele kämpfen müssen als die Männer um sie herum und die, obwohl sie kämpfen, dabei zusehen müssen, wie ihnen ihre Hoffnungen und Träume wie von selbst zu entgleiten scheinen.

Ippolitos Debütroman überzeugt auf sprachlicher Ebene durch einen klaren und schnörkellosen Stil. Er verbindet Themen wie Freundschaft, Politik, Entwurzelung und Familie und gewährt ihnen den Raum, sich auf drei unterschiedlichen Zeitebenen zu entfalten. Auch wenn der Roman auf den letzten Seiten etwas von seiner Wirkung einbüßt, so tut dies der Geschichte im Ganzen keinen Abbruch.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Ein Highlight

Der große Sommer
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Der große Sommer ist ein wunderbar leichter und gleichzeitig stets tiefsinniger Roman. Er erzählt voller Kraft und Energie von Sommerferien, von Stunden im Freibad, Hitze, Musik, Fahrradfahren, Streichen, ...

Der große Sommer ist ein wunderbar leichter und gleichzeitig stets tiefsinniger Roman. Er erzählt voller Kraft und Energie von Sommerferien, von Stunden im Freibad, Hitze, Musik, Fahrradfahren, Streichen, Mutproben und natürlich von der ersten Liebe.

Frieder ist im letzten Schuljahr in Mathe und Latein durchgefallen. Nun bestehen seine Eltern darauf, dass er nicht mit in den Urlaub fährt und die Sommerferien stattdessen bei den Großeltern verbringt, um dort für die Nachprüfungen zu lernen. Den Großvater kann Frieder nicht besonders gut leiden, findet ihn kühl und streng. Doch im Laufe des Sommers verändert sich nicht nur sein Verhältnis zum Großvater, er erfährt auch mehr aus dem Leben seiner Großeltern.

Dieser Sommer ist für Frieder in jeder Hinsicht groß. Er lernt Beate kennen und lieben, er hat seine ersten Begegnungen mit Schicksalsschlägen und dem Tod und muss auch lernen, dass seine Handlungen Konsequenzen haben.

Ewald Arenz erzählt auf humorvolle, kluge, einfühlsame und poetische Weise von der Jugend. Seine Charaktere sind glaubwürdig, scheinen dem Leben entsprungen zu sein und wachsen dem Leser im Laufe der Geschichte ans Herz. Man begleitet sie, während sie aufwachsen, sich verändern, ihren eigenen Weg finden müssen und das alles vor dem Hintergrund der Sommerferien, diesen magischen sechs Wochen, auf die man das ganze Jahr hinfiebert, die eigentlich die absolute Freiheit bedeuten und dann doch nicht ganz…

Lest diesen besonderen Roman, lasst euch von den Sonnenstrahlen, der Sommerbrise und der schönen Geschichte verzaubern und euch in die Tage der Jugend entführen.

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