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Veröffentlicht am 03.03.2023

Bewegend und mitreißend

Kaukasische Tage
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Banine, die in eine der reichsten aserbaidschanischen Familien geboren wurde, erzählt in “Kaukasische Tage” von ihrer Kindheit und Jugend in Baku zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Baku ist zu jener Zeit ...

Banine, die in eine der reichsten aserbaidschanischen Familien geboren wurde, erzählt in “Kaukasische Tage” von ihrer Kindheit und Jugend in Baku zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Baku ist zu jener Zeit ein Schmelztiegel der Kulturen, ist sowohl europäisch geprägt als auch orientalisch.

Banines Großmutter ist streng islamisch und hängt alten Traditionen nach. Doch ihre Gouvernante ist deutsch und spätere Erzieherinnen sind französisch und englisch. Ihr Vater reist durch die Welt, heiratet nach dem Tod der Mutter eine junge Russin aus Moskau, die eine Affinität für Frankreich hat und die Banine sich zum Vorbild erkürt. Sie bewegt sich in einer modernen Welt, in der die Frauen sich von Religion und Patriarchat zu befreien verstehen.

Es ist eine schillernde, flirrende und verrückte Kindheit, die zwischen Hammam-Partys, Sommerurlauben am Kaspischen Meer, lauten Familienzusammenkünften, die oft in Streitereien ausarten und unzähligen Streichen stattfindet.
Banine lebt leidenschaftlich, hat viel Fantasie, träumt und liest schon als Kind heimlich französische und russische Autoren. Sie verliebt sich - meistens gemeinsam mit ihren Schwestern - in Offiziere und Gärtner. Doch es ist die Liebe zu Andrei Masarin, einem russischen Revolutionär, die ihre große Liebe ist und unerfüllt bleiben muss. Denn mit fünfzehn wird Banine mit einem viel älteren Mann verheiratet.

Aber es ist auch eine Kindheit, die vor dem Hintergrund politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen stattfindet. Die Familie muss zeitweise aus Angst vor Pogromen nach Persien fliehen. Die Freude über die Republiksgründung ist nur von kurzer Dauer und der Einmarsch der Roten Armee führt nicht nur zur Beschlagnahmung des Vermögens und Eigentums der Familie, sondern auch zur Inhaftierung des Vaters.

Die Autorin erzählt ihre eigene Lebensgeschichte auf eine bewegende, mitreißende und eindrückliche Art und Weise. Wüsste man es nicht besser, so würde man denken, man hält einen Roman zwischen den Händen, so bunt, laut und unbändig ist dieses Leben.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Für alle Bobos

Bauer und Bobo
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Alles beginnt mit einer Kuh, dem Tod einer Touristin und einer Beschimpfung. Im Jahr 2014 wurde im österreichischen Pinnistal eine deutsche Touristin während eines Spaziergangs von einer Kuh totgetrampelt. ...

Alles beginnt mit einer Kuh, dem Tod einer Touristin und einer Beschimpfung. Im Jahr 2014 wurde im österreichischen Pinnistal eine deutsche Touristin während eines Spaziergangs von einer Kuh totgetrampelt. Vor Gericht wurde der Bauer verurteilt. Dieses Kuh-Urteil schlug hohe Wellen und wurde von der Presse und Politik in ganz Österreich diskutiert.

Florian Klenk, der Chefredakteur des Falter, sah Schuld bei dem Bauern, fand das Urteil daher richtig und tat seine Meinung in einer Talkshow kund. Christian Bachler, ein Almbauer aus der Steiermark, warf Klenk daraufhin in einem viralen Facebook-Video Arroganz, Überheblichkeit und Ahnungslosigkeit vor und forderte ihn auf: “Steigen Sie ab von Ihrem hohen Ross in ihrer Bobo-Bubble in Wien”. Er lud ihn außerdem ein, ein Praktikum auf seinem Hof zu machen. Klenk nahm die Einladung an.

Es sind zwei völlig unterschiedliche Welten, die nun aufeinandertreffen. Klenk verbringt einige Tage auf dem Bergbauernhof, lernt viel über den Klimawandel, über die Agrarwirtschaft und über das Leben eines Bergbauern in der heutigen Zeit.

Zwei Stärken dieses Buches müssen ganz besonders hervorgehoben werden. Zunächst erlaubt das Buch einen Blick hinter die Kulissen. Es bricht mit dem Klischee einer romantisierten Landwirtschaft, mit der Verklärung des Lebens auf Bauernhöfen und der Arbeit auf einer Alm. Gleichzeitig räumt es dem Klimawandel, der das gesamte Ökosystem der Alm nachhaltig verändert, Raum ein. Auch die Fleischindustrie und die Probleme, die durch die Globalisierung der Agrarwirtschaft entstehen, werden genau beleuchtet.

Bachler steht dabei stellvertretend für viele kleine Bauernhöfe, die hochverschuldet sind, den Banken gehören und von der industrialisierten Landwirtschaft überrollt werden. Ihre Besitzer leiden häufig unter Existenzängsten und Depressionen. Suizide sind keine Seltenheit.

Neben diesem realistischen Blick auf die Landwirtschaft ist die andere große Stärke, dass „Bauer und Bobo“ zeigt, was das Aufeinander-Zugehen, das Miteinander-Kommunizieren bewirken können. Aus der Meinungsverschiedenheit, die zu Beginn der Geschichte steht, entwickelt sich eine Freundschaft, die das Leben von Klenk und Bachler bereichert. Sie beide lernen dazu, tauschen sich aus, erweitern ihren Horizont. Das ist das vielleicht Eindrucksvollste an dieser Geschichte.

Erst durch den Hinweis eines Nachbarn erfährt Klenk schließlich, dass auch Bachler hoch verschuldet ist und kurz davor steht, seinen Hof an die Raiffeisenbank zu verlieren, die bereits den gesamten Hof bis auf das letzte Möbel hat schätzen lassen und sich schlimmer aufführt als “Lehnsherren” im Mittelalter. Die anschließende Rettungsaktion ist wohl der Höhepunkt dieses Aufeinandertreffens und zeigt, wie etwas, was in einen Streit hätte ausarten können, besonders in Zeiten von digitalem Hass, das Leben von Menschen auf positive Weise verändert hat.

„Bobo und Bauer“ ist eine besondere Geschichte und wenn ihr auch eure Bobo-Blase verlassen wollt, wenn ihr mehr über die heutige Landwirtschaft erfahren wollt, dann führt euch dieses Buch zu Gemüte. Ihr werdet es sicher nicht bereuen!

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Ein guter historischer Schmöker

Diebe des Lichts
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Mit “Diebe des Lichts” hat Philipp Blom einen Roman geschrieben, der den Leser ins 16. Jahrhundert und in die Zeit der großen italienischen Renaissance-Maler entführt. Im Zentrum der Geschichte steht Sander, ...

Mit “Diebe des Lichts” hat Philipp Blom einen Roman geschrieben, der den Leser ins 16. Jahrhundert und in die Zeit der großen italienischen Renaissance-Maler entführt. Im Zentrum der Geschichte steht Sander, der während der spanischen Besetzung Flanderns mitansehen muss, wie sein Vater ermordet wird. Als Waisen begeben sich sein verstummter Bruder und er auf eine Wanderschaft, die sie bis nach Rom führt. Sie arbeiten in einer Druckerei, in einem Atelier und werden an die Welt der Farben und der Malerei herangeführt.

Besonders Sander entdeckt sein Talent für die Pflanzen- und Blumenmalerei, welches er in der Werkstatt des römischen Malers Virgilio Nobili vertiefen kann. Dort lernt er auch die Tochter des Malers kennen und verliebt sich in sie. Doch ihm ist mit dieser Liebe kein Glück vergönnt und bald schon führt ihn sein Weg weiter nach Neapel und Palermo.

Sander ist umgeben von Menschen der Zeit, wie Giordano Bruno und Caravaggio. Er wird Berater eines spanischen Kardinals und gewinnt tiefe Einblicke in die Machenschaften der Kirche(nmänner) und in ihre Ablehnung neuer Ideen. Sander deckt Verbrechen auf, macht sich mächtige Feinde und hat mit Intrigen zu kämpfen.

Blom öffnet seinen Lesern mit diesem Roman gleich mehrere Türen, durch die die Welt der Renaissance betreten werden kann. Der Protagonist, der sich zwischen unterschiedlichen Institutionen, Städten und Interessen bewegt, der sowohl Künstler als auch Berater in der Kirche ist, schafft Verbindungen und gewährt interessante Einblicke.

“Diebe des Lichts” ist ein leichter, aber kein seichter Roman. Ein historischer Schmöker, der trotz einiger Längen Spaß macht. Er kann all jenen Lesern empfohlen werden, die Lust auf eine kleine (kunsthistorische) Zeitreise haben.

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Dieser Guide macht Spaß!

China. Der illustrierte Guide
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Welches ist das komplizierteste Schriftzeichen in der chinesischen Sprache? Was bedeutet „Bu fang lajiao!“? (Könnte überlebenswichtig sein). Was ist das chinesische Pendant zu „Cheese“? Was essen Chinesen ...

Welches ist das komplizierteste Schriftzeichen in der chinesischen Sprache? Was bedeutet „Bu fang lajiao!“? (Könnte überlebenswichtig sein). Was ist das chinesische Pendant zu „Cheese“? Was essen Chinesen zum Frühstück? Wie viele Schriften hat die Nationalbibliothek in Peking? Wo findet man die schönsten Gärten Chinas? Und warum ist Rot eigentlich so eine beliebte Farbe?

Die Antworten zu diesen Fragen und noch viel mehr findet man in dem illustrierten China-Guide von Giulia Ziggiotti und Sabrina Ferrero. In zahlreichen Kapiteln und Unterkapiteln nähern sich die Autorin und die Illustratorin auf eine zugängliche, anschauliche und gleichzeitig informative Art und Weise China an. Die Kultur und Traditionen, Sprache, Geschichte, Politik und die Menschen dieses Landes werden dem Leser in kurzen Texten nahegebracht. Die farbenfrohen und wunderbaren Illustrationen von Sabrina Ferrero, deren Name meiner Meinung nach unbedingt auf dem Cover hätte erwähnt werden müssen, runden das Leseerlebnis ab.

Ob man nun eine Reise nach China plant oder einfach nur mehr über dieses faszinierende Land und seine Menschen lernen möchte, der Guide ist so ziemlich für alle Leser eine Bereicherung. Man kann immer wieder reinschauen, weil er voll mit Wissen und spannenden Tipps ist. Von Flohmärkten bis zum Pekinger Kunstviertel, von regionalen Unterschieden bis zu den Besonderheiten der großen Städte und von traditionellen Gerichten bis zu Bubble Tea: Der Guide widmet sich den unterschiedlichsten Facetten des Reichs der Mitte.

Der “China. Der illustrierte Guide” macht Spaß!

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Veröffentlicht am 03.03.2023

Highlight

So reich wie der König
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Es sind die 90er Jahre in Casablanca. Sarah, eine sechszehnjährige Französin, wächst am Rande der Stadt und an der Grenze zum Barackenviertel auf. Vor ihren Freunden verheimlicht sie ihr schäbiges Zuhause ...

Es sind die 90er Jahre in Casablanca. Sarah, eine sechszehnjährige Französin, wächst am Rande der Stadt und an der Grenze zum Barackenviertel auf. Vor ihren Freunden verheimlicht sie ihr schäbiges Zuhause und findet Zugang zur reichen Elite der Stadt. Von den Jungs, mit denen sie ausgeht, lässt sie sich Kleidung und Essen kaufen, aber ihr eigentlicher Traum ist es, eines Tages genug Geld zu haben, um sich eine Villa, einen Gärtner und Rubine leisten zu können. Sie will Königin sein.
Als sie von einem Freund erfährt, dass Driss „der Reichste der Reichen [ist]. Reicher als wir alle zusammen. Vielleicht so reich wie der König“, weiß Sarah, wie sie dem für sie vorbestimmten Leben entfliehen und ihren Traum Wirklichkeit werden lassen kann. Doch Driss ist zurückhaltend, feinfühlig und unansehnlich. Er scheint sich nicht für Sarah zu interessieren und erst allmählich nähern sich die beiden einander an.

Abigail Assor hat einen kraftvollen und bildgewaltigen Roman geschrieben, der sich einer Gesellschaft widmet, die aufgeteilt ist in arm und reich, westlich und östlich, französisch und arabisch, modern und archaisch. Überschneidungen gibt es nicht, denn die gesellschaftlichen Hierarchien sind undurchlässig. Träume von einem besseren Leben zerschellen an der Realität.
Letzteres ist für Frauen doppelt wahr. Ihre Hoffnungen haben keinen Platz in einer Welt, in der alle Männer ihre Frauen schlagen. Die Gewalt ist klassenunabhängig und allgemeingültig. Sie drückt sich auch darin aus, dass Frauen ein Verfallsdatum haben, wenn sie nicht (mehr) fruchtbar sind und dass Mädchen auf offener Straße vergewaltigt werden, deshalb ins Gefängnis müssen oder mit dem Täter verheiratet werden.

Assor beschreibt eine dichotome Gesellschaft mit Sittenpolizei und Anstandsregeln auf der einen, westlichem Lebensstil auf der anderen Seite, aber vor allem eine Gesellschaft ohne einen Raum für Überschneidungen. In dieser Welt finden zwei Jugendliche zueinander, die für sich selbst solch einen Raum zu erfinden versuchen, die träumen und hoffen, den Mut haben, dagegenzuhalten.

Assors Debütroman lässt den Leser vergessen, dass er liest. Hinter den Buchdeckeln erstreckt sich eine ganze Welt, die mit dem ersten Satz zum Leben erwacht, die Zeit- und Kulturreise zugleich ist.
Dass dieser Eindruck entstehen kann, liegt auch an Assors Sprache, die konzentriert ist und gleichzeitig mühelos, fließend. Alles ist stimmig an dieser Geschichte, die an keiner Stelle ausartet, sich nie verliert, trotz der Komplexität der porträtierten Gesellschaft. Sie geht tief ohne sich Schwere aufzubürden.

„So reich wie der König“ ist eine der großen Neuerscheinungen dieses Frühjahrs.

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