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Veröffentlicht am 23.09.2024

Atmosphärischer Roman

Ein klarer Tag
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In der Mitte des 19. Jahrhunderts vertreiben Landbesitzer ihre Pächter, um sie durch Schafe zu ersetzen. John Ferguson, ein Priester der neu gegründeten Free Church of Scotland, braucht Geld. Er bekommt ...

In der Mitte des 19. Jahrhunderts vertreiben Landbesitzer ihre Pächter, um sie durch Schafe zu ersetzen. John Ferguson, ein Priester der neu gegründeten Free Church of Scotland, braucht Geld. Er bekommt von einem Landbesitzer den Auftrag, auf eine Insel irgendwo zwischen den Shetlandinseln und Norwegen zu fahren, um dort den letzten Bewohner davon zu überzeugen, zu gehen. Zur Not mit Waffengewalt.

Doch bei seiner Ankunft stürzt John von den Klippen. Es ist Ivar, der Einsiedler, der sich seiner annimmt und der ihn mit der Zeit nicht nur gesund pflegt, sondern ihm auch seine Sprache beibringt. Zwischen den Männern entwickeln sich zarte Bande. Aber Ivar weiß noch nicht, dass er vertrieben werden soll. Und dann ist da noch Mary, Johns Frau, die auf dem Festland auf ihn wartet.

"Ein klarer Tag" von Carys Davies ist ein atmosphärischer Roman, der mit seinen intensiven Bildern zu überzeugen vermag. Er lebt von seinen Landschaftsbeschreibungen und von der Rolle, die die karge und wilde Natur in der Geschichte spielt. Aber er lebt auch von den vielen stillen Momenten und von der fragilen Beziehung zwischen den beiden Protagonisten, die langsam aufeinander zugehen und einander zu verstehen lernen.

Sprache spielt dabei eine große Rolle und ich fand es faszinierend, Zeugin davon zu werden, wie John Ivars Sprache lernt. Es ist eine Sprache, die in jeder Hinsicht an das gebunden ist, was sie umgibt. Beispielsweise kennt sie zahlreiche Wörter für Nebel oder für Wolken, eine Tatsache, die sich für John als schwierig erweist. Für den Lesenden tragen die fremden Wörter dazu bei, dass die erzählte Welt klingender und runder erscheint.

"Ein klarer Tag" ist nicht nur eine Geschichte über Vertreibung und über den Verlust der Heimat. Vielmehr erzählt sie von der Überwindung von Unterschieden, vom gegenseitigen Verstehen. Es ist Carys Davies gelungen, eine Zeit und seine Menschen zum Leben zu erwecken.

Der einzige Kritikpunkt ist das Ende, das ich etwas unglaubwürdig fand (kann hier aber nicht spoilerfrei wiedergegeben werden).

Davon abgesehen empfehle ich den Roman und gleich dazu auch noch “West” von derselben Autorin, das mindestens genauso gut war!

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Veröffentlicht am 23.09.2024

Starke Bilder

Die Entblößten
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Ein Student verbrennt sich selbst mitten in Paris. Es ist das letzte Aufbegehren gegen eine albtraumhafte Welt, in der der Spätkapitalismus dazu geführt hat, dass Armut grassiert. Doch nicht nur das, auch ...

Ein Student verbrennt sich selbst mitten in Paris. Es ist das letzte Aufbegehren gegen eine albtraumhafte Welt, in der der Spätkapitalismus dazu geführt hat, dass Armut grassiert. Doch nicht nur das, auch die Überwachung durch Polizei und Militär sind allgegenwärtig, die Sozialsysteme sind zusammengebrochen und die Politik scheut sich nicht davor, das Volk als "Idioten" zu bezeichnen.

"Die Entblößten" ist scharfsinnige, kritische und relevante Literatur, weil sie politische, soziale und wirtschaftliche Entwicklungen weiterdenkt, die in der Gegenwart verankert sind. Gleichzeitig möchte der Roman sehr viel, spricht eine Vielzahl von Themen an und lässt Figuren auftreten, deren Schicksale etwas zu plakativ und teilweise sogar losgelöst von der sie umgebenden dystopischen Welt wiedergegeben werden.

Unter anderem deshalb entsteht nicht der Eindruck einer stringenten Erzählung, sondern eher einer Aneinanderreihung von Eindrücken und Szenen. Das ist schade, weil der Roman das Potential zu einer Dystopie hat, die sich ganz nah und unbequem hätte anfühlen können. Durch die mangelnde Identifikation mit den Figuren und auch durch die sehr essayartige Erzählweise kommt es jedoch nicht dazu. Ein größerer Fokus auf das Ausschmücken der erzählten Welt hätte dem Roman sicher gut getan.

Trotzdem kann das Buch empfohlen werden, weil es Denkanstöße gibt, weil es unsere Welt in einem gruselig-spätkapitalistischen Zustand beschreibt und sich nicht davor scheut, starke Bilder zu zeichnen.

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Veröffentlicht am 23.09.2024

Tolles Debüt

Grand-papa
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"Ich muss gestehen: Mein Großvater war mir nie wichtig. Genauso, wie ich ihm nie wichtig war – dachte ich zumindest, lange Zeit."

Als Natalie Buchholz die Tagebücher ihres verstorbenen Großvaters findet, ...

"Ich muss gestehen: Mein Großvater war mir nie wichtig. Genauso, wie ich ihm nie wichtig war – dachte ich zumindest, lange Zeit."

Als Natalie Buchholz die Tagebücher ihres verstorbenen Großvaters findet, begibt sie sich auf Spurensuche in dessen Lebensgeschichte und die Geschichte ihrer Vorfahren.

Es ist ein Eintauchen in das Leben eines Mannes, zu dem sie stets ein kühles und distanziertes Verhältnis hatte. Auch in seinen Tagebüchern lässt der Großvater kaum Emotionen aufkommen. Diese Lücke muss die Autorin selbst füllen, durch Recherchen, durch die Erzählungen ihrer Mutter und mit ihrer Fantasie.

"Ich frage mich, ob mein Großvater etwas dagegen hätte, dass ich seine nüchternen Fakten mit meiner Fantasie mische."

So ist ein Text entstanden, der sich an der Realität, an dem wahren Leben des Großvaters, entlang hangelt, der sich aber stellenweise in die Fiktion hineinwagt und diese oftmals selbst als solche entlarvt. Der Roman wirkt wie ein Mosaik aus Episoden, Eindrücken und Erinnerungen, die in kurzen Kapiteln wiedergegeben werden. Buchholz versteht es, kritisch zu bleiben, die Aufzeichnungen und das Erlebte ihres Großvaters nicht auf ein Podest zu heben, sondern es kritisch zu hinterfragen.

"Grand-papa" zeichnet sich neben seiner markanten Erzählweise aber auch durch seine Thematisierung von Krieg und Identität aus. Denn der Großvater gehört zu der Generation, die beide Weltkriege miterlebt hat. Und das in einer Region, die zutiefst von den Kriegen geprägt wurde, nämlich im Elsass und in Lothringen. Sein Leben ist ein Spiegel der bewegten Geschichte dieser Region. Der ständige Wechsel zwischen Identitäten, Nationalitäten, Zugehörigkeiten, Sprachen, Verpflichtungen... bestimmt das Leben der Bevölkerung.

"Mein Großvater hat Glück mit seinem Namen. Er verliert nur ein 'e' und ein 'y'. Aus Anatole wird Anatol. Aus 'Frey' wird 'Frei'."

Das Buch führt vor Augen, wie wichtig Frieden und Völkerverständigung sind, zwischen Deutschland und Frankreich und einfach überall. Denn das Gegenteil führt zu zersplitterten Schicksalen, zu Verfeindungen und zu der Unfähigkeit der Annäherung und des Verständnisses.

Für mich ist "Grand-papa" ein Debüt, das einer Entdeckung wert ist und das auf mehr hoffen lässt!

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Veröffentlicht am 03.09.2024

Tolles Bastelvergnügen

Dein Mädchen-Bastelblock
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“Kreativität kann man nicht aufbrauchen. Je mehr man sie nutzt, umso mehr wächst sie nach.”

Wenn ein Buch mit diesen Zeilen beginnt, dann kann es doch eigentlich nur gut sein! Und “Dein Mädchenbuch” sowie ...

“Kreativität kann man nicht aufbrauchen. Je mehr man sie nutzt, umso mehr wächst sie nach.”

Wenn ein Buch mit diesen Zeilen beginnt, dann kann es doch eigentlich nur gut sein! Und “Dein Mädchenbuch” sowie der dazugehörige Bastelblock von Nikki Busch und Christiane Hahn sind eine wunderbare Bereicherung für jedes Kinderzimmer!

Lernen, basteln, staunen, entdecken, malen, zeichnen, schreiben... und all das zu den unterschiedlichsten Anlässen und in allen vier Jahreszeiten. Kinder, die dieses Buch im Regal stehen haben, können sich eigentlich nicht mehr langweilen! Das Bastelbuch überzeugt durch seine Vielfalt, aber auch durch seine ansprechende und farbenfrohe Gestaltung. Auch der Aufbau ist abwechslungsreich, keine Seite gleicht der anderen.

Das selbe gilt für den Bastelblock, der das Buch ergänzt und genügend buntes Papier, sowie Sticker und Vorlagen liefert.

Sowohl das Bastelbuch als auch der Block können mit Überzeugung empfohlen werden!

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Veröffentlicht am 30.06.2024

Zeitreise ins Hollywood der 1930er Jahre

Eve
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In sechs Geschichten entführt Amor Towles ins Hollywood der 1930er Jahre. Die Lesenden folgen Evelyn Ross, die aus Chicago nach Los Angeles gereist ist und dort auf unterschiedliche Menschen trifft. Es ...

In sechs Geschichten entführt Amor Towles ins Hollywood der 1930er Jahre. Die Lesenden folgen Evelyn Ross, die aus Chicago nach Los Angeles gereist ist und dort auf unterschiedliche Menschen trifft. Es sind diese Menschen, aus deren Perspektiven die Geschichten erzählt werden, denn durch das Zusammentreffen mit Evelyn verändern sich ihre Schicksale.

Es sind lose miteinander verknüpfte Episoden, aus denen sich das Buch zusammensetzt. Und obwohl ich Towles’ Schreibstil sehr mag, wirkte das Buch etwas unausgegoren auf mich. Es entsteht weder innerhalb der einzelnen Geschichten noch im Zusammenspiel der Geschichten untereinander Tiefe. Zu den Figuren konnte ich keine Bindung aufbauen. Sogar Evelyn Ross, die ja schließlich die Hauptfigur sein soll, blieb mir fern und wirkte nur sehr schemenhaft umrissen. Auch das Ende schien mir etwas abrupt und hat es nicht vermocht, diesen Band an Erzählungen abzurunden.

Vielleicht liest sich das Buch ein wenig anders, wenn man gerade den Roman “Rules of Civility” gelesen hätte, in dem Evelyn Ross eine der Figuren ist. Mir war er allerdings nicht mehr klar in Erinnerung und ich bleibe deshalb mit gemischten Gefühlen zurück. Schade, aber natürlich trotzdem kein Grund, um sich nicht auf weitere Romane von Amor Towles zu freuen.

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