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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.08.2024

Pageturner

Kleine Monster
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Für mich hat sich der Roman, der eigentlich ein Familiendrama darstellt, wie ein Psychothriller gelesen. Ich fand ihn unheimlich spannend und atmosphärisch dicht geschrieben, da war kein Wort zu viel und ...

Für mich hat sich der Roman, der eigentlich ein Familiendrama darstellt, wie ein Psychothriller gelesen. Ich fand ihn unheimlich spannend und atmosphärisch dicht geschrieben, da war kein Wort zu viel und trotzdem gab es immer wieder einfühlsame, kreative Sprachbilder und Beschreibungen.

Im Zentrum der Handlung stehen Pia und ihr Sohn Luca. Luca wird beschuldigt, ein Mädchen in der Grundschule bedrängt zu haben, schweigt jedoch beharrlich zu den Vorwürfen. Dieses Schweigen bringt Pia aus dem Gleichgewicht und lässt alte Wunden aus ihrer eigenen Kindheit wieder aufbrechen. Auch in Pias Kindheit wurde viel geschwiegen und gelogen. Die Erzählung entfaltet eine dichte Atmosphäre des Misstrauens und der Ungewissheit, was dazu führt, dass man sich als Leser:in immer wieder fragt: Was ist wirklich passiert? Besonders gelungen ist die Darstellung von Pias innerem Kampf als Mutter. Ihre wachsende Angst und das Misstrauen gegenüber ihrem eigenen Sohn haben mich selbst zunehmend unwohl werden lassen.

Der Roman wirft somit wichtige Fragen auf: Dreht sich die Spirale von Familientraumata immer weiter, weil diese von Generation zu Generation weitergegeben werden? Und wie geht man damit um, dass man nie genau wissen wird, was tatsächlich geschehen ist? In „Kleine Monster“ gibt es keine einfachen Antworten. Die Charaktere versuchen zu lernen, mit den eigenen Unsicherheiten und den Lücken in ihren Erinnerungen umzugehen, sich selbst und einander zu vertrauen. Bis zur letzten Seite bleibt es spannend, ob sie das schaffen oder ob die Familie dadurch auseinanderbrechen wird.

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Veröffentlicht am 24.08.2024

Klassikerin

Ex-Wife
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Dieser Roman kam mir ein bisschen so vor wie die reiche, amerikanische große Schwester von „Das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun.
Patricia lebt als Ex-Frau unabhängig und berufstätig im New York ...

Dieser Roman kam mir ein bisschen so vor wie die reiche, amerikanische große Schwester von „Das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun.
Patricia lebt als Ex-Frau unabhängig und berufstätig im New York Ende der 1920er-Jahre. Obwohl sie Halt bei einer guten Freundin und Spaß am New Yorker Nachtleben findet, trauert sie ihrem Mann und dem Leben als Ehefrau hinterher. Schließlich sind die Rollenerwartungen an Frauen klar: Sie soll möglichst gutaussehend, möglichst rein und möglichst verheiratet sein. Patricia versucht allerdings immer wieder sowohl Ablenkung durch Sex als auch eine neue Liebe zu finden. Dabei begegnen ihr neben Männern, die zu guten Freunden werden, auch immer wieder misogyne und gewalttätige Männer, sodass die Strukturen als sexistisch und ungerecht entlarvt werden.
An „Das kunstseidene Mädchen“ hat mich einerseits die Erzählweise erinnert, die mitunter gedankenstromartig ist, dann wieder raffend wie ein Tagebucheintrag. Zudem wird durch die Erzählweise deutlich, dass Patricia einige misogyne Strukturen selbst eher nicht hinterfragt, sondern vor allem versucht, mit deren negativen Folgen klarzukommen. Andererseits gibt es aus meiner Sicht auch inhaltliche Überschneidungen: Patricias Suche nach Glück, die Rolle von Mode und Äußerlichkeiten dabei, ihr ständiges Scheitern und Wiederaufstehen oder ihre Hilfsbereitschaft gegenüber anderen Frauen. Eines hat Patricia jedoch ihrer deutschen kleinen Schwester voraus: Durch Bildung und soziale Herkunft kann sie ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren. Sie zeigt, dass Frauen ökonomisch nicht auf Männer angewiesen sein müssen.
Alles in allem habe ich den Roman sehr gerne gelesen - ich kann es Fans vom kunstseidenen Mädchen und/oder Sex and the City empfehlen. Aus meiner Sicht eignet sich der Roman durch die Erzählweise und den kulturhistorischen Hintergrund von Prohibition und der Lebensweise von bürgerlichen Frauen in den 1920ern auch sehr gut zur Klassikerin.

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Veröffentlicht am 21.08.2024

Hat mich nicht erreicht

Leming
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TW: Suizid, Tod. Dieser Roman hatte mich mit der Ankündigung „Tschick trifft auf Nick Hornbys A Long way Down im Setting von The End of the F***ing World“ sehr neugierig gemacht, leider hat er mich jedoch ...

TW: Suizid, Tod. Dieser Roman hatte mich mit der Ankündigung „Tschick trifft auf Nick Hornbys A Long way Down im Setting von The End of the F***ing World“ sehr neugierig gemacht, leider hat er mich jedoch überhaupt nicht berührt. Es scheint, als bemüht sich der Roman sehr, genau diese Vorgaben zu erfüllen, ohne jedoch eine eigene Sprache zu finden, sodass am Ende alles oberflächlich abgehandelt auf mich wirkte. Nur das Nachwort im Namen des Autoren hat mich schließlich emotional erreicht.
Es geht um drei Außenseiter, die nach Ungarn aufbrechen, um sich umzubringen. Der Roadtrip erinnert tatsächlich an Tschick, allerdings ohne dass die Nebencharaktere wirklich Tiefe bekommen. Erzählt wird in einer ähnlich derben Sprache, die auf mich jedoch oft aufgesetzt und unauthentisch wirkte - dort redet kein Teenager, sondern es schimmert ein Erwachsener durch, der versucht, wie ein Teenager zu schreiben. Während Wörter wie „behindert“ reflektiert werden, werden „bitch“ und „normal“ einfach verwendet, ohne dass das irgendwie ironisch gebrochen wird o.Ä. Auch Trauer und Verzweiflung wurden für mich weder ernst noch ironisch dargestellt, sodass die Darstellung vor allem oberflächlich und bemüht wirkt.
Positiv: Die Geschichte wird flüssig erzählt, ich habe sie trotz Genervtheit zwischendurch zügig weglesen können. Das Nachwort und die zur Verfügung gestellten Informationen zu Hilfsmöglichkeiten fand ich auch gelungen.

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Veröffentlicht am 20.08.2024

Erschreckend realistisch

Der Stoff, aus dem die Tränen sind
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Dieses Buch habe ich bei einem Bookblinddate-Kauf erstanden: Die Abgründe Hollywoods, während das Feuer immer näher kommt, hatten mich direkt angesprochen. Was ich bekommen habe, ist eine düstere, ...


Dieses Buch habe ich bei einem Bookblinddate-Kauf erstanden: Die Abgründe Hollywoods, während das Feuer immer näher kommt, hatten mich direkt angesprochen. Was ich bekommen habe, ist eine düstere, aber bedenklich realistische Utopie über eine Filmindustrie, die sich angesichts der Waldbrände, Wasserknappheit und einer sich zunehmend verbreitenden mysteriösen Krankheit weiter auf ihren eigenen Gewinn konzentriert. Patrick, ein Schriftsteller von der Ostküste, der in Hollywood an der Verfilmung eines seiner Bücher mitarbeiten möchte, lässt sich anfangs noch vom schönen Schein blenden. Währenddessen verzweifelt seine Frau Alison zu Hause an der Klimakrise und taucht mit Tochter Nora in ein Öko-Retreat ab. Patrick und Alison beginnen bald, daran zu zweifeln, ob sie das Richtige tun, aber da dreht sich die Spirale der Handlung schon unaufhaltsam weiter.
Geschrieben ist der Roman eher langsam, atmosphärisch und bildstark, wobei er im letzten Drittel auch spannend wird. Im ersten Drittel hatte er durchaus Längen.
Wer vor allem an den dystopischen Elementen und weniger an den Beschreibungen von Natur und Leere interessiert ist, dem gefällt eventuell der Jugendroman „Dry“ von Neil und Jarrod Shusterman besser. Mir hat das Literarische hier aber sehr gut gefallen. Leider sind wir wahrscheinlich nicht mehr weit von der in beiden Romanen beschriebenen Dystopie entfernt…

Gelungen übersetzt von von Christiane Sipeer und Anna-Christin Kramer.

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Veröffentlicht am 20.08.2024

Interessant

Die Suche nach Heimat
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Diesen Roman hätte ich mir wegen des kitschigen Covers wohl nicht selbst gekauft, trotzdem war er ein durchdachtes Geschenk, denn die überhaupt nicht kitschige Lyrikerin Mascha Kaléko mag ich sehr. ...

Diesen Roman hätte ich mir wegen des kitschigen Covers wohl nicht selbst gekauft, trotzdem war er ein durchdachtes Geschenk, denn die überhaupt nicht kitschige Lyrikerin Mascha Kaléko mag ich sehr. Sie ist eine der wenigen Lyriker:innen, die in meinem Bücherregal stehen.
Die Romanbiographie entspricht dann stellenweise sprachlich auch dem Stil des Covers, allerdings ist sie trotzdem merklich fundiert recherchiert. So schließt ein Literaturverzeichnis den Roman ab. Außerdem hat mir sehr gefallen, dass nach jedem Kapitel ein Gedicht von Kaléko folgt, was den vorherigen Inhalt reflektiert. Das Buch ist also auf jeden Fall etwas für Lyrikliebhaber:innen.
Zusätzlich bekommt man einen guten Einblick in die literarische Szene aus dem Berlin Ende der 20er-Jahre: Kästner, Rowohlt usw. feiern mit Mascha im „Romanischem Café“, solange es noch geht und begleiten ihren Aufstieg der Schriftstellerin in Berlin. Die gebürtige Galizierin fühlt sich bald endlich zugehörig, doch dann zeichnet sich schon ab, dass sie wie viele andere ihre Heimat wieder verlassen muss.
Eine besondere Beziehung hat Mascha zu Franz Hessel. Das Buch „Spazieren durch Berlin“ von Franz Hessel ist daher auch nebenbei auf meine Wunschliste gewandert. Er war als Autor auch Lektor und Vertrauter von Mascha, außerdem ist er Urheber dieses immer noch aktuellen, unheimlich treffenden Zitats: „Heimat ist Geheimnis - nicht Geschrei“.

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