Profilbild von LeserinLu

LeserinLu

Lesejury Profi
offline

LeserinLu ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit LeserinLu über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.11.2024

Aufruf zum Handeln

Moralische Ambition
0

Rutger Bregman, bekannt durch seinen Bestseller „Im Grunde gut“, den ich sehr mochte, meldet sich mit „Moralische Ambition“ zurück. Das Buch handelt von historischen Vorbildern moralischer Ambition – von ...

Rutger Bregman, bekannt durch seinen Bestseller „Im Grunde gut“, den ich sehr mochte, meldet sich mit „Moralische Ambition“ zurück. Das Buch handelt von historischen Vorbildern moralischer Ambition – von Abolitionisten und Suffragetten bis hin zu Held:innen des Widerstands und Bürgerrechtsbewegungen. Es stellt zentrale Fragen: Wie werden große Ideen in die Tat umgesetzt? Und wie kann jede:r Einzelne angesichts globaler Krisen aktiv werden?

Bregman gelingt es, mit seinen Geschichten über Pionier:innen und Veränderer:innen zu berühren und zu motivieren. Der Ton des Buches ist direkt, ein Appell, der Leser:innen nicht nur zum Nachdenken, sondern vor allem zum Handeln auffordert. So wird im Buch betont: „Benutzen Sie es nicht, um irgendwem Vorwürfe zu machen, sondern um sich selbst in Bewegung zu setzen.“ Das hat mir persönlich gut gefallen, auch die Erklärung, dass Awareness ohne darauffolgende Taten und das Engagement, sich in einen Gesetzgebungsprozess einzubringen, wenig bringt, fand ich durchaus augenöffnend.

Die leichte und zugängliche Sprache des Buches ist ein weiteres Plus. Trotz des ernsten Themas liest sich Moralische Ambition schnell und angenehm, was den Übergang von der Reflexion zur Umsetzung erleichtert. So anregend Bregmans Buch auch ist, es bleibt leider nicht ohne Schwächen. Es fällt auf, dass die Argumentation oft auf Anekdoten und Einzelstatistiken fußt. Dies unterfüttert die Erzählung zwar emotional, ersetzt aber keine fundierte Analyse. So werden komplexe Probleme teilweise zu stark vereinfacht. Beispielsweise wird die Vision einer durch Sonnenenergie betriebenen Welt zwar enthusiastisch dargestellt, aber die praktischen und politischen Hindernisse – sowie die Notwendigkeit, den Energieverbrauch im globalen Norden tatsächlich zu senken – werden nur am Rande gestreift. Hier hätte ich mir gewünscht, dass den Leser:innen mehr Ambiguität zugemutet wird.

Moralische Ambition ist damit kein Buch, das die Probleme systematisch erschließt und erklärt, aber es ist eines, das etwas in Bewegung setzen will. So gibt es auch eine zum Buch passende Website. Ich hoffe daher, dass es trotz der Abstriche viele Leser:innen finden wird und tatsächlich Veränderungen anstoßen kann.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.11.2024

Verdient auf der Hotlist

Das perfekte Grau
0

Dieser Roman war aus meiner Sicht verdient auf der Hotlist der unabhängigen Verlage. „Das perfekte Grau“ überzeugt durch eine außergewöhnliche Mischung aus sprachlicher Schönheit, humorvollen Momenten ...

Dieser Roman war aus meiner Sicht verdient auf der Hotlist der unabhängigen Verlage. „Das perfekte Grau“ überzeugt durch eine außergewöhnliche Mischung aus sprachlicher Schönheit, humorvollen Momenten und Lebensweisheiten bzw. -beobachtungen, die mich berührt haben. Sätze wie „Flucht ist endlose Einsamkeit“ (S. 36) verleihen der Geschichte eine poetische Tiefe, die man nicht so leicht vergisst. Gleichzeitig hat der Roman mir einen Einblick in Lebenswelten gegeben, die mir fremd sind – und genau das ist für mich eine der größten Stärken der Literatur, wie dies im Roman auch beschrieben wird.

Erzählerisch klug konzipiert, führt der Roman mit Dante, Mimi, Rofu und Novelle vier völlig unterschiedliche Charaktere zusammen, die jeweils aus ganz eigenen Gründen auf der Flucht sind. Ihre Reise – eine Art Road Trip, der sich über Boot, Fahrrad und Bahn erstreckt – ist nicht nur eine äußere Flucht, sondern auch eine innere Suche. Es ist spannend zu verfolgen, ob ihre Einsamkeit durch die Gemeinschaft gelindert wird und ob aus Zweckgemeinschaft Freundschaft entstehen kann. Die Eigenwilligkeit der Figuren hat mir besonders gut gefallen. Die Charaktere sind alles andere als klischeehaft oder kitschig, sondern bis auf eine Ausnahme sehr vielschichtig – tatsächlich hat sich der Charakter des Ich-Erzählers für mich am wenigsten erschlossen.

Der Roman erinnert in manchen Momenten mit dem gelungenen Mix aus Handlungs- und Figurenzentrierung an Wolfgang Herrndorfs „Tschick“, was auf dem Cover ja auch angedeutet wird. Dennoch setzt „Das perfekte Grau“ eigene Akzente und vermeidet es, in gängige Muster zu verfallen. Die Reise der vier ist von Pannen, kuriosen Begegnungen und skurrilen Momenten geprägt, aber gleichzeitig immer wieder durchzogen von nachdenklichen Passagen und existenziellen Fragen. Dieser Wechsel zwischen Leichtigkeit und Tiefe macht die Lektüre so abwechslungsreich. Ich empfehle den Roman daher allen mit Spaß an lebensklugen Gedanken, die auf der Suche nach einer facettenreichen und originellen Geschichte sind.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.11.2024

Macht Mut!

Zuversicht jetzt
0

Sara Fromms Buch „Zuversicht jetzt“ bietet genau das, was der Titel verspricht: eine motivierende und praxisnahe Anleitung, wie wir angesichts der zahlreichen globalen Krisen aktiv werden können. Die Autorin ...

Sara Fromms Buch „Zuversicht jetzt“ bietet genau das, was der Titel verspricht: eine motivierende und praxisnahe Anleitung, wie wir angesichts der zahlreichen globalen Krisen aktiv werden können. Die Autorin schafft es, Hoffnung zu wecken, ohne dabei die Realität zu beschönigen. Statt eine weitere Problemanalyse vorzulegen, richtet sie den Blick gezielt auf Handlungsmöglichkeiten – ein Ansatz, der in Zeiten von Klimaangst und politischer Frustration erfrischend und dringend nötig ist.

Besonders gelungen fand ich die Kapitel, in denen Fromm anhand historischer und aktueller Beispiele sozialer Bewegungen zeigt, wie kollektiver Protest Veränderungen bewirken kann. Auch die Theorie über das Funktionieren und Wirken sozialer Bewegungen fand ich sehr spannend, da ich mich damit noch nie befasst habe: Warum braucht es einerseits die Reformer:innen, aber auch die Rebell:innen? Das habe ich jetzt sehr viel besser verstanden.

Für mich persönlich, als jemanden, der bereits politisch aktiv ist, waren einige der Inhalte allerdings weniger neu, deshalb haben sich einige Kapitel für mich etwas gezogen. Dennoch hat das Buch einen Mehrwert, da es nicht nur Aktivistinnen, sondern auch Menschen anspricht, die erst am Anfang ihres Engagements stehen. Es schafft den Spagat zwischen grundlegender Einführung und praxisnahen Tipps für Erfahrene, indem es gleichzeitig Strategien für Resilienz und das Vermeiden von Burnout vermittelt. Gerade diese Aspekte fand ich besonders wertvoll, da ich selbst kenne, dass man sich schnell verausgabt - und die Erkenntnis, dass es kollektive Lösungen braucht (statt nur individuell Grenzen zu setzen), ist zwar naheliegend, ich hatte mir das aber nie so vor Augen gehalten.

Fromms Stil ist klar, motivierend und immer auf Augenhöhe mit den Leser
innen. Ihre eigene Erfahrung als Aktivistin und Trainerin fließt spürbar in ihre Vorschläge ein, wodurch sie praktische Handlungsschritte mit eigenen Anekdoten nachvollziehbar und greifbar macht. Deshalb kenne ich jetzt auch wesentlich mehr Gruppen und NGOs als vor dem Lesen. Das Buch ist schon mein zweites aus dem Löwenzahnverlag, den ich definitiv weiter im Auge behalten werde, weil hier ein ganz tolles Verlagskonzept verfolgt wird. Für alle, die sich angesichts der Weltlage oft ohnmächtig fühlen, ist dieses Buch eine echte Empfehlung – nicht zuletzt, weil es zeigt, wie wir gemeinsam stärker sein können.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.11.2024

Perspektive der Opfer

Bright Young Women
1

Der Roman zeigt eindrucksvoll und empathisch, wie der berühmte „zweite Anschlag“ funktioniert, also der Anschlag auf die Überlebenden, der nach dem tatsächlichen Verbrechen durch das Verhalten der Öffentlichkeit, ...

Der Roman zeigt eindrucksvoll und empathisch, wie der berühmte „zweite Anschlag“ funktioniert, also der Anschlag auf die Überlebenden, der nach dem tatsächlichen Verbrechen durch das Verhalten der Öffentlichkeit, der Polizei und der Gerichte verübt wird: dadurch, dass den Überlebenden nicht geglaubt wird, sie nicht in Sicherheit gebracht werden und den Opfern die Schuld in die Schuhe geschoben wird.

All dies passiert auch Pamela und ihren Verbindungsschwestern, nachdem zwei ihrer Mitglieder im Verbindungshaus brutal von einem Serienmörder ermordet wurden. Ich bin kein großer Fan von True Crime oder Thrillern, weil hier meistens die Perspektive des Täters untersucht wird. Aber obwohl die Geschichte, die im Roman erzählt wird, von Serienmörder Ted Bundy inspiriert ist, kommt sein Name im gesamten Roman nicht vor: Die Geschichten und Perspektiven der überlebenden Opfer und die Empathie mit den Opfern stehen im Mittelpunkt, was den Roman in meinen Augen besonders aktuell und relevant macht.

Und auch wenn die geschilderten Geschehnisse teilweise so furchtbar sind, dass ich zwischendurch eine Lesepause brauchte, sind sie immer so feinfühlig und nicht zu drastisch beschrieben, dass die Würde der Opfer gewahrt wird. Deshalb und sicher auch wegen der großartigen Übersetzerin Jasmin Humburg liest sich der Roman sehr flüssig. Dadurch, dass die Kapitel Einblicke in die Perspektive unterschiedlicher Opfer zu unterschiedlichen Zeiten geben, liest sich der Roman zusätzlich sehr abwechslungsreich und die Spannung bleibt bis zum Schluss hoch, obwohl ich persönlich eigentlich schon vor Lesen des Romans wusste, wie die Geschichte ausgehen würde.

Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war die unglaubliche Widerstandskraft und Resilienz der überlebenden Opfer. Der Roman zeigt, wie sie Schmerz und Trauma in positive Handlungen umwandeln. Das macht trotz des vielen Frusts darüber, dass auch heute noch Frauen und anderen marginalisierten Opfern nicht geglaubt wird und Männer für ihre Mittelmäßigkeit bewundert werden, ein bisschen Hoffnung! Ich habe den Roman insgesamt sehr gerne gelesen und er hat mich sehr beschäftigt. Das kommt definitiv nicht bei jedem Buch, das ich lese, vor. Eine kleine Kritik spreche ich jedoch aus: Der Roman ist sehr amerikanisch, weil die Todesstrafe gegen den Täter nicht infrage gestellt wird, das fand ich teilweise unangenehm. Jasmin Humbug hat wie immer großartig übersetzt.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Spannung
Veröffentlicht am 02.11.2024

Literarische Entdeckung

Das Wesen des Lebens
0

„Das Wesen des Lebens“ war für mich eine unerwartet positive Überraschung - ich hätte nicht damit gerechnet, dass ich den Roman so sehr mag! Vom Stil erinnert es mich mit seiner poetischen Schreibart ein ...

„Das Wesen des Lebens“ war für mich eine unerwartet positive Überraschung - ich hätte nicht damit gerechnet, dass ich den Roman so sehr mag! Vom Stil erinnert es mich mit seiner poetischen Schreibart ein wenig an Florian Illies, den ich als Autor auch sehr mag. In diesem Buch geht es jedoch nicht um Kultur, sondern um die Geschichte der Naturwissenschaften und des Artensterbens am Beispiel des Skeletts der Stellerschen Seekuh.

Anhand des Skeletts der Stellerschen Seekuh entfaltet sich ein faszinierender und gleichzeitig melancholischer Erzählstrang, der die Zerstörungskraft der menschlichen Neugier, das Streben nach Erkenntnis und dessen oft tragische Konsequenzen für die Umwelt beleuchtet. Mit der Seekuh reist man von der Beringsee des 18. Jahrhunderts und den rauen Bedingungen der Großen Nordischen Expedition über die russisch-amerikanische Kompanie in Alaska im 19. Jahrhundert bis zu den Vogelinseln vor Helsinki Mitte des 20. Jahrhunderts und lernt durch die Verbindungen der Seekuh und ihrer Forscher:innen auch weitere ausgerottete Arten kennen. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich mich normalerweise nicht so sehr für die Geschichte der Naturwissenschaften interessiere. Turpeinen erzählt aber so schön und schafft es auch, einfühlsam Perspektiven für Hoffnung aufzuzeigen, dass ich zwischendurch vor Trauer und Rührung ein paar Tränchen verdrücken musste. Wer hätte das gedacht?

„Das Wesen des Lebens“ ist für mich eine richtige literarische Entdeckung gewesen - ein absolutes Muss für alle, die es auch gerne mal nachdenklich und etwas melancholisch mögen und definitiv nicht nur für Menschen, die sich für Artensterben und Naturwissenschaften interessieren!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere