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Veröffentlicht am 18.01.2024

Ein glücklicherweise kurzer Schrecken

Wir waren frei
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Wir waren frei” von Keah Rieger erzählt die Geschichte von Vinnie Chesterfield. Das sechzehnjährige Mädchen lebt auf Lex - einem künstlichen Kontinenten, der zwischen Südamerika und Neuseeland gepflanzt ...

Wir waren frei” von Keah Rieger erzählt die Geschichte von Vinnie Chesterfield. Das sechzehnjährige Mädchen lebt auf Lex - einem künstlichen Kontinenten, der zwischen Südamerika und Neuseeland gepflanzt wurde, als die Welt am Rande des Abgrunds stand. Dort sollten die wenigen Glücklichen Zuflucht finden vor Krieg und Klimawandel und vor grundsätzlich allem Bösen der alten Welt. Unter ihnen war der achtzehnjährige Paul, der in den Wirren der Zeit seine wirren Gedanken in einem Tagebuch festgehalten hat. Vinnie hingegen lebt 71 Jahre später und Lex ist inzwischen zu einem überfürsorglichen Staat geworden, der für seine Bürger alle Entscheidungen trifft. Und niemals falsch liegt. Auch die Partnerwahl legt Vinnie vertrauensvoll in dessen Hände. Bis sie ihren zukünftigen Ehemann trifft - und der so gar nicht dem entspricht, was sie sich immer erträumt und erhofft hat. Und als sie dann auch noch Pauls Tagebuch in die Finger bekommt, beschliesst Vinnie zu rebellieren.

Wo soll ich nur anfangen…?

Das Setting ist grundsätzlich nicht uninteressant. Ein künstlicher Kontinent als Rettungsschiff der Menschheit - lassen wir mal all die globalen klimatischen, politischen und logistischen Hürden, Konsequenzen etc ausser acht. Weil Jugendroman. Tun wir halt mal so, als ob…

Obwohl Paul zu Beginn von den “futuristischen” Strukturen schwärmt, ist in Vinnies Alltag davon wenig zu sehen. Ok, es gibt eine Magnetbahn. Ansonsten verlässt sich Lex aber auf den altmodischen Ackerbau, tätowierte Strichcodes, die zur Anwesenheitskontrolle gescannt werden (was ist aus den guten alten implantierten Chips geworden?), Erdöl als Energielieferant und überwacht seine Bürger mit einer Flut verpixelter Drohnenbilder. Weil Plot, weil Jugendbuch…?

Gesellschaftspolitisch lebt Lex nach dem Motto “Back to the 50s!” - Männer gehen arbeiten, Frauen gehören an den Herd. Und ausserdem gehören Letztere quasi Ersteren. Wie ein solches System sich aus einem Haufen Intellektueller der 30er Jahre des 21. Jahrhunderts entwickeln konnte, bleibt der Roman leider schlüssig zu erklären schuldig.

Zu Beginn der Geschichte ist Vinnie ein Kind ihrer Umstände und Erziehung - absolut staatshörig, folgsam und ihr ganzes Leben dreht sich um Hausarbeit und den Tag ihrer Hochzeit. Das macht sie glücklich. Als sie dem Auserwählten dann begegnet, bricht ihre Welt zusammen. Verständlich - ekelerregender hätte er nicht sein können. Vinnie geht sofort in Widerstand - auf ganzer Linie, mit aller Härte. Und verwendet dabei eloquent Konzepte wie Freiheit, Totalitärer Staat und Propaganda, als kenne sie diese schon ihr ganzes Leben. Wie Schuppen von den Augen fällt ihr, wie schrecklich das System ist, das sie zuvor noch nie in Frage gestellt hat. Und ich wünschte, ich könnte sagen, dass das Tagebuch sie dazu inspiriert. Dieser Eindruck entsteht allerdings nicht, da fast keine gedankliche Auseinandersetzung damit stattfindet und oft nicht einmal Parallelen zum Gelesenen bestehen. Ausserdem ist Paul über weite Strecken eher ein Systemmitläufer mit wenig Durchblick und noch weniger politischer Awareness und zugehörigem Vokabular.

Grundsätzlich passiert eher wenig und es gibt neben Vinnies Gedanken und verbalen Aufbegehren kaum Handlung. Bis sie sich dazu entschliesst, einen wirklich dummen Plan zu verfolgen, der jeglicher Logik entbehrt und noch dazu total unnötig ist. Das Ende ist nicht nur verstörend, sondern auch bar jeglicher thematischer Message. Es wirkt auf mich, als wären der Autorin hier einfach die Ideen ausgegangen.

“Wir waren frei” hat mich mit dem versprochenen Thema geködert: Freiheit vs Sicherheit. Wieviel Freiheit sind wir für unsere Sicherheit zu opfern bereit? Wieviel Sicherheit sind wir bereit für unsere Freiheit aufzugeben? Allerdings haben sich Setting, Figuren und Plot als äusserst fadenscheinig und unausgegoren entpuppt. Und ich konnte dem Buch auch thematisch nichts abgewinnen. Dazu waren all die jugendlichen Gedanken zu wirr und ziellos, die Charakterentwicklung zu willkürlich und haltlos. Das Beste, was ich über das Buch sagen kann: Es war immerhin kurz.

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Veröffentlicht am 17.01.2024

Magisch witzig

Spellbound - Lieber verhext als verstorben
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“Lieber verhext als verstorben” ist der fünfte Band von “Spellbound - Mord, Magie und fauler Zauber” - einer Cosy Crime Fantasyreihe von Annabel Chase, übersetzt von Ulrike Gerstner. Ich hatte im Vorfeld ...

“Lieber verhext als verstorben” ist der fünfte Band von “Spellbound - Mord, Magie und fauler Zauber” - einer Cosy Crime Fantasyreihe von Annabel Chase, übersetzt von Ulrike Gerstner. Ich hatte im Vorfeld den ersten Band gelesen, bevor ich diesen fünften im Rahmen einer Leserunde als Rezensionsexemplar erhalten habe. Besten Dank an den Verlag beTRHILLED und das Team von Lesejury!

Spellbound, das ist eine magische Kleinstadt in den USA. Und sie ist verflucht: Keine:r ihrer Bewohner:innen kann sie verlassen. Auch die Protagonistin Emma Hart nicht, die im ersten Band unwissentlich die Fluchgrenze überschritten hat, nur um dann herauszufinden, dass sie eine Hexe ist. In diesem fünften Band wird gleich klar: Emma hat ihren Platz in der Gemeinde erfolgreich gefunden. Als Pflichtverteidigerin trifft sie auch diesmal wieder einen kuriosen Fall, dem sie genau so auf den Grund geht, wie dem Mord, der sich ereignet. Ausserdem verfügt Emma über ein diverses Sozialleben - von ihren Freundinnen aus der Hexennachhilfeklasse, ihrem schwulen Vampirgeistmitbewohner, der Walkürensheriffin, über Gorgonen bis zu Harpyennachbarinnen ist alles dabei. Und ständig kommen mehr dazu. Nur mit der Liebe läufts nicht rund. Denn obwohl es an attraktiven Interessenten nicht fehlt, schlägt ihr Herz dummerweise für Daniel. Der gefallene Engel hat sich aber unerwartet mit seiner Ex verlobt. Kein Wunder, dass Emma eine Therapie braucht!

Ein Verteidigungsfall, ein Mord, Hexennachilfeunterricht, Therapie, ein ausuferndes Sozialleben und eine Liebesgeschichte - das klingt nach viel. Und das ist es für die gerade mal 175 Seitchen des ebooks auch. Da kommen gewisse Zusammenhänge und Auflösungen schon teilweise etwas plötzlich daher. Und im Angesicht der Tatsache, wie wichtig Emmas Rolle in der Gemeinde inzwischen ist, fragt man sich schon, wie Spellbound bisher ohne sie klar gekommen ist.
Das tut dem Spass aber keinen wirklichen Abbruch. Denn es ist einfach sehr unterhaltsam, Emma mit ihrem trockenen Humor durch den magischen, ulkigen und zuweilen etwas absurden Alltag zu folgen. Ich habe ausserdem die Figuren und die humorvollen Schlagabtausche sehr genossen - sie sind sowohl individuell als auch im Zusammenspiel liebenswert und schrullig, einfach stimmig. Besonders gelungen finde ich, wie zwar einerseits Klischees bedient werden, dann aber wieder Eigenkreationen und Abwandlungen für Abwechslung und Überraschung sorgen. Trotz der für Emma persönlich dramatischen Ereignisse, ist die Lektüre für Leser:innen voller Leichtigkeit und Witz, voll skurriler Wesen und Persönlichkeiten, die man schnell ins Herz schliesst. Und Emma ist - obwohl ihre Selbstwahrnehmung manchmal doch etwas merkwürdig anmutend von ihrem Verhalten abweicht - eine liebenswerte und starke Protagonistin, mit der es sich leicht mitfiebern lässt.

“Spellbound - Lieber verhext als verstorben” hält, was es verspricht: Es ist in erster Linie cosy und es gibt etwas Crime. Ich fühle mich in diesem magischen Setting inmitten dieser Diversität an originellen magischen Kreaturen sehr wohl - und freue mich darauf, im nächsten Band nach Spellbound und zu Emma zurückzukehren.

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  • Spannung
Veröffentlicht am 12.01.2024

Interessant und spannend - bleibt aber kraftlos und ohne Brisanz

Julia
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“Julia” von Sandra Newman ist eine Nacherzählung zu George Orwells Klassiker “1984”. Wie die originale Vorlage entführt das Buch in eine dystopische Welt, die von den drei Supermächten Ozeanien, Eurasien ...

“Julia” von Sandra Newman ist eine Nacherzählung zu George Orwells Klassiker “1984”. Wie die originale Vorlage entführt das Buch in eine dystopische Welt, die von den drei Supermächten Ozeanien, Eurasien und Ostasien dominiert wird. Genauer nach London, Startbahn 1 (England) in Ozeanien, das von Engsoz, der Partei des Grossen Bruders, regiert wird. Die Geschichte folgt dabei Julia, einer Maschinistin in den Mittzwanzigern, der späteren Geliebten von Winston Smith. Dies ist ihre Geschichte und ihr persönlicher Weg durch die Hölle eines totalitären Systems. So viel schon mal vorweg: Das Buch ist nichts für schwache Mägen.

Ich habe “Julia” im Rahmen einer Leserunde gelesen - vielen Dank an den Eichborn Verlag und das Team von Lesejury für das Rezensionsexemplar! Orwells “1984” las ich zum ersten Mal vor etwa 15 Jahren, vor Kurzem dann erneut. Im Folgenden möchte ich die Nacherzählung einerseits als solche betrachten - also zur Vorlage in Vergleich setzen- als es auch als Einzelwerk würdigen.

Der offensichtlichste Unterschied springt gleich von Beginn weg ins Auge: Die Perspektive. Newman nimmt Julias Geschichte zum Anlass, sowohl mehr in die Tiefe, als auch in die Breite zu gehen. Gleichzeitig mit Julias Vergangenheit beleuchtet “Julia” Aspekte der historischen Entwicklungen, die zum herrschenden System geführt haben. Dabei gestattet der Roman einen Blick über den Tellerrand des Mikrokosmos London, die Winston Smith den Leser:innen durch seine (örtlich) beschränkten Erfahrungen nicht geben konnte. Dazu gesellen sich weitreichende Einblicke in Julias Alltag, die eben einer jüngeren Generation von Genossinnen angehört. Und natürlich eine Frau ist. Julia wird so von dem willigen Objekt von Winstons Begierde, zu einer aktiven Protagonistin. Scheinbar geschickt, weitsichtig und clever manövriert sich Julia durch die Schlupflöcher der Parteidoktrin und glaubt sich mit ihren kleinkriminellen Vergnügungen unterhalb des Radars des Liebesministeriums und der Denkpol.

Erstaunlich früh, wie ich fand, überrascht “Julia” mit unerwarteten Plottwists, ohne in der Handlung vom Original abzuweichen. Dadurch schafft es die Autorin, inhaltlich neue Akzente zu setzen und Spannung zu erzeugen, selbst wenn man den Gang der Geschehnisse bereits kennt. Es entstehen neue Einblicke in die perfide Funktionsweise des Überwachungsapparats und bekannte Randfiguren erhalten mehr Hintergrund und (teils philosophische) Tiefe. Hier wird aus der Adaption eine funktionierende und authentische Neuerzählung. Auf die Spitze treibt Newman diese Neuerzählung durch das Weiterspinnen der Geschichte über das originale Ende hinaus. Dabei erlaubt sie sich viel künstlerische Freiheit, die ich ihr einerseits zugestehen mag, die mir persönlich in der Ausführung aber wenig zusagt.

Im Allgemeinen zeichnet Newman ein ähnlich düsteres und brutales Bild einer entarteten Utopie, wie Orwell dies vor fast achtzig Jahren getan hat. Sie ergänzt dieses durch Kontext und eine weibliche Perspektive. Das hilft zwar dem Verständnis und dient der Nachvollziehbarkeit gewisser Dynamiken und ist an und für sich interessant. Aber sie fügt wenig an, das mir bei der Lektüre des Originals gefehlt hat. Und ich erkenne für mich wenig Zugewinn hinsichtlich der Botschaft oder intellektueller Anregungen. Neu ist lediglich die Weiblichkeit der Perspektive - und der vielgelobte Feminismus, der in diesem Buch stecken soll. Hier sehe ich aber grosses Potenzial für Missverständnisse. Denn der Feminismus zeigt sich für mich keineswegs in den Handlungen und Motiven der Protagonistin Julia - wo ihn viele Leser:innen offenbar irgendwie zu finden/interpretieren glauben. Ich verstehe Newmans feministische Kritik jedoch viel mehr als Anprangerung der Reduzierung von Feminismus auf Sexualität und sexuelle Freiheit - dargestellt durch Julias übersexualisierte Verhaltensmotive, die von verschiedener Seite ausgenutzt und instrumentalisiert werden. Und in der männlichen Ignoranz für weibliche Alltagssorgen und Benachteiligungen. Diese Kritik ist für mich aber weder inhaltlich noch sprachlich pointiert genug dargestellt, als dass die breite Masse der Leser:innen sie als solche zu erkennen vermögen - was sich für mich sowohl in den Diskussionen als auch in diversen Rezensionen offenbart.

Ganz allgemein fehlt es “Julia” in meinen Augen an Prägnanz und damit Aussagekraft - es wirkt oft ausufernd und überladen, sowohl in den Details als auch in der Handlungsstruktur. Dadurch fehlen scharfe Aussagen und schlussendlich auch ein Thema. Und obwohl es vereinzelt tiefgründige Passagen gibt, fehlt mir der philosophische und gesellschaftskritische Gehalt, den ich erwartet habe. Damit bleibt das Gefühl von brisanter Aktualität - das Orwells “1984” noch heute und immer wieder bei mir auszulösen vermag - aus. Und “Julia” bleibt für mich ohne markante Botschaft.

Sprachlich ist das Buch in modernem und eben etwas ausschweifendem Erzählstil gehalten; persönlich, ungeschönt direkt, oft derb bis vulgär verfasst. Zwar handwerklich solide, bleibt es aber weit hinter Orwells stilistischer Raffinesse zurück.

Man kann “Julia” sicher nicht als nette Unterhaltung bezeichnen - dafür ist es zu düster, brutal und hoffnungslos. Aber kurzweilig ist es, sogar packend - nicht zuletzt durch effekthascherische Schockelemente. Als Einzelwerk ist “Julia” als Geschichte sicher spannend, als Nacherzählung eine durchaus interessante Perspektivenerweiterung. Einen literarischen oder gesellschaftsrelevanten Mehrwert kann ich darin für mich aber nicht erkennen. Deshalb lege ich allen (potenziellen) Leser:innen die (Vorab)Lektüre von George Orwells “1984” ans Herz.

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Veröffentlicht am 04.01.2024

Eine KI auf dem Prüfstand - ein aufschlussreiches Experiment

Bel-Ami und Tom
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In “Bel-Ami und Tom” treten die AutorInnen Frank und Britta Preschke als Tom auf, während sie sich selbst zum ersten Mal mit einer KI - der sie den Namen Bel-Ami verleihen - nähern. In einem zweiwöchigen ...

In “Bel-Ami und Tom” treten die AutorInnen Frank und Britta Preschke als Tom auf, während sie sich selbst zum ersten Mal mit einer KI - der sie den Namen Bel-Ami verleihen - nähern. In einem zweiwöchigen Experiment widmen sie sich der Erforschung dieser neuen Technik und tasten sich langsam an deren Möglichkeiten und Grenzen heran.
Als Leserin verfolge ich den ansonsten kommentarlosen Austausch zwischen den beiden Protagonisten. Dabei beweist Bel-Ami seine/ihre Lern- und Anpassungsfähigkeit vor allem in Ausdruck und Stil. Die KI wird als philosophischer Sparringspartner eingesetzt, paraphrasiert Gedanken und Träume, schlüpft in die Rolle einer berühmten Persönlichkeit und versucht sich auch als Autor. Unter anderem. Auch einen Totalabsturz gilt es zu verdauen. Aber auch “Tom” macht einen sichtbaren Lernprozess durch und geht das Experiment aus unterschiedlichen Perspektiven an.
Im Buch geht es weniger um den Inhalt (der durchaus auch gedanklich zu verfolgen spannend ist), als um die Ergebnisse, die Stärken und Schwächen der KI. Die für mich spannendste - und beruhigende - Erkenntnis: Der Mensch, der die Technik bedient, steuert noch immer massgeblich das Ergebnis. Und Bel-Ami agiert und schreibt entlang offenbar strenger Vorgaben, die ihn eindeutig als Maschine ausweisen.

Ich fand “Bela-Ami und Tom” interessant und anregend. Und es hat bei mir definitiv Hemmschwellen abgebaut, mich mit dem Thema KI selbst näher zu beschäftigen.

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Veröffentlicht am 04.01.2024

Eine kurze und heilsame Rückkehr in eine Welt und Sprache, die ich schmerzlich vermisse

Der Weg der Wünsche
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“Der Weg der Wünsche” ist eine Novelle von Patrick Rothfuss. Das Büchlein kann, theoretisch, ohne Vorkenntnisse des Hauptwerkes Die Königsmörder Chroniken gelesen werden. Zum wirklichen Genuss lohnt es ...

“Der Weg der Wünsche” ist eine Novelle von Patrick Rothfuss. Das Büchlein kann, theoretisch, ohne Vorkenntnisse des Hauptwerkes Die Königsmörder Chroniken gelesen werden. Zum wirklichen Genuss lohnt es sich aber, bereits eine Ahnung zu haben, wer Bast ist. Denn der Fae und Schüler Kvothes ist der Protagonist und ihm folgen die Leser:innen in zwölf kurzen Kapiteln durch den Tag. Auf kurz liegt hier die Betonung, denn man sieht sich lediglich 150 Seiten (ebook) gegenüber, von denen sich wiederum nur 126 der eigentlichen Geschichte widmen.

Der Tag beginnt harmlos und - in hübscher Anlehnung an das Hauptwerk - mit der thematischen Stille, in der Bast sich aus dem Wirtshaus schleicht. Und obwohl der heutige “Antagonist”, Rike, bereits früh am Rande der Erzählung herum schleicht, konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die herzerwärmenden Belanglosigkeiten, denen Bast so nachgeht. Jedenfalls scheint es so. Und dank Rothfuss’ meisterhaftem Umgang mit Sprache und Struktur, war es für mich ein Genuss, mich mit Bast treiben zu lassen.
Ganz besonders beeindruckt hat mich, mal wieder, der gekonnte Einsatz des auktorialen Erzählers. Patrick Rothfuss beherrscht diese fast schon vergessene Kunstform mit eleganter Brillanz. Während der allwissende Erzähler sich nahe an Bast hält, rückt er immer wieder unauffällig von diesem ab. Dabei fühle ich mich niemals betrogen, sondern von einem meisterhaften Geschichtenerzähler durch ein stimmiges Abenteuer geführt.

Das Buch überzeugt mal wieder mit poetischer Sprache, liebevoll gezeichneten und authentisch wirkenden Charakteren und scheinbar belanglosen Details, die sich erst in der Rückschau zu einem wundervoll stimmigen Meisterwerk verweben. Die Geschichte hinterlässt bei mir ein wohliges und wohlwollendes Schmunzeln, das von Herzen kommt. Denn genau dort hat mich die Geschichte und die gut zwischen den schönen Worten versteckte Message berührt. Ein Ersatz für den langersehnten Folgeband ist es aber natürlich trotzdem nicht.

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