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Veröffentlicht am 11.04.2020

Der Versuch, zu lieben

Das Gedächtnis des Herzens
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Ein zwölfjähriger Junge wächst allein bei seinem Onkel auf. Einmal im Jahr kommt sein Vater ihn für wenige Wochen besuchen. Mehr Zeit kann Ko Bo Bo nicht mit seiner Familie verbringen.

Warum das so ist, ...

Ein zwölfjähriger Junge wächst allein bei seinem Onkel auf. Einmal im Jahr kommt sein Vater ihn für wenige Wochen besuchen. Mehr Zeit kann Ko Bo Bo nicht mit seiner Familie verbringen.

Warum das so ist, weiß der Junge nicht. Er weiß nur, dass er seinen Vater gerne häufiger sehen würde und, dass er eine große Narbe im Gesicht hat. Warum seine Mutter ihn nie besucht und was mit ihr sein könnte, liest Bo Bo nur zwischen den Zeilen.

Obwohl sein Onkel U Ba ihn sehr liebt, sehnt sich der Junge nach seiner Familie, an die er nur vage Erinnerungen hat. Jedes Wort und jede Erzählung über sie, lässt ihn sofort aufhorchen.

»Es gibt verschiedene Gründe zu schweigen, habe ich von U Ba gelernt.
Einer kann Angst sein.«

Und während sowohl der Lesende als auch Bo Bo wissen, dass die Geschichte um seine Familie und seine Narbe keine einfache werden kann, fühlt es sich erleichternd an, als sein Onkel endlich die Geschichte von Bo Bos Mutter und Vater erzählt.

Das Gedächtnis des Herzens wird von einer Stimmung getragen, die zugleich fremd, exotisch und doch ebenso vertraut und bewegend ist.

Obwohl dieses Buch der dritte Teil einer Serie ist, lässt es sich problemlos eigenständig lesen. Ich habe diesen Roman geschenkt bekommen und hatte Band 1 und 2 der Burma-Serie zuvor nicht gelesen. Trotzdem hatte ich keine Schwierigkeiten, den Roman verstehen und genießen zu können. Natürlich werden Lesende, die Band 1 und 2 gelesen haben, in manchen Szenen sicherlich mehr sehen können als andere Leser, aber ein Muss ist es keinesfalls. Da mir der dritte Band aber so gut gefallen hat, werde ich die ersten beiden bestimmt nachholen.

Jan-Philipp Sendker gelingt es, uns in seinem Roman Das Gedächtnis des Herzens bereits nach wenigen Seiten zu Vertrauten des jungen Bo Bos und seiner Welt zu machen. Er ist eine jener Figuren, die man mögen muss, weil sie das Herz am rechten Fleck haben und mit sich und der eigenen Geschichte zu kämpfen hat.

»Wer wirklich liebt, hat keine Angst, wer Angst hat, kann nicht lieben.
Nur klammern.«

Er ist auf der Suche nach einem Ort, an den er hingehören darf und an dem er angenommen wird. Ein Ort, den sein Onkel ihm zwar zu geben versucht, der aber den Wunsch nach Vater und Mutter nie ganz ersetzen kann. Es ist auch diese Suche, die Ko Bo Bos Mutter in der Erzählung des Onkels anzutreiben scheint und Kinder mit Behinderungen in das Kloster führte, in dem Bo Bos Vater einst lebte. Ein Ort und ein Mensch, bei dem sie sich angenommen, geschätzt und sicher fühlen durften, bis die Ereignisse in Burma über ihnen hereinbrachen.

Mit Gefühl und doch ohne Kitsch erzählt Sendker die Geschichte eines Jungen, der sich seine Familie wünscht, und zugleich die Geschichte einer Familie, die im Schatten der eigenen Vergangenheit erst zu gedeihen lernen muss.

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Von einem Mann, der auszog, um Theologie zu studieren, und zu einem Magier wurde

Beerholms Vorstellung
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Ein junger Mann will Theologie studieren und Priester sein, bis er es nicht mehr sein will. Ein junger Mann will sich der Zauberei widmen und Magier werden, bis er es nicht mehr will.

Arthur Beerholm ...

Ein junger Mann will Theologie studieren und Priester sein, bis er es nicht mehr sein will. Ein junger Mann will sich der Zauberei widmen und Magier werden, bis er es nicht mehr will.

Arthur Beerholm hat diese beiden Leben gelebt. Und umso unterschiedlicher sie in ihrem Wesen auch klingen, desto stärker fallen die Dinge auf, die bei Beerholm über beide Berufe hinweg konstant geblieben sind.

Zum einen Beerholms Vorliebe für Schlaftabletten. Manchmal scheint es, als wäre seine Lebensgeschichte von nichts so stark begleitet, als von seinem Tablettenmissbrauch. Zum anderen gesundheitliche Probleme, die mehrmals mit seiner Wahrnehmung zu spielen scheinen.

»Weißt du eigentlich, daß man ununterbrochen auf sich selbst einredet? In einem Winkel unseres Kopfes sitzt ein Schwätzer und spricht, spricht, spricht vom Augenblick unseres Aufwachens bis in die letzten im Dunkel verschwimmenden Regungen vor dem Einschlafen.«

Kehlmanns Debütroman Beerholms Vorstellung ist ein Kippbild: In manchen Momenten ist er voll wundersamer Ereignisse, der Zauberei scheint echte Magie innezuwohnen. In anderen Momenten tauscht er seinen Zauber gegen Alternativerklärungen, wie Träume, Fieberwahn, Tablettenmissbrauch. Existiert Magie in Beerholms Vorstellung oder handelt es sich in vielen Momenten lediglich um außergewöhnliche Zufälle, die den Anschein von Bedingtheit und Vorbestimmung erwecken? Schafft Wahrscheinlichkeit Realität?

Bereits in seinem Erstlingswerk sind einige der Themen angelegt, die auch für Kehlmanns späteres Werk maßgebend sein werden, wie F oder Tyll. Die Wirklichkeit und ihre Wahrnehmung werden spielerisch auf die Probe gestellt. Doch scheint es Beerholms Vorstellung im Vergleich zu seinen späteren Werken noch an Schliff zu fehlen, diese Themen sind noch nicht so präzise herausgearbeitet, wie es ihm in späteren Romanen gelingen wird, ohne, dass sein virtuoser Umgang mit Wirklichkeit darunter zu leiden hätte. Doch verfliegt dies nach 50 Seiten wieder und übrig bleibt ein Roman, der sich auch am Ende nicht in die Enge drängen lässt.

Denn die eigene Wahl, ob Magie in Beerholms Lebenswirklichkeit existiert oder nicht, bleibt für den Romanverlauf nicht folgenlos.

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Von der Liebe zu Tierwesen

Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind: Das Originaldrehbuch
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Wie viele, viele andere in meiner Generation (und nicht nur dieser) bin ich ein riesiger Fan von Harry Potter und alles, was J. K. Rowling zum Harry Potter-Universum schreibt, landet früher oder später ...

Wie viele, viele andere in meiner Generation (und nicht nur dieser) bin ich ein riesiger Fan von Harry Potter und alles, was J. K. Rowling zum Harry Potter-Universum schreibt, landet früher oder später auf meinem Lesestapel.

Ihre Geschichten um den jungen Harry Potter und seine Freunde haben meine Welt ein großes Stück magischer und wärmer gemacht.

Es überrascht somit nicht, dass ich auch Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind. Das Originaldrehbuch gelesen habe. Was mich hingegen überrascht hat, war, dass ich es erst dieses Jahr getan habe. Als der Film Ende 2016 in die deutschen Kinos kam, musste ich unbedingt rein. Normalerweise hätte ich zuerst das Buch gelesen, aber irgendwie hatte es sich in diesem Jahr anders ergeben.

Ich weiß nicht, was ich von dem Film erwartet habe, aber es war von Anfang an klar, dass er nur schwer würde an meine Liebe zu den Harry Potter-Büchern anknüpfen können. An sich gesehen ist der Film schön: Die Tierwesen sind liebevoll ausgearbeitet auf die Leinwand gezaubert worden, einige der Schauspieler wie Eddie Redmayne gehörten bereits vor dem Film zu meinen Lieblingen.

Trotzdem konnte der Film mich nicht ganz überzeugen. Vermutlich, weil die Harry Potter-Bücher mit jedem weiteren Band an unglaublicher Intensität zugenommen hatten und mit Phantastische Tierwesen erst wieder etwas Neues beginnen musste, das Zeit brauchen würde, eine ähnliche Intensität zu entwickeln. Als ich 2019 dann tatsächlich das Originaldrehbuch zum Film las, hat sich dieses Gefühl bestätigt. Der alteingesessene Fan in mir musste erst lernen, dass sie zwar ein Stück weit zusammengehörten, Phantastische Tierwesen jedoch erst einmal seine eigene Geschichte erzählen musste.

Die Geschichte des Tierwesenliebhabers Newt Scamander, der Autorin Tina und ihren Freunden und Verbündeten. Doch sind bereits im ersten Band von Phantastische Tierwesen einige Hinweise versteckt, die die Verbundenheit zu den Harry Potter-Bänden, die chronologisch nach Phantastische Tierwesen angesiedelt sind, erahnen lassen.

Zum Ende hin verdichtet sich die Geschichte um Newt und Tina und macht große Lust, den nächsten Band von Phantastische TierwesenGrindelwalds Verbrechen – in die Hände zu bekommen. Die deutschsprachige Ausgabe, die bei Carlsen erschienen ist, macht das Buch auf jeden Fall auch zu einem optischen Hingucker, dem vermutlich kein Niffler widerstehen könnte.

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Die zwei mächtigsten Zauberer der Welt

Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen (Das Originaldrehbuch)
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Grindelwald gehört zu den Namen, die bei mir noch immer aus den Harry Potter-Büchern nachhallen. Obwohl oder vielleicht auch da er als Figur kaum in Erscheinung tritt, und somit vor allem als Name in Geschichten ...

Grindelwald gehört zu den Namen, die bei mir noch immer aus den Harry Potter-Büchern nachhallen. Obwohl oder vielleicht auch da er als Figur kaum in Erscheinung tritt, und somit vor allem als Name in Geschichten existiert, Dumbledores Berühmtheit gründet unter anderem in diesem Namen.

Obwohl er in Albus Dumbledores Jugend eine bedeutende Rolle spielt, weiß der Lesende aus den Harry Potter-Büchern selbst vergleichsweise wenig über Grindelwald. Doch eines kann man sich vorstellen: Wer oder wie Grindelwald auch immer da: Die Welt, in der er gelebt hat und die er hinterlassen hat, ist jene, in der Tom Riddle und viele seiner Anhänger aufwuchsen. Und einige der Überzeugungen Grindelwalds erinnern stark an den Dunklen Lord.

Grindelwalds Verbrechen, der Nachfolgeband zu Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind. Originaldrehbuch, ist wesentlich düsterer als dieser. Zwar spielen Newt Scamanders Tierwesen noch immer eine Rolle, doch haben sie nicht mehr viel Gelegenheit, sich von ihrer amüsanten und hellen Seite zu zeigen. Andere Tierwesen zeigen sich: ein Maledictus, ein Obscurus.

Vielmehr scheint es hingegen, als würden Dunkelheit und Schrecken in diesem Band erst Tor und Tür geöffnet werden.

Oft schwingt in diesem Buch der Gedanke mit, dass, was auch immer passiert und den Personen widerfährt, es zum Teil ihre Nachfahren sein werden, die in den Harry Potter-Bänden auf der Seite von Dumbledore oder Voldemort stehen werden und dass der Grundstein dafür nun hier gelegt wird.

Grindelwalds Verbrechen ist es gelungen, mich in seinen Bann zu ziehen. Die im ersten Band aufgebauten Geschichten verdichten sich, Geheimnisse fordern ihre Auflösung. Doch obwohl ich dieses Originaldrehbuch wirklich sehr gerne gelesen habe und die bei Carlsen erschienene Hardcover-Ausgabe unglaublich schön ist, finde ich es ein wenig traurig, dass es eben nur das ist: ein Drehbuch, und kein Roman. So viele interessante Beweggründe der Figuren können kaum so beleuchtet werden, wie es in einem Roman möglich wäre, und so fehlte es mir gegen Ende des Buches bei manchen Figuren, dass ich die Motivation für oder gegen manche Handlungen nicht immer nachvollziehen konnte und sie mitunter abrupt und zu schnell schienen. Doch kann dies dem Drehbuch, solange es als solches betrachtet wird, keinen Abbruch tun. Definitiv lesenswert für alte oder neue Fans von Harry Potter.

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Ein Fuchs wartet auf Antwort

Fuchs 8
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Ungesehen sitzt er vor dem Fenster eines Hauses und lauscht den Geschichten, die aus dem Innern zu ihm dringen. So lernt er, die Sprache der Menschen zu sprechen, zu lesen und zu schreiben.

Was bei einigen ...

Ungesehen sitzt er vor dem Fenster eines Hauses und lauscht den Geschichten, die aus dem Innern zu ihm dringen. So lernt er, die Sprache der Menschen zu sprechen, zu lesen und zu schreiben.

Was bei einigen nun vielleicht Erinnerungen an den Spracherwerb von Frankensteins Monster erweckt, wird dieses Mal jedoch von einem Wesen angewandt, das um einiges kleiner ist als das Monster aus Frankenstein: Es ist ein Fuchs, der die menschliche Sprache lernt.

Fuchs 8 wird dieser besondere Fuchs genannt, denn alle Mitglieder seines Rudels tragen eine Zahl in ihrem Namen. Und dieser Fuchs ist nicht nur, wenn es um die Geschichten der Menschen geht, sehr neugierig. Seine Neugier begleitet ihn das ganze Buch über, zum Guten und zum Schlechten.

»Zuers möchte ich sagen, Enschuldigung für alle Wörter di ich falsch schreibe. Weil ich bin ein Fuks! Und schreibe oder buchstabire deshalb nich perfekk.«

Und dieser Fuchs hat einige Fragen an uns.

Fuchs 8 Art zu sprechen und zu schreiben scheint im ersten Moment gewöhnungsbedürftig, doch in Windeseile verfliegt dieser Eindruck, denn das, was dieser Fuchs zu erzählen hat, ist um einiges wichtiger, als die Wörter, in die er es kleidet. Und für einen Autodidakten ohne Gesprächspartner macht er seine Sache doch sehr gut.

Es ist schwer, über ein Buch zu schreiben, das einen verzaubert hat. Zuallererst will Fuchs 8 eines klarstellen: Füchse sind nicht so, wie Märchen sie darstellen, nicht listig und schlau – auch bei Bären, Eulen und vor allem Hühnern weichen unsere Märchen von seinen Erfahrungen ab.

:spoiler: Dieser Fuchs lebt ein fröhliches Leben in seinem Rudel, bis ihr Wald kahl geschlagen wird, um ein Einkaufszentrum zu errichten. Und selbst dann behält Fuchs 8 seine Neugier und Offenheit und beschließt, in diesem Einkaufszentrum nach Futter zu suchen, um seine Freunde zu retten.

In all seiner Einfachheit und Kürze rührt George Saunders Fuchs 8. Es ist kein lautes Buch, das mit wichtig klingelnden Begriffen und Fachwörtern auf sich aufmerksam machen will, sondern ein sehr leises Buch: Fuchs 8 kann die Dinge, die er sieht und erlebt, nicht erklären. Doch er hat nach vielen, vielen Abenden vor einem Fenster die Sprache der Menschen erlernt, um seine Erlebnisse mitzuteilen und diese fragen zu können: oft amüsant und liebevoll formuliert.

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