Die Stimme des Nicht-Sagbarem
Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm seinWie schreibt man über ein Thema, über das oft selbst das Reden oder Erzählen schwerfällt? Wie findet man Worte für etwas, das Benjamin Maack immer wieder als Leere und als Nichts beschreibt?
Bereits zu ...
Wie schreibt man über ein Thema, über das oft selbst das Reden oder Erzählen schwerfällt? Wie findet man Worte für etwas, das Benjamin Maack immer wieder als Leere und als Nichts beschreibt?
Bereits zu Beginn seiner Arbeit an diesem Besuch ist Maack eines wichtig: Abklären, ob ein Text über Depressionen und Selbstmordgedanken Menschen dazu verleiten könnte, sich umzubringen.
»›Im Gegenteil‹, sagte [der Suizidologe], es wäre gut und richtig, dass darüber geschrieben und gesprochen würde. Wichtig sei, dass man dabei nichts beschönige oder heroisiere.«
Bereits nach den ersten Seiten von ›Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein‹ ist klar, dass dieses Buch nicht vorhat, zu heroisieren.
Am leichtesten fällte es vielleicht, sich Benjamin Maacks Buch über das zu nähern, was es ›nicht‹ ist. Es ist weder ein Ratgeber für Betroffene noch einer für Angehörige. Es schaut nicht von außen auf die Depression, versucht nicht sie in geordnete Kategorien zu ordnen.
»Wenn Sie Tipps und Tricks für den Umgang mit Depressionen suchen, legen Sie dieses Buch auch weg. Und melden Sie sich, wenn Sie etwas gefunden haben, das wirkt.«
Maacks Buch lässt nicht sprachlich aufgearbeitet von außen auf die Depression schauen. Er lässt in sie schauen. Dabei bleibt er oft fragmentarisch. In anderen Momenten scheint er mit und um Sprache zu ringen, um die Momente der Depression ausdrücken zu können. Dabei schaffen seine Worte oft keine Ordnung mehr, keine Semantik, sie hinterlassen Weißräume und Satzfetzen.
Durch Maacks Buch zieht sich der Wunsch, funktionieren zu wollen. Das hin- und herschwanken zwischen der Angst, zu krank für das ›normale‹ Leben zu sein und zugleich vielleicht nicht krank genug für das psychiatrische Leben; die Frage, wie es einem geht. Der rührende Versuch, den Alltag zu bewältigen, irgendwie an der Oberfläche zu bleiben, der Ehe und den Kindern gerecht zu werden. Das Auf und Ab durch neue Medikamente, die ihrerseits Befürchtungen mit sich bringen. Pfleger und Ärzte, die den Klinikalltag begleiten. Ebenso wie Freunde und Mitpatienten, der Aufenthalt in einer Psychiatrie, begleitet von ›Cobra 11‹. Die Seiten des Buches brauchen ihre Weißräume, um der Schwere des Geschriebenen Raum zu geben, an wenigen Stellen gewährt Maack auch Momente des Aufatmens.
»Ein paar Monate später geht es mir wieder gut. Ich bin wieder draußen, noch ein paar Monate später arbeite ich wieder, bin wieder für die Familie da, treffe wieder Freunde.«
bookcoverAn das Ende des Buches ist Maacks Rede bei einer Preisverleihung in Karlsruhe angehängt, bei der er für sein Werk ›Monster‹ ausgezeichnet wurde. Bei dieser ging Maack bereits auf seine Depressionen ein, die er damals überwunden glaubte. Weder die Zuhörer noch Maack selbst wussten, dass sie wiederkommen würde. Doch besteht das, was diese Rede auszeichnet, nicht vorrangig daraus, dass die Depression besiegt werden konnte. Es besteht daraus, dass darüber gesprochen wurde.
Maacks Schilderungen lassen keinen Zweifel daran, dass im Verlauf der Depression Gefühle der Wertlosigkeit, des Versagens und der Schuld vorherrschen. Doch Maack entscheidet sich nicht, nachdem die depressive Episode überwunden ist, diese Gefühle zu verschweigen oder wegzudrängen; er teilt sie.
» …, dass mein Leben nach und nach abgestorben ist, weil es nicht mehr von Gefühlen durchblutet wurde. Dass mein Kopf, dem es schwerer- und schwerergefallen ist, zu fühlen, die Emotionen unbemerkt immer härter rationiert hat, bis das Fühlen in großen Teilen meines Lebens vertrocknet und verschwunden ist.«
Depressionen haben viele Gestalten. ›Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein‹ bezeugt den Wunsch, zu funktionieren, und findet zugleich Worte für einen Zustand, in dem man oft nicht mehr funktionieren kann. Es ist eine Stärke dieses Buches, dass es aushält, zugeben zu können, dass es Zeiten gibt, in denen Funktionieren anders geworden ist. Es ist ein Versuch, die Depression greifbarer zu machen. Damit darüber gesprochen werden kann, in der Hoffnung, dass so Betroffene nicht allein damit sein müssen.
»Ich bin krank, denke ich und bin beruhigt, weil jemand mich von dem Leben erlöst, das aus meinem Leben geworden ist. Weil jemand sagt, das ist nicht normal, es gibt da ein Leben, das du nur vergessen hast.«