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Veröffentlicht am 15.09.2016

Prinzen von Maine, Könige von Neuengland

Gottes Werk und Teufels Beitrag
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„Gottes Werk und Teufels Beitrag“ – der epische Roman von John Irving, verfilmt und in ein Theaterstück umgewandelt, ist John Irvings sechster Roman. Und ein internationaler Erfolg.

Homer Wells ist anders ...

„Gottes Werk und Teufels Beitrag“ – der epische Roman von John Irving, verfilmt und in ein Theaterstück umgewandelt, ist John Irvings sechster Roman. Und ein internationaler Erfolg.

Homer Wells ist anders als die übrigen Kinder, vom Leiter liebevoll „Prinzen von Maine, Könige von Neuengland“ genannt, im Saint Cloud’s Waisenhaus. Nach vier gescheiterten Adoptionsversuchen erlaubt ihm Dr. Larch daher zu bleiben – unter der Bedingung, dass er im Waisenhaus mit angeschlossener Entbindungs- und Abtreibungsstation bei Gottes Werk – dem Entbinden – und bei Teufels Beitrag – dem Abtreiben – assistiert. So wird er schon bald zu einem fast ebenso geübten Arzt wie sein Mentor. Doch sein Leben steht Kopf, als eines Tages die gleichaltrige Candy und ihr Freund Wally vor der Tür stehen, mit denen Homer sich schnell anfreundet, und Dr. Larch ihn dazu drängt, mit den beiden fortzugehen. Doch St. Cloud’s bleibt immer Bestandteil seines Lebens, so wie alles, was er dort gelernt hat.

In wenigen Büchern kann man sich so treffend, so fließend und übergangslos in einer fremden Welt zurechtfinden, wie in diesem. Die Landschaftsbeschreibungen, angefangen von den Farben, den Gerüchen und den Geräuschen, bis hin zu den komplexen Zusammenhängen und der Entstehung der Umgebung, geben dem Leser das Gefühl nicht bloss eine Beschreibung zu hören, sondern wirklich und wahrhaftig am Geschehen teilzuhaben. Während man auf den ersten 150 Seiten das Gefühl hat, zuhause zu sein, verliert man dieses Heimatgefühl mit Homers Aufbruch, als er zum ersten Mal den gefängnisartigen Mauern des Waisenhauses entflieht. Doch statt dem heranwachsenden Mann erkennen zu lassen, dass seine Bestimmung dort liegt, wo er am meisten gebraucht wird, bildet die Geschichte über 15 Jahre Schlaufen und Kurven, bis man als Leser doch nicht mehr überrascht wird.

Irving spricht, wie immer, das ganze Spektrum an Emotionen beim Leser an. Sein Humor entsteht meist durch die Betrachtung ziemlich alltäglicher Dinge aus einem besonderen Blickwinkel oder durch ein gehäuftes Auftreten und die Interaktion wunderlicher Persönlichkeiten.

Die Charaktere sind detailreich ausgeschaffen, in wenigen Abschnitten erfährt man vor allem von den Hauptpersonen ganze Lebensgeschichten. Ganze Seiten sind gefüllt mit Erinnerungen und Fragmenten aus ihrem Leben, sodass man zwangsläufig irgendwann die Herkunft von irgendjemandem durcheinanderbringt. Und genau dort liegt das Problem: Irving beschreibt den Protagonisten schon zu Anfang seines Buches, unterstreicht seine Charakterzüge bloss mit seinen Handlungen und bald scheinen sich die vorherigen Erkenntnisse nur noch zu wiederholen. Homer weiss vom ersten Moment an, wo er sein will – und ist sich auch am Schluss noch sicher. Candy dagegen scheint von ihrem ersten Auftritt an unentschlossen, und kann sich auch am Ende noch nicht entscheiden. So nutzen sich die Charaktere trotz ihres grandiosen Profils irgendwann ab.

Während man durch das erste Drittel des Buches nur so fliegt, stockt die Handlung im Zweiten, scheint nicht mehr richtig in Fahrt zu kommen. Zu viel Bekanntes wird berichtet, zu wenig Neues – man verliert schon bald das Interesse. Im letzten Drittel könnte man dank der irrwitzigen Handlung der Figuren wahrhaft wütend werden. Die Bereitwilligkeit von Homer Wells, das Glück anderer Menschen hinter das seine zu stellen, es sogar zu zerstören, um selbst glücklich werden zu können, und es dann doch nicht zu werden, hält einen davon ab sich mit ihm identifizieren, ein Teil des Buchen sein zu wollen. Ein Finale, oder wenigstens eine Aussprache am Schluss, gibt es nicht. Stattdessen endet „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ ohne Ausblick, abrupt, dass man froh ist, es beendet zu haben.

Sowohl Gottes Werk, die Geburtshilfe, als auch Teufels Beitrag, die Abtreibung, spielen eine große Rolle, dazu kommt die gesellschaftliche Stellung der Frau, sowie ihre Selbstbestimmung. Der Roman reicht mit seiner Vorgeschichte bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück und endet Mitte des 20. Jahrhunderts. Detailliert werden die Verhältnisse, besonders in der Gynäkologie und auch die Abtreibungspraxis in dieser Zeit geschildert. Schon aufgrund der Zeit, in der Irving seine Geschichte angesiedelt hat, verlangt er seinen Lesern viele Vorkenntnisse aus altertümlicher Sprache und wissenschaftlichen Ausdrücken ab. Wer mit diesem Buch in die englische Literatur einsteigen möchte, sollte sich auf einiges gefasst machen.
Doch es geht auch darum, sich „nützlich zu machen“, seinem Leben einen Sinn zu geben und auch einmal die Regeln zu brechen. Noch viele weitere Themen werden behandelt, manche nebenbei, die man fast überliest, andere so in den Vordergrund gerückt, dass man sie gar nicht übersehen kann.

Veröffentlicht am 15.09.2016

can't think straight

In einer Person
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„In einer Person“ erzählt von sexueller Selbstfindung in einer puritanischen Welt. Der internationale Bestsellerautor John Irving hält dabei an seinem Erfolgsrezept fest: ein Autor als Protagonist, einige ...

„In einer Person“ erzählt von sexueller Selbstfindung in einer puritanischen Welt. Der internationale Bestsellerautor John Irving hält dabei an seinem Erfolgsrezept fest: ein Autor als Protagonist, einige Ringer, die Abwesenheit eines Elternteils und ein Bär, welcher diesmal jedoch nur als Name einer Bar vorkommt. Ebenfalls ihren Platz in diesem Plädoyer für sexuelle Freiheit, das sogar einen Teil Irvings eigener Biographie beinhaltet, finden sein Lieblingsautor Charles Dickens sowie sein Lieblingsdramatiker Ibsen. Auch für ihn selbst ist es ein ganz besonderes Werk - denn er hat es für seinen schwulen Sohn geschrieben.

Der Protagonist William ‚Billy‘ Dean, so alt wie sein literarischer Erzeuger, lebt in Vermont, in einem erfundenen Kaff namens First Sister. Am Ende seiner Tage stehend schreibt er von seinem Leben und Lieben als Bisexueller, der in den prüden Fünfziger- und Sechzigerjahren seine Vorliebe für beide Geschlechter entdeckte und lernte, gegen die dominierenden gesellschaftlichen Konventionen sein Leben zu leben. Dieses sexuelle Erwachen stellte jedoch erst den Beginn einer langen Reise dar, die den Leser bis in die heutige Gegenwart führt.

Mit seinen unvergesslich skurrilen Charakteren beschreibt John Irving im ersten Teil des Romans die aufkeimende Lust des Protagonisten gegenüber der Bibliothekarin, Miss Frost - einen ehemaligen Ringer und Mann. Die, trotz Schwierigkeiten, stets heitere Atmosphäre seiner Jugendjahre ändert sich schlagartig mit dem Beginn des Aids-Zeitalters zu Beginn der Achtzigerjahre. Als er erfährt, dass seine Jugendliebe Tom Atkins im Sterben liegt, besucht er ihn und dessen Familie. Was er antrifft, erschüttert ihn bis ins Mark und zwingt ihn dazu, sich mit seinen eigenen Ängsten auseinander zu setzen: „I wasn’t afraid of dying; I was afraid of feeling guilty, forever, because I wasn’t dying.“ Billy verliert noch viele weitere geliebte Menschen, wobei es Irving gelingt alles so zu erzählen, dass es dem Leser als Herz geht, ohne ins Pathetische abzugleiten. Unsentimental und präzise zeigt Irving das Zerstörungswerk einer Krankheit, die auch kulturell, sozial und politisch schlimme Folgen hatte. Die Idee der sexuellen Befreiung stand auf einmal im Ruf, auch noch lebensgefährlich zu sein.

Viele Eigenheiten und betonte Kleinigkeiten, die Irving in seinen Büchern oft als Ausschmückung seiner Figuren und Handlungen einbaut, und die seine Figuren sehr menschlich machen, finden in diesem Roman wieder ihren Platz. Es ist stets nah am eigentlichen Leben - mit den Klischees, dem Offensichtlichen, den Hintergründen, den Wiederholungen, Überraschungen und Unwägbarkeiten, die es ausmachen. Die Figuren sind nicht idealisiert oder perfektioniert: ihnen widerfährt das ganze Leben. Das Buch ist eine einzige grosse Lebensschilderung. Es gibt viele Abweichungen und unerklärliche Szenen, die nicht die Handlung vorantreiben, sondern den Leser sogar zurückwerfen. Und das ist eines der Dinge, um die es in dem Buch geht: um die Inszenierung von Erinnerung und Rückschau. „Dein Gedächtnis ist ein Monstrum; du vergisst - es vergisst nicht. Es packt Erinnerungen einfach weg; es bewahrt Erinnerungen für dich auf, oder es verbirgt sie vor dir. Dein Gedächtnis erweckt nach eigenem Ermessen Erinnerungen wieder zum Leben. Du bist der Ansicht, du hättest ein Gedächtnis, doch dein Gedächtnis hat dich“, so hat Irving treffend in seinem Werk formuliert.

Das zentrale Thema ist jedoch ein anderes: die Toleranz. Toleranz mit Menschen, die anders sind, in keine Schublade gehören. So sagt Miss Frost einmal zu Billy: „Mein lieber Junge, bitte stecke mich nicht in eine Schublade. Ordne mich nirgends ein, bevor du mich überhaupt kennst!“ Vielleicht einer der Kernsätze des Romans. „In einer Person“ beschäftigt sich auf humorvolle Art mit dem Anderssein und der Akzeptanz des eigenen Ichs.

Noch ein anderer wesentlicher Aspekt wird hier beleuchtet: die Freundschaft. Elaine heisst das Mädchen, mit dem sich Billy in seiner Schulzeit zusammentut. Sie ziehen zusammen, versuchen sich zeitweilig als Paar, und obwohl das alles nicht funktioniert, halten sie doch zusammen. Schliesslich sind sie einander Schicksalsbegleiter und Herzensmenschen. Gegenüber der Zerstörung, die Irving mit der Aids-Epidemie beschreibt, ist die Schilderung dieser Lebenspartnerschaft erstaunlich immun. Moralisch. Tröstlich.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Ketten sprengen

Red Rising
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„Red Rising“ ist der Auftakt der gleichnamigen Trilogie von Pierce Brown. Mit schroffer, wenig emotionaler und direkter Erzählweise liefert der Autor einen spannenden Debütroman, der gewiss nicht für jedermann ...

„Red Rising“ ist der Auftakt der gleichnamigen Trilogie von Pierce Brown. Mit schroffer, wenig emotionaler und direkter Erzählweise liefert der Autor einen spannenden Debütroman, der gewiss nicht für jedermann geschaffen ist.

In den Tiefen einer fernen Minenkolonie auf dem Mars schuften der sechzehnjährige Darrow und seine Leute, der niedrigsten Klasse der Menschheit angehörig, um mit dem abgebauten Helium-3 die Planetenoberfläche für spätere Siedler bewohnbar zu machen. Jedoch muss der junge Protagonist nach einem traumatisierenden Ereignis feststellen, dass alles eine riesige Lüge ist. Während die unterdrückten Bergleute, noch bedroht von Gasexplosionen, aggressiven Monstern und allerlei anderen Gefahren, ihr ärmliches Dasein fristen, leben die Unterdrücker über ihren Köpfen schon längst in Saus und Braus. Um der Ungerechtigkeit ein Ende zu setzen und das System von innen heraus zu zerstören, wird Darrow in das Institut eingeschleust, in welchem die zukünftige Elite seiner Feinde eine harte Ausbildung durchläuft. Es kommen sowohl zahlreiche körperliche, als auch seelische Belastungsproben auf den Helden zu, wenn es gilt, die Ketten der Unterdrückung zu sprengen.

„Auf dem Mars ist die Schwerkraft nicht sehr gross. Also muss man an den Füssen des Gehängten ziehen, um ihm das Genick zu brechen. Diese Aufgabe überlassen sie den Angehörigen.“

Die Handlung erinnert stark an ‚Die Tribute von Panem’, da zum Beispiel wenig zimperlich mit den Figuren umgegangen wird. Schon bald wir brutal verprügelt, verstümmelt und getötet. Trotz aller Gewalt spielen aber auch strategische Überlegungen, Bündnisse und Intrigen mit den daraus resultierenden, oft unliebsamen, Wendungen eine wichtige Rolle. Während seines Abenteuers stellt Darrow fest, dass es auch unter den Nachkommen der verhassten Oberschicht Personen gibt, die seine Freundschaft und sein Vertrauen verdienen, auch wenn es nicht immer diesen Anschein hat.
Sobald er in die Welt seiner Feinde eintritt, nimmt die Handlung stark an Fahrt auf, sie wird brutaler, grausamer, blutiger. Zugleich gewinnt sie aber auch an Komplexität. Darrow ist besessen von seiner Rache. Sie ist das Einzige was ihn antreibt. Moral verschwimmt in diesem Buch. Pierce Brown erschafft einen Weltenentwurf, in dem es kein Schwarz und Weiß gibt, sondern nur Grautöne. Die vermeintlichen Helden zeigen ebenso Züge von Grausamkeit, wie die Feinde und Antagonisten auf einmal Mitgefühl, Ehre und Freundschaft aufweisen. Dieses Spiel mit den Grundwerten, das Verschwimmen von Gut und Böse ist es, was den Roman so unglaublich packend macht.
Nicht immer trifft Darrow die richtige Entscheidung, ist hinsichtlich seiner Handlungen alles andere als perfekt und muss mit den bitteren Konsequenzen leben. Zwar ist er klug und geschickt, weiss sich anzupassen und lernt schnell dazu, doch er hat Ecken und Kanten, sagt und tut oft das Falsche - und gesteht es auch ein. Gerade diese menschlichen Schwächen machen Darrow trotz aller Brutalität sympathisch, auch wenn er oftmals etwas zu hart im Nehmen scheint. 
„Diese Bohrer können einem die Knochen schmelzen, wenn man nicht vorsichtig ist. Und ich bin keineswegs vorsichtig. Nur schnell.“

„Schon komisch, Götter zu beobachten, denen klar wird, dass sie doch nur sterblich sind.“ Da die Menschen dazu neigen, sich selbst zu Göttern zu erheben, werden viele Bezüge zur antiken Mythologie, Kultur, Kriegsführung und Gesellschaft aufgestellt, was schon bei diversen Eigennamen wie Augustus, Cassius und Antonia beginnt und sich bei den militärischen Rängen fortsetzt. Auch bekriegen sich die Jugendlichen eher mit primitiven, historischen Waffen, auch wenn durchaus Details wie schützende Kraftfelder und Schwebeschuhe auftauchen, wo sich die Technologie ihrer Zeit bemerkbar macht.

Der direkte und teilweise etwas brutale Schreibstil lässt sofort erkennen, von wem dieses Buch geschrieben wurde - nämlich von einem Mann. Schimpfwörter, Kampfansagen und blutige Beschreibungen sprechen da für sich. Jedoch war es eine passende Parallele zu der oft rauen Handlung und strotzte an den richtigen Stellen nur so vor Gefühlen - wie bei den Stellen, in denen Darrow an seine Frau denkt.

Um mit den Worten des Autors abzuschliessen: „Sie werden diese dreckverdammten Bücher lieben.“

Veröffentlicht am 15.09.2016

Rollentausch: Engel als Monster

Daughter of Smoke and Bone
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Der erste 500-seitige Band einer Trilogie, wobei die Bücher gegen Ende immer mehr an Umfang gewinnen: Daughter of Smoke and Bone – Zwischen den Welten 1. Die US-amerikanische Autorin veröffentlichte ...



Der erste 500-seitige Band einer Trilogie, wobei die Bücher gegen Ende immer mehr an Umfang gewinnen: Daughter of Smoke and Bone – Zwischen den Welten 1. Die US-amerikanische Autorin veröffentlichte schon so einige Fantasy-Bände, doch diese Reihe ist wohl die international bekannteste.

Hier gibt es jede Menge fremder Wesen, allen voran die Chimären: eine Art Mischwesen, zusammengebastelt aus verschiedenen Tieren, sowie auch deren Erzfeinde – die Engel. Die Hauptfigur ist jedoch ein mehr oder weniger gewöhnlicher Mensch: Karou. Die 17-jährige Kunststudentin aus Prag hat eine äusserst ungewöhnliche Ziehfamilie. Ihr Adoptivvater Brimstone ist ein magischer Wunschhändler, der Wünsche gegen Zähne eintauscht, und seine Angestellten, Karous Familie, sind wie er Chimären. Als eines Tages merkwürdige Vorfälle geschehen, sie dann auch noch von einem Engel angegriffen wird, und sie instinktiv weiss, dass er ihr Feind ist, spürt sie dennoch eine ungewöhnliche Verbindung zu dem Fremden. Karou stolpert so in eine magische Welt voller Hass, Krieg und Verrat, in der jede Hoffnung auf Frieden lediglich ein Traum zu sein scheint.

„Es war einmal, da verliebten sich ein Engel und ein Teufel ineinander: Es ging nicht gut aus.“

Die Geschichte ist etwas ganz Neues, obwohl beide Wesensarten nichts neu Erfundenes sind – jedoch findet ein klarer Rollentausch statt. Nach und nach wird vieles klar, was vorher noch keinen Sinn gemacht hat, und so erfährt man schon bald, dass die Engel in dieser Geschichte die „Bösen“ sind, während die Chimären – auch Monster genannt – einem ans Herz wachsen und man sich in prekären Situationen um sie sorgt. Auch ist Karou ganz anders als die üblichen Hauptpersonen, was es besonders spannend macht, sie näher kennen zu lernen.

„Es war einmal, da lag ein Engel im Neben und rang mit dem Tod. Und ein Teufel kniete über ihm und lächelte.“

Der Erzählstil der Autorin ist sehr blumig, es wird vieles beschrieben, was vor allem bei den fremdartigen Wesen sehr hilfreich ist, sie sich bildlich vorstellen zu können. Liebe und Hoffnung als zentrale Themen werden immer wieder seitenlang umschwärmt, was auf Dauer etwas eintönig werden kann, und auch durch die vielen Rückblenden kommt es zu Wiederholungen. Diese Liebe-auf-den-ersten-Blick inklusive verbotener Romanze ist leider auch nichts Neues, wobei sehr auf Äusserlichkeit gesetzt wird, und man während dem Verlauf keine richtige Verbundenheit zwischen Karou und dem Engel Akiva spüren kann, ausser ihrer Vorgeschichte – wobei es auch da zu dieser Liebe-auf-den-ersten-Blick kam.

„Krieg ist alles, was man uns gelehrt hat, aber es gibt andere Arten zu leben. Wir können sie finden, Akiva. Wir können sie erfinden. Das hier ist der Anfang. Wir sind der Anfang.“

Starke weibliche Charaktere zeichnen das Buch aus – sieht man sich bloss mal Karou an – und auf Freundschaften wird gesetzt. Der überschaubaren Anzahl der Nebencharaktere wird ausreichend Platz eingeräumt, um sie besser kennen zu lernen. Etwas irritierend ist in dieser Hinsicht, dass Karous beste (menschliche) Freundin Zuzana sich sehr schnell mit der Tatsache abfindet, dass es Magie, andere Wesen sowie nebenher existierende Welten gibt.

Auch die Schönheit kommt nicht zu kurz, und so sind wirklich alle Figuren überirdisch schön oder ausgesprochen attraktiv – Karou, ihr Ex-Freund, ihre besten Freunde, und auch ihr Zukünftiger. Alle streben nach Schönheit, die laut Autorin menschlicher Natur ist. Dieses Klischeethema schwächt die Qualität des Buches doch sehr ab, weil viel Oberflächlichkeit entsteht und die Charaktere so keinen richtigen Tiefgang entwickeln. Ausserdem wird man alle 3-4 Seiten darauf hingewiesen, dass Karous Haare blau sind – einmalige, subtile optische Beschreibungen wären völlig ausreichend gewesen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Gegensätze ziehen sich an

Dante Walker - Seelensammler
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Der Auftakt einer atemberaubenden Serie um ein Wettrennen um Leben und Tod von der US-amerikanischen Jugendbuchautorin Victoria Scott: Dante Walker – Seelensammler.

Dante Walker ist tot, doch der grosse ...

Der Auftakt einer atemberaubenden Serie um ein Wettrennen um Leben und Tod von der US-amerikanischen Jugendbuchautorin Victoria Scott: Dante Walker – Seelensammler.

Dante Walker ist tot, doch der grosse „Boss der Unterwelt“ hat ihn zu einem seiner Seelensammler wiedererweckt. Für diesen markiert Dante diejenigen Seelen, welche sich nicht von ihrer besten Seite gezeigt haben – und hat Spass daran. Wer eine komplett versiegelte Seele hat, kommt auf direktem Wege in die Unterwelt. Nun hat Dante die Chance aufzusteigen und sich frei auf der Erde bewegen zu können, wenn er nur die unschuldige Seele von Charlie einsammelt und innerhalb von 10 Tagen abliefert. Kein Ding für Dante, denn er ist der beste Seelensammler aller Zeiten. Doch dann lernt er das nerdige Mädchen besser kennen und zum ersten Mal in seinem (untoten) Leben fällt es ihm schwer, an seinem Auftrag festzuhalten.

Ein nerviges Mädchen verändert den bissigen Bad Boy

Die beiden Charaktere, die im Zentrum der Geschichte stehen, könnten unterschiedlicher nicht sein, aber Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an.
Dante kommt vor allem am Anfang sehr arrogant, eingebildet, teuflisch gutaussehend und ohne jegliche Moralvorstellungen daher – mit ihm präsentiert und Scott einen herrlichen Antihelden. Leider erliegt Dante im Verlauf des Buches demselben Fluch, den auch schon viele andere Bad Boys vor ihm erlitten haben: Kaum trifft ihn der Pfeil der Liebe, wird er handzahm. Nach und nach entwickelt er Gefühle für Charlie und ist hin- und hergerissen zwischen seinem Auftrag (und damit seinem Entkommen aus der Hölle) und ihr. Dadurch büsst er leider immer mehr von seinem ironischen Charme und Biss ein. Charakterentwicklung ist gut und schön, diese war auch gut nachzuvollziehen, jedoch hätte sich Dante noch ein wenig länger beibehalten können, weil sein Humor dem Anfang des Buches den richtigen Pfiff gibt.
Charlie dagegen konnte einem einerseits sympathisch sein, weil sie stets das Gute in den Menschen sieht und hilft, wo sie nur kann. Dabei wird sie von ihren Mitschülern aufgrund ihres Äusseren und ihrer unschuldigen Art jedoch sehr schlecht gemacht. Andererseits wurde sie recht schnell nervig, denn obwohl ihre Wünsche nachvollziehbar waren, waren diese recht flach und schnell als selbstverständlich abgetan.

„Wenn ich diese eine magere Seele abliefere, werde ich zum Seelendirektor befördert. Wie Max sagte, bedeutet das die Erde als dauerhaften Einsatzort. Und eines will ich euch sagen: Nie wieder zurück in die Unterwelt zu müssen, ist eine hervorragende Motivation.“, S.25

Wenn man bedenkt, dass Dante direkt aus der Hölle kommt, und oft genug betont, wie schrecklich es dort sei, hätte man etwas mehr Höllenaction erwarten können. Wenn ein Dämon schliesslich schon für den Teufel Seelen sammeln soll, hätte man auch einen Blick in die Hölle werfen können. Zumindest die Handlung des ersten Teils dieser Serie spielt allerdings nur auf der Erde. Dabei hätte es einen durchaus interessiert, wie denn diese höllische Hölle aussieht, der Dante unbedingt entfliehen will, koste es, was es wolle.

Gute Grundidee, wenig spektakuläre Umsetzung

Die Grundidee des Buches war sehr gut, etwas Originelles und hat somit erst einmal begeistert. Die Umsetzung war dann nicht ganz so, wie man es sich erhofft hätte. Oftmals blieben Erklärungen zu der Siegelgeschichte aus, sodass man sich zusammenreimen musste, wozu alles dient. Und hoffen, dass es auch stimmt.

Der Schein trügt

Das angesprochene zentrale Thema ist ein sehr aktuelles, gerade unter Jugendlichen: Schönheit. Charlie ist mehr als unzufrieden mit sich selbst, was Dante natürlich gleich ausnutzt, und so nimmt das Drama seinen Lauf. Ein klares Statement wird gesetzt, und zwar, dass es nicht nur an einer schönen Hülle sondern auch an inneren Werten bedarf. Auch wenn ein attraktives Äusseres ersichtlich ist, so ist es schwieriger, den Kern eines Menschen zu ergründen. Nur, wer mit einem guten Charakter überzeugt, hat die Chance andere Menschen wahrlich zu beeindrucken und sie zum positiven zu verändern.
Auch die Grenze zwischen Schwarz und Weiss, Gut und Böse wird öfters verwischt, zeigt auf, wie subjektiv alles gesehen werden kann. So ist Dante als Höllenbrut garantiert nicht zu 100% schlecht, und auch Charlies Schein kann trügen.