Cover-Bild In einer Person
15,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Diogenes
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 736
  • Ersterscheinung: 27.11.2013
  • ISBN: 9783257242706
John Irving

In einer Person

Hans M. Herzog (Übersetzer), Astrid Arz (Übersetzer)

Auf der Laienbühne seines Großvaters in Vermont lernt William, dass gewisse Rollen sehr gefährlich sind. Und dass Menschen, die er liebt, manchmal ganz andere Rollen spielen, als er glaubt: so wie die geheimnisvolle Bibliothekarin Miss Frost. Denn wer sich nicht in Gefahr begibt, wird niemals erfahren, wer er ist.

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

can't think straight

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„In einer Person“ erzählt von sexueller Selbstfindung in einer puritanischen Welt. Der internationale Bestsellerautor John Irving hält dabei an seinem Erfolgsrezept fest: ein Autor als Protagonist, einige ...

„In einer Person“ erzählt von sexueller Selbstfindung in einer puritanischen Welt. Der internationale Bestsellerautor John Irving hält dabei an seinem Erfolgsrezept fest: ein Autor als Protagonist, einige Ringer, die Abwesenheit eines Elternteils und ein Bär, welcher diesmal jedoch nur als Name einer Bar vorkommt. Ebenfalls ihren Platz in diesem Plädoyer für sexuelle Freiheit, das sogar einen Teil Irvings eigener Biographie beinhaltet, finden sein Lieblingsautor Charles Dickens sowie sein Lieblingsdramatiker Ibsen. Auch für ihn selbst ist es ein ganz besonderes Werk - denn er hat es für seinen schwulen Sohn geschrieben.

Der Protagonist William ‚Billy‘ Dean, so alt wie sein literarischer Erzeuger, lebt in Vermont, in einem erfundenen Kaff namens First Sister. Am Ende seiner Tage stehend schreibt er von seinem Leben und Lieben als Bisexueller, der in den prüden Fünfziger- und Sechzigerjahren seine Vorliebe für beide Geschlechter entdeckte und lernte, gegen die dominierenden gesellschaftlichen Konventionen sein Leben zu leben. Dieses sexuelle Erwachen stellte jedoch erst den Beginn einer langen Reise dar, die den Leser bis in die heutige Gegenwart führt.

Mit seinen unvergesslich skurrilen Charakteren beschreibt John Irving im ersten Teil des Romans die aufkeimende Lust des Protagonisten gegenüber der Bibliothekarin, Miss Frost - einen ehemaligen Ringer und Mann. Die, trotz Schwierigkeiten, stets heitere Atmosphäre seiner Jugendjahre ändert sich schlagartig mit dem Beginn des Aids-Zeitalters zu Beginn der Achtzigerjahre. Als er erfährt, dass seine Jugendliebe Tom Atkins im Sterben liegt, besucht er ihn und dessen Familie. Was er antrifft, erschüttert ihn bis ins Mark und zwingt ihn dazu, sich mit seinen eigenen Ängsten auseinander zu setzen: „I wasn’t afraid of dying; I was afraid of feeling guilty, forever, because I wasn’t dying.“ Billy verliert noch viele weitere geliebte Menschen, wobei es Irving gelingt alles so zu erzählen, dass es dem Leser als Herz geht, ohne ins Pathetische abzugleiten. Unsentimental und präzise zeigt Irving das Zerstörungswerk einer Krankheit, die auch kulturell, sozial und politisch schlimme Folgen hatte. Die Idee der sexuellen Befreiung stand auf einmal im Ruf, auch noch lebensgefährlich zu sein.

Viele Eigenheiten und betonte Kleinigkeiten, die Irving in seinen Büchern oft als Ausschmückung seiner Figuren und Handlungen einbaut, und die seine Figuren sehr menschlich machen, finden in diesem Roman wieder ihren Platz. Es ist stets nah am eigentlichen Leben - mit den Klischees, dem Offensichtlichen, den Hintergründen, den Wiederholungen, Überraschungen und Unwägbarkeiten, die es ausmachen. Die Figuren sind nicht idealisiert oder perfektioniert: ihnen widerfährt das ganze Leben. Das Buch ist eine einzige grosse Lebensschilderung. Es gibt viele Abweichungen und unerklärliche Szenen, die nicht die Handlung vorantreiben, sondern den Leser sogar zurückwerfen. Und das ist eines der Dinge, um die es in dem Buch geht: um die Inszenierung von Erinnerung und Rückschau. „Dein Gedächtnis ist ein Monstrum; du vergisst - es vergisst nicht. Es packt Erinnerungen einfach weg; es bewahrt Erinnerungen für dich auf, oder es verbirgt sie vor dir. Dein Gedächtnis erweckt nach eigenem Ermessen Erinnerungen wieder zum Leben. Du bist der Ansicht, du hättest ein Gedächtnis, doch dein Gedächtnis hat dich“, so hat Irving treffend in seinem Werk formuliert.

Das zentrale Thema ist jedoch ein anderes: die Toleranz. Toleranz mit Menschen, die anders sind, in keine Schublade gehören. So sagt Miss Frost einmal zu Billy: „Mein lieber Junge, bitte stecke mich nicht in eine Schublade. Ordne mich nirgends ein, bevor du mich überhaupt kennst!“ Vielleicht einer der Kernsätze des Romans. „In einer Person“ beschäftigt sich auf humorvolle Art mit dem Anderssein und der Akzeptanz des eigenen Ichs.

Noch ein anderer wesentlicher Aspekt wird hier beleuchtet: die Freundschaft. Elaine heisst das Mädchen, mit dem sich Billy in seiner Schulzeit zusammentut. Sie ziehen zusammen, versuchen sich zeitweilig als Paar, und obwohl das alles nicht funktioniert, halten sie doch zusammen. Schliesslich sind sie einander Schicksalsbegleiter und Herzensmenschen. Gegenüber der Zerstörung, die Irving mit der Aids-Epidemie beschreibt, ist die Schilderung dieser Lebenspartnerschaft erstaunlich immun. Moralisch. Tröstlich.