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LindaRabbit

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Veröffentlicht am 26.08.2022

Trauern, Verlust, Vermissen

Schlangen im Garten
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"Zum Abendbrot isst er jetzt immer eine Seite aus dem Tagebuch seiner verstorbenen Frau. Er isst sie roh, und er tut es aus Liebe". Diesen Einstieg muss man sich echt auf der Zunge schmelzen lassen... ...

"Zum Abendbrot isst er jetzt immer eine Seite aus dem Tagebuch seiner verstorbenen Frau. Er isst sie roh, und er tut es aus Liebe". Diesen Einstieg muss man sich echt auf der Zunge schmelzen lassen... Als ich einer Freundin von dem Buch erzähle, sagt sie 'einverleiben'. Genau.

Ein Schlange fand sich soweit nur auf einem Bild im Zimmer des Rektors, eine Aspis Viper. Viele surreale Momente. Immer wieder: Der eine Sohn sieht Gesichter. Die Tochter muss ihre Wut verprügeln, sie verdrischt andere Kinder mit einer Brutalität, die an Ermorden erinnert.
Johanne, Mutter und Ehefrau, ist tot. Die einzige, die wohl die Familie zusammenhielt. Adam, ihr Mann, sagte sie immer, sei lebensuntüchtig. Alle leiden, die drei Kinder, der Mann.
Die Tagebücher, die gegessen werden, aber ein Kind rettet immer wieder Fetzen, rettet Gedanken der Mutter oder will sie retten. Der Friedhof, auf dem zwei Kinder sich heimisch machen wollen. Die Frau mit dem Hund, eine Obdachlose. Ihr Hund, eigentlich ein Gummiball an der Leine. Sie beschimpft Adam, den Vater. Und er braucht es wohl.
Andere Figuren tauchen auf, spielen wichtigere Rollen, andere stören, werden an den Rand gedrückt. Es passiert soviel Surreales. Ein Traueramt macht sich Sorgen um die Familie, ein Trauerbegleiter wird fast verrückt mit der Familie.

Das erste Buch der Autorin war anders, wie ein Märchen. Der Junge und der Hahn und die schrecklichen Dinge, die dort passierten, doch der Junge und sein Hahn kamen gut durch. Happy End, wie in einem Hollywood Blockbuster.
Es hatte, zwar auch surreal, doch Hand und Fuß. Dieses Buch hier ist absolut surreal. Eigentlich eher ein Gedichtband zur Trauerverarbeitung. Liest man eine Seite oder nur wenige Zeilen, dann muss man einhalten, darüber nachdenken... nicht zuviel auf einmal lesen, sonst ist die Welt aus den Angeln gerückt.

Ich habe an meine Trauerverarbeitung gedacht und ich kenne die Trauer anderer. Wenn der Witwer seine Nase in die Pullis der Verstorbenen steckt, um ihren Geruch zu halten. Wenn die Witwe sich in Arbeit stürzt und sich an den Kindern festhält, den Kindern Zukunft gibt.

Dieses Buch wird kein Bestseller in dem Sinn werden, dass alle jubeln und sagen, das ist spannend. Es ist ein leises Buch, wie bereits erwähnt, eher wie ein Gedichtband. Ein Buch zum immer wieder in die Hand nehmen, um dann die Worte direkt ins Herz fließen zu lassen. Hoffentlich. Das Buch wird vermutlich wieder Preise gewinnen und manch einer wird es kaufen, aber viele werden es aus der Hand legen und den Kopf schütteln. (Eben ein leises Buch) Und dann wieder, eher etwas verstohlen, darin das eine oder andere lesen...

Und das Buch sagt, nehmt Euch Eure Zeit, es ist Eure Trauer. Und verarbeitet sie so wie Ihr es braucht...

Titelbild: Von Paul Gauguin, 'Porträt Vaiite'; sehr sehr schön... Diogenes - Verlag eben, der gerne künstlerisch anspruchsvolle Titelbilder nimmt

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Veröffentlicht am 26.08.2022

Slawa Ukrajini! Holodomor

Denk ich an Kiew
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Stalin: Der Tod eines einzelnen Mannes ist eine Tragödie, der Tod von Millionen nur eine Statistik. Allein diese Aussage, dem Vorwort vorgestellt, des Massenmörders Stalin, das Vorwort der Autorin Erin ...

Stalin: Der Tod eines einzelnen Mannes ist eine Tragödie, der Tod von Millionen nur eine Statistik. Allein diese Aussage, dem Vorwort vorgestellt, des Massenmörders Stalin, das Vorwort der Autorin Erin Litteken, Nachfahrin einer geflüchteten Ukrainerin, bringt zum Weinen. Angesichts der aktuellen Situation so etwas von schrecklich! Stalin wird heute noch in Russland verehrt. Es gibt Museen, die ihn glorifizieren.

Holodomor. Millionen Ukrainer verhungern. Vorsätzlich. Just zu dieser Zeit spielt die tragische Geschichte des Romans. Katja beschreibt diese Zeit ab 1930 in einem Tagebuch. Den Tod, die Suche nach Lebensmittel, die Ermordung der nahen Verwandten. Schmerzhaft, jede Seite ist voller Hoffnung und dem Schmerz.

Erin Litteken erzeugt geschickt Emotionen mit ihrer Schreibe. Mitgefühl, Fassungslosigkeit, Entsetzen. Die zweite Zeitebene, 2004 in den USA, Cassie hat ihren Mann verloren und vegetiert mit ihrer sprachlosen Tochter Birdie. Doch dann beginnt die Aufarbeitung von Katjas Geschichte durch Cassie. Die ukrainischstämmige Großmutter Bobby ist die zentrale Figur und ihre Weisheiten beeinflussen nun Cassies Leben. Beide Zeitebenen miteinander verflochten führen zum Heute. Neuer Lebensmut. Aus der Geschichte lernen...

Das Umschlagsbild - der grünlich-blaue Himmel über dem gelben Weizenfeld - erinnert an die ukrainische Flagge, die jetzt überall, zumindest in meiner Heimatstadt, an den öffentlichen Gebäuden hängt.

Über das Buch eine Rezension zu schreiben, ist auch ein politisches Statement gegen den Krieg, den Russland der Ukraine aufgezwungen hat. Es ist so unglaublich, dass russische Machthaber (einst ein kulturell hochstehendes Land) so etwas tun. Jeder russische Mensch und auch jede:r mit russischen Wurzeln muss gegen das, was Putin & Co machen, aktiv vorgehen.

Slawa Ukrajini!

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Veröffentlicht am 26.08.2022

Auf dem Weg nach Oman - Spannungsgeladener Roman

Die Passage nach Maskat
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Marseille, das Gespräch zwischen Jung und einem anderen Passagier - die Narbe am Handgelenk (von einem Suicid-Versuch?), jedenfalls meint das der 'nette' Gesprächspartner: Nochmals versuchen, Problem weniger... ...

Marseille, das Gespräch zwischen Jung und einem anderen Passagier - die Narbe am Handgelenk (von einem Suicid-Versuch?), jedenfalls meint das der 'nette' Gesprächspartner: Nochmals versuchen, Problem weniger...

Und das ist der Einstieg, also weiß ich als lesende Mitfahrerin gleich woran ich bin - es sind eben nicht nur nette, gut aussehende und charmante Passagiere an Bord, sondern auch das genaue Gegenteil.

Die Passage nach Maskat: 1929 - die Champollion, die in Marseille in See sticht und in den Orient fährt. An Bord: Anita Berger, Nackttänzerin und Skandalnudel aus Berlin (eine echte Person mit Gedenktafel, Parkbenennung und x- Büchern, sogar Gemälde von Dix), ein angeblicher Anwalt aus Rom, eine englische Lady mit Gesellschaftsdame, ein Amerikaner, der sagt er sei Ingenieur, ... und und und..., und das schwerreiche Kaufmannsehepaar Rosterg, das mit seinem Prokuristen Berthold Lüttgen, mit dem Sohn, der Tochter Dora und deren Ehemann Theodor Jung Richtung Maskat unterwegs sind, um Gewürze einzukaufen. Nichts ist jedoch so wie gesagt. Der Illusionendampfer!

Theodor Jung, traumatisiert vom ersten Weltkrieg und dem Untergang seines U-Bootes, hat Probleme, vor allem auf dem Meer und im Schiff unterhalb der Wasserlinie (verständlich); er ist Fotograf der Berliner Illustrierten und soll großartige Fotos unterwegs machen.
Die Schwiegereltern wie der Schwager mögen Jung nicht, und auch nicht der sich von Anfang an als sehr unsympathisch darstellende Prokurist. Also ist Jung auf einem Schiff gefangen, inmitten von lauter Menschen, die ihn nicht mögen. Nur seine Ehefrau Dora an seiner Seite, aber um ihre Ehe sieht es auch nicht bestens aus. Allerbeste Voraussetzungen also für eine gelungene Schifffahrt.

Kurz nach der Abfahrt von Marseille verschwindet Dora plötzlich und alles, was mit ihr zu tun hat, verschwindet ebenfalls (wirklich alles?) und keiner kennt sie (wirklich nicht?). An Bord wird das luxuriöse Leben gelebt wie auf der Titanic. Die Speisekarte ist exquisit, die Gäste weniger.

Dora verzweifelt gesucht von Theo, der sich am Rande des Wahnsinns bewegt: Wer ist für das Verschwinden von Dora verantwortlich und warum? Geheimnisse offenbaren sich und Jung lebt in einem nicht enden wollenden Alptraum.

Doch es gibt nicht nur Böse an Bord (die so eindeutig böse sind, der lesende Mensch weiß daher schnell, dass die Bösen in das Böse verwickelt sind). Etwas mehr Raum für die Fantasie und Forscherwillen des lesenden Publikums zu lassen wäre nicht schlecht. Vor allem, da selbst die bösesten Menschen nicht immer böse sind, sondern im Gegenteil auch sehr liebenswerte Züge zeigen können, um dann in ihrer Falschheit zuzuschlagen. Also zu sehr schwarzweiß. Daher auch – trotz der spannenden Geschichte – Punktabzug.
Und dann sind auch einige logische Fehler im Roman: Selbst eine englische Lady weiß, wie ein Ehering an der Hand eines Mannes aussieht (S. 106, 'ich wusste nicht einmal, dass Sie verheiratet sind').

Die Reisebeschreibungen sind sehr schön (vermutlich ist der Autor die Strecke mit einem Kreuzfahrschiff gefahren und dabei fiel ihm die Idee zu diesem Roman ein). Einiges wurde von mir nachgeschlagen, Suezkanal z.B., mit dem Wunsch diese Route auch mal zu befahren.

Der Autor Cay Rademacher liebt niederschmetternde Beschreibungen von höchst unsympathischen Figuren. Rademacher hat schon einige erfolgreiche Romane geschrieben. (Bin ich froh, dass ich selten so bösartige Menschen treffen muss, wie er sie beschreibt)

Titelbild - passend, eine Schiffstreppe, mit zwei Passagieren (Theo und Dora?)

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Veröffentlicht am 26.08.2022

Der Aufsteiger aus Lokutni – ein jüdisches Leben

Isidor
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Urgroßonkel Isidor alias Israel, die Geschichte von einem, der auszog aus Galizien, um die Welt zu erobern... Er ging ins k.u.k. Österreichische, nach Wien. Isidor wurde reich, berühmt und lebte integriert. ...

Urgroßonkel Isidor alias Israel, die Geschichte von einem, der auszog aus Galizien, um die Welt zu erobern... Er ging ins k.u.k. Österreichische, nach Wien. Isidor wurde reich, berühmt und lebte integriert. Andere Familienmitglieder folgten ihm nach, so dass sie ein schönes Familienleben in Wien hatten. Isidor lebte mondän, er hatte Frauengeschichten und er war erfolgreich. Das alles wurde ihm genommen, als die Nazis Österreich 'heim ins Reich holten'. Da war er nur der Jude und er wurde misshandelt, was bei ihm letztendlich den Lebenswillen brach. Er hätte nie gedacht, dass das Land Österreich, was er so liebte, ihn in dieser Weise behandeln würde.
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Es tut auch weh zu lesen, was die Erzählerin vom Großvater Walter (der Sohn von Isidors Schwester aus der zweiten Ehe) erzählt, der die österreichische Kultur so schmerzlich vermisste, als er nach Palästina auswanderte. Doch die Demütigungen, die Verfolgung, die Schmährufe, die Angst..., er musste weg. (Es tut weh, denn in meiner Großfamilie bei sechs Naziopfern haben drei nicht überlebt)...

Die Autorin suchte nach Spuren von Isidor und fand sie - sie fand Akten, Briefe, Aufzeichnungen, Fotos. Aufregend diese Spurensuche und großartig, was sie dabei fand. Aus den gefundenen Spuren hat sie diese Lebensgeschichte zusammen gestellt.

Wie geht man damit um, dass einem Heimatstadt nicht mehr will? Und noch mehr... Walter (der Großvater der Autorin) geht zur alten Wohnung der Familie und bei dem Hausmeisterpaar sieht er Möbel und Dinge aus dem elterlichen Besitz und dem der Nachbarn, gestohlen. Nicht mal verschämt, sondern: "der Jud is wiada do".

Unaufgeregt hat Shelly Kupferberg von ihrer Familie berichtet.
Von einer Zeit, die schlimm war und so hoffentlich nie wieder wiederholt wird.

Umschlagsbild: Das Reh, was in der grün gestrichenen Wohnung steht. Das Reh steht für 'das Reh am Grab von Isidor'. Auf dem Friedhof begegnen der Forscherin Rehe... Es ist sehr auffällig. Interessierte gucken aufmerksam auf dieses Titelbild während Fragenzeichen in den Augen stehen, was bedeutet das Reh...(bei einer Zugreise).

Ein Auskunftssroman über eine schlimme Zeit! Und der Diogenes Verlag hat seinen Ruf als ein besonderer Verlag wieder wettgemacht.

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Veröffentlicht am 27.07.2022

Der alte Apothekerschwur

Die versteckte Apotheke
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Gemäß dem alten Apothekerschwur - niemals Gift zu verabreichen: 1791 London, dann: "Nicht nur eine Apothekerin, sondern eine Mörderin. Eine Meisterin der Tarnung..."

Caroline ist an ihrem zehnten Hochzeitstag ...

Gemäß dem alten Apothekerschwur - niemals Gift zu verabreichen: 1791 London, dann: "Nicht nur eine Apothekerin, sondern eine Mörderin. Eine Meisterin der Tarnung..."

Caroline ist an ihrem zehnten Hochzeitstag unterwegs - ohne ihren Gatten, denn kurz vor dem Abflug musste sie erfahren, dass ihr Ehemann James eine Affäre hat. So fliegt sie alleine nach London. Um ihren traurigen Gedanken zu entkommen, macht sie bei einem 'mudlarking' mit, im Schlamm der Themse nach alten Gegenständen suchen. Und sie findet einen kleinen Flakon... und nun 'let it begin': Was ist das für ein Fläschchen, wem gehörte es, was für ein Geheimnis birgt der Flakon?

Die Geschichte springt zwischen der Jetzt – Zeit und dem 18. Jahrhundert hin und her: Nella, die Apothekerin, ist auch eine Giftmischerin, um Frauen von schrecklichen Männern zu befreien. Und hätte Caroline nicht allen Grund ihren untreuen Ehemann (für den sie ihre eigene Karriere ins Abseits stellte) auch ins Jenseits zu schicken?

„In diesem Moment spürte ich eine Veränderung: wie die Unzufriedenheit in mir die Gelegenheit zu einem Abenteuer ergriff, eine Exkursion in meine lange vergessene Begeisterung für vergangene Zeiten.“ S.68

Geschickt sind die beiden Erzählstränge miteinander verflochten. Immer sind Frauen die Protagonistinnen, aber auch die Übeltäterinnen; Frauen, die mit ihren Männern nicht auf die gute Seite der Geschichte gefallen sind. Brechnuss, Wolfswurz, und einige andere Giftpflanzen und Käfer – die Erzählerin hat wirklich Ahnung von gewissen Pflanzen oder gut recherchiert. Das Ende der Erzählung ist großartig! Sehr geschickt! Gute und spannende Unterhaltung!

Das Umschlagsbild ist aufregend, bunt, voller geheimnisvollen Blüten und einem Flakon mittig (der enthält, was?). Am Ende des Buches werden ein paar geheimnisvolle Kräuter erklärt, gleichzeitig einige Rezepte eingebracht zum Nachkochen / -backen (gehört wohl heute dazu, passende Rezepte finden sich mittlerweile in einigen Büchern an)

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