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Veröffentlicht am 05.09.2021

Vor acht oder in einhundert Jahren

Greta und Jannis
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Greta lebt in den Bergen, fährt ab und zu in die Stadt, und sie träumt den Steinen, den Tieren, den Menschen Gedichte zu. Zarte Wortgebilde, die ich mir auf der Zunge zerschmelzen lasse. Greta ist von ...

Greta lebt in den Bergen, fährt ab und zu in die Stadt, und sie träumt den Steinen, den Tieren, den Menschen Gedichte zu. Zarte Wortgebilde, die ich mir auf der Zunge zerschmelzen lasse. Greta ist von einigen Menschen und Wesen umgeben, die ihr wichtig sind... Jannis, Tante Severine, die Kinder, Cornelio. Ein Märchen auf 222 Seiten. Und immerzu: Vor acht Jahren...

Jeder Satz, vom Anfang an, liest sich wie ein Gedicht... ein unendliches Gedicht... Die bunten Federhüte, der Schnee, der auf Lippen schmilzt, und immer wieder - das Gebirge, im Gebirge, auf der Gebirgsstraße... Reisende im Zug, im Bus, und dann der Hof, Tante Severine, die Mädchen. Es braucht einige Zeit zu verstehen, aber gelingt das Verstehen?

Jannis und Greta, eine Liebesgeschichte? Es bleibt auf jeden Fall mysteriös. Innere Monologe, Dialoge mit Unbekannten, Gedankenfetzen, viel indirekte Rede (was schwieriger zu lesen ist, Konzentration ist angesagt, das ist kein Überfliegerbuch). Mysteriös. Bizarr. Wie vor acht oder in einhundert Jahren… das Mysteriöse des Schreibstils von Sarah Kuratle wandert auch in meine Rezension: Ich übernehme ihren Stil.

„Im kleinen Warteraum des Bahnhofs zählt ihm eine einsam tickende Wanduhr die Zeit im Stillen vor. Durch an ihren Rändern glanzvoll beschlagenen Fenster sieht er die Frau draußen zuerst Stirn gegen Sturm, dann wieder in die andere Richtung gepeitscht, wird sie sogar langsamer. Sie ist sehr schmal und blass, wie in den Mantel gefallen, kam sie ihm vor als sie seine Hand und seinen Arm hielt. Sie trägt keine Mütze am Kopf, warum lässt sie ihren grauen Schal flattern, ihre Haare wild in der Luft.„
Peng, das hat Wucht! Jedes Wort wie auf die Goldwaage gelegt. Worte, die mir auf der Zunge liegen wie ein Stück Schokolade und die ich langsam lutsche und vergehen lasse, bis sich mir der volle Geschmack im Mund entwickelt, bis sich mir der ganze Sinn öffnet.

Ich empfehle: Langsam lesen, wie ein Gedichtsband, dann die Worte vom Auge zum Ohr und weiter zum Gehirn, Buchstabe für Buchstabe, schmelzen lassen. Den Namen der Autorin, Sarah Kuratle, muss ich mir merken, da wird noch einiges kommen…

Ein wunderschön zarter Einband, der mit seinen roten Hartriegelbeeren und – blätter auffällig ist.

Sarah Kuratle, Greta und Jannis, Vor acht oder in einhundert Jahren, Otto Müller Verlag

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Veröffentlicht am 05.09.2021

Wer die Wahrheit sucht, muss sie auch ertragen

Ritchie Girl
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Wer die Wahrheit sucht, muss sie auch ertragen! Keine Überschrift könnte besser sein als diese: Es ist ungemein brutal, was Paula ertragen muss.

Das Gedicht ‚keine, die so ging wie ich‘ am Anfang des ...

Wer die Wahrheit sucht, muss sie auch ertragen! Keine Überschrift könnte besser sein als diese: Es ist ungemein brutal, was Paula ertragen muss.

Das Gedicht ‚keine, die so ging wie ich‘ am Anfang des Vorspanns weckt natürlich ungeheuer die Neugierde… keine, die so ging…. Und jetzt verschwunden ist? Es ist harter Tobak, denn es geht um die Nazizeit, um Aufarbeitung, ‚meine Schuld, deine Schuld‘ ?

Das Camp Ritchie existierte tatsächlich als Ausbildungslager für ‚Military Intelligence Training‘ (überwiegend deutschsprachige, jüdische und oppositionelle junge Männer, die in der US-Armee gegen Nazi-Deutschland kämpfen; dazu gehörten auch Thomas Mann, Stefan Heym, Georg Kreisler, um nur ein paar illustre Namen zu nennen). Die sogenannten Ritchie Boys waren ein wichtiger Bestandteil zur Besetzung Nazi-Deutschlands und danach für den demokratischen Aufbau. Kaum bekannt, weil alle Ritchie Boys Stillschweigen darüber hielten. Nun zum ersten Mal wird ein ‚Ritchie Girl‘ erwähnt, es gab auch später einen weiblichen Teil in Camp Ritchie. Allerdings wurden sie bei Beförderungen gerne übergangen und sie waren Belästigungen ausgesetzt. Der Name Ritchie stammt von einem Politiker.

Die Titelheldin Paula wuchs in Berlin auf und lebte neun Jahre während der Hitler-Diktatur dort (sie war eine privilegierte Ausländerin, deutsche Mutter, US-amerikanischer Vater, der aus reichem Haus kam). Nun kommen als Ritchie Girl ihre Deutschsprach- und vor Ort Kenntnisse gut an. In der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges kommt sie wieder nach Europa und erlebt die verheerenden Auswirkungen von Faschismus und Krieg in Italien, in Österreich und dann in Frankfurt.

Paula, die anfänglich Briefe schwärzen muss, damit der Feind keine Lagepläne über die Armee daraus fertigen kann, falls die Soldatenbriefe in verkehrte Hände gelangen (an was man im Kriegsfall denken muss!). Paula, die nicht weiß, wo sie hinkommt. Paula, die Lügen erzählt, weil die Moral der Truppe aufrecht erhalten werden muss. Kein leichtes Leben, aber – es ist ja Krieg und Krieg ist nie leicht. Sondern im Gegenteil, Krieg ist hässlich, und vor allem ist er unnötig. Jeder, der ein Buch über Krieg liest, weiß, dass man alles tun muss ihn zu vermeiden. Eine Leseprobe, bei der ich weinen musste.
Doch Paula, hoch intelligent, gebildet, begabt, wird für Sonderaufgaben ausgesucht. Sie wird mit schlimmen Nazi-Verbrechern konfrontiert. Sie ist sogar in Nürnberg dabei als Todesurteile ausgeführt werden. Und immer wieder sucht sie die Wahrheit, wird mit ihrer eigenen Jugend konfrontiert, was sie als junger Mensch verdrängte und wie sehr ihr eigener Vater im ‚System‘ involviert war, denn die Nazi-Größen gingen in ihrem Elternhaus ein und aus. Und da ist noch ihre große Liebe, der sie wieder begegnet und immer noch an ihm hängt. Doch peu a peu bekommt sie immer mehr über ihn heraus und es ist die größte Scham in ihrem Leben. Doch da ist immer Sam... und Sam ist Sam. (Die Geschichte ist voller Überraschungen!)

Stil: Eine wortgewaltige Explosion mit solch interessanten und aufregenden Metaphern, dass mich fast jede Metapher umreißt und ich den Boden unter meinen Füßen verliere. Großartig zu lesen! Allerdings geht es recht langsam voran, es ist kein Buch was ich so nebenbei verschlingen kann, sondern was ständig zum Nachdenken anregt. Auch recherchiere ich viel im Internet dazu, weil ich manchmal einfach nicht glauben kann was ich lese. Aber es stimmt – der Autor hat hervorragend recherchiert. Und wo er Fiktionen eingebaut hat, gab er das in seinem Schlusswort auch zu. Sehr sauberes Handwerk!

Nur den Buchumschlag finde ich nicht besonders: Die Monumentalbauten am unteren Rand scheinen die Gebäude der IG Farben in Frankfurt zu sein, die erstaunlicherweise die Bombardierung von Frankfurt überstanden haben. Dahinter eine rot aufgehende Sonne oder Scheinwerfer – wie sie faschistische Staaten (Nazis, Stalin, usw.) gerne benutzen. Ich vermute, es bezieht sich als Symbol auf den Nazi-Faschismus.

Mein Schlusswort - der Autor sagt, als er das erste Mal vom Ritchie Camp hörte: „Du hast dein ganzes Leben lang diesen Roman in dir gehabt, und es nicht gewusst“. Jetzt hat er ihn geschrieben und es ist mehr als lesenswert!

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Veröffentlicht am 05.09.2021

Im südlichen Afrika bei Löwen und Elefanten

Löwenherzen
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Die Autorin Gesa Neitzel, ehemals in Berlin im TV- und Filmgeschäft tätig, gibt sich einer neuen Sehnsucht hin – derjenigen nach Afrika - und sie wechselt vom Brandenburger Tor in den südafrikanischen ...

Die Autorin Gesa Neitzel, ehemals in Berlin im TV- und Filmgeschäft tätig, gibt sich einer neuen Sehnsucht hin – derjenigen nach Afrika - und sie wechselt vom Brandenburger Tor in den südafrikanischen Busch. Sie will auf dem afrikanischen Kontinent bleiben und beginnt eine Ausbildung zum Safari – Guide im südlichen Afrika. Während der Ausbildung lernt sie auch Frank kennen; gleiche Interessen, gleiche Sehnsucht. Jung und gut aussehend kann Gesa Neitzel ihre Bücher lässig vermarkten und mit Frank baut sie ein Safari – Unternehmen auf. Dabei kommt natürlich die Liebe und der Schutz zur ungezähmten afrikanischen Tierwelt nicht zu kurz.

Im flüssigen Sprachstil erzählt die Autorin von den Abenteuern, die sie und Frank mit Touristengruppen und alleine unterwegs in der Wildnis erleben. Eingangs berichtet sie vom Feuer, das im Küchenzelt ausgelöst wird und bei dem die Gäste, die Autos und das Safari-Zubehör in ein trockenes Flussbett gerettet werden. Sie erzählt ausführlich von ihrer Ausbildung als Rangerin und erklärt die diversen Etappen, bis sie sich ‚Ranger‘ nennen darf. Dabei erklären ihre Ausbilder, dass Vorsicht die wichtigste Ranger – Eigenschaft ist, um die Gäste und sich nicht in Gefahr zu bringen. Bildhaft weist die Autorin auf die, sie bei den Safrariwanderungen umgebenden Landschaft, Pflanzen und Tiere hin, lässt an den schönen Momenten der Safaris teilhaben und so meint man selbst mitten drin zu sein.

Gesa Neitzel will aber Lead Guide werden und für diese Position muss sie 150 Stunden auf Safari und 50 Begegnungen mit potentiell gefährlichen Wildtieren in ihr Logbuch eintragen. Daher wird von ihr beschrieben, was genau das ausmacht und welche Kenntnisse sie dafür braucht.

Garniert wird das Ganze von wunderbaren Fotos:Tiere, Landschaft und die Ranger bei ihrer Arbeit. Auch das Titelbild, das jedem Afrika-Interessierten sofort ins Auge sticht, zeigt Gesa Neitzel im Busch.

Afrikabücher gibt es viele, von Menschen, die sich in Afria niedergelassen haben, weil sie aus der Enge Europas entkommen wollten. Die meisten beschreiben was sie in ihrem jeweiligen Umfeld erleben. Dies ist nun ein Buch, in dem eine Rangerin ihr Arbeitsfeld beschreibt und das ursprüngliche Afrika (wie es leider immer kleiner wird) vorstellt.

Gesa Neitzel lässt auch an einer Besonderheit teilhaben, dass in Afrika Lebende durchaus eine spezielle Beziehung zu ihrem fahrbaren Untersatz besitzen, einfach ein unersetzlicher Gefährte. Sie und Frank nennen ihren Landrover ‚Elli‘. Das kenne ich auch von meinen LandCruiser Touren im Sudan, ich nannte unser Gefährt, was oft zusammenbrach, ‚old bone‘ oder ‚old boy‘ und betete darum, dass er doch bitte bitte weiterfahren möge.

Aus Sicht einer Afrikaerfahrenen - sehr lesbar!

Löwenherzen, Ullstein Verlag, August 2021, Autorin: Gesa Neitzel

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Veröffentlicht am 05.09.2021

Damals in den Sechzigern

Ein Koffer voller Schönheit
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Wer kennt noch die Avon Beraterin?

Avon, Kosmetikprodukte aus dem Köfferchen zu verkaufen – damals – eine Sensation. Heute, nicht mehr bekannt. Anne fährt mit ihrer Isetta (damals in den Sechzigern die ...

Wer kennt noch die Avon Beraterin?

Avon, Kosmetikprodukte aus dem Köfferchen zu verkaufen – damals – eine Sensation. Heute, nicht mehr bekannt. Anne fährt mit ihrer Isetta (damals in den Sechzigern die Fahrsensation, heute steht die Knutschkugel im Museum in Bonn, mein Vater hatte eine solche Knutschkugel, zum vorne einsteigen... vor meiner Zeit). Anne sieht nicht aus wie die damals durchschnittliche deutsche Frau – sondern hat einen fremdländischen ‚touch‘ an sich. Das könnte vielleicht für eine neue Idee sogar von Vorteil sein. Der Vorspann erzählt von Annes erster Fahrt von Lüneburg aufs Land, zu einer Bäuerin, die sich für den Bauernball schick machen wollte. Anne erinnert sich auch an ihre Ehe, die mal liebevoll begann und jetzt nichts mehr ist.

Dieses Buch erzählt davon, wie schwierig der Weg der Nachkriegsfrauen (nach dem Zweiten Weltkrieg) war und wie sie ihren Weg in die Emanzipation sich bahnen mussten – etwas, was wir heute als selbstverständlich annehmen.

Was mich faszinierte, war die unkonventionelle Schwiegermutter … schön, so einen Schatz an seiner Seite zu wissen. Da kann der Mann noch so sehr hinterwäldlerisch sein. Sie ist lustig und fidel. Leider wohl sehr selten solche Schwiegermütter...

Stil: Nett erzählt, vor allem von den Schwierigkeiten eine Avon Beraterin zu werden. Erinnert mich auch an die Anfänge von Beate Uhse, die mit ihrem Erotikunternehmen anfänglich auch gegen massive Probleme anzugehen hatte und später eine großartige Unternehmerin wurde (trotz der Schmuddelecke).

Es ist ein wichtiges Buch, um sich darüber im Klaren zu werden wie schwierig Anfänge sind, der Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch ein 'start up' (wie es heute so schön heißt) aufzubauen.
Durchaus lesbar für diejenigen auch, die heute ein neues Unternehmen aufbauen wollen. Die Schwierigkeiten bleiben, vielleicht auf anderer Ebene. Daher nicht aufgeben, Hütchen auf und durch!

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