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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.09.2024

Gefährliche Faszination

Cascadia
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„Cascadia“ von Julia Phillips (übersetzt von Pociao und Roberto de Hollanda) erzählt die Geschichte der beiden Schwestern Sam und Elena, die in San Juan Island im US-Bundesstaat Washington ein ...

„Cascadia“ von Julia Phillips (übersetzt von Pociao und Roberto de Hollanda) erzählt die Geschichte der beiden Schwestern Sam und Elena, die in San Juan Island im US-Bundesstaat Washington ein tristes Leben mit wenig Zukunftsperspektive führen, dem sie scheinbar beide gerne entfliehen würden. Allerdings geht dies nicht, solange sie sich um ihre kranke Mutter kümmern müssen. Eines Tages begegnet den beiden Frauen unverhofft und überraschend ein Bär auf ihrem Grundstück und von da an ändert sich alles.
Nach der anfänglichen Angst breitet sich eine gewisse Faszination für den Bären aus. Allerdings geht Elenas Faszination ihrer Schwester Sam bald zu weit. Sam blickt jedoch zu Elena auf und bemüht sich deshalb, nachzuempfinden, was Elena an dem wilden Tier so fasziniert. Ihr Umgang miteinander ist respekt- und liebevoll. Im Verlauf der Geschichte tritt allerdings eine gewisse Abhängigkeit zutage, die nicht gesund zu sein scheint. Ausgehend von Sam, die ihre ältere Schwester Elena geradezu vergöttert und sich ihr vollkommen unterwirft, ohne das Elena sich darüber allerdings im klaren ist.
Die Art, wie Elena auf den Bären reagiert und mit ihm interagiert, hat etwas Mystisches, aber auch Skurriles. Sie verleiht ihm menschliche Züge, während er für Sam ein wildes, gefährliches Tier ist und bleibt.
Auch wenn Sam in Bezug auf den Bären die vernünftigere von beiden Schwestern erscheint, ist sie mir über die Dauer der Erzählung hinweg größtenteils schwer zugänglich und damit eher unsympathisch geblieben. Sie hat Vorstellungen, die ich weder nachvollziehen noch teilen kann und auch die Abhängigkeit von ihrer Schwester ist mir zu drastisch.
Trotzdem hat die Geschichte mich mit diesem ungewöhnlichen Thema und der Beschreibung unbekannter Wildnis in ihren Bann gezogen. Auch die Art und Weise, wie unterschiedlich zwei Menschen mit bedeutenden Situationen umgehen, wird für mich hier eindrucksvoll dargestellt und das nicht nur anhand des Bären. „Cascadia“ ist in meinen Augen ein modernes Märchen, das mich in eine faszinierende neue Welt entführt hat und damit zu einem unvergesslichen Leseerlebnis geworden ist.

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Veröffentlicht am 27.08.2024

Familienleben authentisch und ungeschönt

Genau so, wie es immer war
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Mit „Genau so, wie es immer war“ hat Claire Lombardo einen wunderbar authentischen und realistischen Familienroman vorgelegt. Übersetzt wurde er von Sylvia Spatz.
Auf 720 Seiten hat die Autorin ...

Mit „Genau so, wie es immer war“ hat Claire Lombardo einen wunderbar authentischen und realistischen Familienroman vorgelegt. Übersetzt wurde er von Sylvia Spatz.
Auf 720 Seiten hat die Autorin es geschafft, die Lesenden tief in das Familiengeflecht der Familie Ames eintauchen zu lassen. Julia ist die Hauptfigur und mit ihr beginnt die Geschichte, als sie anlässlich von Marks 60. Geburtstag in einem Delikatessenladen einkauft. Dort trifft sie auf ihre alte Freundin Helen und ausgelöst durch dieses Wiedersehen erfahren die Lesenden in zahlreichen Rückblenden eine Menge aus dem Leben von Julia und Mark vom Kennenlernen über die postnatale Depression Julias nach der Geburt ihres ersten Kindes Ben bis hin zur schwierigen Beziehung zu ihrer Mutter Anita. Neben den Rückblenden bewegen sich die Figuren in der Gegenwart gerade auf die für Julia und Mark sehr überraschende Hochzeit ihres Sohnes Ben zu. Dabei werden die Geschichten aus der Vergangenheit und Gegenwart passend und nachvollziehbar miteinander verknüpft und manche Eigenheiten, insbesondere von Julia, lassen sich so besser nachvollziehen.
Insgesamt lebt der Roman ohnehin weniger von spektakulären Ereignissen als vielmehr von seinen klaren und charakterstarken Figuren. Durch deren authentischen Dialoge habe ich mir von allen vorkommenden Personen eine sehr genaue Vorstellung machen können.
Besonders von Julia, aus deren Gefühlswelt die Lesenden das Meiste erfahren. Ich mag ihre Charakterdarstellung, denn sie ist als Person nicht angepasst, macht Fehler und verhält sich in Situationen auch mal merkwürdig. Dass sie so einen facettenreichen Charakter hat, macht sie sympathisch. Auch wenn ihr Mann Mark es nicht immer leicht mit ihr hat, liebt er sie so wie sie ist. Gemeinsam bewegen sie sich durch die von Höhen und Tiefen geprägten Jahre.
„Genau so, wie es immer war“ erzählt davon in einer Weise, die mitfühlen lässt und das macht das Buch zu einem wundervollen Familienroman, den ich euch sehr ans Herz legen möchte.

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Veröffentlicht am 12.08.2024

Ergreifendes Debüt

Ava liebt noch
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„Ava liebt noch“ ist Vera Zischkes Debütroman und für mich eine der ergreifendsten Liebesgeschichten, die je gelesen habe. Ava ist die Hauptfigur des Romans, 43 Jahre alt, verheiratet mit Ralf ...

„Ava liebt noch“ ist Vera Zischkes Debütroman und für mich eine der ergreifendsten Liebesgeschichten, die je gelesen habe. Ava ist die Hauptfigur des Romans, 43 Jahre alt, verheiratet mit Ralf und gemeinsam haben sie 3 Kinder vom Vorschul- bis ins Teenageralter. Seit ihrer ersten Geburt ist Ava Hausfrau und Mutter und fragt sich, ob es das jetzt war: Ein Leben zu Hause im Mental Load, während der Mann in der Kanzlei Karriere macht.
Die Frage beantwortet sie sich selbst als sie eines Tages im Supermarkt auf den 24-jährigen Kieran trifft. Denn anscheinend war es das noch nicht und Ava fühlt sich, als wäre sie aus einem langen Dornröschenschlaf erwacht. Zu schön, um wahr zu sein, wenn nicht alles in Avas Leben gegen diese Anziehung zu Kieran sprechen würde, allen voran Mann und Kinder. Was passiert, wenn das raus kommt? Was sollen die Leute denken?
Ich kann verraten, dass es einige emotionale Auf und Abs geben wird und darüber aus beiden Perspektiven berichtet wird, der von Ava und von Kieran. Dabei wird deutlich, dass sich hier keine verzweifelte Hausfrau einen Toyboy gesucht hat, wie es gesellschaftlich gerne mal dargestellt wird bei Beziehungen mit einem derart großen Altersunterschied. Es geht um echte und tief empfundene Liebe und das Schicksal zweier Menschen, das wir Lesenden über die Jahre hinweg begleiten dürfen.
Diesen Roman hat Vera Zischke so wunderschön, gefühlvoll und mit einer zusätzlichen Prise Humor geschrieben, dass er jetzt schon zu meinem absoluten Jahreshighlight zählt.

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Veröffentlicht am 23.07.2024

Schmerz und Wut

Die schönste Version
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Der Debütroman „Die schönste Version“ von Ruth-Maria Thomas handelt von der Beziehung zwischen Jella und Yannick und einer Liebe, die vom großen Glück ins komplette Gegenteil verkehrt. Wenn die ...

Der Debütroman „Die schönste Version“ von Ruth-Maria Thomas handelt von der Beziehung zwischen Jella und Yannick und einer Liebe, die vom großen Glück ins komplette Gegenteil verkehrt. Wenn die Geschichte ein Gefühl in mir ausgelöst hat, dann ist es Wut. Zum einen wegen der Dinge, die Yannick Jella angetan hat, zum anderen wegen der Art und Weise, wie Jella vom Mädchen zur Frau geworden ist und welche negativen Einflüsse sie dabei geprägt haben. Einflüsse, die für 1,50 € an jedem Kiosk in Form von Bravo, Mädchen und Co. zu bekommen waren.
Einiges davon kam mir sehr bekannt vor, denn viel von dem, was Frauen und Mädchen damals „geraten“ wurde, ist mir noch gut in Erinnerung und wird in diesem Buch noch einmal schmerzhaft genau am Beispiel von Jella beschrieben. Vielleicht ein extremes, dafür aber sehr deutliches Beispiel, denn Jellas Leben dreht sich zu einem großen Teil darum, Jungs und Männern zu gefallen. Sie definiert sich fast ausschließlich darüber, was dazu führt, dass sie mit Anfang 30 kaum weiß, wer sie abgesehen davon ist. Das hat mich bestürzt, ebenso, dass sie in einer toxischen, gewalttätigen Beziehung gefangen ist, die sie auf gewisse Art und Weise noch viel zu lange glorifiziert. Man möchte sie nehmen und wachrütteln und ihr sagen, dass es alles nicht ihre Schuld ist, sie so aber auf keinen Fall weitermachen kann.
„Die schönste Version“ ist ein Buch, das unbequem, aufwühlend und aufklärend zugleich ist. Klar sein sollte den Lesenden, dass es darin um diverse Formen von Gewalt geht, die Sprache stellenweise sehr derbe ist und manche Darstellungen sehr explizit sind. Also das komplette Gegenteil eines Wohlfühlromans, wie Cover und Titel auf den ersten Blick zunächst vermuten lassen.

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Veröffentlicht am 15.07.2024

Tragisch, aber urkomisch

Ein Mann zum Vergraben
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Auch wenn es gefühlt eine halbe Ewigkeit her ist, kann sich bestimmt jeder von uns noch bestens an den Coronalockdown im Jahr 2020 erinnern. Zu Hause bleiben, Maske tragen und Spazieren gehen ...

Auch wenn es gefühlt eine halbe Ewigkeit her ist, kann sich bestimmt jeder von uns noch bestens an den Coronalockdown im Jahr 2020 erinnern. Zu Hause bleiben, Maske tragen und Spazieren gehen als neues Hobby etablieren. Für „Ein Mann zum Vergraben“ von Alexia Casale könnte es kein besseres Setting geben.

Was ist passiert?
Sally hat im Lockdown ihren Mann Jim mit einer Bratpfanne erschlagen. Ähnliches geschieht in unmittelbarer Nähe und fast zur gleichen Zeit bei Ruth, Samira und Janey. Damit haben die vier Frauen eins gemeinsam: vier tote Ehemänner, deren Leichen irgendwie verschwinden müssen. Denn keine von ihnen hat Lust, im Gefängnis zu landen. Aus einer Art Gefängnis haben sie sich nämlich gerade erst befreit, denn schnell stellt sich heraus, dass die Frauen noch mehr verbindet: das furchtbare Schicksal unter der häuslichen Gewalt ihrer Männer gelitten zu haben.

“Ein Mann zum Vergraben“ ist trotz der Tragik, die das Thema mit sich bringt, eine urkomische Geschichte, die neben Empörung und Humor viel Spannung zu bieten hat. Die Autorin versteht es sowohl, die Spannung immer weiter aufzubauen und zu halten, als auch das ganze Vorhaben der Frauen logisch nachvollziehbar zu gestalten. Das kommt mir bei manchen Krimis oft zu kurz. Hier liegt zwar kein klassischer Krimi vor, “Ein Mann zum Vergraben“ hätte aber absolut das Zeug dazu. Der Roman umfasst so viele Aspekte, die mich ihn kaum haben aus der Hand legen lassen, dazu zählen auch die unterschiedlichen Charaktere und ihre Backgrounds. Es ist spannend zu beobachten, wie sich die Frauen in ihrer neugewonnenen Freiheit und Freundschaft entwickeln. Bleibt nur die Frage offen, ob ihnen das am Ende nicht zum Verhängnis wird. Ich kann nur empfehlen, das selbst herauszufinden.

Bemerkenswert fand ich im Übrigen auch das sehr informative und zugleich erschreckende Nachwort der Autorin, auf das sie allein acht Seiten verwendet hat. Darin macht sie noch einmal ganz deutlich, was sie mit dem Buch erreichen will: „Ich will die Menschen zum Lachen bringen - und dann zum Nachdenken. Gewalt von Männern gegen Frauen und Mädchen ist eine Pandemie, die selbst Corona in den Schatten stellt, wird aber nur zu einem Bruchteil dessen wahrgenommen und bekämpft.“

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