Realistischer und nahbarer Einblick in die junge Mutterschaft
Die bärtige FrauIch lese unheimlich gerne Roman über Elternschaft. Wahrscheinlich ist es das Thema, das in meinem Bücherregal am Häufigsten zu finden ist. Und obwohl diese besondere Übergangsphase, wenn aus Menschen zum ...
Ich lese unheimlich gerne Roman über Elternschaft. Wahrscheinlich ist es das Thema, das in meinem Bücherregal am Häufigsten zu finden ist. Und obwohl diese besondere Übergangsphase, wenn aus Menschen zum ersten Mal Eltern werden, jetzt schon eine Weile hinter mir liegt, greife ich immer wieder gerne zu Romanen über diese Zeit der Veränderung.
Ihren dritten Roman widmet sich die Leipziger Schriftstellerin Bettina Wilpert genau diesem Lebensabschnitt.
Ihre Protagonistin Alex ist vor ungefähr einem Jahr Mutter eines Wunschkindes geworden und verbringt jetzt zum ersten Mal ein paar Tage ohne ihre kleine Tochter. Sie muss zu ihrer Mutter, die nach einem Beinbruch ihre Hilfe benötigt, in ihr bayrisches Heimatdorf fahren. Alex kinderlose Schwester Lena wird später dazukommen und sie dabei unterstützen.
In diesen Tage hat Alex endlich die nötige Distanz und Ruhe um über die letzten Monate nachzudenken.
In Gedanken lässt sie die Entstehung ihres Kinderwunsches, Schwangerschaft und Geburt und die erste Babyzeit Revue passieren und versucht sie für sich einzuordnen.
Gleichzeitig ruft der Aufenthalt in ihrem Elternhaus Erinnerungen hervor, die noch viel weiter in der Vergangenheit liegen.
Bettina Wilpert ist sicher nicht die Erste, die sich literarisch mit dieser Phase der Elternschaft beschäftigt, aber sie tut es mit bewundernswerter Leichtigkeit und in einer seltenen Vielfalt. Neben Kinderwunsch und gewollter Schwangerschaft thematisiert sie genauso Abtreibung und gewollte Kinderfreiheit. Trotz des gesellschaftskritischen und feministischen Grundtenors fokussiert sich Wilpert nicht auf die negativen Folgen von Elternschaft in einer Gesellschaft, die immer noch ein starres Rollenbild und hohe Erwartungen an Eltern anlegt und somit Druck ausübt. Sie bleibt oft auf der individuellen Ebene von Alex und zeigt die schönen Erfahrungen und Gefühle, die genauso mit Mutterschaft verbunden sein können, wie die die leidvollen.
Besonders hervorheben möchte ich, dass Wilpert in ihrem Roman eine frühe Fehlgeburt realistisch beschreibt, was in der Belletristik bis heute noch eine Ausnahmeerscheinung ist.
Für mich persönlich sehr interessant waren Alex Gedanken zur Manifestation des Frauseins und die Festschreibung der weiblichen Identität durch die Schwangerschaft.
Und auch generell finde ich in Wilperts Roman viele Passagen und Gedanken, mit denen ich sehr identifizieren kann.
„Bevor sie selbst ein Kind hatte, fand sie Babys langweilig und musste sich Mühe geben, um überhaupt Begeisterung für die Kinder ihrer Freund*innen aufzubringen. Sie fand auch Babysachen oder Babykleidung nicht süß. Sie mochte Kinder nicht gern, sie mochte nur selbst ein Kind haben.“
Ich habe „Die bärtige Frau“ sehr gerne gelesen und fand den Roman wunderbar nahbar. Ich denke, dass der Roman gerade für Menschen (noch?) ohne Kinder ein realistische Bild vom Mutter werden aufzeigen kann und Menschen mit Kindern sich darin wiederfinden und gesehen fühlen können.
„Als Paula auf die Welt kam, hat sie verstanden: Abhängig sind wir alle, und es ist nichts Schlimmes, sondern etwas zutiefst Menschliches. Wir können gar nicht ohne.“
Das war mein erster Roman von Bettina Wilpert und ich möchte jetzt endlich bald ihren vielgelobten und verfilmten Debütroman „Nichts, was uns passiert“ lesen!