Platzhalter für Profilbild

Lust_auf_literatur

Lesejury Profi
online

Lust_auf_literatur ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Lust_auf_literatur über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.08.2023

Literarisch interessant, inhaltlich etwas unverbindlich

Belohnungssystem
0

Du liest diesen Beitrag vermutlich auf deinem Smartphone. Bist du viel online? Würdest du sagen, du hast deinen digitalen Konsum im Griff?
Wie überschneiden sich deine virtuellen und analogen Verbindungen ...

Du liest diesen Beitrag vermutlich auf deinem Smartphone. Bist du viel online? Würdest du sagen, du hast deinen digitalen Konsum im Griff?
Wie überschneiden sich deine virtuellen und analogen Verbindungen und Beziehungen?

Nicht nur bei mir sind diese Fragen mittlerweile Bestandteil und tägliche Überlegungen meines Leben geworden, sondern unser ganzes Zeitalter und unser Zusammenleben ist geprägt von Digitalisierung und Algorythmen.
Jem Calder hat diese Themen zum Inhalt seines ersten und bereits viel gelobten Romans gemacht.

Allein der Roman selbst spiegelt in seiner Form schon die Hyperkonnektivität (das Wort ist dem Klappentext entnommen) unserer Zeit wieder. Der Aufbau ist durchbrochen und erinnert mit seinen unabhängigen Einschüben an Kurzgeschichten. Es ist ein roter Faden erkennbar, ich sehe die bekannten Figuren im nächsten Kapitel plötzlich als Nebenfigur aus einer ganz anderen Perspektive.

Bestimmt der Kontext, wie ich von andern gesehen werden? Habe ich digital mehr Einfluß auf meine Außenwirkung?

Der britische Autor Jem Calder analysiert in seinem Text viele Aspekte, die mich im Zusammenhang mit digitalen Medien beschäfftigen. Besonders mochte ich den Abschnitt über die beiden User*innen beim Onlinedating.

„Mehrmals ging sie in Gedanken ihre Gesamtstrategie durch, die darin bestand, dem User eine hübsche, übertrieben unbeschwerte Light-Version von sich zu präsentieren; ein menschenförmiges Set attraktiver Gesten und Reaktionen, dessen Umriss sie dann später, nach und nach, mit Elementen ihrer wirklichen Persönlichkeit befüllen könnte.“

Ich fand, hier arbeitet Calder das, was ich als sein Hauptthema zu erkennen glaube, am deutlichsten heraus.
Diesen Widerspruch, dass ich online zwar schneller mit anderen Menschen in Kontakt treten kann, die Verbindungen aber letztendlich oft beliebig und unverbindlich bleiben. Ich sehe eine große Einsamkeit seiner Figuren und einen großen Wunsch nach wahrer und tiefgehender Verbindung.
Sie sind alle connected aber doch isoliert.

Ich bin gerne in diesen Roman eingetaucht und habe mich an Calders facettenreicher Erzählform erfreut. Dennoch, in einigen Abschnitten ist der Funke bei mir nicht übergesprungen. Calders Roman selbst bleibt mir zu unverbindlich, oder besser: Emotional nicht verfügbar.
Auch wenn mein eigenes Leben immens von der digitalen Welt beeinflusst wird, stehe ich doch an einem ganz anderen Punkt in meinem Leben, an dem viele der von Calders aufgegriffenen Aspekte (noch) nicht (mehr) im Vordergrund stehen.

Wäre der Roman vielleicht für dich ein Match?

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 31.07.2023

Lesenswerter Roman über eine unkonventionelle Familie

Die Mütter
0

Die Mosuo sind ein kleines chinesisches, matrilinear organisiertes Volk und nach meiner Recherche real existent.
Ihre Kultur spielt eine wesentliche Rolle im neuen Roman von Stefan Györke.
Denn hier sind ...

Die Mosuo sind ein kleines chinesisches, matrilinear organisiertes Volk und nach meiner Recherche real existent.
Ihre Kultur spielt eine wesentliche Rolle im neuen Roman von Stefan Györke.
Denn hier sind Männer und Väter nur Randfiguren, die Gesellschaftt wird von den Frauen dominiert und definiert. Die stärksten Bande gibt es unter Schwestern, die in gemeinsam in Familienbünden leben und die Kinder großziehen.

Györke transfereriert ein solches unkonventionelles Familienkonstrukt direkt ins wohlsituierte Schweizer Bürgertum. Drei Schwestern werden von einer chinesischen Nanny aus dem Volk der Mosuo großgezogen und leben später selbst in einer Lebensgemeinschaft nur aus Schwestern.
Sie bekommen Kinder von verschiedenen Männer, die aber sonst keine weitere Rolle im Leben der Frauen spielen.
Die Töchter können sich am Lebensmodel der Mütter orientieren, aber was wird aus den Söhnen? Wo finden sie Orientierung und Vorbilder?

Ich lese die Geschichte im Wechsel aus der Ich-Erzähler Perspektive von Anton, ein Sohn der Mütter, und aus auktorialler Perspektive. Das bringt Spannung und Abwechslung in den Roman und lässt mich locker über die Seiten fliegen. Ich lese ihn sehr gerne und verfolge sehr interessiert die Konsequenzen dieser ungewöhnlichen Lebensform, die auch auf mich einen großen Reiz ausübt.

„Ein generationenübergreifender, unkonventioneller Liebesroman“ blurbt Dirk Fuhrig vom Deutschlandfunk auf dem Klappentext und dem stimme ich zu.

Doch wie und wo Liebe entsteht und wie es mit dem Lebensmodel der Mütter und Schwestern (und dem Bruder) weitergeht, das empfehle ich euch selbst heraus zu finden.
Manchmal mäanderte mir die Handlung ein bißchen zu undefiniert, hier wären weniger, dafür stärker definierte Erzählthemen besser gewesen. So verwischt mir der Fokus und bleibt oben auf Unterhaltungslevel hängen. In der Story wäre noch mehr gesellschaftshinterfragendes Potential gewesen. Auch für die Figurenzeichnung hätte ich mir ein wenig mehr psychologische Ergründung gewünscht.

Oh ja, aber was für einen zufrieden stellenden Schluss Györke nach einigen unerwarteten Handlungskapriolen noch liefert.
Finde ich schon sehr nice…und auch empfehlenswert, falls ihr euch für unkonventionelle Familienformen oder auch einfach nur für einen guten Roman interessiert!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.06.2023

Luftige Geschichte vom Neuanfang und Loslassen

Wo du mich findest
0

Und wieder ein Roman mit dem Cover Hype Schwimmen. Auch im Roman spielt das Wasser und das Schwimmen eine wichtige Rolle.
Nach meinem Leseverständnis steht es sinnbildlich für Loslassen und Neuanfang.

Und ...

Und wieder ein Roman mit dem Cover Hype Schwimmen. Auch im Roman spielt das Wasser und das Schwimmen eine wichtige Rolle.
Nach meinem Leseverständnis steht es sinnbildlich für Loslassen und Neuanfang.

Und einen Neuanfang braucht Sophie dringend nach zwei großen Verlusten in ihrem Leben.
Bei einem kurzen Aufenthalt auf Rügen hat sie eine sehr kurze Zufallsbegegnung mit einem Mann, der sie danach in ihrem Träumen verfolgt.
Sie richtet all ihre unerfüllten Sehnsüchte auf diesen Mann, den sie nur wenige Augenblicke getroffen hat und von dem sie nicht einmal den Namen kennt.
Natürlich merkt Sophie, dass sie massiv projeziert, sie kann und will den Trost der Träume aber nicht aufgeben.
Währenddessen zerbricht ihre Ehe, die schon länger nicht mehr lebendig war und sie beschließt nach Rügen zu fahren und den unbekannten Mann ihrer Träume ausfindig zu machen.
Die Autorin arbeitet schön heraus, dass es bei dieser Suche nicht (nur) um eine romantische Schwärmerei geht.
Sophie ist auf der Suche nach sich selbst. Durch die letzten Schicksalsschläge fühlt sie sich aus der Bahn geworfen und kann sich selbst nicht mehr finden.

Trotz dieser vielversprechenden Ansätze bleibt „Wo du mich findest“ für mich nur eine leichte Urlaubslektüre und geht mir nicht unter die Haut.
Das liegt eher weniger an den (zu) sympathisch ausgearbeiteten Figuren, als an den eingestreuten…Kalendersprüchen der Lebensweisheiten („Du musst nur an dich glaube, Sophie“), was die Lektüre leider für mich manchmal ins Triviale abrutschen lässt. Auch die Geschichte an sich habe ich so oder ähnlich schon öfter gelesen und bietet mir außer netter Unterhaltung nichts wirklich Neues. Wenn ich meine strenge feministische Messlatte anlegen würden, hätte ich sicher noch weitere Kritikpunkte.

Der Schluss ist wunderbar rund und perfektioniert mit seinen zarten Andeutungen diese luftige Geschichte vom Neuanfang und Loslassen, reicht mir aber persönlich nicht, damit ich den Roman in bleibender Erinnerung behalten werde.
Aber das muss ja auch nicht immer sein.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.05.2023

Halbgare Geschichte zwischen historischem Roman und Gesellschaftsparabel

Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna
0

Dieses Hörbuch fällt für mich in die Kategorie „Outside the box“, ich bewege mich hier nämlich außerhalb meiner üblichen Themen-Komfortzone.
Doch der Titel „Pompeji“ sprach mich einfach spontan an, da ...

Dieses Hörbuch fällt für mich in die Kategorie „Outside the box“, ich bewege mich hier nämlich außerhalb meiner üblichen Themen-Komfortzone.
Doch der Titel „Pompeji“ sprach mich einfach spontan an, da ich ein …äh…leicht voyeuristisches Vergnügen an Katastrophengeschichte habe. Wenn man sich mit diesem Roman von Eugen Ruge beschäftigt, wird allerdings schnell klar, dass man es hier natürlich nicht mit klassischer Action-Dramaturgie zu tun hat, sondern es sich um eine Gesellschaftsparabel handeln soll.

In einigen Amphoren werden Schriftrollen gefunden, auf denen die Lebensgeschichte und die Reden des Jowna, genannt Josse, aufgezeichnet wurden. So ist der Roman folgerichtig nicht in Kapitel, sondern in Amphoren unterteilt. Der Aufbau ist klassisch. Ich lese in den Aufzeichnung des praktischerweise allwissenden Erzählers von Jowna, seiner unspektakulären Kindheit in einfachen Verhältnissen und seinem politischen Erwachen. Oder vielmehr seinen ersten Schritten auf dem gesellschaftlichen Parkett und seiner ersten Rede, die eigentlich fast Zufall ist. Josse tritt dem Verein der Vogelkundler bei, die hauptsächlich philosophieren und sonst so einiges tun was der Vereinsname nahelegt, außer Vogelkunde.
Mit Gründung einer alternativen philosophischen Kommune beginnt Josses politische Karriere, in der er allerdings immer ein Spielball größerer und skrupelloserer Akteure bleibt.
Es werden Intrigen geschmiedet, Allianzen geschlossen und gelöst.
Die Anzeichen des drohende Vulkanausbruch verkommen zum reinen demagogischen Mittel, das je nach eigenem Nutzen umgedeutet wird. Es wimmelt von Samniten, Römern, Epikureern, Pythagoreern, Eumachiern, Garum und dergleichen. Jahrelanger Lateinunterricht und ein kurz zurückliegender kleiner philosophische Crashkurs helfen mir zum Glück beim Grundverständnis der verwendeten Begriffe und Denkströmungen.

Die lustigste Szene ist die Begegnung zwischen Josse und Plinius dem Älteren. Ruge arbeitet hier ziemlich amüsant heraus, wie wandelbar und der Mode unterworfen die Wissenschaft ist, die doch jede Generation für die ultima ratio hält.

Ja, Politikerinnen sind korrupt und hängen ihr Fähnlein in den Wind, bevorstehende Gefahren werden trotz Warnzeichen ignoriert und Geld, Sex und Klüngelei regieren die Welt. Klassismus, Gier und Konservatismus sorgen für den Erhalt des Status Quo.
Alles nichts neues, aber leider auch nicht so lustig und spitz paraphrasiert, dass es mir richtig Spaß macht.

Die eingestreuten Sexszenen mit den für mich peinlich-unangenehmen Formulierungen machen die Sache nicht unterhaltsamer.

Ich denke, intellektuell geschliffenere Geister mit humanistischem Background könnten durchaus ihre Freude an den Amphoren Texten finden. Ich bin jedoch ein
e Liebhaber*in von leichter zugänglicher und unterhaltsamerer Gesellschaftskritik. Für mich ist „Pompeji“ für einen Historienroman zu wenig konkret und zu doppelbödig, bietet mir aber gleichzeitig für eine Gesellschaftsparodie zu wenig Anknüpfungspunkte und Vergleichsmöglichkeiten.

So lautet mein Fazit: „Pompeji“ war für mich ein doch eher lauer Abstecher, der hinter meinen Erwartungen zurückgeblieben ist.

Wunderbar und souverän gelesen von Sprecher und Schauspieler Ulrich Noethen

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.05.2023

Gute Unterhaltung mit einigen Kritikpunkten

Babel
1

Ja…..das war mein sehr gewünschter Ausflug ins Fantasy Genre mit „Babel“.

Leider, leider fällt mein Gesamtfazit dann doch gemischt aus. Ich gehe aber fest davon aus, das die allgemeine Rezeption begeistert ...

Ja…..das war mein sehr gewünschter Ausflug ins Fantasy Genre mit „Babel“.

Leider, leider fällt mein Gesamtfazit dann doch gemischt aus. Ich gehe aber fest davon aus, das die allgemeine Rezeption begeistert ausfallen wird, der Roman ist an sich wirklich gut! Bitte lasst euch durch meine sehr persönlichen Kritikpunkte nicht abschrecken.
Das umfangreiche (730 Seiten) und genial recherchierte Werk von Rebecca F. Kuang spielt in der ersten Häfte des 19. Jahrhunderts und Oxford ist der Nabel der Welt.
In Oxford steht das königliche Institut Babel. Hier werden die magischen Silberbarren gewirkt, die das Empire am Laufen halten. Wer das Silber kontrolliert, hat die Macht und das ist England, aber es braucht ständig neuen Nachschub an Rohstoffen. Nicht nur in materieller Form von Silber, sondern auch in Form von Spracheinflüssen und Humankapital. Eines dieser jungen Talente ist Robin, der nach dem Tod seiner Familie aus dem chinesischen Kanton nach England gebracht wird und dort mit anderen jungen Menschen in Babel ausgebildet zu werden.
So weit, so Harry Potter.
Einiges erinnert mich an die Akademia Reihe von Rowling. Die Oxford Welt, das studentische Treiben, die Freundschaften, die leicht naiv vereinfachte Erzählweise. Aber Kuangs Welt ist wesentlich düsterer und meiner Meinung nach auch sprachlich ansprechender. Ein Punkt, was den Roman so genial macht, sind die sprachwissenschaftlichen Fachsimpeleien über Übersetzungen, Wort- und Sprachstämme und die feinen Unterschiede in den Sprachen.
Das große Thema in Kuangs Roman ist das vorherrschende kolonialistische und ausbeuterische Gedankengut der weißen, oberen Klasse des Empires. „Babel“ kann so als Parabel auf verschiedene historische und aktuelle Strömungen, wie z.b. die industrielle Revolution, gelesen werden. Das ist großartige Gesellschaftskritik.

Leider nimmt der Roman in der zweiten Hälfte eine Entwicklung, die mich nicht mehr mit nimmt und je actionlastiger die Handlung wird, desto weniger bin ich dabei. Kuang vereinfacht komplexe Sachverhalte stark und über die fragwürdige moralische Botschaft des polarisierenden Endes kann man sicher streiten. Eine drastische schwarz-weiß Malerei trägt nicht zur Differenzierung bei. Mich hat dieses letzte Drittel ins Grübeln gebracht, aber nicht in positiver Art und Weise.
Was mich auch gestört hat, ist das komplette Ausblenden und Fehlen der meisten körperlichen Aspekte. Sexualität, Verlangen und Leidenschaft werden gar nicht, romantische Liebe so gut wir gar nicht erwähnt. Auf mich wirken diese Aussparungen, genauso wie die zensiert und entschärft wirkenden Gewaltszenen, steril und bieder-brav.
Kann man sicher mögen, tu ich aber nicht.

Von daher fällt mein Fazit eher gemischt aus. Ein Roman mit großem Potential zur Begeisterung, sowohl sprachlich als auch inhaltlich, an dem mich aber einige Aspekt gestört und nicht gefallen haben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere