Platzhalter für Profilbild

Lust_auf_literatur

Lesejury Profi
offline

Lust_auf_literatur ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Lust_auf_literatur über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.04.2023

Lesenswertes Debüt mit einigen Schwachstellen

22 Bahnen
0

Gleich vorweg: dieser Roman war leider kein richtiges Highlight für mich. Die Leseprobe und die Kurzbeschreibung fand ich durchweg vielversprechend, doch dieses Versprechen konnte der Roman nicht erfüllen…

Wahl ...

Gleich vorweg: dieser Roman war leider kein richtiges Highlight für mich. Die Leseprobe und die Kurzbeschreibung fand ich durchweg vielversprechend, doch dieses Versprechen konnte der Roman nicht erfüllen…

Wahl erzählt in ihrem Debütroman die Geschichte von Tilda, einer leicht nerdigen Mathematikstudentin, und ihrer Familie. Die besteht noch aus ihrer alkoholkranken Mutter und ihrer 10-jährigen Schwester Ida. Neben Geld verdienen und Studium ist Tilda zusätzlich damit voll eingespannt sich um die beiden und den Haushalt zu kümmern. Sie trägt sehr viel Verantwortung.
Um dieser Belastung für eine Weile zu entfliehen geht sie täglich ins Schwimmbad und schwimmt 22 Bahnen.

Dort taucht irgendwann Viktor auf, ein Geist aus ihrer Vergangenheit. Tilda findet Viktor anziehend, weiß aber nicht, ob sie sich auf eine Bekanntschaft einlassen kann und will, denn es gibt da noch ein Geheimnis, dass Tilda belastet…
Mit einer Promotionsstelle in der nächsten Großstadt öffnet sich eine weitere Fluchtmöglichkeit. Aber was wird dann aus Ida, wenn die Mutter wieder einen Aussetzer hat?

Die Beschreibung der Schwesternbeziehung hat mir am besten gefallen und die Charakterentwicklung der beiden weiblichen Hauptfiguren.
Außerdem möchte ich den besonderen Schreibstil Wahls positiv hervorheben. Wie sie mit der direkten Rede arbeitet, gefällt mir sehr gut und macht den Roman und die Figuren wunderbar lebendig!

Weniger gut gefallen hat mir persönlich die Beschreibung der Beziehung zwischen Tilda und Viktor. In Ansätzen stelle ich mir so Yound Adult Literatur vor: der körperlich in allen Details beschriebene attraktive Viktor, der zusätzlich sehr geheimnisvoll und sehr schweigsam ist und erstmal auch nicht emotional verfügbar ist….I mean…Geschmackssache.

Auch die Situation in Tildas bei zu Hause und die, mit der Alkoholsucht der Mutter verbundenen Probleme, können mich nicht überzeugen. Für mich wird nicht ganz klar psychologisch herausgearbeitet, warum Tilda in dieser Situation feststeckt. Sicher, da ist die kleine Schwester, für die sie sich schon immer verantwortlich fühlt, dennoch gäbe es viele Optionen…

In meinen Augen ein sehr solides, wenn nicht ganz ausgereiftes, Debüt der Wahlrostockerin (😅), das ich gerne, aber nicht begeistert gelesen habe.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.04.2023

Ein großartiger Bergsteigerroman mit Tiefgang!

Der unendliche Gipfel
0

Ich bin sehr, sehr, sehr begeistert!
In diesem Roman fand ich die volle Magie der Literatur für mich in perfekter Kombination: ein komplettes Abtauchen aus dem Alltag in ein spannendes Abenteuer und gleichzeitig ...

Ich bin sehr, sehr, sehr begeistert!
In diesem Roman fand ich die volle Magie der Literatur für mich in perfekter Kombination: ein komplettes Abtauchen aus dem Alltag in ein spannendes Abenteuer und gleichzeitig eine tiefe Reflexion über das, was uns Menschen antreibt und ausmacht!

Wie der Titel schon suggeriert, hat der Niederländer Heijmans hier einen Bergsteigerroman geschrieben. Sein ebenfalls niederländischer Protagonist Walter Welzenbach beginnt während des Studiums mit seinem Freund Lenny mit dem Klettern und bald besteigen die beiden ihre ersten Berge. Das Bergfieber wird zum Mittelpunkt von Walters Leben aber auch letztendlich seine Einsamkeit.
Dann am Berg kämpft jeder für sich alleine.

Heijmans Roman hat stellenweise den Charakter eines spannenden Abenteuerromans. Er beschreibt Kletter- und Bergsteigerszenen so authentisch und nervenaufreibend, dass ich googeln musste, ob Figur und Autor nicht doch etwa ein und die selber Person sind.
Das Rahmengerüst der Erzählung ist Walters einsame und quälende Besteigung seines letzten Gipfels. Zwischendurch streut Heijman Rückblicke aus Walters Erinnerung an die Freundschaft mit Lenny ein und an vergangene Bergabenteuer. Zusätzlich finden sich Reminiszenzen an bekannte Bersteigerlegenden, was mich ganz besonders freut. Sie sind alle da: Kurz, Bonatti, Mallory, Rutkiewicz, Messner, Krakauer und viele mehr, deren Geschichten und Schicksale mich schon lange faszinieren.

Unter der Oberfläche des Abenteuersszenarios stellt Heijman große Fragen. Fragen nach Freiheit und Verantwortung, nach Freundschaft und der Einsamkeit. Die Frage, ob der Mensch im innersten Kern doch immer alleine ist?
Eine eindeutige Antwort gibt Heijman nicht, er zeigt aber wie verletzlich, klein und verloren wir sein können angesichts der Größe der Berge und des Lebens.
Und so blättere auch ich verloren und emotional die letzten Seiten um und doch erfüllt von der Kraft dieser Wahnsinnsgeschichte!

Eine fette Empfehlung für euch und ein Muss für Liebhaber:innen von Bergabenteuern. Ein echtes Highlight!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.04.2023

Ein Verbrechen zerreißt eine Kleinstadt - atmosphärisch und spannend

Dinge, die wir brennen sahen
1

„Durton. Dirt Town. Schmutz und Schmerz.“

Die Hitze und die Melancholie. Schlußszenen, die sich wie Splitter in mein Herz bohren.

In der australischen Kleinstadt Durton ist ein Mädchen verschwunden. ...

„Durton. Dirt Town. Schmutz und Schmerz.“

Die Hitze und die Melancholie. Schlußszenen, die sich wie Splitter in mein Herz bohren.

In der australischen Kleinstadt Durton ist ein Mädchen verschwunden. Esther.
Sie ist tot, ihre Leiche wird gleich im ersten Kapitel gefunden.
Dann ein Zeitsprung ein paar Tage nach hinten, zu dem Zeitpunkt, als Esther verschwand.
Die australische Schriftstellerin Scrivenor entwirft in wechselnden Perspektiven das Porträt einer Kleinstadt, in der ein Mädchen verschwunden ist.
Wir blicken aus verschiedenen Augen auf das Geschehen, v.a. aus den Augen der Kinder. Da ist Ronnie, Esthers beste Freundin, Tochter einer alleinerziehenden Mutter, die nicht weiß, wer ihr Vater ist. Lewis, ebenfalls ein Freund Eshers, mit dem gewalttätigen Vater, der spürt, dass er auf Jungen steht.
Auch die Erwachsenen bekommen eine Stimme: Sarah, die Ermittlerin, die nach Esthers Verschwinden hinzugezogen wird, und die vor privaten Problemen davon läuft. Und Constance, Esthers Mutter.

Die reine Krimihandlung würde ich nur als solide einordnen. Die Stärke des Romans liegt für mich nicht im whodunit, sondern in der beklemmenden kleinstädtischen Stimmung, die Scrivenor entwickelt. Man kann die Hitze, den Staub und die Aggressionen fühlen, die in der Luft liegen.
Die fruchtbaren Folgen, die ein solches schreckliches Verbrechen hinterlässt schildert Scrivenor sehr eindringlich. Die bleibende Zerstörung bei allen Beteiligten.
Und die unendlich große Lücke und die Ungerechtigkeit, die das Verschwinden eines geliebten Menschen verursacht.

Ein atmosphärischer, desillusionierender Roman, dessen düstere Schlußakkorde noch in mir nach klingen. Der in mir den Wunsch nach Wiedergutmachung auslöst, die es für die Beteiligten jedoch nicht geben wird.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.04.2023

Interessanter Gesellschafts- und Coming-of-age Roman mit einigen Längen

Echtzeitalter
0

▪️ Der Titel ist eine Anspielung auf das Echtzeit-Strategiespiel Age of Empires 2, das bestimmt jeder von euch kennt. Selbst mir ist dieses Spiel ein Begriff aus meiner Jungend, allerdings war mir nicht ...

▪️ Der Titel ist eine Anspielung auf das Echtzeit-Strategiespiel Age of Empires 2, das bestimmt jeder von euch kennt. Selbst mir ist dieses Spiel ein Begriff aus meiner Jungend, allerdings war mir nicht bewusst, dass selbst heute, im Streamingzeitalter, diese Spiel immer noch von (wenn auch weniger) Jugendlichen gespielt wird.

Einer dieser Jugendlichen ist Till, der Protagonist von Tonio Schachingers neuem Gesellschafts- und Coming-of-Age Roman.
Wir begleiten Till chronologisch durch seine komplette Schulzeit am Marianum, einer alt-ehrwürdigen Wiener Eliteschule, und erleben mit ihm die klassischen Probleme des Erwachsen Werdens.
Das Setting ist recht interessant gewählt, hat man doch sonst eher keinen Einblick in solch illustre elitäre Kreise. Die Probleme hingegen bleiben die gleichen.
Tyrannische, mobbende Lehrer:innen und Klassenkamerad:innen, abwesende Eltern, die mehr mit ihren eigenen Leben beschäftigt sind, als mit dem ihrer Kinder, die erste Liebe. Till hat zudem noch mit dem frühen Tod seines distanzierten Vaters zu kämpfen.
Kein Wunder, dass er sich lieber in die Welt der Online-spiele flüchtet. Bei Age-of-Empire 2 steigt er in die Riege der internationalen Topspieler auf.

▪️ Mir gefielen die analysierenden, aber nie gemeinen Spitzen Schachingers gegen gewisse österreichische gesellschaftliche Spezialitäten sehr gut. Das schlecht, oder kaum versteckte, rechte und reaktionäre Gedankengut in vielen Köpfen und das Klassendünkel gewisser Schichten benennt er deutlich, aber ohne große moralische Keule, die überlässt er dem/der Lesenden gerne selbst.

▪️ Auch das Erlöschen der kindlichen Illusionen und das Einsetzten des pragmatischen Realismus, den das Erwachsenwerden oft mit sich bringt, beschreibt Schachinger gekonnt. Schmerzlich und eindringlich die Szene, als Till die Trauer um seinen Vater nicht mehr verdrängen kann…

Trotzdem ist diese Hörbuch kein wirkliches Highlight für mich. Zu langatmig gestalten sich manche Passagen, zu wenig Action für meinen Geschmack und letztendlich doch zu wenig charakterlicher Tiefgang bei der Figur Till.

▪️In Summe durchaus hörenswert, aber vor allem wegen des genialen Vortrags in österreichischen Einschlag vom Sprecher und Schauspieler @johannesnussbaum. Kein Material für ein nochmaliges Hören.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.03.2023

Lesenswert und spannend. Ein dystopische Gesellschaftskritik!

Institut für gute Mütter
0

◾️ Habt ihr Kinder?
Würdet ihr sagen, ihr seid ein gutes Elternteil?
Das bestimmt. Aber seid ihr immer perfekt und macht nie Fehler?

◾️ Frida ist die Mutter von Harriet und macht einen Fehler. Sie lässt ...

◾️ Habt ihr Kinder?
Würdet ihr sagen, ihr seid ein gutes Elternteil?
Das bestimmt. Aber seid ihr immer perfekt und macht nie Fehler?

◾️ Frida ist die Mutter von Harriet und macht einen Fehler. Sie lässt ihre einjährige Tochter für zwei Stunden alleine in der Wohnung zurück, weil sie nach einer schlaflosen Nacht nicht mehr klar denken kann. Ein Nachbar wird auf das schreiende Kind aufmerksam und die Polizei wird eingeschaltet.


◾️ Wir befinden uns in Amerika in einer fiktive Zukunft (oder der Gegenwart?), in der der Kinderschutz neue Dimensionen angenommen hat.
Und so findet sich Frida plötzlich in einem Albtraum wieder: Ihr wird wegen Vernachlässigung und Aussetzung ihrer Tochter der Prozess gemacht, dem eine Evaluierung ihres Verhaltens per permanenter Videoüberwachung vorausgeht.
Doch Fridas Abweichung vom perfekten Mutterbild ist zu groß und sie verliert das Sorgerecht an ihren Ex-Mann. Die einzige Möglichkeit, die Vormundschaft für Harriet wiederzuerlangen ist ein einjähriger Besuch des Instituts für gute Mütter…

◾️ Hier sollen die Frauen lernen, wahre, gute Mütter zu werden.
Denn eine gute Mutter stellt immer ihr Kind an erster Stelle.
Eine gute Mutter weiß was ihr Kind braucht.
Eine gute Mutter kann die Schmerzen ihres Kindes durch ihre Liebe heilen.
Eine gute Mutter opfert sich für ihr Kind auf.
Und eine gute Mutter kann alles schaffen, wenn sie ihr Kind wirklich liebt.

◾️ Dieses Institut…ist wie ein wahr gewordener Alptraum meiner eigenen Ängste! Chan entwirft in ihrem Roman eine Gesellschaft, in der das Mutterbild derart übersteigert ist, dass es entmenschlicht ist. Das Mütter nicht mehr als Menschen sieht, sondern als Care- und Liebesroboter und vor allem immer perfekt!

◾️ Ich empfinden den Roman und die darin enthaltene Gesellschaftskritik als brandaktuell und trotz der Überzeichnung als äußerst treffend und beängstigend. Chan zeigt in ihrem Roman, wie fest manifestiert ein gewisses Mutterbild in unseren Köpfen und in der Gesellschaft sein kann und welche perversen Konsequenzen daraus resultieren können.

◾️ Neben dem permanenten leichten Trigger, den das Lesen bei mir verursacht, ist der Roman auch noch gute Unterhaltung. Chan schreibt fesselnd und ich folge der Geschichte immer mit einer Mischung aus Spannung und Unbehagen.

◾️ Für mich ein wirklich großartiges Leseerlebnis, das neben der Unterhaltung zeitgemäße und wichtige Gesellschaftskritik bietet!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere