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Veröffentlicht am 09.10.2017

Familie, ein Puzzle aus Menschen

Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek
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Der 12jährige Bobby Nusku lebt nach dem Verschwinden seiner Mutter alleine mit seinem gewalttätigen Vater, der öfter betrunken als nüchtern ist, und dessen neuer Freundin und wird von ihnen größtenteils ...

Der 12jährige Bobby Nusku lebt nach dem Verschwinden seiner Mutter alleine mit seinem gewalttätigen Vater, der öfter betrunken als nüchtern ist, und dessen neuer Freundin und wird von ihnen größtenteils ignoriert. Beim Warten auf die Rückkehr seiner Mutter vertreibt er sich die Zeit damit alles Mögliche zu archivieren, ob es nun Haare von ihr sind oder Stofffezen ihrer Kleider, selbst eine Liste über die Besucher im Haus führt er, damit sie nicht das Gefühl hat etwas verpasst zu haben wenn sie wiederkommt. Bobby ist alleine, isoliert und wird sogar von älteren Mitschülern gehänselt bis er Sunny trifft, der zum Cyborg werden möchte um Bobby beschützen zu können. Doch als Sunny plötzlich verschwindet ist sein einziger Halt Val und ihre Tochter Rosa, die er erst vor kurzem kennen gelernt hat. Es kommt zur Eskalation nachdem Bobby’s Vater die Beziehung missversteht, ausrastet und Gerüchte verstreut. Die einzige Möglichkeit der drei zusammen zu bleiben ist die Flucht mit dem Bücherbus den Val eigentlich nur putzen sollte. Joe, den sie unterwegs kennen lernen ist das fehlende Puzzlestück.

Meine Meinung:

Ein Roman, bei dem ich nicht gedacht hätte, dass er mich so packen könnte. Vor allem der bildhafte Schreibstil trägt bei dieser außergewöhnlichen Geschichte viel zum Lesevergnügen bei. Er lässt keine Langeweile aufkommen, ist so einfach, modern und doch sehr direkt mit einigen ganz tollen Zitaten. David Whitehouse schafft es die Emotionen und auch die Protagonisten dem Leser so nahe zu bringen, dass man gar nicht anders kann als diese ins Herz zu schließen, mitzufiebern und zu hoffen.

Und doch könnte ich mir vorstellen, dass gerade die ersten 130 Seiten etwas abschreckend sein könnten, weil öfter mal Gewalt sowie Blut vorkommen und hierbei beziehe ich mich nicht nur auf Bobby’s Vater. Es gibt ein paar tragische Szenen, wie zum Beispiel die, in der Sunny zu einem Cyborg werden möchte und sich dafür von Bobby Knochen brechen lässt damit er Metalstücke eingebaut bekommt. Aber das war es auch, das mich einfach verblüfft hat, denn ist es nicht einfach nur unglaublich wie weit die Fantasie mancher Kinder gehen und wie tief doch eine Freundschaft sein kann? Auf jeden Fall muss man vor allem in diesem Abschnitt auf solche und andere Passagen gefasst sein, das Buch besitzt eben einige deprimierende Züge.

Das Besondere an ‚Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek’ ist, dass der Roman mit dem Ende beginnt. Das bedeutet, man bekommt schon direkt am Anfang einen Auszug davon präsentiert, wie der Roman endet und so ist es umso spannender zu erfahren wie genau es zu der aufgeführten Situation, in der Val, Bobby und Rosa in ihrem Bücherbus von Polizisten umgeben sind, kommen konnte.

Die vier Charaktere Bobby, Valerie, Rosa und Joe sind eindeutig das Herz des Romans, wobei auch der Hund Bert eine schöne Rolle spielt. Jeder von ihnen hat sein eigenes Päckchen zu tragen und es hat mich glücklich gemacht zu sehen wie perfekt sie doch eigentlich alle zueinander passen, sich ausbalancieren, füreinander da sind und auf sich acht geben. Was man von diesem Buch lernt ist vorbehaltlos, dass es bei einer Familie nicht darauf ankommt blutverwandt zu sein.

„Familie ist dort, wo man sie findet. Eine Familie muss nicht aus einem Vater, einer Mutter, einem Sohn und einer Tochter bestehen. Familie ist dort, wo es genug Liebe gibt. Und für diese vier war es eben jene ungleiche, außergewöhnliche Gruppe von Menschen…“

Die Liebe kommt hier jedenfalls nicht zu kurz und es ist unbeschreiblich wie sehr sich jeder infolgedessen von ihnen weiterentwickelt. Und auch die Hoffnung ist immerzu präsent, ganz besonders bei Bobby dessen Sehnsucht nach seiner Mutter so groß ist, dass sie nicht mal in Worte zu fassen ist. Manchmal kam er mir ehrlich gesagt viel jünger vor, vielleicht sogar etwas zurückgeblieben, weil seine Aktionen so seltsam und unbedacht waren und gar nicht zu einem zwölfjährigen gepasst haben. Das liegt aber vor allem an seiner Lebenssituation, immer wieder schrecklich wie Eltern -oder in diesem Fall der Vater- in der Lage sind ihre Kinder so schlecht zu behandeln. Doch macht Bobby eine ganz tolle Entwicklung durch und das liegt größtenteils an Val. Diese Frau ist kurz gesagt der Wahnsinn, total fürsorglich und liebevoll zu ihrer behinderten (ich denke mal autistischen) Tochter Rosa und Bobby, den sie ganz schnell in ihr Herz schließt. Und auch wenn sie sich der Konsequenzen bewusst ist schreckt sie nicht davor zurück auf diese Abenteuerreise mit dem gestohlenem Bücherbus zu gehen. Ich bewundere sie und liebe ihre ruhige und weise Art. Der Exsoldat Joe war für mich eine zeitlang ein Rätsel, aber auch ihn lernt man Stück für Stück kennen und lieben. Keiner von ihnen hat eine einfache Vergangenheit, sie haben sich regelrecht durchgeschlagen, genießen nun die Freiheit miteinander und lernen darüber hinauszuwachsen. Die Angst von der Polizei gefasst zu werden ist jedoch immer vorhanden.

Selbst Bücher kommen in diesem Roman nicht zu kurz, sie werden gelesen, zitiert, die Protagonisten ziehen Vergleiche zu ihrem eigenem Leben und lassen sich von ihnen inspirieren. Natürlich stehen sie nicht im Vordergrund, sind jedoch perfekt in diese Geschichte eingebaut und bereiten Spaß.

Würde noch gerne anmerken, dass ich über die Kapitelnamen sehr verwundert war und was die anbelangt gibt es gegen Ende tatsächlich auch noch eine kleine, fabelhafte, selbsterklärende Überraschung über die ich einfach nur lächeln musste :)

Fazit:

Ein außergewöhnlicher, bewegender Roman über Familie, Liebe und Freundschaft, der mich von der ersten bis zur letzten Seite unterhalten hat. Diese Reise werde ich garantiert so schnell nicht mehr vergessen. Klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 09.10.2017

Zu viel Nebensächliches

Kolibri
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Anna Fekete’s erster Tag als Kriminalkommissarin ist alles andere als leicht. Als wäre es nicht genug, dass sie einen ausländerfeindlichen Alkoholiker als Partner bekommt, ist ihr erster Fall eine junge ...

Anna Fekete’s erster Tag als Kriminalkommissarin ist alles andere als leicht. Als wäre es nicht genug, dass sie einen ausländerfeindlichen Alkoholiker als Partner bekommt, ist ihr erster Fall eine junge Joggerin, die auf grausame Weise erschossen wurde und bei der man, vom Amulett abgesehen, keine Indizien auf den Täter findet. Als man später einen zweiten Jogger tot auffindet, drängt die Zeit den Täter zu fassen. Parallel dazu kümmert sich Anna um den Fall eines kurdischen Mädchens, das bei der Polizei um Hilfe gebeten hat um im Nachhinein alles abzustreiten. Anna lässt sich jedoch nicht abwimmeln und beobachtet die Familie, weil sie annimmt es könnte zu einem Ehrenverbrechen kommen.

Meine Meinung:

Zuallererst muss ich sagen, dass ich dieses Buch nicht in die Kategorie Thriller einordnen würde, es ist eher ein Krimi.

Es lässt sich gut lesen, auch wenn ab und zu mal ungarische Wörter und Sätze vorkommen, dessen Sinn man nur erahnen kann, weil nirgendwo die Übersetzung steht.

Mit Anna Fekete bekommen wir eine Protagonistin, die ursprünglich aus Ukraine stammt aber ohne Akzent einwandfrei finnisch spricht und vor ihrem neuen Job Streifenpolizistin war. Und auch wenn es vor allem aus ihrer Sicht erzählt wird konnte ich keinen wirklichen Zugang zu ihr finden. Sie wirkt keinesfalls unsympathisch aber es gibt einige Handlungen die ich von einer Polizistin nicht erwarten würde. Es dreht sich sehr viel um ihr Leben, die Probleme mit denen sie zu kämpfen hat, ihrem alkoholsüchtigen Bruder, den wechselnden Partnern, dem Schlafentzug und die Lust nach den Zigaretten und ab und zu mal einem Bierchen, wobei sie auch da etwas übertreiben kann. Mich hat es vor allem gestört, dass immer wieder ihre Lust nach einer Zigarette erwähnt werden musste und dass sie doch eigentlich mit dem rauchen aufhören möchte und wieder joggen gehen muss, es aber nie tut und dann doch lieber eine oder mehrere raucht. Es hat gar nicht mehr aufgehört. Ihr Partner Esko Niemi dagegen ist ein absoluter Kotzbrocken, der meiner Meinung nach fast schon übertrieben unsympathisch dargestellt wurde. Da fällt es mir schwer zu verstehen, weshalb jeder sein Verhalten toleriert, guter Ermittler hin oder her. Zusätzlich gibt es zwei weitere Kommissare, aus deren Sicht man mehr über ihr Leben, das auch nicht so rund läuft, erfährt.

Dadurch, dass eben so viel Privates erzählt wird und auch die Geschehnisse um Bihar eine große Rolle spielen, von denen man sogar erwartet, dass sie mit den Mordfällen etwas zutun haben, gerät der eigentliche Fall des Öfteren in den Hintergrund. Richtige Spannung kommt erst gegen Ende auf und das Buch selber besteht meiner Ansicht nach aus einigen Stellen die man ruhig hätte auslassen können, denn ich bin auf das Buch gerade wegen des Falles und nicht des Füllmaterials aufmerksam geworden. Von einer Migrationsgeschichte stand immerhin nirgendwo etwas, doch zieht sich der Erzählstrang, der in Form einer Mail von Bihar geschrieben wurde, über das ganze Buch hinweg. Man erfährt vieles über ihre Familie, die Einwanderung, ihre Kultur und das Schicksal, das ihre Eltern für sie auferlegt haben. Gerade weil sich Bihars Geschichte der von Anna ähnelt, fühlt sich diese Bihar gegenüber verpflichtet zu helfen, auch wenn keine Anzeichen für Gewalt oder ähnliches vorliegen. Und auch wenn es zuerst sehr interessant klang, wurde es mit der Zeit langatmig und hat die Spannung leider sehr rausgenommen.

Der Ausgang der Mordfälle hat mich dagegen sehr überrascht, wäre darauf nämlich nie gekommen. Man hat als Leser Raum mitzurätseln und die Frage ob es nur zufällige oder gar auserwählte Opfer sind lässt einen nicht ruhen. Auch die Verdächtigen haben im Grunde alle einen Grund für die Morde, doch haben sie diese auch begangen?

Fazit:

Auch wenn hier ganz schön viele interessante Themen behandelt wurden, mangelt es an Spannung. Nichtsdestotrotz ist es ein gut geschriebenes Debüt, weswegen ich ein weiteres Buch der Autorin nicht ausschließen würde. Denn das Potenzial für folgende Bänder ist auf jeden Fall vorhanden.

Veröffentlicht am 09.10.2017

Bringt einen zum Nachdenken

Die Quintessenz von Staub
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Marie führt ein zufriedenes Leben, doch ist ihr Bruder Richard der Ansicht, dass sie viel zu lange alleine war. Somit verkuppelt er sie bei einem Abendessen mit Pius, einem attraktiven und charismatischen ...

Marie führt ein zufriedenes Leben, doch ist ihr Bruder Richard der Ansicht, dass sie viel zu lange alleine war. Somit verkuppelt er sie bei einem Abendessen mit Pius, einem attraktiven und charismatischen Wissenschaftler. Marie ist sofort hin und weg und nach nur wenigen Verabredungen sind die beiden unzertrennlich und Pius nimmt in ihrem Leben die Rolle des wichtigsten Menschen ein. Es folgt das Zusammenziehen und die Hochzeit. Erst nach dem Schlaganfall, als sie in ihrem eigenen Körper gefangen ist, wird ihr bewusst was für einen Fehler sie begangen hat indem sie sich auf Pius einließ. Doch gibt es für sie überhaupt noch einen Ausweg?

Meine Meinung:

Ehrlich gesagt wusste ich vor dem Lesen nicht so ganz auf welches Thema ich mich hier einlassen würde. Hatte sogar eine romantische Liebesgeschichte erwartet, aber dies bekommt man hier nicht unbedingt. Hier geht es um so viel mehr, um ein Thema über das viele nur ungern reden oder grübeln. Denn wie weit darf Forschung gehen? Wo genau sollte man einen Schlussstrich ziehen und sich nicht in die Natur einmischen?

Nora Lachmann ist mit diesem Roman ein tiefgründiges, bewegendes und spannendes Buch gelungen, das man ganz locker in einem Rutsch lesen kann, weil es von der ersten Seite an fesselt. Der Schreibstil ist wunderbar, es ist alles verständlich erklärt, gut beschrieben und als Gesamtwerk überzeugt es auf ganzer Linie, sodass ich auch kein einziges Wort angezweifelt habe.

Mit Marie, aus deren Sicht geschildert wird, bekommen wir eine leicht naive Protagonistin, die von ihrer Liebe zu Pius geblendet wird und das Offensichtliche übersieht. Und auch wenn ich sie manchmal am liebsten geschüttelt und ihr gesagt hätte, dass sie einen Fehler begeht, konnte ich verstehen weshalb sie auf ihn so dermaßen gehörig reagiert. Er war der erste Mann, der deutliches Interesse an ihr zeigte, der ihr jeden Wunsch von den Augen lesen konnte und sie verwöhnt hat. Während er Marie schamlos, auf eine überaus charismatische Art, manipuliert und an sich gebunden hat, hat sie in allem nur seine Liebe zu ihr gesehen.

Als sie am Hochzeitstag einen Schlaganfall erleidet und als Folge mit dem Locked-In-Syndrom zu kämpfen hat, wird das Ausmaß von Pius Grausamkeit immens, denn für ihn ist sie sein persönliches Forschungsobjekt. Getrieben von Ehrgeiz, Wissensdurst, Macht und Ruhm tut er alles um in der Wissenschaft voranzukommen und für seine Erfolge anerkannt zu werden, Marie’s Wünsche völlig außer acht lassend. Und als Leser kann man nichts anderes tun als hoffen, dass Marie Fortschritte in der Genesung macht, es schafft, sich jemandem anzuvertrauen und dem Ganzen entfliehen kann.

Aus ihrer Sicht erzählt ist es einfach nur rührend ihre Gedanken und Gefühle zu verfolgen und beklemmend zu erfahren wie es sein muss alles mitzubekommen aber weder in der Lage zu sein sich zu bewegen noch zu kommunizieren. Unfassbar, wie die Autorin es geschafft hat das Ganze so glaubwürdig rüberzubringen. Man fühlt, leidet und hofft mit Marie mit. Zwischendurch wird der Text von einigen Träumen und Rückblenden unterbrochen, die Marie schon längst verdrängt hat und die verdeutlichen, weshalb ihr Leben so ist wie es ist und nebenbei auch ein schwieriges Thema aufgreifen.

Die Charaktere neben Marie und Pius sind genauso fabelhaft ausgearbeitet und als Leser bekommt man das Gefühl sie alle gut einordnen zu können, zu wissen wer Freund und wer Feind ist, doch musste ich mich geschlagen geben und am Ende erkennen, dass nicht alle so sind wie sie scheinen.

Das Buch schafft es ein überzeugendes Bild unserer Gesellschaft wiederzugeben, das im ersten Moment erschüttert, mich nachdenklich gestimmt hat und dem ich dennoch nichts zu widersetzten habe. Hier werden Themen angesprochen, die vielleicht keine einfache Kost sind jedoch durchaus wichtig und bedeutend.

Fazit:

Empfehlens- und lesenswerter Debütroman, der verdiente 5 Sterne von mir bekommt. Von der ersten bis zur letzten Seite konnte mich das Buch überzeugen.

Veröffentlicht am 09.10.2017

Sprachgewaltig und anspruchsvoll

Nachhall
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„Man sagte, es sei Recht. Doch Espen sah Unrecht. Man erklärte ihr, es sei Stärke, doch sie sah die Unfähigkeit nachzugeben. Man erzählte, es sei Liebe, doch sie sah nur Verachtung.“

Handlung:

Espen ...

„Man sagte, es sei Recht. Doch Espen sah Unrecht. Man erklärte ihr, es sei Stärke, doch sie sah die Unfähigkeit nachzugeben. Man erzählte, es sei Liebe, doch sie sah nur Verachtung.“

Handlung:

Espen Barthelemy ist auf der Reise zum Haus der Freude und muss in einer fremden Stadt halt machen um auf einen Transport zu warten, der sie zu ihrem Ziel bringen würde. Sie versucht sich im Hintergrund zu halten und anzupassen, doch macht es ihr die Gesellschaft nicht so leicht. Es fällt ihr schwer dazuzugehören, denn ihr hat nie jemand beigebracht wie die Regeln für die Zugehörigkeit lauten. In dieser Stadt macht sie viele Bekanntschaften mit Menschen, die sich nicht dafür interessieren was Espen zu sagen hat sondern ihr eher ihre eigene Meinung aufdrücken möchten. Als ihr durch ein Verfahren auch noch verboten wird die Stadt zu verlassen, bleibt die Frage ob Espen ihre Vergangenheit überwinden kann und ihre Stimme wiederfindet. Und natürlich ob es einen Ausweg aus der Situation gibt.


Meine Meinung:

Dieser Roman ist keinesfalls eine leichte Lektüre, die man einfach zwischendurch lesen könnte. Man benötigt viel Konzentration um verstehen zu können und selbst dann ist es in einigen Abschnitten zumindest mir schwer gefallen. Beile Ratut ist mit ‚Nachhall’ solch ein sprachgewaltiges Buch gelungen, wie ich es schon länger nicht erlebt habe. Man kann hier ganz viel selber herein interpretieren, was mir absolut gefällt, denn so animiert die Autorin ihre Leser auch zum Nach- und vor allem Mitdenken an. Die Botschaft von diesem Roman steckt zwischen den Zeilen, man darf nur nicht während der ersten 100 Seiten aufhören zu lesen, denn das ist mit Abstand der schwerste Abschnitt. Nachdem ich damit fertig war, fiel es mir einfacher das Ganze zu verstehen.
Espen ist eine kluge, empfindsame, labile und vor allem eine absolut liebe und sympathische Person, die nicht so recht weiß, wo ihr Platz in diesem Leben ist und die durch andere Menschen nur zu leicht beeinflusst werden kann. Zwischendurch bekommt man auch einen Blick in ihre Vergangenheit, so erlebt man einige Szenen als sie eine Siebenjährige ist, die verdeutlichen weshalb Espen so ist wie sie ist. Von Eltern nicht beachtet worden, von anderen Kindern ausgegrenzt, hat sie eine Art Liebe nur bei einem erwachsenem Mann erfahren, der sie missbraucht hat. All das Verdrängte kommt zum Vorschein und sie versucht es zu verarbeiten und zu sich selbst zu finden. Es reicht nicht mehr nur auf das zu hören was andere zu sagen haben, sie möchte auch endlich angehört werden. Doch zuerst muss Espen sich von ihren Schuldgefühlen befreien und verstehen, dass wahre Liebe nicht so ist, wie sie es bis jetzt kennengelernt hat. Es bedeutet nicht immer nur zu geben um auch im Gegenzug etwas zurück zu bekommen.

„Espen musste etwas Schlimmes gemacht haben, dass Mutter sie vergessen hat. Natürlich hat sie etwas Unentschuldbares getan, wie sonst könnte diese wunderschöne Frau ihr Kind missachten.“

Beim lesen bekommt man aus ihrer Sicht einen guten Einblick in unsere Gesellschaft, was ziemlich erschreckend ist, weil es einfach der Wahrheit entspricht. Wie immer geht es um Macht, ob in der Politik, Beziehung oder Freundschaft. Um Manipulation und außerdem um Zugehörigkeit, denn wer sich nicht an die Regeln hält, wird ausgestoßen, auch wenn man sagt man würde jeden so annehmen wie er ist.
Zwischen den normalen Kapiteln gibt es auch welche mit der Überschrift ‚Die Stimme’, die einen nachdenklich stimmen. Es ist manchmal schwer zu beurteilen von wem die Stimmen stammen, doch waren die kurzen Texte zum Teil wirklich bewegend und abwechslungsreich. Es gibt nun mal viele Stimmen, auf die man hören könnte, doch sollte man für sich selber entscheiden ob man es auch möchte.

„Schrei nicht gegen die Welt, suche nicht bei Menschen. Suche meine Stimme, suche mich. Und ich werde dir geben. Kein Mann kann dir deine Unversehrtheit wiederbringen, kein Mensch dich heilen. Wenn du aus deinem blinden Blick emportaumelst und ihn bittest, erfährst du, dass er dir nichts geben kann.“

Es ist schön und emotional Espen zu begleiten, zusehen wie sie sich entwickelt und sich trotz der vielen Tiefschläge und Enttäuschungen wieder ins Leben kämpft.

Fazit:

Ein besonderes Buch, das weit weg von der üblichen Masse steht. Anspruchs - und niveauvoll, berührend, sprachgewaltig und tiefgründig.
Werde mir noch gewiss den ersten Roman der Autorin zulegen.

Veröffentlicht am 09.10.2017

Emotionaler Roman

Zeit ihres Lebens
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Nadja Panou führt mit ihrer 13jährigen Tochter, dem 12jährigen Sohn und ihrem Lebensgefährten zwar nicht das perfekte und stressfreie Leben, das sie sich wünscht, doch ist sie zufrieden. Als sie erfährt, ...

Nadja Panou führt mit ihrer 13jährigen Tochter, dem 12jährigen Sohn und ihrem Lebensgefährten zwar nicht das perfekte und stressfreie Leben, das sie sich wünscht, doch ist sie zufrieden. Als sie erfährt, dass sie mit 35 Jahren noch einmal schwanger geworden ist und dazu auch noch mit Zwillingen, freut sich die ganze Familie darauf. Die finanziellen Sorgen werden durch Laurenz’ Beförderung geringer, sie finden eine schönere, größere Wohnung und das Leben könnte eigentlich nicht besser verlaufen. Bis eines Tages das Schlimmste passiert, das sich Eltern nur vorstellen können. Wie soll eine Mutter den Weg zurück ins Leben finden?

„Der Tod steht jetzt manchmal mit ihr im Raum und lockt. Und er sieht nicht abstoßend aus, ist nicht der düstere Mann mit der scharfen Sense. Er sieht freundlich aus.“

Meine Meinung:
Sabine Schabicki hat es geschafft mich mit ‚Zeit ihres Lebens’ dermaßen zu berühren, dass mir über Seiten hinweg die Tränen flossen. Musste mich sogar einmal dazu zwingen das Buch zur Seite zu legen, um den Tränenfluss zu stoppen. Als Leser leidet und fühlt man mit, immerhin geht es um ein Thema an das die meisten Eltern verständlicherweise gar nicht erst denken möchten, aber einige haben es sogar vielleicht schon selber erlebt. Obwohl ich keine Kinder habe und auch nicht schwanger bin, konnte ich, als wäre ich selbst betroffen, diesen Schmerz fühlen, den Nadja bei dem Verlust der Kinder verspürt. Ich kam mir hilflos vor einfach nur zu lesen, nicht helfen zu können. Es ist unglaublich, wie die Autorin es schafft, das Thema so gefühlvoll zu beschreiben, man spürt die Emotionen bis in die Fußspitzen und leidet geradezu mit der ganzen Familie.
Es ist so realistisch, glaubwürdig, detailliert und vor allem authentisch erzählt, man versteht Nadja in jeder Situation, jeder Gedanke von ihr ergibt Sinn. Nach diesem Schicksalsschlag gibt es für sie nicht vieles, das sie aus ihrem lethargischen Zustand herausholen kann. Sie durchlebt alle Phasen der Trauer und Laurenz versucht ihr Kraft zu geben, doch Nadja verschließt sich, weiß, dass er nicht in der Lage ist die gleiche Trauer wie sie zu verspüren. Und dieser weiß nicht, wie er Nadja zurück ins Leben befördern soll. Trotz der großen Liebe zwischen ihnen und dem zusammenleben gehen sie immer mehr auf Abstand, können ihre Gefühle nur schwer in Worte fassen.
Mit dem schönem, ruhigem Cover, auf dem wiederkehrende Zugvögel abgebildet sind, verbinde ich das weiterleben. Es ist in Ordnung sich dem Schmerz hinzugeben, versuchen mit der Trauer allein fertig zu werden, doch muss man sich auch bemühen wieder ins Leben zu finden. Es gibt immer jemanden oder etwas, für das es sich zu leben lohnt und es gibt immer Menschen, die versuchen die größte Hilfe für einen zu sein, man darf nicht einfach aufgeben sondern muss, wie die Zugvögel eben auch, wiederkommen. Man sollte das Positive nicht aus den Augen verlieren.

Fazit:
Ein bewegendes und glaubwürdiges Buch, das mich sicher auch ein zweites oder drittes Mal zu Tränen rühren würde und das mich immer noch beschäftigt. Ich bin der Meinung, dass Sabine Schabicki die richtigen Worte für den Schmerz des Verlustes gefunden hat.
Würde es jedem weiter empfehlen, denn obwohl ich sensibel bin und es emotional sehr schwer zu verkraften war, so bereue ich keineswegs das Buch gelesen zu haben. 5 verdiente Sterne.