Platzhalter für Profilbild

Madamebiscuit15

Lesejury Profi
offline

Madamebiscuit15 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Madamebiscuit15 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.04.2025

Kluger Einblick in eine Ehe

Es geht mir gut
0

Es ist der erste Sonntag im November und Kathleen beschließt nicht mit ihrer Familie in den Gottesdienst zu gehen, sondern stattdessen den Tag im Pool der Wohnanlage zu verbringen. Und damit ist sprichwörtlich ...

Es ist der erste Sonntag im November und Kathleen beschließt nicht mit ihrer Familie in den Gottesdienst zu gehen, sondern stattdessen den Tag im Pool der Wohnanlage zu verbringen. Und damit ist sprichwörtlich der gesamte Tag gemeint. Virgil, ihr Mann, dagegen geht den normalen Sonntagsbeschäftigungen nach und wird zusehends nervöser und irritierter über das Verhalten seiner Frau.
„Ist wirklich alles in Ordnung, Liebes?“ […] „Es geht mir gut“, sagte sie. S. 5
Diese Konversation taucht im Laufe des Tages immer wieder auf und ist nur zu verständlich, fehlt ihm doch die Innenschau Kathleens, in deren Genuss wir Lesenden kommen.
Es ist ein dünnes Büchlein, das perfekt für jetzige sonnige Wochenende geeignet ist. Denn es wirft uns so unmittelbar in die Ehe der beiden in den 1960igern in den USA, dass es sich wunderbar in einem Rutsch weglesen lässt. Jessica Anthony benötigt keine ausschweifende Sprache um die zwischenmenschlichen Verhältnisse zu veranschaulichen. Immer mehr erfahren wir im Lauf der Rückblicke über die gemeinsame Beziehung und die jeweilige Sicht auf ihre Ehe und die moralischen Werte der beiden. Abwechselnd begleiten wir Kathleen im Pool und Virgil beim Golf in ihren Gedankengängen. Wie stehen sie zum Thema „Fremdgehen“, wie nehmen sie ihr Gegenüber wahr, was denken sie über ihre Paarbeziehung?
Gerade Kathleen zeigt für mich eine faszinierende Stärke. Sie ist vermeintlich eine typische Hausfrau ihrer Zeit, doch im Verlauf der Handlung zeigt sich ihr starker Wille und ihr Weg des stillen Aufbegehrens auf überraschende Weise.

Für mich war es ein kurzweiliges und kluges Lesevergnügen über zwischenmenschlichen Themen und die Ehe, dass ich Euch gerne empfehle.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.03.2025

Über Mütter und Töchter und dem Wunsch es richtig zu machen

Die Summe unserer Teile
0

Dies ist die Familiengeschichte von Lyudmila, der Großmutter, Daria, der Mutter und Lucy, der Enkel-Tochter. Alle drei sind Akademikerinnen und die ersten beiden haben versucht Kind und Karriere zu vereinen. ...

Dies ist die Familiengeschichte von Lyudmila, der Großmutter, Daria, der Mutter und Lucy, der Enkel-Tochter. Alle drei sind Akademikerinnen und die ersten beiden haben versucht Kind und Karriere zu vereinen.
Lucy ist 2014 23 Jahre und spricht seit drei Jahren nicht mehr mit ihrer Mutter, sie wohnt in Berlin und als Daria ihr kommentarlos ihren alten Flügel schickt, bricht Lucy aus. Sie fährt spontan nach Sopot in Polen und begibt sich auf die Spuren ihrer Großmutter, die in diesem Land geboren wurde.
Die Autorin wechselt zwischen den drei Frauen immer wieder in der Erzählperspektive und schafft dadurch Nähe und Verständnis für jede der drei. Das hat mir unheimlich gut gefallen, denn oft erschienen mir, aus der Tochterperspektive, die Handlungen der Mütter hart oder unverständlich und dann kam die Mutterperspektive und konnte mich plötzlich einfühlen und vieles nachvollziehen lassen.
Lyudmila und Daria sind zwei starke Frauen, die innerhalb ihrer Zeit und gesellschaftlichen Gegebenheiten ein glaubwürdiges Beispiel darstellen, was es bedeutet hat beides zu wollen, Kind und Beruf. Dabei gewährt uns die Autorin durch Lyudmila Einblick in den Libanon ab Mitte der 1940ger und Daria findet ihren Weg im München der 1980/90ger.
Es ist ein Roman der leisen Töne, vieles schwingt zwischen den Zeilen mit und wirkt erst im Nachklang so richtig. Er schafft Verständnis für diese einzigartige Beziehung zwischen Mutter und Tochter und zeigt auf, wie schwer es sein kann, es als Mutter "richtig" zu machen. Denn diese Bindung existiert nie nur im Privaten, sondern wird immer mit der Realität im Äußeren konfrontiert.
Für mich ein gelungenes und lesenswertes Debüt, dem ich viele Leser:innen wünsche.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.03.2025

Wichtiges Buch, schonungslos und sehr gut

Erdbeeren und Zigarettenqualm
0

Das Cover suggeriert Leichtigkeit und Unbeschwertheit, in Kombination mit Freundinnenschaft. Doch schon der Klappentext belehrt mich eines Besseren, denn es geht um noch viel mehr.
Die Autorin nimmt uns ...

Das Cover suggeriert Leichtigkeit und Unbeschwertheit, in Kombination mit Freundinnenschaft. Doch schon der Klappentext belehrt mich eines Besseren, denn es geht um noch viel mehr.
Die Autorin nimmt uns mit in die Phase des Erwachsenwerdens als heutige Frau und zeigt dabei ungeschönt auch die Schattenseiten dieser Altersspanne und des Frauseins auf.
Zuerst scheint das Leben der namenlosen Ich-Erzählerin relativ normal zu verlaufen. Unileben, Parties und eine enge Freundinnenschaft zu ihrer Mitbewohnerin Ella, ließen mich mühelos eintauchen in die Geschichte und nur zu gut konnte ich vieles nachfühlen.
Doch dann bekommt die Prota die Diagnose Endomitriose und damit wird ihr Leben auf den Kopf gestellt. Zwar bleibt Ella auch die folgenden Jahre immer an ihrer Seite, doch diese Krankheit überschattet alles und für die Hauptfigur entwickelt sich ihr Leben in einer Abwärtsspirale, die sie häufig selbst befeuert. Es ist nicht leicht an diesen Stellen immer Verständnis für die Protagonistin aufzubringen. Zu sehr möchte ich sie schütteln, um ihr klar zu machen, dass sie sich nur selbst schadet und Menschen wegstößt, die ihr helfen wollen.
Doch gleichzeitig kann ich mir, zum Glück, nicht vorstellen, was es heißt mit dieser Krankheit leben zu müssen. Auch wenn es in diesem Debüt um mehr als "nur" Endomitriose geht, ist es für mich der essenzielle Punkt des Romans, der ihn so wichtigmacht. Hier fehlen immer noch die Aufmerksamkeit und das Verständnis innerhalb der Gesellschaft für dieses Leiden und leider auch Wissen im medizinischen Umfeld.
Zusätzlich hervorheben möchte ich noch den ungewöhnlichen Schreibstil in der zweiten Person Singular. Durch diese quasi direkte Ansprache schafft Madeline Docherty eine zusätzliche Nähe zu mir als Leserin, was mir gut gefallen hat.

Abschließend gibt es von mir eine klare Leseempfehlung für dieses schonungslose Debüt, bei dem mich auch das Ende überzeugen konnte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.03.2025

Gelungene niveauvolle Unterhaltung auf einer Zugfahrt

In einem Zug
0

Eine Zugfahrt von Wien nach München führt zu einer ungeplanten Bekanntschaft zwischen dem Roman Autor Eduard Brünhofer und der Theratpeutin Catrin Meyr. Schnell werden die Gespräche persönlich und intim ...

Eine Zugfahrt von Wien nach München führt zu einer ungeplanten Bekanntschaft zwischen dem Roman Autor Eduard Brünhofer und der Theratpeutin Catrin Meyr. Schnell werden die Gespräche persönlich und intim und wir werden Teil dieses Kammerspiels auf einem Vierersitz.
Handlungstechnisch ist damit bereits alles gesagt, nicht aber inhaltlich. Es ist ein dialoglastiger Roman, der die Charaktere über die Liebe und Beziehungsvorstellungen philosophieren lässt. Zusätzlich angereichert wird das Gespräch durch die Gedanken Eduards, die seine Aussagen häufig noch in einen größeren Zusammenhang setzen und seiner Figur mehr Tiefe verleihen.
Das Ende habe ich zwar nicht in Gänze so erwartet, aber doch relativ bald einen Twist vermutet, der für mich so auch gelungen war.
Sprachlich war es für mich eine große Freude diesen Text zu lesen. Daniel Glattauer schreibt niveauvoll und pointiert über seine Protagonist:innen, macht sie menschlich in ihren Aussagen. Darüber hinaus ist es psychologisch und gesellschaftlich treffend beobachtet und der Widererkennungswert aus dem eigenen persönlichen Umfeld ist hoch.
Insofern kann ich Euch diese kurzweilige Geschichte nur empfehlen. Es macht Spaß sie zu lesen und am Ende das Buch mit einem zufriedenen Lächeln schließen zu können.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 11.03.2025

Schockierend, unbequem und sehr wichtig

Das Lieben danach
0

Wie verändert eine sexualisierte Gewalterfahrung in der Kindheit das gesamte Leben der betroffenen Person?
Ich kann es mir zum Glück nicht vorstellen, aber dank dem Buch von Helene Bracht habe ich inzwischen ...

Wie verändert eine sexualisierte Gewalterfahrung in der Kindheit das gesamte Leben der betroffenen Person?
Ich kann es mir zum Glück nicht vorstellen, aber dank dem Buch von Helene Bracht habe ich inzwischen eine Ahnung. Die Autorin schreibt hier über ihre Kindheit und die über mehrere Jahre stattfindende Gewalterfahrung. Dies stellt aber „nur“ den Ausgangspunkt dar, um zu veranschaulichen und zu erklären, wie sie anschließend weiterleben konnte und musste.
„Die Bilder dazu liegen in der Asservatenkammer meiner Erinnerung, verstaubt und unauffällig direkt neben anderen Szenen meiner Kinderzeit.“ S.29
In einer absolut klaren und schonungslosen Schreibweise erzählt sie dabei nicht nur aus ihrer Biographie, sondern verbindet ihr Einzelschicksal mit vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Sachinformationen zu diesem Thema. Dies stellt für mich eine große Besonderheit dieses Werks dar. Zum einen erschüttert und schockiert mich ihre persönliche Geschichte immer wieder total und zum anderen schafft sie es mit dieser Kombination einen universellen Zusammenhang herzustellen. Sie veranschaulicht an ihrem weiteren Lebens- und Liebensweg abgeklärt, warum sie nicht zu einer funktionierenden Beziehung fähig war. Welche gesellschaftlichen und zeitlichen Kontexte, wie beispielsweise die Phase der sexuellen Befreiung der Frau in den 60ger/70ger Jahren, ihr dabei in die Karten gespielt haben. Es geht um Scham und Trauma, strukturelle Bedingungen in Familie und Gesellschaft und auch darum, wie Betroffene selbst zu Täter:innen werden können.
Ein Buch, das nicht leicht zu lesen und zu gleich doch unglaublich wichtig ist. Von mir gibt es eine Empfehlung für alle, die sich mit diesem Themenkomplex auseinandersetzen können und wollen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere