Platzhalter für Profilbild

Madamebiscuit15

Lesejury Profi
offline

Madamebiscuit15 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Madamebiscuit15 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.09.2024

Berührend Geschichte, die betroffen macht

Wünschen
0

„Ich glaube halt, Liebesgeschichten wie unsere haben grundsätzlich nicht die Tendenz zu Happy Ends“ S. 271

Allein dieser Satz geht einem bereits nahe. Wie furchtbar ist es wohl in eine Beziehung zu starten ...

„Ich glaube halt, Liebesgeschichten wie unsere haben grundsätzlich nicht die Tendenz zu Happy Ends“ S. 271

Allein dieser Satz geht einem bereits nahe. Wie furchtbar ist es wohl in eine Beziehung zu starten und gleichzeitig diese Überzeugung im Hinterkopf zu haben?!

Allerdings ist es nicht die Aussage von Obiefuna, dem jungen Protagonisten dieses Romans, denn er ist ganz anders.
Ich lerne ihn als unschuldigen, teilweise kindlich-naiven Jungen kennen, der mir sofort ans Herz wächst.
Als sein Vater einen anderen Teenager als Mitarbeiter für seinen Laden mit nach Hause bringt, ist keinem klar, was für eine schicksalhafte Begegnung das darstellt.
Denn die Familie lebt in den 2010er Jahren in Nigeria und amouröse Gefühle unter Gleichgeschlechtlichen sind untersagt und werden gesellschaftlich geächtet.
Insofern bleibt seinem Vater keine Wahl und er steckt ihn ein autoritäres Jungeninternat.

Hier wird Obiefuna erwachsen, lernt durch brutale Erfahrungen das „Prinzip des Stärkeren“ kennen und vor allem seine sexuelle Orientierung zu verstecken.
Der Autor veranschaulicht in seinem Werk diese Machtstrukturen in zwischenmenschlichen Beziehungen und Gesellschaften, ohne dabei zu explizit ins Detail gehen zu müssen. Die Beklemmung und Unterdrückung wird auch so spürbar.
Gleichzeitig schreibt er sehr zart und empfindsam über Emotionen zwischen den Charakteren und macht so ein Mitfühlen mühelos möglich.

Eine große Rolle in Obiefunas Leben spielt seine Mutter, der Chukwuebuka Ibeh den zweiten Handlungsstrang widmet. Auch sie veranschaulicht durch ihr Verhalten gesellschaftliche Normen des Landes und zeigt, wie schwer es ist sich dagegen aufzulehnen.

Für mich war es eine sehr berührende Lektüre, die mich bezüglich der herrschenden Realität in Nigeria betroffen zurückgelassen hat. Die Figure Obiefuna kam mir dabei sehr nahe und ich bewundere sie für ihre Kraft und ihre unverwüstliche Stärke.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.09.2024

packend erzählt, wirft aktuelle Fragen auf

Der Geruch des Paradieses
0

Es geht um Peri, in ihren 30gern, wohnhaft in Istanbul und auf dem Weg zu einer Dinnerparty der High Society, als sie überfallen wird. Dabei fällt ihr ein Foto aus Studienzeiten in Oxford in die Hände ...

Es geht um Peri, in ihren 30gern, wohnhaft in Istanbul und auf dem Weg zu einer Dinnerparty der High Society, als sie überfallen wird. Dabei fällt ihr ein Foto aus Studienzeiten in Oxford in die Hände und weckt Erinnerungen.
Der Roman spielt somit auf zwei Zeitebenen, zum einen 2016 bei der Party und zum anderen in Peris Erinnerung an ihre Kindheit und besonders an ihre Zeit in England. Was der Autorin dabei meisterhaft gelingt ist die Vielzahl an gewichtigen Themen, die sie hier mühelos mit der Handlung verwebt. Peris gesamte Biographie, bis hin zur aktuellen Abendveranstaltung, veranschaulicht greifbar, was es heißt im kulturellen Kontext der Türkei aufzuwachsen und zu leben. Wie sehr die Frage des Glaubens oder der Säkularität ganze Familien prägt und entzweit. Wie (möglicherweise) die Ansicht der türkischen Oberschicht zur EU und der Demokratie aussieht.
„Demokratie ist reiner Luxus, wie Beluga-Kaviar, und genau das ist das Problem […] Einen solchen Luxus kann sich der Nahe Osten nämlich nicht leisten.“ S. 206/207
Auch wenn die Geschichte bereits vor acht Jahren veröffentlicht wurde, bin ich immer wieder über die Aktualität der Aussagen gestolpert. Und was mich noch mehr zum Nachdenken gebracht hat, war die universelle Gültigkeit, die dahintersteckt.
„Was Sie da von sich geben, klingt nach reiner Paranoia […] Europäer, Westler, Russen, Araber … Wenn Sie diese Leute kennen würden – nicht als Kategorie, sondern individuell -, würden Sie sehen, dass wir alle einen Körper und eine Seele besitzen und mehr oder weniger gleich sind.“ S. 409
Auch Peris Auseinandersetzung mit Glaubensfragen, ihre Zweifel und der Besuch eines ungewöhnlichen Seminares zum Thema „Gott“, empfand ich als einen sehr bereichernden Teil des Romans. Es geht Elif Shafak hier nicht darum zu belehren, sondern sie schafft es diesen Fragen Raum zu geben und sie aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten.
Abgerundet wird dieses Werk von ihr einmal mehr durch ihren wunderbaren literarischen Schreibstil, den ich einfach zu gerne lese.
Von mir eine große Leseempfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.09.2024

Absolut lesenswert

Service
0

Das schillernde Restaurant T. zieht die junge Kellnerin Hannah in seinen Bann. Glamourös, ein toller Verdienst, ein eingeschworenes Team und der hoch angesehene Chefkoch Daniel, der hinter den Kulissen ...

Das schillernde Restaurant T. zieht die junge Kellnerin Hannah in seinen Bann. Glamourös, ein toller Verdienst, ein eingeschworenes Team und der hoch angesehene Chefkoch Daniel, der hinter den Kulissen den Ton angibt. Schnell wird sie ein Teil davon und akzeptiert den Sexismus und die verbalen Erniedrigungen der Kellnerinnen, weil es eben dazu gehört. Doch dann gibt es diesen einen Abend, nachdem die Gäste gegangen waren, das Team ausufernd feiert und der für Hannah alles verändert.
10 Jahre später wird Daniel von einer Kellnerin des sexuellen Missbrauchs angeklagt. Ob er ihn wirklich begangen hat?

Sarah Gilmartin schreibt fesselnd und psychologisch scharfsinnig. Innerhalb weniger Zeilen war ich in die Gastrowelt abgetaucht und konnte das Buch nicht mehr zur Seite legen. Dabei wird die Geschichte nicht nur aus Hannahs, sondern auch aus Daniels und der Perspektive seiner Frau Julie erzählt. Für mich ein absolut gelungener Kniff, der dem Roman noch mehr Tiefe und Substanz verleiht. Anhand aller drei Protas verdeutlicht die Autorin plastisch unsere gesellschaftlichen Erwartungshaltungen. Egal, ob die althergebrachten, patriarchalen oder die sich etablierenden, feministischen und wie tief gerade die gestrigen Ansichten auch in uns Frauen immer noch verankert sind.

„Bin ich dir jemals so vorgekommen, als müsste ich Frauen zum Sex zwingen?“ S. 205
Dieses Buch hat mich in vielen Momenten wütend gemacht, weil die Aussagen darin so treffend und wahr sind. Es offenbart mit einer erschreckenden Leichtigkeit, wie sehr wir gewillt sind, uns selbst zu belügen, um den Schein zu wahren und was für schreckliche Folgen das für uns hat. Aber es zeigt auch auf, dass wir nicht machtlos sind.
Von mir gibt es eine 100% Leseempfehlung für alle.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.09.2024

Jeder nimmt das Leben anders wahr

Ein anderes Leben
0

Wie objektiv sind unsere Erinnerung? Oder anders gefragt, wie sehr weichen die eigenen Erinnerungen von denen unseres Gegenüber ab, obwohl es um die selbe Situation geht?
An der Beerdigung ihres Vaters ...

Wie objektiv sind unsere Erinnerung? Oder anders gefragt, wie sehr weichen die eigenen Erinnerungen von denen unseres Gegenüber ab, obwohl es um die selbe Situation geht?
An der Beerdigung ihres Vaters Bow treffen die drei Schwestern aufeinander und schnell geht es maßgeblich um die bereits verstorbene Mutter Hanna. Wer war sie als Mutter und wer als Frau? Wie nahmen Lotta und Laura, die beiden größeren Schwestern ihr Familienleben und Hanna wahr, im Vergleich zur Ich-Erzählerin?
Die Handlung des Romans in der Echtzeit umfasst nur wenige Tage und wir Lesenden erfahren sie immer aus der Warte der jüngsten Schwester. Der weit größere Teil der Geschichte sind allerdings deren Erinnerungen über ihre Kindheit und ihre Mutter. Insofern lesen wir somit ihre Sicht der Dinge und lernen Hanna als Paradiesvogel kennen. Regeln und Normen unterwirft sie sich ungern und auch das behütende Mutterbild verkörpert sie eher selten. In vielen Momenten wirkte sie auf mich unkonventionell und ihrer Zeit voraus. Aber dann gibt es die dunklen Momente, in denen sie mit den gesellschaftlichen Erwartungen ringt und nicht immer gewinnt.
Die Autorin schafft hier ein sehr ehrliches und ungeschöntes Bild einer Frau, die es mit der Zeit schafft, ihren Weg zu gehen. Sie befreit sich von den Erwartungen anderer und stellt ihre Bedürfnisse vorne an, mit allen daraus resultierenden Konsequenzen.
Spannend empfand ich dabei, wie das Leben von Hanna von den drei Schwestern unterschiedlich aufgenommen und erlebt wurde. Denn immer, wenn die drei Schwestern ihre Erinnerungen übereinanderlegen, stellt sich die Frage, wer sich jetzt richtig erinnert. Das lässt mich auch als Leserin nachdenklich werden.
Der Schreibstil ist dabei locker, öfter auch humorvoll und gleichzeitig treffend in seinem Ausdruck. Es wird spürbar, wie sich das Leben für die Protagonistin angefühlt hat. Egal ob ihre Erinnerungen die gefühlte Wahrheit oder die tatsächliche Realität widerspiegeln.

Von mir gibt es eine Leseempfehlung für dieses Debüt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.09.2024

Zwei Frauen durch ein Ereignis verbunden

Zwei Leben
0

Roberta kehrt, nach ihrer Lehre, Anfang der 1970ger in ihr Dorf zurück. Zu sehr verwurzelt und verpflichtet fühlt sie sich ihren Eltern und dem Hof. Gertrud dagegen, die Mutter von ihrem Kindheitsfreund ...

Roberta kehrt, nach ihrer Lehre, Anfang der 1970ger in ihr Dorf zurück. Zu sehr verwurzelt und verpflichtet fühlt sie sich ihren Eltern und dem Hof. Gertrud dagegen, die Mutter von ihrem Kindheitsfreund Wilhelm, möchte schon seit Jahren zurück in die Stadt, sie wurde auf dem Land nie heimisch.

Ewald Arenz hat hier zwei weibliche Charakter gezeichnet, die mit den gesellschaftlichen Zwängen und Erwartungen hadern, sich fügen und doch so nicht glücklich werden können. Bis ein Ereignis alles verändert…

Es ist ein stimmungsvoller und bildhafter Roman, den der Autor hier geschrieben hat. Ich hatte mühelos das Dorf und die Felder vor Augen, konnte die Kartoffelfeuer riechen und hatte den Geschmack der Knieküchle auf der Zunge. Und gleichzeitig waren mir die Figuren von Beginn an nahe. Ihre Gedanken und Gefühle beschreibt Ewald Arenz so treffend, dass ein Nicht-Mitfühlen einfach nicht möglich ist. Für mich trifft er einfach genau den richtigen Ton, ohne ins Kitschige abzugleiten oder an anderen Stellen eine Sensibilität vermissen zu lassen. Besonders berührt hat mich auch Robertas Opa, seine Geschichte und die Beziehung zwischen ihm und seiner Enkelin.

„Zwei Leben“ ist eine Geschichte voller Menschlichkeit und Wärme, gepaart mit einem gelungenen Hauch Nostalgie bezüglich des Landlebens und für mich ein Lesevergnügen mit quasi allen Sinnen, so plastisch schreibt Ewald Arenz.

Es war einmal mehr einfach ein rundum schönes Lesevergnügen, dass ich Euch sehr gerne empfehle.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere