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Veröffentlicht am 27.02.2021

Der kürzeste Roman der zeitgenössischen lateinamerikanischen Literatur

Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt
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Der Oberst wohnt mit seiner kranken Frau und dem Kampfhahn seines ermordeten Sohnes in einem kleinen Haus in einem kleinen kolumbianischen Dorf. Seit 15 Jahren begibt er sich jeden Freitag zum Hafen um ...

Der Oberst wohnt mit seiner kranken Frau und dem Kampfhahn seines ermordeten Sohnes in einem kleinen Haus in einem kleinen kolumbianischen Dorf. Seit 15 Jahren begibt er sich jeden Freitag zum Hafen um auf die Post, die mit einer Barkasse ankommt, zu warten. Der erhoffte Brief der Regierung mit der Veteranenpension trifft jedoch niemals ein. Nur der Hahn, der in ein paar Monaten bei den Hahnenkämpfen viel Geld einbringen soll, hält den Oberst noch am Leben. Doch ist die Zeit ungnädig und der Hunger beißend und obwohl der Hahn von den jungen Leuten des Dorfes so gut versorgt wird, dass auch der Oberst und seine Frau vom mitgebrachten Mais essen können, wird der Verkauf unumgänglich. Für das Tier bietet der reiche Don Sabas 400 Pesos, obwohl der Hahn mindestens das doppelte Wert ist. Während eines Trainingskampfes wird dem Oberst bewusst, dass dieser Hahn für die jungen Menschen im Dorf ein Symbol der Hoffnung ist und er beschließt dem Hunger zu trotzen und bis zu den bevorstehenden Hahnenkämpfen durchzuhalten.

Meine Eindrücke

Diesen kürzesten Roman der zeitgenössischen lateinamerikanischen Literatur schreibt Gabriel García Márquez während seines Auslandaufenthaltes in Paris mit 29 Jahren. Zur damaligen Zeit ist Márquez Europaberichterstatter der kolumbianischen liberalen Tageszeitung „El Espectador“. Als die Zeitung auf Druck des Diktators Rojas Pinilla schließen muss und Márquez keinen Monatsscheck mehr erhält, erfährt er, was Hunger heißt. Aus dieser Situation heraus entsteht der Roman.

Auf knapp 110 Seiten erzählt er mit einer klaren, knappen Sprache die Geschichte des Obersts, der auf der falschen Seite der Revolution kämpfend als Verlierer in Armut sein Leben bestreitet. Seine kranke Frau, keine erotische feurige Südamerikanerin, fristet ihr Dasein an seiner Seite und hat harte Worte für ihn. Ich kann in ein Land und eine Zeit eintauchen, die beide so weit von meiner Gegenwart entfernt sind. Gefühle und Empfindungen, die ich während der Lektüre wahrnehme und Gedanken, die Márquez in meinem Kopf aufblühen lässt, sind ein meisterliches Beispiel dafür, dass es möglich ist, mit wenigen Worte dem Leser eine Möglichkeit zu geben, in seinem berührenden Roman zu leben. Mir wird Anhand des tragischen Helden klar, was es bedeutet, Glück im Leben zu haben und dass Ehre und Gerechtigkeit nicht immer für ein Essen auf dem Tisch sorgen.

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Veröffentlicht am 27.02.2021

Ein großer Roman über Kriegs- und Nachkriegszeit

Deutschstunde
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1943, an einem Freitag in April, bereitet Jens Ole Jepsen, der Polizeiposten der Außenstelle Rugbüll, der nördlichste Polizeiposten von Schleswig-Holstein, eine Dienstfahrt nach Bleekenwarf vor, um dem ...

1943, an einem Freitag in April, bereitet Jens Ole Jepsen, der Polizeiposten der Außenstelle Rugbüll, der nördlichste Polizeiposten von Schleswig-Holstein, eine Dienstfahrt nach Bleekenwarf vor, um dem Maler Max Ludwig Nansen ein in Berlin beschlossenes Malverbot zu überbringen. Jepsens Sohn Siegfried wird dem Maler helfen, seine Bilder zu retten. Doch das wird zu Obsession, auch nach dem Ende des Malverbotes behält Siggi ein krankhaftes Verlangen, Nansen Bilder zu retten. Da er damit eine Straftat begeht, wird er verurteilt und muss für ein paar Jahre in eine Besserungsanstalt für straffällige Jugendliche. Als er in der Deutschstunde den Aufsatz zum Thema „Die Freuden der Pflicht“ nicht abliefern kann, muss er als Strafe solange in einem festen Zimmer bleiben, von jeder Arbeit befreit und ohne jegliches Besuchsrecht, bis der Aufsatz fertig ist. So lässt Siggi die Geschehnisse noch einmal Revue passieren. Das Schreiben wird für ihn zur Vergangenheitsbewältigung und einmal angefangen, kann er nicht mehr aufhören, bis alles erzählt ist.

Meine Eindrücke

Wie Lenz es schafft so gekonnt scharf, unbiegsam und klar Menschen, Handlungen und Orte zu beschreiben ist einzigartig. Er nimmt sich Zeit dem Leser jede Romanfigur vorzustellen. So beschreibt er akribisch genau Gesicht- und Körpereigenheiten und auch Charaktereigenschaften, als Zusatz nur von manchen Episoden aus der Vergangenheit zum besseren Verständnis. Wahrscheinlich wirkt die geschriebene Sprache auf junge Leser fremd, auch ich musste einige Wörter googlen, nicht zuletzt, weil die Handlung in Norddeutschland spielt und es dort Sprachliches gibt, das mir als Südtirolerin nicht so geläufig sein kann. Die Romanhandlung selbst ist gewaltig. Durch Siggi werden Kriegs- und Nachkriegszeit erzählt, anschaulich, verständlich, erklärend, nüchtern, nicht anklagend aber keinesfalls entschuldigend. An manchen Stellen wirkt sie auf mich etwas langatmig, doch folgt darauf recht schnell eine unerwartete Wendung und ich verfolge die folgenden Szenen angespannt gebannt. Der Roman endet unerwartet positiv, das hat schon etwas Liebenswürdiges an sich und entlässt mich als Leserin behutsam, fast schon erleichternd, denn ich weiß, dass Siggi jetzt eine Chance auf einen Neuanfang hat.

Es gibt Romane, die man gelesen haben muss – oder sollte. Aber warum eigentlich? Wenn man eine Ahnung von der ganzen Bandbreite der erzählerischen Möglichkeiten hat und die Geschichte eines Romans mit seinen historischen Entwicklungen kennt, dann öffnet sich beim Lesen eine ganz eigene Welt, die den Sinn für Schönheit und Vollendung schärft und das Leben bereichert. Zu diese großen Romane, die dauerhaft geblieben sind, zähle ich auch Lenz' Deutschstunde.

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Veröffentlicht am 21.02.2021

Lesegenuss á la francaise

Wir sehen uns dort oben
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Es sind die letzten Tage des 1. Weltkrieges. Franzosen und Deutsche liegen sich gegenüber und warten auf das erlösende Kriegsende. Da schickt Leutnant d’Aulnay-Pradelle, letzter Spross einer verarmten ...

Es sind die letzten Tage des 1. Weltkrieges. Franzosen und Deutsche liegen sich gegenüber und warten auf das erlösende Kriegsende. Da schickt Leutnant d’Aulnay-Pradelle, letzter Spross einer verarmten Adelsfamilie, zwei Soldaten los den nördlichen Frontabschnitt zu erkunden. Als beide kurz darauf erschossen werden, beginnt ein letzter sinnloser Kampf, aus dem die Franzosen erfolgreich hervorgehen. Doch zwei Soldaten aus Pradelles Einheit, Albert Millard und Édouard Péricourt kommen Pradelles mörderischem Spiel auf die Schliche und geraten dadurch in Lebensgefahr. Beide können sich jedoch retten und sind von nun ab unzertrennlich.
In den Nachkriegsjahren heiratet Pradelle Édouards Schwester und steigt somit in die reichsten Pariser Kreise auf. Mit seinem verbrecherischen Geschäftssinn verdient er Millionen durch das Umbetten der gefallenen Soldaten, die er in viel zu kurze Holzsärge zwängt. Édouard und Albert hingegen verkaufen Kriegsdenkmäler, die Édouard als Zeichnungen anfertigt und für die stattliche Anzahlungen anfallen. Beide Schwindel werden auffliegen, mit gänzlich unterschiedlichen Ausgängen für die einzelnen Beteiligten.

Meine Eindrücke
Von der ersten Seite an zieht mich dieser Roman in seinen Bann. Es ist ein historischer Roman über den 1. Weltkrieg, aber nicht über das Kriegsgeschehen selbst, sondern vielmehr über das Leben danach. Es sind mehrere Geschichten in einem Roman, die Lemaitre gekonnt zuerst miteinander verbindet und dann entflechtet. Er erzählt von Albert und Édouard, von Leutnant Pradelle, einem korrupten gewissenlosen verarmten Adeligen, der nur eines will und zwar wieder ganz nach oben, gesellschaftlich und finanziell. Und er erzählt von Édouards Familie, die Pradelle für seine Zwecke gebraucht, die ihn aber schlussendlich vernichten wird. Vortrefflich sind die Charakterbeschreibungen der Romanfiguren, feinfühlig die Einblicke in das Leben jedes einzelnen, erklärend die Gründe für das Zusammenleben, alles harmonisch und nicht ohne sarkastische Pointen in einer große Lebenssymphonie zusammengefasst. Das ist ganz großer Lesegenuss, den Frankreich zu bieten hat.

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Veröffentlicht am 16.02.2021

Ein sehr gelungenes Jugendbuch

Warten auf Wind
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Das Verhältnis von Großvätern zu ihren Enkelkindern ist etwas ganz Besonderes. Da können Eltern nicht mithalten. Und so ist es auch in diesem Roman. Jeden Sommer verbringt Vinga bei ihrem Opa und sie kann ...

Das Verhältnis von Großvätern zu ihren Enkelkindern ist etwas ganz Besonderes. Da können Eltern nicht mithalten. Und so ist es auch in diesem Roman. Jeden Sommer verbringt Vinga bei ihrem Opa und sie kann es gar nicht abwarten, endlich der Stadt zu entkommen.
Es sind Schulferien und Vinga kommt wieder zu ihrem Opa auf die Insel. Dieses Mal will sie den ganzen Sommer bei ihm verbringen, denn es gibt die Sache mit dem Boot - der Schnigge. Sie ist ein Geschenk und sie kann es kaum glauben, so überwältigt fühlt sie sich! Und wie es sich gehört, muss die Schnigge erst mal seetauglich gemacht - da gibt es allerhand zu tun. Eine Aufgabe in der Vinga vollkommen aufgeht und die ihr über die Trennung ihrer Eltern hinweghilft. Doch da taucht plötzlich Rut auf und mit ihr wird alles anders.
Oskar Kroon hat mit diesem Buch einen Volltreffer gelandet. Er greift hochsensibel das Thema der Trennung von Eltern auf, erzählt liebevoll über den Opa und lässt Vinga diesen Sommer auf der Insel mit der Schnigge und Rut eine Verwandlung durchleben, die sie für immer prägen wird. Das sind alles die richtigen Zutaten für ein Jugendbuch. Dem Schriftsteller ist hier eine spannende, mitreißende und altersgerechte Geschichte gelungen.

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