Ein großer Roman über Kriegs- und Nachkriegszeit
1943, an einem Freitag in April, bereitet Jens Ole Jepsen, der Polizeiposten der Außenstelle Rugbüll, der nördlichste Polizeiposten von Schleswig-Holstein, eine Dienstfahrt nach Bleekenwarf vor, um dem ...
1943, an einem Freitag in April, bereitet Jens Ole Jepsen, der Polizeiposten der Außenstelle Rugbüll, der nördlichste Polizeiposten von Schleswig-Holstein, eine Dienstfahrt nach Bleekenwarf vor, um dem Maler Max Ludwig Nansen ein in Berlin beschlossenes Malverbot zu überbringen. Jepsens Sohn Siegfried wird dem Maler helfen, seine Bilder zu retten. Doch das wird zu Obsession, auch nach dem Ende des Malverbotes behält Siggi ein krankhaftes Verlangen, Nansen Bilder zu retten. Da er damit eine Straftat begeht, wird er verurteilt und muss für ein paar Jahre in eine Besserungsanstalt für straffällige Jugendliche. Als er in der Deutschstunde den Aufsatz zum Thema „Die Freuden der Pflicht“ nicht abliefern kann, muss er als Strafe solange in einem festen Zimmer bleiben, von jeder Arbeit befreit und ohne jegliches Besuchsrecht, bis der Aufsatz fertig ist. So lässt Siggi die Geschehnisse noch einmal Revue passieren. Das Schreiben wird für ihn zur Vergangenheitsbewältigung und einmal angefangen, kann er nicht mehr aufhören, bis alles erzählt ist.
Meine Eindrücke
Wie Lenz es schafft so gekonnt scharf, unbiegsam und klar Menschen, Handlungen und Orte zu beschreiben ist einzigartig. Er nimmt sich Zeit dem Leser jede Romanfigur vorzustellen. So beschreibt er akribisch genau Gesicht- und Körpereigenheiten und auch Charaktereigenschaften, als Zusatz nur von manchen Episoden aus der Vergangenheit zum besseren Verständnis. Wahrscheinlich wirkt die geschriebene Sprache auf junge Leser fremd, auch ich musste einige Wörter googlen, nicht zuletzt, weil die Handlung in Norddeutschland spielt und es dort Sprachliches gibt, das mir als Südtirolerin nicht so geläufig sein kann. Die Romanhandlung selbst ist gewaltig. Durch Siggi werden Kriegs- und Nachkriegszeit erzählt, anschaulich, verständlich, erklärend, nüchtern, nicht anklagend aber keinesfalls entschuldigend. An manchen Stellen wirkt sie auf mich etwas langatmig, doch folgt darauf recht schnell eine unerwartete Wendung und ich verfolge die folgenden Szenen angespannt gebannt. Der Roman endet unerwartet positiv, das hat schon etwas Liebenswürdiges an sich und entlässt mich als Leserin behutsam, fast schon erleichternd, denn ich weiß, dass Siggi jetzt eine Chance auf einen Neuanfang hat.
Es gibt Romane, die man gelesen haben muss – oder sollte. Aber warum eigentlich? Wenn man eine Ahnung von der ganzen Bandbreite der erzählerischen Möglichkeiten hat und die Geschichte eines Romans mit seinen historischen Entwicklungen kennt, dann öffnet sich beim Lesen eine ganz eigene Welt, die den Sinn für Schönheit und Vollendung schärft und das Leben bereichert. Zu diese großen Romane, die dauerhaft geblieben sind, zähle ich auch Lenz' Deutschstunde.