Ein zauberhaftes Buch über den Tod und die Würde, damit umzugehen
Oben Erde, unten HimmelSuzu lebt in einer japanischen Großstadt nach dem Motto Leben und leben lassen. Intimitäten überfordern sie, selten gibt sie etwas von sich preis oder ist neugierig auf die Geheimnisse anderer. Als sie ...
Suzu lebt in einer japanischen Großstadt nach dem Motto Leben und leben lassen. Intimitäten überfordern sie, selten gibt sie etwas von sich preis oder ist neugierig auf die Geheimnisse anderer. Als sie ihre Stelle als Kellnerin in einer Familienrestaurantkette aufgrund fehlendem Liebreiz und Charme verliert, muss sie sich einen neuen Job suchen und findet sich bei einem Vorstellungstermin zusammen im Büro des Herr Sakais wieder. Dieser führt mit zwei Angestellten eine Firma, die sich auf Kodokushi spezialisiert hat.
Als Leichenfundortreiniger trägt Suzu nun mit ihrem Chef und ihren Kollegen Sorge dafür, dass aus Fundorten wieder Orte werden. Sie bringt sozusagen jemandes Dinge in Ordnung, die er selber, da er nun nicht mehr da ist, nicht tun kann.
Meine persönlichen Leseeindrücke
Kudokushi, zu Deutsch in etwa „der einsame Tod“, ist in den Randbezirken Tokios Alltag und steht für das Sterben, das niemand bemerkt. Kudokushi ist ein düsteres und nicht rein japanisches Phänomen und eine Konsequenz der sozialen Vereinsamung. Milena Michiko Flašar hat darüber einen liebevollen, aufrichtigen Roman geschrieben, der durch seinen Optimismus und feinen Humor besticht.
Hätte Herr Sakai nicht relativ früh seinen Auftritt gehabt, mit seiner direkten herzlichen Art, aber auch mit der richtigen Strenge eines Firmeninhabers, der seine Mitarbeiter anfeuert, leitet und fördert – auch im privaten Umfeld, wäre ich wahrscheinlich nicht diesem besonderen Reiz des Buches erlegen, denn auf den ersten Seiten begleite ich Suzu, die ein recht einsames und düsteres Leben führt. Ihm spreche ich die tragende Rolle in diesem Roman zu, er trägt sein Herz auf dem rechten Fleck und ist imstande, Suzu und Takada, die beide wie in einer Blase eingekapselt und sozial isoliert leben, durch Mitgefühl sich gegenseitig und den Menschen zu öffnen. Unter seiner einfühlsamen und gleichzeitig strengen Führung verändern beide ihre Weltwahrnehmung, erkennen nicht nur die Würde des Menschen bis über seinen Tod hinaus, sondern den Wert zu Lebzeiten aufeinander zuzugehen und Interesse an dem Nächsten zu zeigen. Er lehrt sie eine Lebensschule, in der Respekt, Würde und Liebe zum eigenen Glück führen.
Wie die Journalistin Annemarie Stoltenberg in ihrem Beitrag auf NDR Kultur treffend formuliert, schreibt Milena Michiko Flašar mit Witz, Würde und Anmut.
Fazit
Mit ihrem Roman „Oben Erde, unten Himmel“ beschreibt Milena Michiko Flašar das Phänomen des einsamen Todes in einer der würdevollsten und liebevollsten Weise, die ich bis jetzt gelesen habe. Sie widmet sich diesem Thema mit Nonchalance und zaubert mit ihrem Optimismus und feinem Humor einen lebensbejahenden Roman.
Es geht darum, etwas für einen Toten zu tun, was man sonst nur für einen Lebenden tut.