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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.10.2024

Slawisch inspirierte Fantasy

Tage einer Hexe
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Kosara ist eine eher mittelmäßige Hexe, die sich in der düsteren Stadt Chernograd durchs Leben schlägt - was besonders in den zwölf Tagen nach Neujahr gefährlich ist, wenn eine Armee an Monstern über den ...

Kosara ist eine eher mittelmäßige Hexe, die sich in der düsteren Stadt Chernograd durchs Leben schlägt - was besonders in den zwölf Tagen nach Neujahr gefährlich ist, wenn eine Armee an Monstern über den Ort herfällt und es besonderer Magie und Talismane bedarf, um die finsteren Nächte zu überleben. Eines dieser Monster (der Zmey) ist das gefährlichste von allen und hegt zudem noch einen persönlichen Groll gegen Kosara. Um dem Zmey zu entkommen, tauscht die Hexe ihren Schatten gegen eine Fluchtmöglichkeit in die Nachbarstadt Belograd - ein heller, lichtdurchfluteter und reicher Ort, in dem die Menschen in geradezu dekadentem Luxus schwelgen, getrennt von Chernograd durch eine fast unüberwindbare magische Mauer. In den Straßen von Belograd stolpert Kosara auf der Suche nach ihrem Schatten über ein grausames Verbrechen und muss mit der Unterstützung eines aufrechten Polizeikommandanten nach dem Dieb und Mörder jagen - bevor die Schattenkrankheit sie innerhalb weniger Tage tötet ...

Der bulgarischen Autorin Genoveva Dimova ist mit ihrem auf Englisch verfassten Romandebüt gleich ein verblüffend innovativer Geniestreich geglückt, dessen faszinierende Welt den Leser sofort in ihren Bann schlägt. Eine intelligente Mischung aus urbaner Fantasy, einem Hauch Steampunk und düsterem Mysterykrimi, die vor allem von ihren unverkennbar in der slawischen Folklore verankerten Wurzeln profitiert und auf fesselnde Weise ein Panoptikum aus mythischen Wesen und albtraumhaften Sagengestalten vom Balkan mit einer Zwei-Klassen-Gesellschaft verwebt, die mal mehr und mal weniger subtil auch auf gesellschaftliche und politische Missstände in unserer aktuellen Welt und Zeit hinweist. Dabei hebt Dimova nie belehrend den Zeigefinger, sondern stellt mit ihrer Protagonistin Kosara eine Figur in den Mittelpunkt, die weder moralisch perfekt noch magisch hochbegabt einen Durchschnitt verkörpert, der in einer Ära der Superhelden und Powerfrauen erfrischend normal wirkt.

Dass sich derartiges Lesefutter dann auch noch ausnehmend unterhaltsam an wenigen Abenden vorm Kamin verschlingen lässt, ist dann noch das Sahnehäubchen auf einem einzigartigen Fantasy-Debüt. Der zweite (und letzte) Teil der Reihe darf also gern kommen!

Zur deutschen Ausgabe aber dennoch ein Wort: Zwar hat Klett-Cotta mal wieder keinerlei Kosten und Mühen gescheut, um aus "Tage einer Hexe" eine wunderschöne Hardcover-Ausgabe (toll mit Goldfolie und farbigem Buchschnitt!) herauszuholen und hat auch anderweitig wieder bewiesen, dass ihre Verlagsauswahl exquisit wie immer ins Ziel trifft - aber den einen Stern Abzug holt sich hier leider die etwas lieblose Übersetzung, die gleich im zweiten Absatz mit falsch gesetzten Kommata einen im Deutschen ohnehin schon etwas gestelzten Satz unnötig sinnentstellt ("Die Gäste saßen dicht gedrängt, Schulter an Schulter, hoben sie die Gläser.") Danach fängt sich der Stil zwar ein wenig, wirkt aber an vielen Stellen immer noch seltsam hakelig, manchmal flapsig und oft emotional völlig unberührt, so dass sich der Lesesog der englischen Fassung hier nur schwer einstellt. Das ist schade, und ich hoffe, dass man sich beim zweiten Band wieder ein bisschen mehr auf Qualitätskontrolle verlässt, um die einzigartige Stimmung der von Dimova so perfekt kreierten Welt auch angemessen herüberzubringen.

Wer sich von diesem Schönheitsfehler nicht abschrecken lässt und vollumfänglich in diese Leseerfahrung eintaucht, wird jedoch mit einem der erstaunlichsten und fantasievollsten Romandebüt seit Jahren belohnt. Also traut euch!

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Veröffentlicht am 11.10.2024

Große historische Fantasy

Verborgene Fabelwesen der Meere
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Eines vorweg: Die Aufmachung von "Verborgene Fabelwesen der Meere" ist schlichtweg atemberaubend (und dabei wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass dies natürlich ein wichtiger Teil der Verlagsphilosophie ...

Eines vorweg: Die Aufmachung von "Verborgene Fabelwesen der Meere" ist schlichtweg atemberaubend (und dabei wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass dies natürlich ein wichtiger Teil der Verlagsphilosophie von arsEdition ist). Ein wunderschönes zweifarbiges Hardcover, mit geprägtem Silberaufdruck auf edlem Blau, dazu ein Sonderformat, dass man sonst nur von hochwertigen Kunstbildbänden kennt, machen das Buch schon von außen zum idealen Coffee-Table-Dekostück.

Die Gestaltung setzt sich innen qualitativ nahtlos fort - Florian Schäfers fantasievolle Fortsetzung von "Fast verschwundene Fabelwesen" begleitet erneut den Mythozoologen Konstantin O. Boldt im 19. Jahrhundert auf einer unglaublichen Reise in eine Welt voller legendenhafter Kreaturen, diesmal unter der Meeresoberfläche. Seine Abenteuer werden in Schrift und Bild festgehalten, in Tagebucheinträgen formuliert, aber auch mittels alter Karten, detaillierter Zeichnungen und authentisch zurechtgemachter Berichte dokumentiert, die in ihrer Gesamtheit eine fantastische Alternativwelt-Geschichte in einer Vergangenheit erzählen, die unserer zwar historisch weitgehend ähnlich ist, aber durchsetzt ist von den Wesen und Kreaturen aus Mythen und Legenden, mit denen die Menschheit inzwischen gelernt hat, zu koexistieren. Ein Fake-Geschichtsatlas, wenn man so will, aber was für einer: Irgendwo zwischen Jules Verne und modernem Steampunk fabuliert Schäfer, immer in enger Kooperation mit seiner Ausnahmegrafikerin Elif Siebenpfeiffer, von aufregenden Abenteuern auf einer Reise in die letzten unerforschten Winkel der Erde.

Das wirkt aufgrund der gesamten Gestaltung der Erzählung so unfassbar lebendig und bis ins kleinste Detail authentisch, dass man sich als Leser immer wieder dabei erwischt, einfach nur im Buch zu blättern und fasziniert alte Zeitungsausschnitte oder Briefe zu studieren, um immer tiefer in die Geschichte abzutauchen. Eine ganzheitliche Erfahrung, die aus einer schon brillanten Grundidee einen immersiven Trip macht, den man sich wieder und wieder wünscht - bitte mehr davon!

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Veröffentlicht am 23.09.2024

Entschleunigung für alle

Spellshop
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Eins vorweg: Cozy Fantasy, momentan (und sowieso spätestens seit Travis Baldrees "Legends & Lattes") einer der heißesten Trends auf dem Buchmarkt, ist Eskapismus pur, ein Subgenre innerhalb einer literarischen ...

Eins vorweg: Cozy Fantasy, momentan (und sowieso spätestens seit Travis Baldrees "Legends & Lattes") einer der heißesten Trends auf dem Buchmarkt, ist Eskapismus pur, ein Subgenre innerhalb einer literarischen Gattung, die ohnehin schon ihre Leser in fremde und wundervolle Welten entführt. Natürlich ist dieser Trend kein völlig neuer, da auch in der Vergangenheit viele Fantasy-Autoren schon auf Elemente idyllischer Verklärung und Found-Family-Tropes gesetzt haben (etwa Terry Brooks' völlig unterschätzte Landover-Saga) und selbst ein bissiger Humorist wie Pratchett mit seinen Scheibenwelt-Romanen eine ähnliche Herangehensweise nutzte, auch wenn er sie nahezu durchgehend ins Absurde übersteigerte.

Den letzten Anstoß für die aktuelle Beliebtheit des Genres lieferten dann tatsächlich andere Medien, die schon länger mit der Sehnsucht nach Entschleunigung experimentieren und damit bereits wichtige Impulse für das medienübergreifende Phänomen Cottagecore lieferten: Vorreiter waren Videospiele wie das knuffige "Stardew Valley" oder das aus Deutschland stammende "Dorf-Romantik" sowie eine Vielzahl an Mangas und Animes, die mit Serien wie "Spice & Wolf" oder "Laid Back Camp" das sogenannte Slice-of-Life-Genre erst so richtig etablierten. Und natürlich war da auch der literarische Vorreiter Cozy Crime/Cozy Mystery, der nie wirklich aus der Mode kam und vieles von dem vorgemacht hat, was seinen kleinen Fantasy-Bruder auszeichnet: die Idylle einer dörflichen Gemeinschaft, ein vertrauter Alltag, der durch Ereignisse in der Regel nur leicht aus dem Tritt gebracht wird, und ein generell niedriger Konfliktlevel, der schwerwiegende Probleme und existentielle Dramatik weitgehend ausspart.

Mit anderen Worten: Nein, Cozy Fantasy ist nicht zwangsläufig "langweilig".
Cozy Fantasy ist Zen.
Cozy Fantasy ist ein bisschen Meditation.
Cozy Fantasy ist Entschleunigung.
Also keine Angst, das muss so!

Und hier kommt Sarah Beth Durst ins Spiel: "Spellshop" ist die Quintessenz gemütlicher Cozy Fantasy. Kiela ist eine grundsympathische Protagonistin, die nur für ihre Bücher lebt, den Unruhen eines Aufstandes in der Hauptstadt entflieht und zurück auf der heimatlichen kleinen Insel landet, der sie einst entfliehen wollte. Caz ist ihr Sidekick - eine wandelnde Topfpflanze (okay, eigentlich ein Spinnenkraut) mit einigen Neurosen und sehr unterhaltsamen Sprüchen. Und dann ist da noch Larran, der Seepferdzüchter von nebenan. Damit beginnt ein wunderbar entspanntes Abenteuer für Kiela, die erst einmal das alte Haus und den Garten auf Vordermann bringen muss, bevor sie sich ans Marmelade-Kochen und ähnlich beruhigende Tätigkeiten machen kann.

Klingt nicht sehr spannend? Ist es aber. "Spellshop" ist Comfort Food, das Leibgericht in der rustikalen Landküche, die heiße Tasse Kakao vorm gemütlichen Kamin, der laue Sommerabend auf der Terrasse. Zwar kommen später durchaus einige Probleme auf Liera und Caz zu, aber nichts davon ist so bedrohlich, dass es den Leser aus der vertrauten Kuschligkeit herausreißen könnte. Ein gewollter Effekt in diesem Genre, und selbst für Skeptiker eine Erfahrung, die man durchaus mal machen sollte, bevor man sich wieder dem nächsten Thriller zuwendet.

Neben Travis Baldree, T.J. Klune, Sangu Mandanna, Lydia Kang und Rebecca Thorne behauptet sich auch Sarah Beth Durst locker im Spitzenfeld der Cozy-Fantasy-Autoren - mit locker-leichter Schreibe, sympathischen Charakteren und einer großen Portion an idyllischer Wohlfühlatmosphäre ist "Spellshop" die ideale Einstiegsdroge ins Genre: für jung und alt, für gestresste Großstädter und ruhesuchende Urlauber, für Gelegenheitsliteraten und Fantasy-verrückte Vielleser. Entschleunigung für alle. Unbedingt ausprobieren!

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Veröffentlicht am 08.09.2024

Der absolute Goldstandard!

Ich fürchte, Ihr habt Drachen
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Peter S. Beagle ist der Letzte einer aussterbenden Art von Fantasyautoren - ein Sprachkünstler, der eben keine drei bis acht Bände einer Fantasyreihe braucht, um seinen Protagonisten Gewicht zu verleihen. ...

Peter S. Beagle ist der Letzte einer aussterbenden Art von Fantasyautoren - ein Sprachkünstler, der eben keine drei bis acht Bände einer Fantasyreihe braucht, um seinen Protagonisten Gewicht zu verleihen. Im Gegenteil: Auf gerade mal 300 Seiten erschafft er eine Welt, die noch lange im Gedächtnis bleibt, ein sprachlich makelloses Epos, dessen Figuren so prägnant und ausgeformt sind, dass der Leser innerhalb weniger Seiten in ein Universum eingesogen wird, das seinesgleichen sucht. Das war natürlich schon im "Letzten Einhorn" der Fall, jenem Werk , das ihm Weltruhm eingebracht hat, nicht zuletzt aufgrund seiner kongenialen Zeichentrickverfilmung.

Aber selbst 50 Jahre später bleibt Beagle der Goldstandard unter den aktuellen Fantasy-Schreibern - er ist letztendlich der klassisch gebildete Schriftsteller, für den Fantasy nur ein weiterer Tummelort ist, um seine Fantasien in sprachliche Bilder umzusetzen. Er ist einer der wenigen, die bereits kurz nach Tolkien das Genre für sich entdeckt haben, und ähnlich wie seine zeitgenössischen Kollegen (Michael Ende, Ursula K. LeGuin, Michael Moorcock) ist das Genre an sich fast bedeutungslos und nur eine Ablassader für überbordende Schreiblust und großartiges Talent. Auch "Ich fürchte, Ihr habt Drachen" ist, auf sich selbst reduziert, nur eine kleine Geschichte in einer märchenhaften Welt, aber Beagle macht aus seiner recht knuffigen Prämisse keine moderne Meta-Fabel, sondern bleibt dem klassischen Erzählschema so treu, dass man sich wünscht, die Geschichte möge niemals enden. Eine wunderbar altmodische Rückkehr zu den Wurzeln der Fantasy, geschrieben von einem, der es wissen muss wie kein zweiter. Ein absoluter Home Run für den Klett-Cotta-Verlag!

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Veröffentlicht am 18.08.2024

Thriller-Nachschlag

Signum
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Nach den Geschehnissen rund um das Mittsommerparty-Massaker im letztjährigen Auftaktband geht es in "Signum" nun endlich weiter mit den Hauptfiguren. Während Astrid die Vergangenheit zu verarbeiten versucht, ...

Nach den Geschehnissen rund um das Mittsommerparty-Massaker im letztjährigen Auftaktband geht es in "Signum" nun endlich weiter mit den Hauptfiguren. Während Astrid die Vergangenheit zu verarbeiten versucht, hat Kim schon seine ganz eigene Methode dafür gefunden und hält seinen ehemaligen Doktor, den Peiniger seiner Kindheit, in Gefangenschaft. Julia taucht währenddessen tiefer in die Recherchen zu einem neuen Roman ein und kommt einer rechtsextremen Bewegung gefährlich nahe.

Ja, idealerweise sollte man "Refugium", den ersten Band der Mittsommer-Trilogie, gelesen haben, um "Signum" in all seinen Details zu schätzen, aber nötig ist das aufgrund gut eingeflochtener Verweise nicht unbedingt. Leider gilt aber auch für die Fortsetzung der vielzitierte Grundsatz, dass man nicht jeden Erfolg wiederholen können wird. Kommerziell gesehen gilt das vielleicht weniger (da habe ich bei den Auflagenzahlen Lindqvists keine Angst), aber qualitativ lässt "Signum" tatsächlich etwas nach, weil dem Sequel der rote Faden des Originals fehlt, in dem ein monströses Verbrechen den Auslöser für eine ganze Reihe von Handlungsebenen bildete. Hier dagegen ist man mehr mit Reflexion beschäftigt, mit alten Wunden und persönlichen Dingen - die sind für sich gesehen durchaus auch nicht uninteressant, denn Lindqvists Trumpfkarte waren und sind seine realistischen Figuren (selbst wenn sie so offensichtlich von Stieg Larssons Millennium-Erfolg inspiriert sind), und jemandem wie Kim folgt man auch einfach gern durch die Story, aber als Leser des ersten Teils erfährt man wenig Neues aus der Gedankenwelt der geliebten Charaktere. Das ist schade und mindert den Lesespaß, auch aufgrund mangelnder großer Actionsequenzen und der reduzierten Schauplatzwechsel. Dennoch: Immer noch ein "guter" Thriller und für Leser des ersten Bandes auf jeden Fall lohnenswert - vielleicht haben wir hier ja nur ein vorübergehendes Formtief auf dem Wege zu einem umso grandioseren Finale in Teil 3!

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