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Veröffentlicht am 29.04.2023

Dramatisch, hoffnungslos, erschütternd

Mit zitternden Händen
2

„Beeilen Sie sich, verdammt noch mal… Er stirbt.“ Der Anrufer ist total verstört, weint heftig, er kann nicht genau beschreiben, wo er sich befindet, wohin die Rettung kommen soll. Mit viel Einfühlungsvermögen ...

„Beeilen Sie sich, verdammt noch mal… Er stirbt.“ Der Anrufer ist total verstört, weint heftig, er kann nicht genau beschreiben, wo er sich befindet, wohin die Rettung kommen soll. Mit viel Einfühlungsvermögen gelingt es dann doch, die richtige Stelle zu orten.

Billy und Dogge kennen sich seit langer Zeit, seit ihrer Kindheit auf dem Spielplatz. Auch wenn ihr familiärer Hintergrund nicht unterschiedlicher sein könnte, so sind sie doch Freunde. Billy entstammt einer Einwandererfamilie, die Eltern von Douglas, Dogge genannt, sind gut situiert und auch wenn diese ihrem Kind finanziell alles bieten können, so bleibt die Wärme und die Geborgenheit auf der Strecke. Billy dagegen wächst voller Liebe und Fürsorge auf und doch lassen sich die beiden noch nicht strafmündigen Jungen in einen Sog aus Kriminalität hineinziehen, angelockt durch Geld und jederzeit verfügbaren Drogen. Sie schauen voller Achtung auf Mehdi, der sie das Schießen lehrt, der sie gerne für Raubzüge einsetzt, der lange Arm des Gesetzes reicht für die beiden Kinder noch nicht, sie können wegen ihres jungen Alters nicht belangt werden. Doch irgendwann will Billy aussteigen, seine Mutter steht hinter ihm…

Alles beginnt, als der Schuss bereits gefallen ist. Es scheint so, als ob er seinen Freund erschossen hat und doch bleibt der Todesschütze nebulös. In Rückblicken erfahre ich von den beiden Jungen, wie sie sich kennenlernen, wie sie ticken und wie sie sich immer mehr in Straftaten verstricken, ihr vermeintlicher Mentor benutzt sie nur zu gerne für seine Zwecke.

In wechselnden Perspektiven erhalte ich immer mehr Einblick in das Handeln und die Denkweise der einzelnen Akteure, die Geschichte wird schrittweise aufgebaut. Das charakteristische der Figuren wird zunehmend sichtbar, der einmal in Gang gesetzte und irgendwann nicht mehr zu stoppende Prozess hin zur Tat scheint gar nicht anders möglich zu sein, zu weit haben sie alle sich vorgewagt, sich in kriminelle Machenschaften verfangen.

Was ist Recht, was ich Gerechtigkeit. Da wird ein Ladenbesitzer über Jahre terrorisiert, er wendet sich nicht nur einmal an die Behörden und stößt stets auf taube Ohren. Es wird gar nicht oder zu spät reagiert, das Rechtssystem wird regelrecht vorgeführt. Es erschüttert, wohin ein junges Leben führen kann. Man trifft die falschen Leute, vertraut denen und deren Versprechen, lässt sich nur zu leicht blenden, ein Entkommen ist schier unmöglich.

„Mit zitternden Händen“ zeichnet ein düsteres Bild, die Charaktere sind bis auf die Eltern von Dogge allesamt glaubhaft dargestellt. Diese jedoch waren leider zu klischeehaft als reiche, dem Nachwuchs gegenüber ignorante, dem Alkohol und Drogen zugewandte, feierfreudige Emporkömmlinge ohne jegliches Gewissen beschrieben, was mich äußerst irritiert hat. Dies jedoch ist mein einziger Kritikpunkt in der ansonsten überzeugenden Story.

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Veröffentlicht am 26.04.2023

Stimmige Milieustudie

Das Café ohne Namen
2

Im „Café ohne Namen“ werden Geschichten erzählt und einige davon hat Robert Seethaler in besagtem Café, das eigentlich gar keines ist, aufgeschrieben. Hier gehen ganz normale Menschen ein und aus, sie ...

Im „Café ohne Namen“ werden Geschichten erzählt und einige davon hat Robert Seethaler in besagtem Café, das eigentlich gar keines ist, aufgeschrieben. Hier gehen ganz normale Menschen ein und aus, sie unterhalten sich, trinken was, auch so manches Mal über den Durst. Und sie machen Brotzeit, Jause wird das wohl in Wien genannt.

Wir schreiben das Jahr 1966, es ist schon eine ganze Weile her. In Wien treffen wir auf Robert Simon, den Gelegenheitsarbeiter auf dem Karmelitermarkt. Er wohnt zur Untermiete bei einer Witwe und greift zu, als ihm eine Gastwirtschaft angeboten wird. Sein Café, wie er es nennt, hat Zulauf vom ganzen Viertel. Es gibt nicht allzu viel, Bier und Wein und auch alkoholfreie Getränke reichen vollkommen aus, daneben schmiert er Schmalzbrote mit und ohne Zwiebel, auch die eingelegten Salzgurken gehen gut und im Winter kann er nicht genug Punsch einkochen, das Rezept hat ihm die Witwe verraten.

Irgendwann verirrt sich Mila auf der Suche nach Arbeit hierher, so mache Gestalt hält Ausschau nach Liebschaften und Jascha, die immer noch von Tito schwärmt, will eine Taube retten. René, der Ringkämpfer, wird Stammgast und der Fleischer von gegenüber, der schon wieder Nachwuchs bekommt, beklagt diesen Umstand einmal mehr. Der alte Georg wird in seinem Suff Zeuge, wie die Reichsbrücke mit einem gewaltigen Rumms einstürzt, um nur einiges aufzuzählen – ein buntes Völkchen trifft sich hier.

Wien erholt sich vom Krieg, der mittlerweile zwanzig Jahre vorbei ist und wir treffen auf Menschen voller Sehnsucht. Es herrscht Aufbruchstimmung. Robert Seethaler gibt seinen Figuren all das mit, was das Leben ausmacht. Sie sind mit ihren Sorgen, aber auch mit ihrem Lebensmut greifbar. Er ist ein exzellenter Geschichtenerzähler. Sein unaufgeregter Erzählstil vermittelt ein stimmiges Gesamtbild, eine Melange aus all den Schicksalen, aus all den Charakteren, die im „Café ohne Namen“ aufeinandertreffen.

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Veröffentlicht am 26.04.2023

Fakt oder Fiktion?

Erinnere dich!
2

Was geht hier vor? Manipulation? Oder doch eher ein Anstoß, endlich das längst Vergangene, das tief Vergrabene an die Oberfläche zu lassen? „Erinnere dich!“ Ein Psychothriller, der einen zuweilen den Atem ...

Was geht hier vor? Manipulation? Oder doch eher ein Anstoß, endlich das längst Vergangene, das tief Vergrabene an die Oberfläche zu lassen? „Erinnere dich!“ Ein Psychothriller, der einen zuweilen den Atem stocken lässt!

Ein Abi-Treffen steht an und Arno Seitz, Dozent an einer Uni in Berlin, zieht es eher nicht zu seinen ehemaligen Kommilitonen. Er fährt dann trotzdem und trifft seine damaligen Freunde wieder. Zu viert waren sie meist unterwegs, so auch bei einer Wanderung, bei der Maja verschwand. Zwanzig Jahre sind seitdem vergangen, Majas Schicksal ist ungeklärt.

Ein durch und durch perfides Spiel nimmt seinen Anfang, als Arno aus der Post ein Handy fischt, das er bald wieder vergisst. Und dann ertönt als voreingestellter Klingelton „When the saints go marching in“ – Lost & Found ruft an. Er nimmt ab. „Erinnere dich!“ sagt die Stimme, Majas Stimme.

Es sind sehr beklemmende Szenen und ich frage mich nicht nur einmal: Warum wirft Arno dieses vermaledeite Handy nicht einfach weg? In ein tiefes Gewässer damit, die Person, die sich hinter Lost & Found verbirgt, zwingt ihn zurück in die Vergangenheit. Maja war seine Freundin und bald stellt er alles, was zwischen ihnen war, in Frage. Hat er Schlimmes verdrängt? Oder was genau bezweckt diese Unbekannte hinter Majas Stimme?

Zunächst nimmt Max Reiter seine Leser mit an die Uni und sein Edgar-Allan-Poe-Seminar, lässt an seiner gerade zu Ende gehenden Fernbeziehung teilhaben, das erste Drittel des Thrillers ist dazu da, Arno und sein jetziges Leben kennenzulernen. Schon interessant, aber diese Etappe hätte durchaus kürzer sein können.

Doch je weiter ich lese, desto mehr werde ich in das diabolische Spiel hineingesaugt. Und auch für Arno ist es wie ein Sog, dem er sich nicht mehr entziehen kann, zu tief ist er schon drin. Hat diese Person, diese Telefonstimme, lange, viel zu lange geschwiegen und will endlich Klarheit, will die Wahrheit aus ihm herauskitzeln? Will sie ihm schaden, ihn in einen Abgrund führen, ihm suggerieren, dass er ein Mörder ist? Sind es tief verborgene Erinnerungen oder wird er geschickt manipuliert? Arno weiß es selbst nicht mehr, seine Selbstzweifel nehmen zu. Und er meint, sich zu erinnern - an längst verschüttete Ereignisse, die er erfolgreich verdrängt hat.

Nach dem für meinen Geschmack zu gemächlichen Anfang nimmt die Story Fahrt auf, ein teuflisches Psychospiel nimmt seinen Lauf. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, keiner ist so ganz durchschaubar. Lediglich eine Nebenhandlung um einen jungen Studenten ist ein wenig drüber, diese Story in der Story hätte der Autor gerne weglassen können, auch wenn er sie geschickt ins Geschehen hineinmanövriert.

Ein Psychospiel. Verstörend, perfide, nach anfänglichen Längen gut und dicht erzählt.

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Veröffentlicht am 26.04.2023

Magie und Mystik zwischen Leben und Tod

Als wir Vögel waren
2

„Als wir Vögel waren“ ist der erste Roman aus der Feder von Ayanna Lloyd Banwo - ihre Wurzeln sind in Trinidad. Auch wenn sie seit kurzem in London lebt, so bleibt sie ihrer Heimat verbunden. Die vielschichtig ...

„Als wir Vögel waren“ ist der erste Roman aus der Feder von Ayanna Lloyd Banwo - ihre Wurzeln sind in Trinidad. Auch wenn sie seit kurzem in London lebt, so bleibt sie ihrer Heimat verbunden. Die vielschichtig angelegte Erzählung ist Leben und Tod, ist Magie und Phantasie.

Yejides geliebte Großmutter verzaubert sie schon als Kind mit geheimnisumwobenen Geschichten und dieses Mystische, verstandesmäßig nicht sofort Fassbare, schlängelt sich immer mal wieder dazwischen. „Als ich klein war, hat meine Granny oft eine Geschichte über sprechende Tiere und einen großen Krieg erzählt. In der Geschichte wird die Welt durch den Tod zerrissen, die Lebenden schaffen es nicht mehr, die Toten aufzuwiegeln. Da verwandeln sich die Vögel der alten Zeit in Corbeaux – Aasvögel – und vertilgen die Toten. Das Gleichgewicht ist wiederhergestellt…“

Um viele, um verschiedene Arten von Liebe geht es, auch und vor allem um Darwin und Yejide, zwei junge Außenseiter. Port Angeles auf Trinidad ist ihre Heimat, ihrer beider Leben könnte unterschiedlicher nicht sein und es dauert eine ganze Weile, bis sie sich begegnen.

„Emmanuel (Darwin) ist er. Ein Name, der auf ihrer Zunge süß und schwer klingt.“ „Sag nicht Ma´am zu mir, sag Yejide.“

Es ist eine leise Geschichte. Man meint, dass nicht viel passiert und doch geschieht eine ganze Menge. Emmanuel, der sich Darwin nennen lässt, lebt in ärmlichen Verhältnissen mit seiner Mutter, die von seiner Arbeit in Fidelis nichts wissen will. Und auch er schämt sich, hier arbeiten zu müssen, aber die Schlange der Arbeitssuchenden ist lang, zu lang. Er, der bis soeben ein Rastafari war, verwandelt sich auch äußerlich, schneidet sich die Haare und die Vergangenheit radikal ab. Er ist nun Totengräber und mit ihm gehe ich abends, bevor er das Tor zusperrt, über den Friedhof, auch um keinen einzuschließen.

Die zweite Hauptakteurin hier ist Yejide. Sie ist umgeben von starken Frauen. Vor allem die Verbindung zu ihrer Großmutter war von Liebe und absolutem Vertrauen geprägt. Und auch ihre Mutter, die eher kühle Distanz ausstrahlt, gibt ihr Ratschläge wie diesen: „Lauf. Nimm deinen Mann, nimm dich und lauf. Sollen die Toten die Toten begraben.“

Man sollte sich Zeit gönnen, sich in Ruhe der Geschichte widmen. Der Umgang mit dem Tod ist in einer uns eher fremden Kultur ein anderer, es ranken sich viele Mythen um ihn. „Alle Geistergeschichten sind Liebesgeschichten…“ so lese ich im Nachwort und nachdem ich dieses Buch zugeklappt habe, verstehe ich diese Aussage, vorher wäre ich eher verwirrt gewesen.

Es ist eine magische Liebesgeschichte und noch mehr… Über das Leben und Sterben, den Überlebenskampf, mit zuweilen nicht immer ganz legalen Mitteln, erzählt die Autorin in einer bildhaften, gut lesbaren Sprache, in einem gemächlichen Tempo. Magisch und mystisch angehaucht.

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Veröffentlicht am 25.04.2023

Rache!

Diabolisch
2

Jonas Wagner hat nach „Böse“ mit „Diabolisch“ wieder einen Thriller vorgelegt, der an Spannung kaum zu toppen ist.

Schon das Cover ist beklemmend, deutet es doch auf eine Enge, ein Eingesperrtsein hin, ...

Jonas Wagner hat nach „Böse“ mit „Diabolisch“ wieder einen Thriller vorgelegt, der an Spannung kaum zu toppen ist.

Schon das Cover ist beklemmend, deutet es doch auf eine Enge, ein Eingesperrtsein hin, alles in einem blauen Licht beleuchtet und die ersten Seiten nehmen diese Stimmung direkt auf: „Liebes Tagebuch, Alex ist nicht heimgekommen…“. Wir schreiben das Jahr 1995, es sind die tollen Tage im Februar.

Jahre später sitzt die Tochter am Krankenbett ihrer Mutter. Mit letzter Kraft flüstert diese: „Ich verzeihe dir, hörst du“. „Ja, aber ich verzeihe dir nicht“ kommt es von der Tochter zurück. Was dieser kurze Dialog zu bedeuten hat, warum die beiden Aussagen über allem schweben, wird bald deutlich, auch wenn sich mir die ganze Tragweite dahinter erst ziemlich dem Ende zu erschließt.

Die kurzen Abschnitte wechseln vom Gestern ins Heute, dazwischen lese ich Tagebucheinträge, geschrieben von der damals 7jährigen Lotte, sie ist die Schwester von Alex. Eigentlich sollte ihr Vater sie abholen, aber er hatte anderes zu tun und so sind die beiden Kinder auf sich alleine gestellt. Es ist kalt, es dämmert schon und kein Auto hält an…

Siebenundzwanzig Jahre danach: Polizeioberkommissarin Larissa Flaucher ermittelt in einem mysteriösen Fall von Kindesentführung, das ein grausames Verbrechen nach sich zieht. Aber nicht genug damit, weitere fürchterlich zugerichtete Tote werden aufgefunden, alle sind sie keines natürlichen Todes gestorben. Was ist hier los in diesem kleinen Dorf Holzhausen? Ein ganzes Ermittlerteam mietet sich vor Ort ein und doch scheint es, dass der unbekannte Mörder sein Unwesen ungehindert fortsetzen kann. Natürlich ist die Presse immer zugegen, sie schreibt vom Killerkaff.

Die Rückblenden lassen Schlüsse auf die jetzigen Morde zu und bald meint man, die Zusammenhänge zu sehen. Das, was damals geschah, fließt unweigerlich in die jetzigen Taten mit ein. Jonas Wagner verwebt geschickt die losen Fäden, lässt hinter die Kulissen blicken. Aber nur so viel wie unbedingt nötig. Es bleiben Fragen offen, des Rätsels Lösung erschließt sich ziemlich spät. Rache ist das Motiv, das alles überlagert, das Jahrzehnte überdauert. Der Autor lässt tief blicken, er zeigt so manch teuflische Seite seiner Charaktere aufs Anschaulichste.

„Diabolisch“ ist Spannung pur ab Seite eins. Ein Thriller, den ich wieder mal am Stück konsumiert habe, ein Weglegen war nicht möglich. Ein perfides Spiel, das gekonnt die menschlichen Abgründe inmitten einer vermeintlichen Dorfidylle durchleuchtet. Eine gut durchdachte Story, absolut fesselnd erzählt.

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