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Veröffentlicht am 08.09.2022

Ein Leben voller Anekdoten

Kerl aus Koks
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Das, was Onkel Hans ihm zu sagen hat, hat es in sich: „Die Dame hier ist deine Mutter. Sie ist gekommen, um dich mitzunehmen.“ Den Münchner Wursthimmel lässt er hinter sich, es geht auf direktem Wege ...

Das, was Onkel Hans ihm zu sagen hat, hat es in sich: „Die Dame hier ist deine Mutter. Sie ist gekommen, um dich mitzunehmen.“ Den Münchner Wursthimmel lässt er hinter sich, es geht auf direktem Wege nach Dortmund zu den Kumpels.

In fünf Staffeln erzählt Michael Brandner alias Paul Brenner sein bisheriges Leben. Wobei mir die erste Etappe von 1952 bis zum Jahre 1965 am besten gefallen hat. Hier ist er Kind und erzählt seine Geschichte aus Kindersicht. Ein Roman mit biographischen Zügen ist es, was ich hier lese und der kleine Paul hat es mir sofort angetan. Seine ewig unzufriedene und nörgelnde Mutter, die immer etwas Besseres sein will und dies sich auch für Paul wünscht, ist treffend skizziert. Helmut, der zwar sein angeheirateter Stiefvater ist, ist ein Goldschatz, einen besseren Vater hätte Paul sich nicht wünschen können. Ewig hätte ich so weiterlesen können, ich hab mich wohlgefühlt trotz der nicht einfachen Mutter.

Und dann wird Paul flügge, strebt immer mehr dem Erwachsenwerden zu. Er wird einberufen, der Wehrdienst ist noch Pflicht. Und schon hat er ein Problem – die Haare müssen rappelkurz sein, aber ohne ihn! Gewitzt, wie er nun mal ist, legt er sich ne Perücke zu und kommt fast durch. Fast! Die „Schleifer“ kennen keine Gnade, nicht jedem gefällt das. Hier wird der Ton ernster, nachdenklicher.

Er ist ein kluges Köpfchen und doch hat er es nicht so sehr mit dem Lernen, die Welt wartet. Und mit ihr all die Verlockungen, die alle – wirklich alle – ausprobiert werden wollen. Seien es die Trips nach Amsterdam mit all ihren Coffeeshops, überhaupt die Drogen. Und natürlich – wie könnte es anders sein – steht die holde Weiblichkeit Schlange. Eine nach der anderen will vernascht werden, manchmal geht es etwas wilder und durcheinander zu. Ein richtiger Teufelskerl ist Paul! Dazwischen blitzt das gesellschaftliche und politische Zeitgeschehen durch, auch viele Bekannt- und Berühmtheiten werden erwähnt. Er sagt irgendwann von sich selbst, er sei ein Allroundstümper. Sowas gefällt mir schon, es ist ja auch was Wahres dran, wenn ich dem Gelesenen nachspüre.

Ein Leben der Extreme ist zeitweise Dauerzustand, es wiederholt sich alles, auch wenn die Gespielinnen und zuweilen die Örtlichkeiten wechseln. Auch wenn es durchweg unterhaltsam ist, so ist hier mein Interesse ziemlich auf dem Nullpunkt angelangt. Irgendwann kommt er dann an, er wird doch noch sowas wie häuslich, auch wenn ein Schauspieler viel unterwegs ist.

Der „Kerl aus Koks“ hat mir als Lausbub am meisten zusagt. Das Titelbild zeigt einen so liebenswerten kleinen Mann, dem der Schalk direkt aus den Augen blitzt. Die fast wahre Geschichte von demjenigen, dessen Konterfei in „Hubert mit und ohne Staller“ als Dauerbrenner allgegenwärtig ist, ist ausgelesen. Paul hat nichts ausgelassen. Nach seiner Kindheit ist seine Geschichte zu breit gewalzt worden, die Exzesse waren im Endeffekt ähnlich. Das hat dem ganzen „fabulösen Roman“ dann doch geschadet.

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Veröffentlicht am 04.09.2022

Grenzüberschreitungen

SCHNEE
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Salvör. Der Name sagt ihm nichts. Vaters Haus ist verkauft und von den neuen Besitzern hat er einen erdverkrusteten Kinderschuh bekommen, der gerade noch lesbare Namen war in einen winzigen Stoffstreifen ...

Salvör. Der Name sagt ihm nichts. Vaters Haus ist verkauft und von den neuen Besitzern hat er einen erdverkrusteten Kinderschuh bekommen, der gerade noch lesbare Namen war in einen winzigen Stoffstreifen eingestickt. Genau so, wie die Mutter ihre Sachen gekennzeichnet hatte. Sie haben ihn bei Grabungsarbeiten im Garten gefunden. Dieser Kinderschuh zieht sich wie ein unsichtbarer rosa Faden durch die vielschichtige Geschichte, das Hauptaugenmerk liegt jedoch eher auf dem Suchtrupp, welcher nach einer verschollenen Gruppe unerfahrener Wanderer sucht. Begleitet wird dieser Bodentrupp aus der Luft, das hierfür eingesetzte Flugzeug tankt zwischendurch auf der Radarstation der Küstenwache auf. Diese Station ist mit zwei Mitarbeitern besetzt - hier geschehen seltsame Dinge, auch wenn nur einer der beiden damit konfrontiert ist. Oder sind das eher Halluzinationen? Sollte er das – vermeintlich – Gehörte und Gesehene für sich behalten?

Ich hatte schon Anlaufschwierigkeiten. Es begann eher als Erzählung, als ein Kennenlernen der einzelnen Charaktere, wobei sie alle angenehm und sympathisch rüberkamen. Alle - bis auf die Tourengeher, diese waren eher abgehoben, ihren Anführer konnte ich am wenigsten einschätzen, von ihm wurde nicht viel erzählt, er blieb durchweg nebulös.

Die Handlung wird einmal aus Sicht der Tourengeher erzählt, dazwischen erfahre ich von der Suche nach ihnen eine Woche später. Zum Suchtrupp gesellen sich neben den Polizisten auch Freiwillige und jene, die als Experten hierfür angereist sind. Die Beschreibung des isländischen Hochlands in all seiner Weite und Einsamkeit, weit und breit keine menschliche Spur, vereinzelt ein Rentier, spiegelt eine frostige Stimmung wider, die sich gut in die Story einfügt. Man spürt die Kälte, den beißenden Wind und auch die Ausweglosigkeit. Wohin man schaut ist Schnee…

…und das schwarze Cover müsste dem Titel nach in hellem Weiß erstrahlen. Eigentlich! Es ist aber schwarz, auch SCHNEE, der Titel, verfärbt sich vom Hellen ganz bald ins Dunkle. Genau so, wie die Story sich zunehmend verdunkelt.

Neben der Suche spielt sich eine zweite, viel Raum einnehmende Handlungsebene, auf der Radarstation der Küstenwache, ab. Lange wird nicht klar, was diese mysteriösen Vorkommnisse in und um die Station mit der Suche nach den Verschollenen auf sich hat, außer das hier – wie schon erwähnt – das Suchflugzeug auftankt. Dieser Part ist so unheimlich wie unerklärlich, die Beklemmung ist deutlich spürbar.

Nach dem langatmigen Einstieg entwickelt sich die Story, sie wird gut und interessant erzählt. Auch die Cliffhanger an den Kapitelenden erzeugen zusätzliche Spannung, jedoch bin ich mit dem Schluss so gar nicht zufrieden. Hier fügt sich nichts zusammen, es ist eher ein brachiales Ende der einzelnen Erzählstränge und genau deshalb kann ich nur 3 Sterne vergeben.

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Veröffentlicht am 10.08.2022

Netter Krimi für zwischendurch

Dunkle Gemäuer
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Nach „Kalte Lügen“ aus der Feder von Julia Bernard führt sie ihre Leser nun in „Dunkle Gemäuer“ - ein Baden-Krimi. Schon das Cover mutet ganz schön gespenstig an. Das Willstätter Horrorhaus - es ist Kulisse ...

Nach „Kalte Lügen“ aus der Feder von Julia Bernard führt sie ihre Leser nun in „Dunkle Gemäuer“ - ein Baden-Krimi. Schon das Cover mutet ganz schön gespenstig an. Das Willstätter Horrorhaus - es ist Kulisse für einen Film. Im früheren Siechenhaus geht immer noch Hildebrandt um, dessen sind sie sich sicher. Darum drehen sie ausschließlich tagsüber und behelfen sich mit lichtundurchlässigen Pappfensterläden, so machen sie den Tag zur finsteren Nacht. Als Mona, die Kamerafrau, verschwindet, wird Suzanne Griesbaum engagiert, ihres Zeichens Privatermittlerin, ihr zur Seite steht Henry Marbach.

Und da war die Sache mit dem Leuchten. Kurz bevor in dem Haus jemand stirbt, leuchtet ein geheimnisvolles grünes Licht. Das Hildebrandtslicht. Das Gerücht hält sich hartnäckig – was ist da dran? Auch ein Strichmännchen hat die Filmcrew entdeckt, dessen Kopf nach unten hängt, wie abgeknickt. In früheren Zeiten hat Hildebrandt hier gewütet, viele sind umgekommen, alle mit Genickbruch.

Im Keller dann wird Mona gefunden, sie ist tot – Genickbruch, was sonst! Ist sie die steile Treppe hinuntergestürzt? Nicht nur die Privatermittler sind an dieser mysteriösen Sache dran, auch die Polizei ermittelt. Verdächtige gibt es viele, allen voran Gerard, Monas Ehemann. Aber kann er wirklich mit dem Tod seiner heiß geliebten Frau zu tun haben? Ihre Schwester, der Hausmeister, ein Drehbuchautor, Schauspieler, auch Petrow, der Regisseur – sie alle sind verdächtig, jeder hat mindestens ein Motiv.

Keine zehn Pferde hätten mich in dieses Haus gebracht, auch wenn es mich beim Lesen so gar nicht gegruselt, Horror-Feeling sich dabei so gar nicht eingestellt hat. Spannend war das Buch trotzdem, bis fast zuletzt schlich sich in meine Gedanken immer wieder ein Verdächtiger ein, um dann doch wieder meine Zweifel zu haben. Jeder könnte es gewesen sein, keiner hat eine astreine Weste.

Der Baden-Krimi versprüht viel Charme, gerade wenn es um den Badener Dialekt geht, der wohl dosiert eingestreut wird. Auch wenn man diesen Dialekt nicht spricht, versteht man doch (fast) alles. Einen richtig bodenständigen Typen gibt es hier nicht, die Charaktere sind allesamt leicht überzeichnet dargestellt. Suzanne in ihrer unerschrockenen Art bringt sich so manches Mal in arge Bedrängnis. Auch Henry hat so seine Eigenheiten, die schon seltsam anmuten. Und doch habe ich über so manche Szene geschmunzelt. Ja, alle haben sie ihre Macken. Auch und vor allem Suzanne und ihr Dahinschmachten, sobald es um ihren Liam geht. Denn neben der Ermittlungsarbeit waren sie und ihr großer Schwarm Liam, ein Star der Death Metal-Szene, allgegenwärtig. Dieses pubertäre Gehabe war eindeutig zu viel, es hat der Story viel Potenzial geraubt. Weniger wäre hier wesentlich mehr gewesen!

Ansonsten ein netter Krimi für zwischendurch, der mich schon unterhalten hat, mit einem gut gemachten Cliffhanger.

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Veröffentlicht am 05.07.2022

Undurchdringliche Tiefen

Dunkle Tiefen
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Unter mysteriösen Umständen ist Rosa, die jüngste der vier Schwestern, vor zwanzig Jahren ums Leben gekommen. Danach ist so einiges passiert mit der Familie und nun haben Jess, Ella und Lydia je eine Einladung ...

Unter mysteriösen Umständen ist Rosa, die jüngste der vier Schwestern, vor zwanzig Jahren ums Leben gekommen. Danach ist so einiges passiert mit der Familie und nun haben Jess, Ella und Lydia je eine Einladung erhalten, die Weihnachtstage in dem Cottage zu verbringen, das sie damals bewohnt hatten. Die Schwestern sind angereist und doch bleibt unklar, wer denn eingeladen hat – keine will es gewesen sein. Sie wollen schnellstens wieder weg, keine fühlt sich wohl mit den anderen und doch bleiben sie.

Langsam tauche ich in deren Leben ein, die Schwestern sind sehr unterschiedlich. Auch Marianne, die Nachbarin, mischt mit.

Die sehr kurzen Kapitel verraten nichts, hören immer dann auf, wenn man eigentlich das Gefühl hat, jetzt endlich mehr zu erfahren. Dazwischen lese ich in ebenso kurzen Sequenzen über das, was im Juli 1997 geschah. Ja, es sind sehr dunkle, undurchdringliche Tiefen, die mir zu sehr hin- und her rotieren, sich im Kreise drehen und nicht recht vorwärts kommen. Dieser schnelle Kapitelwechsel war mir zu sprunghaft. Was ist das lange gehütete Geheimnis von damals? Wie ist Rosa wirklich ums Leben gekommen, ist sie vielleicht gar nicht tot? Zweifel sind allgegenwärtig.

Es passieren im Heute seltsame Dinge, die Spannung ist da und doch verläuft sich dies alles irgendwie, es wird vieles angedeutet, einiges schon aufgeklärt aber so manches bleibt vage, ist nicht auserzählt. Eine dramatische Familiengeschichte um Schuld und Verantwortung. Es gibt Antworten und doch lässt mich das Buch sehr zwiegespalten zurück. Ich mag es, wenn die Spannung bis zum Schluss aufrechterhalten wird, die Story eine überraschende Wendung nimmt - und das ist hier der Fall. Vieles jedoch kommt mir zu konstruiert vor, als ob man etwas mit aller Gewalt zurechtbiegen müsste, um das Gestern und das Heute rund zu machen. Was in meinen Augen leider nicht gelungen ist.

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Veröffentlicht am 06.06.2022

Beklemmend

Amelia
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„Die Unruhen begannen an einem Donnerstag. Um sechs Uhr abends. So jedenfalls erinnerte sich Amelia daran.“ Und so beginnt die Erzählung um Amelia, einem Mädchen, das während der „Troubles“, dem Nordirlandkonflikt, ...

„Die Unruhen begannen an einem Donnerstag. Um sechs Uhr abends. So jedenfalls erinnerte sich Amelia daran.“ Und so beginnt die Erzählung um Amelia, einem Mädchen, das während der „Troubles“, dem Nordirlandkonflikt, in Belfast aufwächst. Wir schreiben das Jahr 1969. Inmitten ihrer großen Familie ist sie doch alleine und weiß auch als Achtjährige schon, was es heißt, wenn sich hinter jeder Ecke Bewaffnete verbergen könnten.

Es ist zwar ein zu Beginn achtjähriges Mädchen, um das sich die Geschichte rankt, von einer normalen Kindheit jedoch ist wenig zu spüren. Sie spielen mit Gummigeschossen, denken sich in ihre eigene Welt, die um sie herum so gar nicht normal ist. Aus Amelias Blickwinkel wird diese Geschichte erzählt, die Jahre gehen dahin. Es sind schlimme Jahre und blutige Kämpfe zwischen zwei Bevölkerungsgruppen – die Protestanten, die für den Verbleib im Vereinigten Königreich sind und die Katholiken, die als Republikaner für eine Loslösung kämpfen. Bis zu den 1994 beginnenden Friedensverhandlungen begleiten wir Amelia.

Es sind die täglichen Kleinigkeiten, die Anna Burns vor dem Hintergrund der Konflikte hervorhebt. Die Unruhen und deren Auswirkung beschreibt sie anhand der Einzelschicksale. In einer sehr derben Sprache, die es für mich so nicht unbedingt gebraucht hätte. Gewalt und Missbrauch sind allgegenwärtig, von Zuneigung keine Spur. Immer wieder kommt es zu sehr brutalen Szenen, die bis ins Detail beschrieben werden. Des Öfteren musste ich das Buch zur Seite legen und mich zwingen, doch noch weiterzulesen.

Die Charaktere sind allesamt mit sich selbst beschäftigt, nehmen keinerlei Rücksicht auf die Befindlichkeiten anderer. Sind hemmungslos, Alkoholexzesse und Tablettenmissbrauch sind an der Tagesordnung, keiner schert sich drum. Jeder ist sich selbst der Nächste und der Feind, der Andersdenkende, wird mit allen nur erdenklichen Mitteln bekämpft. Gnadenlos. Skrupellos. Ich lese sehr viel Zwischenmenschliches der brutalsten Art. Jeder nimmt sich, was er kriegen kann und das in jeglicher Hinsicht. Familienmitglieder, Freund und Feind – alle sind mit sehr viel Vorsicht zu betrachten. Zimperlich ist hier niemand, oftmals habe ich das Gefühl, dass es einzig um das nackte Überleben geht. Als ob man noch zu Lebzeiten ein kleines Stück vom Kuchen abbekommen möchte.

Erwartet habe ich einen Roman vor dem geschichtlichen Hintergrund, gelesen habe ich vom Schicksal Amelias und derer, die ihr am nächsten stehen - nichts für schwache Nerven, auch nichts für diejenigen, die mehr über die Troubles erfahren wollen. Es ist ein ungeschönter Einblick in die Psyche eines jungen Menschen, der seinen Weg suchen muss - die Gefahr zu scheitern ist groß. Letztendlich war ich froh, die letzten Seiten gelesen zu haben. Ein zuweilen sowohl beklemmendes als auch schockierendes Zeugnis in einer sehr derben Sprache um verlorene Jugendjahre.

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