Profilbild von MarionHH

MarionHH

Lesejury Profi
offline

MarionHH ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit MarionHH über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.08.2020

Hochemotionaler dritter Fall für Helle Jespers

Helle und der falsche Prophet
0

Kriminalkommissarin Helle Jespers kann selbst im Urlaub im milden Südfrankreich nicht richtig abschalten. Als sie der Anruf ihres Kollegen erreicht, der eine Tote meldet, ist sie beinahe froh, dass etwas ...

Kriminalkommissarin Helle Jespers kann selbst im Urlaub im milden Südfrankreich nicht richtig abschalten. Als sie der Anruf ihres Kollegen erreicht, der eine Tote meldet, ist sie beinahe froh, dass etwas passiert, doch dann ist sie mehr als geschockt, denn die Tote ist Merle, eine alte Schulfreundin ihres Sohnes Leif. Angeblich hat sie Selbstmord begangen. Daran glaubt Helle keine Sekunde und startet deshalb zu ihren berüchtigten Alleingängen. Wo ist Merles Handy, und was hat sie mit einem jungen Pärchen in einem nicht gemeldeten, roten Pickup zu tun? Helles Vorgesetzte pfeifen sie zurück, doch dann wird in Kopenhagen in einer Jugendherberge ein junger Mann tot aufgefunden, und wieder ist das Pärchen involviert…

Dritter Fall für die eigenwillige Kommissarin Helle Jespers aus dem abgelegenen norddänischen Städtchen Skagen. Auch wenn man die Vorgänger-Bände der Kommissarin nicht kennt, kommt man sehr gut in die Geschichte hinein, was vor allem am sehr eingängigen und unprätentiösen Schreibstil der Autorin und ihrer hervorragenden Beschreibung der Charaktere liegt. Die Geschichte lebt meines Erachtens vor allem von der extrem menschlichen und sympathischen Hauptfigur und den generell sehr tiefgründig gezeichneten anderen Figuren. Es gibt eine zwar eine recht klare gut-böse-Aufteilung, dennoch sind die Persönlichkeiten der Figuren vielschichtig und die Autorin versteht es sehr gut, Emotionen zu beschreiben und den Leser diese miterleben zu lassen. Der Fall selbst ist nicht besonders komplex, Helle kommt oft durch Geistesblitze auf die Hintergründe und geht dann diesen nach. Sie hat einfach ein herausragendes Gespür für Menschen und handelt oft intuitiv. Es geht weniger darum, der schrittweisen Aufdeckung, sprich den Ermittlungen der Polizei, zu folgen, oder um ein Psychoduell als vielmehr darum, eine emotionale Verbundenheit mit den Protagonisten herzustellen. Der Leser gewinnt durch die verschiedenen Perspektiven der Leser tiefe Einblicke ins Geschehen und in die Gefühlswelt der Protagonisten und weiß immer mehr als die Kommissarin. Dennoch wird eine gewisse Spannungskurve gehalten, man fiebert vor allem mit den Figuren mit, die persönlich betroffen sind.

Formal ist die Geschichte in drei Teile eingeteilt, die die Geschichte ziemlich genau in drei gleiche Teile gliedert, deren Übergänge wichtige, für den Fortgang der Handlung einschneidende Ereignisse markieren. Die drei Hauptperspektiven Helle/Polizei, das Pärchen beziehungsweise Nick und Jemi sowie der Polizist Willem sind jede für sich spannend und der Leser weiß dadurch immer mehr als die Kommissarin, was ebenfalls einen Teil der Spannung ausmacht. Sehr gut sind die Zerrissenheit und die Zweifel der Personen dargestellt, die Grundstimmung ist zwar nicht düster, aber dennoch spürt man oftmals die Verzweiflung und den Kampf, den die Protagonisten ausfechten. Mir hat hier besonders Polizist Willem gefallen, der das Bindeglied zwischen beiden Welten darstellt und sich als äußerst mutig erweist. Bei ihm war man sich manchmal nicht sicher, wie er sich entscheiden wird, und es war spannend zu beobachten wie er sich behauptet. Mitunter hätte ich mir bei einigen anderen Figuren wie beispielswiese Jemi oder Hiob noch tiefere Einblicke gewünscht. Einiges an Motivationen und Hintergründen bleibt offen, und so bietet der Schluss zwar eine gute Auflösung, die Entwicklung der Figuren hätte aber meines Erachtens umfassender sein können.

Fazit: Gelungener dritter Band um die supersympathische Kommissarin mit den oftmals eigenwilligen Methoden. Für Fans natürlich ein Muss, doch auch Einsteiger können die Geschichte gut lesen. Wer einen komplexen Kriminalfall mit ausgeklügelten Ermittlungsmethoden erwartet, wird eher enttäuscht sein. Wer jedoch emotionale Verstrickungen und lebendige Charaktere mag, wird diesen Band verschlingen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.08.2020

Herausragender Triller mit Suchtgarantie

Geburtstagskind (Ewert Grens ermittelt 1)
0

Kriminalkommissar Ewert Grens von der Stockholmer Mordkommission steht ein halbes Jahr vor der Rente, vor der ihm graut. Der Polizeidienst ist alles, was er hat, und er schleppt sowieso schon einiges an ...

Kriminalkommissar Ewert Grens von der Stockholmer Mordkommission steht ein halbes Jahr vor der Rente, vor der ihm graut. Der Polizeidienst ist alles, was er hat, und er schleppt sowieso schon einiges an Altlasten mit sich herum. Vor allem ein alter Fall macht ihm zu schaffen, bei der die Familie eines fünfjährigen Mädchens ausgelöscht wurde und das kleine Mädchen als einzig Überlebende eine neue Identität bekam. Als ihn seine Mitarbeiterin Hermansson von einem Einbruch berichtet, der an der ihm nur allzu bekannten Adresse stattgefunden hat, beginnt er zu wühlen und stellt fest, dass höchst vertrauliche Akten aus dem Zeugenschutzprogramm fehlen. Als dann noch der ehemals verdeckte Ermittler Piet Hoffmann in seiner Küche auftaucht und ihm von der Bedrohung seiner eigenen Familie berichtet, erkennt Grens, dass alles viel komplexer ist als angenommen und dass die beiden einander vertrauen und zusammenarbeiten müssen, um Licht ins Dunkel zu bringen.

Superspannender, packender Thriller, der von der ersten Zeile an fesselt und süchtig macht! Schonungslos kehrt der Autor das Innerste nach außen und verlangt seinen Protagonisten alles ab. Dabei bedient er sich einer rigorosen, manchmal sehr nüchternen Sprache, die dennoch viele mehr oder weniger versteckte Emotionen frei- und vor allem Abgründe offenlegt. Formal aufgeteilt in neun Teile, die hier wie Kapitel anmuten, wechselt er gekonnt die Perspektiven zwischen Grens und Hoffmann und Einschüben eines Ich-Erzählers sowie die verschiedenen Örtlichkeiten, bis sich die Fäden und losen Enden ineinander verweben wie ein sehr kompliziertes Strickmuster. Die Spannung wird zwar schon zu Beginn konstant aufgebaut, erfährt aber einen ungeheuren Kick mit dem Beginn des Countdowns von 72 Stunden - die Zeit, die ein Verdächtiger ohne Beweise festgehalten werden darf.
Der zunächst behäbig und verbittert wirkende, korpulente und alternde Grens ist eher ein Antiheld, dem man nicht unbedingt Großtaten zutraut. Er ist jedoch ein Mann voller Gegensätze und überraschenden Tiefgangs: Er lebt sehr in der Vergangenheit und ihm graut vor der Zukunft, er hat keine Familie und kaum Freunde, ist aber einigen wenigen Kindern und Menschen, die er im Rahmen seiner Laufbahn getroffen hat, sehr zugetan. Er wirkt brummig und einsiedlerhaft, riskiert aber für fremde Kinder sein Leben. Im Laufe der Ereignisse macht er außerdem eine Entwicklung durch, wird zum Wohltäter und durchbricht dadurch seine Einsamkeit. Wenn auch der alte Fall erneut traumatisierend ist, so wird er doch zu Ende gebracht.
Ebenso ist Piet Hoffmann ein Mann voller Überraschungen und einer, der schon mehr zum Helden taugt. Obgleich er manchmal undurchsichtig ist, mit illegalen Methoden arbeitet und ohne zu zögern Menschen tötet, steht sein Gerechtigkeitssinn und die Liebe zu seiner Familie immer im Vordergrund seines Handelns. Da sich auf diese beiden die Handlung konzentriert, sind ihre Persönlichkeiten am intensivsten, doch auch die anderen Figuren sind vielschichtig und führen oftmals zu sehr überraschenden Wendungen in der Geschichte.

Fans des Autors kennen die Hauptfiguren Grens und Hoffmann natürlich aus seiner Trilogie, die er zusammen mit dem Kollegen Börge Hellström verfasst hat. Und in der Tat hat der vorliegende Band einige Andeutungen und Verweise auf die Vergangenheit der beiden. Man hat als Leser, der die Trilogie nicht kennt (so wie ich), immer das Gefühl, dass die Verbindung der beiden tiefer geht und dass die Vergangenheit stark in die Geschichte mit hineinspielt. Das tut aber dem Lesevergnügen bei weitem keinen Abbruch, man kann diesen Band getrost ohne jegliche Vorkenntnisse lesen. Dass Anders Roslund schreiben kann, hat er sowieso hinlänglich bewiesen, stammen doch aus seiner Feder außerdem noch weitere Thriller, die er in Zusammenarbeit mit Stefan Thunberg verfasst hat.

Fazit: Ich bin sowieso ein schwerer Fan der skandinavischen Krimi- und Thrillerliteratur und der Autor muss sich auch als alleiniger Urheber nicht vor seinen Kollegen verstecken. Für mich ist der Thriller eine sehr gelungene Einzelleistung, die Lust auf Mehr macht, eine hochkomplexe, verworrene Geschichte, von der man natürlich weiß, dass alles irgendwie zusammenhängt, aber das Wie lange nicht durchschaut bis hin zu dem schockierenden, aber durchaus konsequenten Finale. Zwar nichts für Zartbesaitete, für Fans des Genres jedoch ein Muss, eine hochspannende Geschichte mit tiefgründigen Charakteren.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.07.2020

Liebesgeschichte in schwedischer Natur

Nur noch ein bisschen Glück
0

Bei der Stockholmerin Stella läuft es gerade so gar nicht rund: Ihr Freund hat sie betrogen, sie verlässt ihn und verliert dadurch sowohl Wohnung als auch Job. Ihr einziges Ziel ist nun, ihr Erbe, ein ...

Bei der Stockholmerin Stella läuft es gerade so gar nicht rund: Ihr Freund hat sie betrogen, sie verlässt ihn und verliert dadurch sowohl Wohnung als auch Job. Ihr einziges Ziel ist nun, ihr Erbe, ein Grundstück auf dem platten Land in Südschweden, zu verkaufen, um mit dem Geld ihren großen Traum zu verwirklichen: ein Modestudium in New York. Das Grundstück erweist sich als Alptraum, ein völlig verwilderter Acker mit einer Bruchbude ohne Strom und fließend Wasser. Eigentlich will Stella so schnell wie möglich verschwinden, wäre da nicht der nette Nachbar Thor, Biobauer auf dem Nachbarhof, der sich mehr und mehr um sie bemüht und eine magische Anziehungskraft auf sie ausübt…

Dies ist eine gefällige und gut zu lesende Liebesgeschichte mit super sympathischen Figuren und einem Hang zu deftigen Liebesszenen. Stella und ihre Geschichte gehen einem sofort zu Herzen, man lebt mit ihr mit und wünscht ihr alles Glück der Welt. Aber auch Thor ist ein super Sympathieträger, auch wenn er phasenweise doch sehr das kerniger-Naturbursche-Klischee verkörpert. Da aus ihrer beider Sicht erzählt wird, erhält der Leser in beider Gefühlswelt intime Einblicke. Das ist aus dem Grund interessant, weil beide sich selbst und einander immer wieder versichern, dass ihr Zusammensein nichts Festes sein kann. Beide reflektieren viel über ihr Leben, über vergangene Beziehungen und über sich, beide haben einiges an Vergangenheitsbewältigung zu betreiben und kommen außerdem aus gänzlich verschiedenen Welten. Aber für seine Gefühle kann man ja bekanntlich nichts…

Stella ist ein recht spannender Charakter und gefiel mir wirklich gut. Als Halbinderin entspricht sie schon optisch keiner sogenannten schwedischen Norm und erfuhr dadurch Rassismus, als Stockholmerin ist sie außerdem städtisch durch und durch und sie musste schon früh auf eigenen Beinen stehen, ist also alles andere als das „kleine Weibchen“, für das sie viele halten. Sie weiß sich durchzusetzen und ist clever und ehrgeizig, aber auch emotional, sehr loyal und treu zu ihren Freunden und hilfsbereit und empathisch - eine Menschenfreundin, die das Beste bei Menschen hervorheben will. Besonders diese Gegensätze und ihr Kulturschock im ländlichen Südschweden wurden sehr humorvoll und bildhaft erzählt. Auch die anderen Charaktere – hier besonders Thor und seine Familie - sind durchaus schön herausgearbeitet, und die Autorin versteht es, sie und die schwedische Landschaft vor dem geistigen Auge auferstehen zu lassen. Der locker-flockige Schreibstil tut sein Übriges, um das Buch in einem Rutsch herunterlesen zu können. Mir persönlich war er allerdings manchmal zu locker und wenig romantisch und glitt besonders bei den doch sehr häufigen Liebesszenen ins Vulgäre ab. Diese traten in einer für meine Begriffe sehr konstruierten Häufigkeit auf, wohingegen manch andere Ereignisse und Wendungen abrupt geschahen und nicht nachvollziehbar waren. Ich hätte mir mitunter weniger zahl- und detailreiche Beschreibungen von Liebespraktiken und Orgasmen gewünscht und stattdessen mehr Hintergründe z.B. über Familienthemen und -geheimnisse oder über die Dorfbevölkerung erfahren.

Fazit: Durchaus gelungener Liebesroman mit sympathischen Charakteren und viel schwedischem Lokalkolorit. Die detailreichen Liebesszenen muss man in der Häufigkeit mögen und dafür Abstriche in der Logik der Handlung machen, dann erhält man ein vergnügliches Buch mit einem dann doch sehr romantischen Schluss und mit einer reizenden Hauptfigur, die authentisch ist und sich selbst treu bleibt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.06.2020

Eine Kindheit auf Sylt

Ozelot und Friesennerz
0

Susanne Matthiessen, gebürtige Sylterin, mit Job und Wohnsitz auf dem Festland, blickt zurück auf ihre Kindheit, die inmitten der „Goldenen Sylter Jahre“ in den 70ern stattfand. Dies tut sie mit einem ...

Susanne Matthiessen, gebürtige Sylterin, mit Job und Wohnsitz auf dem Festland, blickt zurück auf ihre Kindheit, die inmitten der „Goldenen Sylter Jahre“ in den 70ern stattfand. Dies tut sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge, zuweilen sehr launig und humorvoll, aber immer wehmütig und mit liebevollem Blick auf die Menschen. Auslöser im Buch ist das im Prolog beschriebene traditionelle Biikebrennen auf der Insel, eines der letzten wirklich typisch friesischen Ereignisse, das die Einheimischen nicht unbedingt immer mit den Feriengästen teilen wollen. In teilweise recht skurrilen Situationen erinnert sich die Autorin an das Sylt vergangener Jahre, in denen die geschäftstüchtigen Sylter den Tourismus entdeckt und voll ausgeschöpft haben und in denen jede Menge Prominenz die Insel heimsuchte und eine Menge Geld dort ließ. Die Kinder waren weitgehend sich selber überlassen, stromerten, wenn sie nicht gerade in den jeweiligen Geschäften ihrer Eltern aushalfen oder Schule hatten, frei auf der Insel herum. Es gab noch dörfliche Gemeinschaft, und bei allem Geschäftssinn gab es doch einen großen Zusammenhalt unter den Einheimischen, auch wenn der Gast immer König war und in machen Ferienhäusern zur Familie gehörte. Die Autorin gibt tiefe Einblicke in ihr Familienleben, das sich, gemäß der Profession ihrer Eltern, weitgehend in deren Pelzgeschäft abspielte, welches sich in der Haupteinkaufsstraße in Westerland befand und in welchem sich die Reichen und Schönen die Klinke in die Hand gaben. Dies zeigt sich im Titel, und konsequenterweise sind auch die einzelnen Kapitel mit Pelzarten überschrieben. Diese haben dazu dann auch einen deutlichen Bezug, sprich ein Erlebnis, zur Kapitelüberschrift, geben aber darüber hinaus Einblicke in andere Familien oder das Inselleben allgemein.

Auch wenn die Situationen vielleicht nicht eins zu eins so stattgefunden haben und genau dem Protagonisten zugeordnet werden können, so haben sich doch so ähnlich abgespielt und zeigen sehr anschaulich das Leben in dieser Zeit auf einer Insel, deren Mikrokosmos wie eine Flutwelle von Außenstehenden überspült, deren Gemeinschaftsleben von Gästen infiltriert und deren Insel von Zweitwohnungsbesitzern und Baulöwen okkupiert wurde. Demgemäß ist es auch ein sehr persönliches Buch der Autorin, die genau weiß, dass das Leben weitergehen muss und dass diese Zeiten nicht wiederkommen werden, die aber auch aufrütteln und den Blick auf die Dinge lenken will, die nicht optimal laufen, und die Menschen, Einheimische ebenso wie Zugereiste, Gäste und nicht zuletzt die Politik bitten will zu hinterfragen und nicht einfach nur um des Profits Willen den Ausverkauf der Insel vorantreiben lassen will. Mit diesem Buch will sie dem „alten“ Sylt und seinen Menschen ein Denkmal setzen, und für sie ist es außerdem eine Art, Vergessenes in Erinnerung zu rufen und Vergangenes zu bewahren.

Fazit: Schöne und teilweise humorvolle Darstellung mit Einblicken in das Inselleben, das so allerdings längst der Vergangenheit angehört. Dass die Autorin ihrer Heimat sehr verbunden ist, merkt man mit jeder Zeile. Es las sich sehr gut und war unterhaltsam, allerdings war mir phasenweise zu detailliert von Pelzhandel die Rede und gegen Ende überwiegt dann auch sehr der erhobene ökologische Zeigefinger. Ich mochte sehr die lustigen Situationen, die liebevolle Beschreibung der Menschen, ihre schlitzohrige Geschäftstüchtigkeit, ihren Fleiß und ihren Zusammenhalt. Insofern eine absolut lohnenswerte Lektüre.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.05.2020

Hochspannender sechster Fall für Rechtsmediziner Leon Ritter in der Provence

Dunkles Lavandou (Ein-Leon-Ritter-Krimi 6)
0

Im frühsommerlichen Le Lavandou wird die Polizei zu einem Unfall gerufen. Eine junge Frau ist von einer Brücke gestürzt, direkt vor einen Lkw und von diesem überrollt worden. Was zunächst nach einem Selbstmord ...

Im frühsommerlichen Le Lavandou wird die Polizei zu einem Unfall gerufen. Eine junge Frau ist von einer Brücke gestürzt, direkt vor einen Lkw und von diesem überrollt worden. Was zunächst nach einem Selbstmord aussieht, entpuppt sich schnell als ein weitaus schwerwiegenderer Fall, denn die Frau wurde zu Tode gefoltert. Kurz darauf wird wieder eine junge Frau gefunden, diesmal grausam zugerichet von einer Schiffsschraube. Doch auch diese Frau wurde sadistisch gequält. Der deutsche Rechtsmediziner Dr. Leon Ritter entdeckt außerdem merkwürdige Zeichen an beiden Opfern und weitere Übereinstimmungen bei den Foltermethoden. Treibt etwa ein Serientäter sein Unwesen? Leons analytischer Verstand arbeitet auf Hochtouren, und auch wenn er seiner Lebensgefährtin, der Polizeikommissarin Isabelle, nicht ins Handwerk pfuschen will, beginnt er neben seiner Arbeit für die Polizei auf eigene Faust zu recherchieren...
Der sechste Fall für den im südfranzösischen Le Lavandou gestrandeten deutschen Rechtsmediziner Leon Ritter, zutiefst verstörend, brutal und hochspannend. Der Autor bleibt - zum Glück für den Leser - seinem Stil treu und schickt Leon erneut hinaus aus seinem Obduktionssaal durch die Provence in vermeintlich idyllische Gegenden, wo mitunter schräge, aber dennoch liebenswerte Menschen ihrem Tagwerk nachgehen. Mit viel Lokalkolorit und mit unverwechselbarem Stil beschreibt Remy Eyssen die Menschen und ihre Umgebung, gibt ihnen Authentizität und Persönlichkeit. Leon und der Leser treffen dabei auf bereits bekannte und lieb gewonnene Figuren wie die Bewohner des Städtchens Le Lavandou, lernen aber auch neue Menschen kennen. Selten ist etwas wie es scheint, und auch Leon schafft es nicht immer sofort, hinter die Fassade zu schauen. Interessant ist jedoch, dass er, gerade weil er nicht als Polizist ermittelt, oftmals viel tiefere Einblicke gewährt bekommt als seine Lebensgefährtin Isabelle und ihre Mitarbeiter, denen immerhin die geballte Polizeiautorität zur Verfügung steht , denen aber zudem Sonderermittler aus Paris im Nacken sitzen und die Presse auf die Pelle rückt. Leon kann in der Regel in aller Ruhe seine Beobachtungen machen, und eine Flasche eisgekühlter Rosè hat noch so manche Zunge gelockert.
Inzwischen ist Leon durchaus etabliert, hat einen guten Ruf, ist in die Gemeinschaft integriert und führt mit Isabelle eine feste Beziehung. Doch auch wenn es immer mal private Turbulenzen und Schicksalsschläge gibt, so nimmt doch der Fall immer den Hauptteil in der Geschichte ein. Der Autor hat einen unglaublich lässigen und eingängigen Stil, ohne jemals platt zu sein, und auch die teilweise recht brutalen Szenen, die fast schon Thriller-Niveau erreichen, sind doch niemals reißerisch oder krampfhaft blutrünstig. Die aus Opfersicht geschriebenen Passagen geben tiefe Einblicke in Psyche von Opfer und Täter, gehen unter die Haut und treiben die Spannung noch einmal weiter an. Der Fall selbst ist überhaupt sehr spannend, und mich fasziniert einmal mehr, wie Leon manchmal unverhofft, manchmal mit scharfer Kombinationsgabe und Verstand Puzzelteil um Puzzeteil zueinander fügt. Geradezu köstlich, wie er durch seine Boule-Freunde Hinweise erhält, und herrlich, wie er Sonderermittler und Polizeichef in die Schranken weist. Er bleibt immer zuerst Mediziner, der helfen und aufklären will, da hat selbst der Innenminister wenig zu melden. Die bildhaften Beschreibungen von Land und Leuten und südfranzösischer Lebensart gehören zu diesem Lokalkrimi einfach dazu und geben ihm genau die richtige Prise Glaubwürdigkeit.
Fazit: Sehr gelungener sechster Band um Gerichtsmediziner Leon Ritter, der durch seine Beobachtungsgabe, mit Charme und Hartnäckigkeit und nicht zuletzt mit seinem immensen Wissen den Fall vorantreibt und der Polizei Lösung und Mörder fast schon auf dem Silbertablett serviert. Meiner Meinung nach kann man die Fälle auch unabhängig voneinander lesen, ich empfehle jedoch durchaus die Lektüre aller Bände, man bekommt die Entwicklung Leons und Isabelles besser mit. Außerdem sind die Bände einfach toll geschrieben und spannend und lassen den Leser in eine wundervolle Landschaft abtauchen. Gerne mehr davon!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere